Mozart in neuem Licht: Diese außergewöhnliche Darstellung bietet nicht einfach eine weitere Biographie eines der größten Komponisten der Musikgeschichte, sondern zeigt Mozart als Kind seiner Zeit. Die Erkundung seines geistigen Umfelds wird zu einer aufregenden Spurensuche in der Welt der Aufklärung und erhellt, wie Mozart zeitgenössische Debatten in seiner Musik aufnimmt, reflektiert und sich zunutze macht, um die Wahrnehmung seiner Musik und sich selbst zu inszenieren. Geprägt von den vielfältigen Erfahrungen seiner Reisen als "Wunderkind" findet Mozart im Wien der 1780er Jahre - in einer Atmosphäre radikaler Reformen, entgrenzter Toleranz und lebhaften Meinungsaustausches in Publizistik und Salons - den idealen Schauplatz für seine Selbstverwirklichung. Er verwischt Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben, bürgerlichem und höfischem Publikum und macht sich mit seiner Musik zum zentralen Protagonisten des sich neu erfindenden Wien. In seinen Werken führt er Diskussionen über die Rolle der Musik unter den Künsten, ihre moralischen Qualitäten oder ihre Fähigkeit, Wirklichkeit darzustellen, künstlerisch weiter und treibt sie auf die Spitze. Anhand zahlreicher Beispiele aus Mozarts Instrumental- und Opernwerk vermittelt der international renommierte Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken in dieser ebenso leidenschaftlich wie reflektiert geschriebenen „intellektuellen Biographie" ein ungewöhnliches Bild Mozarts.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2017Sie kennen Mozart?
Laurenz Lütteken stellt den Komponisten in seine Zeit
Das Mirakel Mozart erschien seit jeher unfassbar genug, um dezidiert realitätsbezogener Erklärungen kaum zu bedürfen. Umso mehr, als Neuerungen in der Geschichte des Komponierens sich eher mit Haydn, später Beethoven verbinden ließen, Mozart dagegen, der Wundervogel, der von ihnen profitierte, bewusste Teilhabe an den mit ihnen verknüpften Entwicklungen gar nicht nötig hatte. Zeugnisse des etwa im "Idomeneo" oder der "Entführung" präzise reflektierenden "Dramaturgen" oder politische Kontexte im "Figaro" muteten eher wie Einsprengsel in einem Bild an, das noch nachwirkte, als man gewichtige Gegenpositionen wie etwa Georg Kneplers Buch von 1991 als ideologisch borniert abtat.
Weil sie weniger Probleme bereiten, sind uns Nur-Musiker nur allzu lieb; freilich auch, weil die besondere Autonomie der Musik direkte Bezugnahmen leicht als kurzschlüssig verdächtig macht. Was einer sich beim Komponieren gedacht, damit gewollt hat, ist immer noch nicht "die Musik". So gewiss außermusikalische Momente einwirken, so ungewiss ist, inwieweit und wie vermittelt sie es tun.
Dessen ist Laurenz Lütteken sich bewusst. Mit Umsicht und Sorgfalt, zuweilen auch wagemutigen Folgerungen, verbindet sich bei ihm große Vorsicht, wenn es um die Verlängerung seiner Argumentation in die Musik hinein geht. Oft ließe sich anhand der Notenbeispiele in seinem Sinne mehr sagen. Als Einwand indes taugt das nicht, zu eindrucksvoll ist die Schlüssigkeit gerade auch seiner originellen Denkvorstöße, sei es bei der Verknüpfung des Mozart-Gedenksteins im Tiefurter Park mit "Don Giovanni" oder bei Gegenständen, über die schon alles gesagt scheint, wie "Così fan tutte" oder die "Zauberflöte" - immer der Bequemlichkeit opponierend, die es bei Einvernehmlichkeiten der Mozart-Kenntnis lassen will.
Über sie geht Lütteken in genauen Beschreibungen hinaus, etwa der Salzburger Verhältnisse unter dem später verhassten Erzbischof, durch die Verknüpfung von Rousseaus "Pygmalion" mit "Don Giovanni", auch mit Blick auf die Strategien der Reisen, die Sondersituation in Prag, die Zuordnung von Briefen oder die Deutung des Beginns der "Figaro"-Ouvertüre - ohne Bezug auf den "Tollen Tag".
Mit etlichen als sicher akzeptierten Positionen der Mozart-Exegese wird man nach dieser Lektüre vorsichtiger umgehen. In der Zielstrebigkeit des Argumentierens lässt Lütteken sich nicht beirren. Manchen wichtigen jüngeren Beitrag zum Thema ignoriert er; auch schreibt er die Auskunft des Fürsten Kaunitz, Leute wie Mozart kämen "nur alle 100 Jahr auf die Welt", kurzerhand diesem selbst zu. Von dem aus Zeit und Geschichte gefallenen Wundervogel bleibt nicht viel - mit überzeugenden Gründen und mit dem Risiko einer jeden von allgemeinen, zumal lebensweltlichen Fragestellungen ausgehenden Betrachtung, dass nämlich dem Protagonisten zu viel über sein Fach hinausreichende Bewusstheit unterstellt wird.
Manche Formulierung suggeriert da einen Mozart, der seine Zeitgenossenschaft allzu bewusst wahrnimmt. Doch der Rang eines Unternehmens, wie es dieses Buch darstellt, bemisst sich nicht zuletzt nach Niveau und Anspruch von Fragestellungen, die es offenhält. Solchen Anspruch spiegelt auch die methodische Sorgfalt des Autors, von den am Beginn stehenden Überlegungen zu zeitgenössischen Diskussionen über ästhetische Fragen bis hin zum detaillierten biographischen Index. So umfassend und klug begründet wie hier ist der Zeitgenosse Mozart bisher nicht vorgestellt worden.
PETER GÜLKE
Laurenz Lütteken: "Mozart". Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 296 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Laurenz Lütteken stellt den Komponisten in seine Zeit
Das Mirakel Mozart erschien seit jeher unfassbar genug, um dezidiert realitätsbezogener Erklärungen kaum zu bedürfen. Umso mehr, als Neuerungen in der Geschichte des Komponierens sich eher mit Haydn, später Beethoven verbinden ließen, Mozart dagegen, der Wundervogel, der von ihnen profitierte, bewusste Teilhabe an den mit ihnen verknüpften Entwicklungen gar nicht nötig hatte. Zeugnisse des etwa im "Idomeneo" oder der "Entführung" präzise reflektierenden "Dramaturgen" oder politische Kontexte im "Figaro" muteten eher wie Einsprengsel in einem Bild an, das noch nachwirkte, als man gewichtige Gegenpositionen wie etwa Georg Kneplers Buch von 1991 als ideologisch borniert abtat.
Weil sie weniger Probleme bereiten, sind uns Nur-Musiker nur allzu lieb; freilich auch, weil die besondere Autonomie der Musik direkte Bezugnahmen leicht als kurzschlüssig verdächtig macht. Was einer sich beim Komponieren gedacht, damit gewollt hat, ist immer noch nicht "die Musik". So gewiss außermusikalische Momente einwirken, so ungewiss ist, inwieweit und wie vermittelt sie es tun.
Dessen ist Laurenz Lütteken sich bewusst. Mit Umsicht und Sorgfalt, zuweilen auch wagemutigen Folgerungen, verbindet sich bei ihm große Vorsicht, wenn es um die Verlängerung seiner Argumentation in die Musik hinein geht. Oft ließe sich anhand der Notenbeispiele in seinem Sinne mehr sagen. Als Einwand indes taugt das nicht, zu eindrucksvoll ist die Schlüssigkeit gerade auch seiner originellen Denkvorstöße, sei es bei der Verknüpfung des Mozart-Gedenksteins im Tiefurter Park mit "Don Giovanni" oder bei Gegenständen, über die schon alles gesagt scheint, wie "Così fan tutte" oder die "Zauberflöte" - immer der Bequemlichkeit opponierend, die es bei Einvernehmlichkeiten der Mozart-Kenntnis lassen will.
Über sie geht Lütteken in genauen Beschreibungen hinaus, etwa der Salzburger Verhältnisse unter dem später verhassten Erzbischof, durch die Verknüpfung von Rousseaus "Pygmalion" mit "Don Giovanni", auch mit Blick auf die Strategien der Reisen, die Sondersituation in Prag, die Zuordnung von Briefen oder die Deutung des Beginns der "Figaro"-Ouvertüre - ohne Bezug auf den "Tollen Tag".
Mit etlichen als sicher akzeptierten Positionen der Mozart-Exegese wird man nach dieser Lektüre vorsichtiger umgehen. In der Zielstrebigkeit des Argumentierens lässt Lütteken sich nicht beirren. Manchen wichtigen jüngeren Beitrag zum Thema ignoriert er; auch schreibt er die Auskunft des Fürsten Kaunitz, Leute wie Mozart kämen "nur alle 100 Jahr auf die Welt", kurzerhand diesem selbst zu. Von dem aus Zeit und Geschichte gefallenen Wundervogel bleibt nicht viel - mit überzeugenden Gründen und mit dem Risiko einer jeden von allgemeinen, zumal lebensweltlichen Fragestellungen ausgehenden Betrachtung, dass nämlich dem Protagonisten zu viel über sein Fach hinausreichende Bewusstheit unterstellt wird.
Manche Formulierung suggeriert da einen Mozart, der seine Zeitgenossenschaft allzu bewusst wahrnimmt. Doch der Rang eines Unternehmens, wie es dieses Buch darstellt, bemisst sich nicht zuletzt nach Niveau und Anspruch von Fragestellungen, die es offenhält. Solchen Anspruch spiegelt auch die methodische Sorgfalt des Autors, von den am Beginn stehenden Überlegungen zu zeitgenössischen Diskussionen über ästhetische Fragen bis hin zum detaillierten biographischen Index. So umfassend und klug begründet wie hier ist der Zeitgenosse Mozart bisher nicht vorgestellt worden.
PETER GÜLKE
Laurenz Lütteken: "Mozart". Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 296 S., geb., 26,95 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2017So kalt, so leer
Leopolds Meisterschüler – Laurenz Lütteken zeigt Mozarts aufklärerischen Ehrgeiz und sein tragisch-logisches Ende
Dieses Buch kann die verbreiteten Vorstellungen über den Menschen und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart grundlegend verändern. Plüsch und Gloria um das Leben und Wirken des Genies könnten ersetzt werden durch wesentlichere Fakten. Das wird einem erfrischend klar, wenn man sich hineindenkt in den historischen Abriss des Zürcher Musikwissenschaftlers Laurenz Lütteken. Mozarts Erfolg und Geringschätzung, zum Beispiel durch Maria Theresia, korrespondieren ja bis heute aufs Heftigste mit seinem Ruhm und der Erniedrigung durch schiere Verkitschung. Von Salzburg bis Hollywood: Aus dem Genie wurde eine postmortale Belastungsstörung. Man will keinen Film mehr über Mozart sehen, eigentlich auch kein Buch mehr über ihn lesen. Vielleicht dieses eine noch.
Lütteken hält sein Versprechen: Dieses Mozart-Buch ist keine neue Biografie, bringt keine spektakulären Fakten, deutet nichts revolutionär neu, sondern durchforstet das Vorhandene noch einmal gründlich. Während sich die Klassiker unter den Mozart-Biografien, die von Georg Nikolaus Nissen oder Hermann Abert etwa, zu weiten Teilen auf die umfangreiche, wenn auch durch die Witwe Mozart etwas zensierte Briefsammlung des Komponisten stützen, geht Lütteken einen anderen Weg. Er tut, was jeder seriöse Forscher tun sollte, er durchforstet auch das Umfeld seines Gegenstandes. Im Gegensatz zu den meisten Mozart-Biografen interessiert ihn dabei nicht zu allererst die Familie. Selbst Leopold erscheint zunächst nicht als Amadés Vater, sondern als europäischer Aufklärer.
Er lieferte mit seiner Violinschule nicht nur einen praktischen Diskussionsbeitrag zur damaligen kunstästhetischen Debatte, sondern definierte auch eine klare Position in der damals virulenten aristotelischen Frage, wie Kunst die Natur abbilden könne. Eine unmittelbare Nachahmung, wie sie in der Malerei machbar ist, kann die Musik nicht leisten. Sie kann das gleiche Ziel aber über den Umweg der Emotionen erreichen, die mit der Anschauung der Natur geweckt werden. Sie kann diese Emotionen mit den ihr eigenen Mitteln auslösen. Man stritt sich aber darum, ob das aristotelische Ideal mit einer formalen Strenge zu erreichen sei, wie sie in Frankreich praktiziert wurde, oder durch die kreative Freiheit, die sich die Italiener leisteten.
Der Sprachphilosoph Johann Christoph Gottsched hatte den Diskurs von Paris nach Berlin gebracht, wo Friedrich Wilhelm Marpurg mit seinem Journal Der Critische Musicus an der Spree und der Komponist und Theoretiker Johann Friedrich Agricola sich des Themas annahmen. Marpurg tendierte zu den Franzosen, die die frei sprudelnde Kreativität kultivierten, während Agricola die Freiheit der Italiener favorisierte. Moses Mendelssohn und andere haben diese Debatte später in einen allgemeinen Ästhetikdiskurs überführt. Leopold Mozart dagegen hat konkret Stellung bezogen, indem er seinen „Versuch einer gründlichen Violinschule“ mit dem programmatischen Hinweis versah, er wolle „durch Regeln des guten Geschmackes einen vernünftigen Solospieler bilden“.
Ziel war also nicht der in jedes Orchester nahtlos passende Musterschüler, sondern das entwickelte, selbstbestimmt kreative Individuum, der Meisterschüler. Leopold Mozarts Publikation war zusammen mit der Flötenschule von Johann Joachim Quantz, dem Lehrer Friedrich II., und den ästhetischen Schriften von Agricola gleichsam das Rückgrat der Ästhetikdebatte in Berlin. Der Kontakt zwischen Salzburg und Preußen lief über Marpurg und den Musiktheoretiker Meinrad Spieß, Prior der reichsfreien Benediktinerabtei im schwäbischen Irsee. Lütteken geht es aber nicht darum, das soziohistorische Gefüge der Mozarts aufzudröseln, sondern zu zeigen, wie sich die ästhetische Haltung Leopolds genau darstellte und wie sie sich dann bei seinem Sohn und Schüler Wolfgang Amadeus widerspiegelte.
Dazu verweist der Autor auf die gemeinhin als unbedeutend klassifizierten Symphonien Leopold Mozarts, die programmatische Titel tragen wie „Sinfonia Pastorale“, „Sinfonia Burlesca“ oder „Sinfonia da Caccia“. Auch die Divertimenti „Militare“, „Bauern Hochzeit“, „Chinesische Musik“, „Jagd Parthia“ oder die etwas bekanntere „Schlittenfahrt“ gehören in diesen Zusammenhang. Trotz der bildhaften Titelei geht es hier nicht um schiere Programmmusik oder die Abbildung außermusikalischer Welten, sondern um die Erfindung fiktiver Innenwelten, und damit, wie Lütteken schreibt, um „die spielerische Erkundung eines bloßen Ausnahmezustands“. Wie grundsätzlich und dringlich eine ästhetische Positionierung für Leopold Mozart war, zeigt sich noch deutlicher in Sinfonie-Titeln wie „De gustibus non est disputandum“ oder „Non è quello che è bello ma quello che piace“ – nicht das ist schön, was schön ist, sondern das, was gefällt.
Und genau dieses Credo finden wir bei Wolfgang Amadeus praktisch vollzogen, als hintersinniges Konzept seines Schaffens. Kaum etwas beglückte ihn mehr als die Beobachtung, wie das Publikum reflexartig auf seine kalkulierten Effekte reagierte. Begeistert schreibt er aus Paris an den Vater über eine Aufführung seiner Sinfonie KV 297: „mit hin machten die Zuhörer, wie ichs erwartete, beim piano ‚sch‘. Dann kam gleich das forte. Sie das forte hören und die Hände zu klatschen war eins.“ Wie die Musik so aus ihrer untergeordneten Kunstrolle als unvollkommene Naturnachahmerin herausfand und sich über die bis dahin führende Malerei erhob, wie sie schließlich zur Leitkunst des 19. Jahrhunderts wurde, auch diesen Aspekt diskutiert Lütteken im Zusammenhang mit Mozart, oder „den Mozarts“, wie man nach der Lektüre des Buches sagen muss.
Natürlich ging der Sohn dann viel weiter, richtete seine ganze Existenz auf ein neues Künstlerbild aus, riskierte viel, und zwar nicht nur im Bezug auf die eigene materielle Existenz, sondern, und das ist vielleicht doch neu, auch im Bezug auf sein Werk selber. Aus Mozarts menschenfreundlicher und so lebensnaher Musik – selbst für die als Türken verkleideten Ehemänner in seiner „Così fan tutte“ gibt es einen realen Hintergrund – wurde in der Opera buffa auf einmal der schaurige Abgrund einer pragmatischen Realität. So mutig er in seinen Opern die Bedingungen menschlichen Daseins und die soziopolitischen Bedingungen vorführt, indem er die Labilität moralischer Kategorien aufzeigt, so zielsicher demontiert er auch die eigenen Überzeugungen. Lütteken verweist auf die Schriften des Materialisten Julien Offray de La Mettrie, die in Wien damals kursierten – und verboten waren. Für Metrie war die menschliche Seele keine göttliche Inspiration, sondern das Resultat komplexer Körperfunktionen.
Diese Haltung scheint in Mozarts Opere buffe nicht nur durch, er erweitert, etwa in „Così fan tutte“, das Spiel um Affekte und Erotik gegenüber dem Drama, das schon die Anlage eines radikalen Gesellschaftsexperiments aufweist, um eine entscheidende Komponente: Er stellt nun auch die von ihm geschaffene Musik selber auf die Probe. Er unterläuft die kalkulierte Wirkung auf das Publikum, vor allem durch eine neue harmonischen Doppelbödigkeit, die eine einzige musikalische Wahrheit unmöglich macht. Im Moment der größten Wirkung seiner Komposition muss Mozart erkennen, dass seine Musik „keine wahre Seele mehr hat“. Da ist auch die aufklärerische Vernunft bestenfalls ein Notanker. Lütteken zitiert einen Brief Mozarts an seine Frau aus dieser Zeit: „Es ist alles kalt für mich – eiskalt. Ja, wenn du bei mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden, – so ist es aber so leer.“
Man kann nicht umhin, zu denken, Mozart habe durch sein eigenes Werk psychisch-metaphysischen Selbstmord begangen; der körperliche Zerfall und frühe Tod wären dann nur logische Folge, also Symptome. Lütteken sagt das nicht, aber seine Darstellung erklärt so viel von der tiefen Traurigkeit, die den Komponisten Mozart in einer kalten Dezembernacht aus der Welt hinaustrieb.
HELMUT MAURÓ
Die ästhetische Position des Vaters
prägt das Komponieren
des Sohnes und Schülers Amadeus
Laurenz Lütteken: Mozart. Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung. Verlag C. H. Beck, München 2017. 296 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Leopolds Meisterschüler – Laurenz Lütteken zeigt Mozarts aufklärerischen Ehrgeiz und sein tragisch-logisches Ende
Dieses Buch kann die verbreiteten Vorstellungen über den Menschen und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart grundlegend verändern. Plüsch und Gloria um das Leben und Wirken des Genies könnten ersetzt werden durch wesentlichere Fakten. Das wird einem erfrischend klar, wenn man sich hineindenkt in den historischen Abriss des Zürcher Musikwissenschaftlers Laurenz Lütteken. Mozarts Erfolg und Geringschätzung, zum Beispiel durch Maria Theresia, korrespondieren ja bis heute aufs Heftigste mit seinem Ruhm und der Erniedrigung durch schiere Verkitschung. Von Salzburg bis Hollywood: Aus dem Genie wurde eine postmortale Belastungsstörung. Man will keinen Film mehr über Mozart sehen, eigentlich auch kein Buch mehr über ihn lesen. Vielleicht dieses eine noch.
Lütteken hält sein Versprechen: Dieses Mozart-Buch ist keine neue Biografie, bringt keine spektakulären Fakten, deutet nichts revolutionär neu, sondern durchforstet das Vorhandene noch einmal gründlich. Während sich die Klassiker unter den Mozart-Biografien, die von Georg Nikolaus Nissen oder Hermann Abert etwa, zu weiten Teilen auf die umfangreiche, wenn auch durch die Witwe Mozart etwas zensierte Briefsammlung des Komponisten stützen, geht Lütteken einen anderen Weg. Er tut, was jeder seriöse Forscher tun sollte, er durchforstet auch das Umfeld seines Gegenstandes. Im Gegensatz zu den meisten Mozart-Biografen interessiert ihn dabei nicht zu allererst die Familie. Selbst Leopold erscheint zunächst nicht als Amadés Vater, sondern als europäischer Aufklärer.
Er lieferte mit seiner Violinschule nicht nur einen praktischen Diskussionsbeitrag zur damaligen kunstästhetischen Debatte, sondern definierte auch eine klare Position in der damals virulenten aristotelischen Frage, wie Kunst die Natur abbilden könne. Eine unmittelbare Nachahmung, wie sie in der Malerei machbar ist, kann die Musik nicht leisten. Sie kann das gleiche Ziel aber über den Umweg der Emotionen erreichen, die mit der Anschauung der Natur geweckt werden. Sie kann diese Emotionen mit den ihr eigenen Mitteln auslösen. Man stritt sich aber darum, ob das aristotelische Ideal mit einer formalen Strenge zu erreichen sei, wie sie in Frankreich praktiziert wurde, oder durch die kreative Freiheit, die sich die Italiener leisteten.
Der Sprachphilosoph Johann Christoph Gottsched hatte den Diskurs von Paris nach Berlin gebracht, wo Friedrich Wilhelm Marpurg mit seinem Journal Der Critische Musicus an der Spree und der Komponist und Theoretiker Johann Friedrich Agricola sich des Themas annahmen. Marpurg tendierte zu den Franzosen, die die frei sprudelnde Kreativität kultivierten, während Agricola die Freiheit der Italiener favorisierte. Moses Mendelssohn und andere haben diese Debatte später in einen allgemeinen Ästhetikdiskurs überführt. Leopold Mozart dagegen hat konkret Stellung bezogen, indem er seinen „Versuch einer gründlichen Violinschule“ mit dem programmatischen Hinweis versah, er wolle „durch Regeln des guten Geschmackes einen vernünftigen Solospieler bilden“.
Ziel war also nicht der in jedes Orchester nahtlos passende Musterschüler, sondern das entwickelte, selbstbestimmt kreative Individuum, der Meisterschüler. Leopold Mozarts Publikation war zusammen mit der Flötenschule von Johann Joachim Quantz, dem Lehrer Friedrich II., und den ästhetischen Schriften von Agricola gleichsam das Rückgrat der Ästhetikdebatte in Berlin. Der Kontakt zwischen Salzburg und Preußen lief über Marpurg und den Musiktheoretiker Meinrad Spieß, Prior der reichsfreien Benediktinerabtei im schwäbischen Irsee. Lütteken geht es aber nicht darum, das soziohistorische Gefüge der Mozarts aufzudröseln, sondern zu zeigen, wie sich die ästhetische Haltung Leopolds genau darstellte und wie sie sich dann bei seinem Sohn und Schüler Wolfgang Amadeus widerspiegelte.
Dazu verweist der Autor auf die gemeinhin als unbedeutend klassifizierten Symphonien Leopold Mozarts, die programmatische Titel tragen wie „Sinfonia Pastorale“, „Sinfonia Burlesca“ oder „Sinfonia da Caccia“. Auch die Divertimenti „Militare“, „Bauern Hochzeit“, „Chinesische Musik“, „Jagd Parthia“ oder die etwas bekanntere „Schlittenfahrt“ gehören in diesen Zusammenhang. Trotz der bildhaften Titelei geht es hier nicht um schiere Programmmusik oder die Abbildung außermusikalischer Welten, sondern um die Erfindung fiktiver Innenwelten, und damit, wie Lütteken schreibt, um „die spielerische Erkundung eines bloßen Ausnahmezustands“. Wie grundsätzlich und dringlich eine ästhetische Positionierung für Leopold Mozart war, zeigt sich noch deutlicher in Sinfonie-Titeln wie „De gustibus non est disputandum“ oder „Non è quello che è bello ma quello che piace“ – nicht das ist schön, was schön ist, sondern das, was gefällt.
Und genau dieses Credo finden wir bei Wolfgang Amadeus praktisch vollzogen, als hintersinniges Konzept seines Schaffens. Kaum etwas beglückte ihn mehr als die Beobachtung, wie das Publikum reflexartig auf seine kalkulierten Effekte reagierte. Begeistert schreibt er aus Paris an den Vater über eine Aufführung seiner Sinfonie KV 297: „mit hin machten die Zuhörer, wie ichs erwartete, beim piano ‚sch‘. Dann kam gleich das forte. Sie das forte hören und die Hände zu klatschen war eins.“ Wie die Musik so aus ihrer untergeordneten Kunstrolle als unvollkommene Naturnachahmerin herausfand und sich über die bis dahin führende Malerei erhob, wie sie schließlich zur Leitkunst des 19. Jahrhunderts wurde, auch diesen Aspekt diskutiert Lütteken im Zusammenhang mit Mozart, oder „den Mozarts“, wie man nach der Lektüre des Buches sagen muss.
Natürlich ging der Sohn dann viel weiter, richtete seine ganze Existenz auf ein neues Künstlerbild aus, riskierte viel, und zwar nicht nur im Bezug auf die eigene materielle Existenz, sondern, und das ist vielleicht doch neu, auch im Bezug auf sein Werk selber. Aus Mozarts menschenfreundlicher und so lebensnaher Musik – selbst für die als Türken verkleideten Ehemänner in seiner „Così fan tutte“ gibt es einen realen Hintergrund – wurde in der Opera buffa auf einmal der schaurige Abgrund einer pragmatischen Realität. So mutig er in seinen Opern die Bedingungen menschlichen Daseins und die soziopolitischen Bedingungen vorführt, indem er die Labilität moralischer Kategorien aufzeigt, so zielsicher demontiert er auch die eigenen Überzeugungen. Lütteken verweist auf die Schriften des Materialisten Julien Offray de La Mettrie, die in Wien damals kursierten – und verboten waren. Für Metrie war die menschliche Seele keine göttliche Inspiration, sondern das Resultat komplexer Körperfunktionen.
Diese Haltung scheint in Mozarts Opere buffe nicht nur durch, er erweitert, etwa in „Così fan tutte“, das Spiel um Affekte und Erotik gegenüber dem Drama, das schon die Anlage eines radikalen Gesellschaftsexperiments aufweist, um eine entscheidende Komponente: Er stellt nun auch die von ihm geschaffene Musik selber auf die Probe. Er unterläuft die kalkulierte Wirkung auf das Publikum, vor allem durch eine neue harmonischen Doppelbödigkeit, die eine einzige musikalische Wahrheit unmöglich macht. Im Moment der größten Wirkung seiner Komposition muss Mozart erkennen, dass seine Musik „keine wahre Seele mehr hat“. Da ist auch die aufklärerische Vernunft bestenfalls ein Notanker. Lütteken zitiert einen Brief Mozarts an seine Frau aus dieser Zeit: „Es ist alles kalt für mich – eiskalt. Ja, wenn du bei mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden, – so ist es aber so leer.“
Man kann nicht umhin, zu denken, Mozart habe durch sein eigenes Werk psychisch-metaphysischen Selbstmord begangen; der körperliche Zerfall und frühe Tod wären dann nur logische Folge, also Symptome. Lütteken sagt das nicht, aber seine Darstellung erklärt so viel von der tiefen Traurigkeit, die den Komponisten Mozart in einer kalten Dezembernacht aus der Welt hinaustrieb.
HELMUT MAURÓ
Die ästhetische Position des Vaters
prägt das Komponieren
des Sohnes und Schülers Amadeus
Laurenz Lütteken: Mozart. Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung. Verlag C. H. Beck, München 2017. 296 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Laurenz Lüttekens wunderbares Buch schafft das Kunststück, Mozart als Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts Kontur zu verleihen, ohne das Rätsel seiner Person in der Kontextualisierung restlos aufgehen zu lassen (...) kenntnisreich wie elegant."
Das achtzehnte Jahrhundert, Cord-Friedrich Berghahn
"Vortrefflich"
Opernwelt, März 2018
"Neue Schlaglichter auf Mozarts Leben und Werk."
128. Das Magazin der Berliner Philharmonie, Nr. 1/2018
"Ein anregendes Erlebnis."
Rolf App, Neue Luzerner Zeitung, 27. Januar 2018
"Dieses Buch kann die verbreiteten Vorstellungen über den Menschen und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart grundlegend verändern."
Helmut Mauró, Süddeutsche Zeitung, 27. Dezember 2017
"Erhellend!"
Hörzu, Die wichtigsten Neuheiten Sachbuch, 21. Dezember 2017
"So umfassend und klug begründet wie hier ist der Zeitgenosse Mozart bisher nicht vorgestellt worden."
Peter Gülke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. November 2017
"Ein konkurrenzloses Nachschlagewerk in Sachen 'Mozart und das 18. Jahrhundert'."
Dieter David Scholz, mdr Kultur, 26. September 2017
Das achtzehnte Jahrhundert, Cord-Friedrich Berghahn
"Vortrefflich"
Opernwelt, März 2018
"Neue Schlaglichter auf Mozarts Leben und Werk."
128. Das Magazin der Berliner Philharmonie, Nr. 1/2018
"Ein anregendes Erlebnis."
Rolf App, Neue Luzerner Zeitung, 27. Januar 2018
"Dieses Buch kann die verbreiteten Vorstellungen über den Menschen und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart grundlegend verändern."
Helmut Mauró, Süddeutsche Zeitung, 27. Dezember 2017
"Erhellend!"
Hörzu, Die wichtigsten Neuheiten Sachbuch, 21. Dezember 2017
"So umfassend und klug begründet wie hier ist der Zeitgenosse Mozart bisher nicht vorgestellt worden."
Peter Gülke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. November 2017
"Ein konkurrenzloses Nachschlagewerk in Sachen 'Mozart und das 18. Jahrhundert'."
Dieter David Scholz, mdr Kultur, 26. September 2017