Zu seinem 200. Geburtstag ist Karl Marx so tot wie lange nicht: Entweder wird er für triviale Niedergangspredigten in Anspruch genommen oder zur Erstellung neuer Theorien ausgeschlachtet, um den akademischen Markt mit frischen Waren zu versorgen. Es ist Zeit, Marx als Zündschnur zu gebrauchen. So entsteht die MRX-Maschine. Die MRX-Maschine zapft Feminismus, Postkolonialismus und anderes an und sucht nach den Rissen, der Perversion und dem Gestank, die das Proletariat hinter dem unternehmerischen Selbst erkennbar machen. Die MRX-Maschine scannt die Schauplätze der öffentlichen Selbstvermarktung und die private Fabrik der Körperoptimierung nach Spuren des internalisierten Klassenkampfs, der nach Desintegration und Verschwendung schreit, und zerkratzt dabei die polierte Benutzeroberfläche. MRX-Maschine ist ein geheimer Gruß an alle Verweigerer und Blaumacher, sie ist Analyse Agitation und Aggression in einem – und für die Zeit der Lektüre sind Sie krankgeschrieben.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Patrick Eiden-Offe findet das Buch von Luise Meier schlicht großartig. Wie die Autorin in "atemberaubender Virtuosität" Diskussionsstoff in Sachen Marx bereitstellt, findet er bemerkenswert. Abseits der Großwerkmonumentalität erfindet die Autorin das Werk des Ökonomen neu. Nicht um Historisierung geht es Meier also, erklärt der Rezensent, sondern um Poesie im politischen Sinn. Die Befreiung der politischen Einbildungskraft und die Gegenwart im Blick, so der Rezensent, reanimiert Meier Begriffe und mischt die Brüder Marx, Bataille, Benjamin, Debord kräftig auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2018Blick auf die Lieferkette
Luise Meier streicht Karl Marx das autoritäre „A“ und fragt „MRX Maschine“, wie sich das innere Proletariat organisieren lässt
Jahrestagen, den runden Geburtstagen großer Denker zumal, eignet eine eigentümliche Dialektik: Je entschiedener die Brisanz eines Denkens gefeiert wird, desto unerbittlicher gerät die Aktualitätsbehauptung zur Totenbeschwörung. Je entschiedener sich die Anhänger ereifern, desto deutlicher wird, dass jenes Denken gerade diesen Eifer offenbar bitter nötig hat. Die „toten Hunde“ – um mit dem großen Jubilar dieses Jahres zu sprechen – sind meistens eben doch einfach das: tot.
Man hat Marx in diesem Jahr in vielem für aktuell erklärt. Bahnbrechender Analytiker des globalen Finanzkapitalismus soll er sein, oder hellsichtiger Kritiker neoliberaler Subjektivierung, und wenn all das nicht, so doch wenigstens ein großer Moralist, der das Unrecht der Welt ohne Unterlass angeprangert habe. Ohne Marx jedenfalls, so wurde und wird uns signalisiert, komme keine Kritik der Gegenwart aus.
Nun, so würde Luise Meier hier wahrscheinlich entgegnen, vielleicht haben die Laudatoren dieses Jahres den Namen Marx allesamt noch mit einem zu großen „A“ buchstabiert – mit dem großen „A“ der Autorität. Sie selbst streicht genau dieses autoritäre „A“ und macht aus „Marx“ somit „MRX“: der Groß-Autor wird zur Maschine, zur „MRX Maschine“. Der Titel ist keine Metapher: „Das ist nicht die Beschreibung der Maschine, das ist die Maschine.“ Die MRX-Maschine soll laufen – das ist ihr einziger Zweck; sie soll sich mit anderen politischen, theoretischen und poetischen Maschinen (Texten, Programmen, Praktiken) verkoppeln und dabei revolutionäre Wirkungen produzieren.
Luise Meier zerlegt das, was ansonsten unter dem Namen Marx zum Großwerk monumentalisiert wird, und setzt es neu zusammen. Dass dabei dann auch Ersatzteile zum Einsatz kommen, die gerade in der Werkstatt herumlagen und ursprünglich mit Marx nichts zu tun hatten: Was soll’s? Es zählt allein die Funktionalität der neuen Maschine.
Hier geht es nicht um Wissenschaft, nicht um Historisierung, nicht um Philologie, es geht auch nicht um die reine Lehre. Es geht vielmehr um Poesie in einem weiten, politischen Sinn: Die MRX-Maschine zielt auf eine Befreiung der politischen Einbildungskraft, die, nur weil sie poetisch verfährt, noch lange keine Kunst, keine bloße Kunst, produzieren muss. Es geht Luise Meier darum, das politische Imaginäre nicht nur in vergangenen Gestaltungen zu analysieren – das war die kulturwissenschaftliche Forschungsagenda der abgelaufenen Dekade –, sondern es in der Gegenwart und auf die Gegenwart loszulassen: „Die Kräfte des Rausches für die Revolution gewinnen“, so hat Walter Benjamin das Programm auf den Punkt gebracht. Luise Meier – bekennende Studienabbrecherin – behauptet in einem Interview, der Marx’schen Warenformanalyse „rauschhafte Zustände“ zu verdanken, und der Leser ihres Buches glaubt es ihr gern.
Wo die „bürgerlichen“ Marx-Connaisseure des Jubiläumsjahres sich dessen persönliche Unfähigkeit im Umgang mit Geld regelmäßig dadurch vergegenwärtigen, dass sie sich süffisant lächelnd die entsprechenden Bettelbriefe an Engels vorlesen lassen – so auch bei der vom Bundespräsidenten kuratierten Festveranstaltung zum 200. Geburtstag in Schloss Bellevue –, da zitiert Meier einen Brief an den Freund Joseph Weydemeyer, der nebenbei auch belegt, dass Marx nicht nur mit den Metamorphosen des Werts, sondern auch mit der Vorstellung vertraut war, selbst Maschine zu werden: „Aber ich muss meinen Zweck durch dick und dünn verfolgen und der bürgerlichen Gesellschaft nicht erlauben, mich in eine money-making machine zu verwandeln.“
Neben der Warenformanalyse, die Meier mit Theorien der Gabe und des Potlatschs verschaltet, die sie bei Marcel Mauss und Georges Bataille gefunden hat – das Studium der Ethnologie war dann doch zu etwas gut –, ist es vor allem ein Begriff, der es ihr angetan und der bei den Marx-Feierlichkeiten dieses Jahres sonst kaum eine Rolle gespielt hat: der des Proletariats. Im Proletariat findet Meier den verfemten Teil, der hinter der schönen Fassade des digitalen Kapitalismus unsichtbar gemacht wird und der auch in der kritischen Auseinandersetzung mit diesem nur allzu oft wieder unter den Tisch zu fallen droht: „Hinter der Sexyness des Designs, durch den betörend (...) leuchtenden Screen hindurch einen Blick auf die Lieferkette zu erhaschen“, so fasst die Autorin das Script ihrer MRX-Maschine emblematisch zusammen.
Mit dem Proletariat reanimiert Meier den totesten aller Marx’schen Begriffe, und gerade dadurch wird dieser besonders virulent – oder „ansteckend“, in der Sprache der MRX-Maschine. Dabei geht es Meier nicht um die Identität einer distinkten sozialen Gruppe, sondern um „proletarische Spuren“, die in die Gesellschaft versprengt sind. Wenn wir heute alle ein „unternehmerisches Selbst“ ausbilden müssen, wie es uns die Neoliberalismus-Kritik seit Jahren erklärt – wo ist dann das „innere Proletariat“, das sich von diesem Selbst ausbeuten lässt? Und lässt sich dieses „innere Proletariat“ organisieren? So wie schon das historische Proletariat nach Lenin und Lukács zunächst gegen sich selbst kämpfen musste, gegen den eigenen Opportunismus, um dann erst den Klassenfeind angehen zu können, so stehen hier und heute unser eigener Opportunismus, unser Unternehmergeist und unser Sicherheitsstreben zur Disposition in einem Klassenkampf, den wir gegen uns selbst zu führen haben: „das Individuum ist nicht Teil des Proletariats, sondern das Proletariat Teil des Produktionsprozesses der eigenen Identität“.
Die versierte Dialektikerin hat von Marx und Guy Debord vor allem den stilistischen Handstreich der Genitiv-Umkehrung gelernt, der erst die Umkehrung aller anderen Verhältnisse (Kapitalismus, Neokolonialismus, Patriarchat) herbeiführen kann. Am Ende schließlich wird die theoretische Brüderhorde – Marx, Bataille, Benjamin, Debord – ordentlich aufgemischt. Oder „abgefuckt“, wie Meier in bewusst auch sprachlicher Grenzüberschreitung postuliert. Denn eigentlich ist es Valerie Solanas, die mit ihrem SCUM-Manifesto vor einem halben Jahrhundert schon (fast) alles gesagt hat. Fucking up – bewusst unentschieden zwischen reflexivem Intransitiv und extrovertiertem Transitiv – ist die authentische Form des Streiks, die dem „inneren Proletariat“ geblieben ist. Verbindlichkeiten nicht einhalten, Arbeit – auch am eigenen Selbst, am eigenen Profil – nicht verrichten, Anforderungen und Ansprüche abfucken: Das ist, so Meier mokant, „ein anderes Modell als das der Vereinbarkeit von Karriere und Familie oder von Feminismus und Kapitalismus“. Stattdessen sucht und postuliert sie eine Verbindung von Feminismus und Antikapitalismus, die eben keineswegs selbstverständlich ist.
Und hier wird die „MRX Maschine“ denn auch in einer anderen Debatte des Marx-Jahres virulent: Wo neuerdings linke und rechte Theoriestrategen wieder die benachteiligten Klassen entdecken und den „kleinen Mann“ gegen den überstudierten Feminismus und Postkolonialismus identitätspolitischer Eliten in Schutz nehmen, da verbindet Meier diese Kämpfe auch theoretisch, indem sie zeigt, wie Sexismus, Rassismus und Ausbeutung in den weltweiten Produktions- und Lieferketten ohnehin verkoppelt sind, von den Minenschächten und fensterlosen Fabriken des globalen Südens bis zu den Servicekräften der Metropolen.
Feminismus und Postkolonialismus sind nicht automatisch antikapitalistisch. Aber wo sie antikapitalistisch auftreten, da werden ihre Kämpfe zu proletarischen Kämpfen, zu Kämpfen des globalen Proletariats gegen seine eigenen Konstitutionsbedingungen. Nicht, das es bei all dem nicht jede Menge zu diskutieren gäbe. Gerade umgekehrt: Dass dieses Buch uns in atemraubender Virtuosität so viel Stoff zum Diskutieren geradezu hinschleudert, das ist das Großartige an dieser „MRX Maschine“.
PATRICK EIDEN-OFFE
Im Proletariat findet Meier den
verfemten Teil hinter der Fassade
des digitalen Kapitalismus
Luise Meier: MRX Maschine. Matthes & Seitz, Berlin 2018.
208 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Luise Meier streicht Karl Marx das autoritäre „A“ und fragt „MRX Maschine“, wie sich das innere Proletariat organisieren lässt
Jahrestagen, den runden Geburtstagen großer Denker zumal, eignet eine eigentümliche Dialektik: Je entschiedener die Brisanz eines Denkens gefeiert wird, desto unerbittlicher gerät die Aktualitätsbehauptung zur Totenbeschwörung. Je entschiedener sich die Anhänger ereifern, desto deutlicher wird, dass jenes Denken gerade diesen Eifer offenbar bitter nötig hat. Die „toten Hunde“ – um mit dem großen Jubilar dieses Jahres zu sprechen – sind meistens eben doch einfach das: tot.
Man hat Marx in diesem Jahr in vielem für aktuell erklärt. Bahnbrechender Analytiker des globalen Finanzkapitalismus soll er sein, oder hellsichtiger Kritiker neoliberaler Subjektivierung, und wenn all das nicht, so doch wenigstens ein großer Moralist, der das Unrecht der Welt ohne Unterlass angeprangert habe. Ohne Marx jedenfalls, so wurde und wird uns signalisiert, komme keine Kritik der Gegenwart aus.
Nun, so würde Luise Meier hier wahrscheinlich entgegnen, vielleicht haben die Laudatoren dieses Jahres den Namen Marx allesamt noch mit einem zu großen „A“ buchstabiert – mit dem großen „A“ der Autorität. Sie selbst streicht genau dieses autoritäre „A“ und macht aus „Marx“ somit „MRX“: der Groß-Autor wird zur Maschine, zur „MRX Maschine“. Der Titel ist keine Metapher: „Das ist nicht die Beschreibung der Maschine, das ist die Maschine.“ Die MRX-Maschine soll laufen – das ist ihr einziger Zweck; sie soll sich mit anderen politischen, theoretischen und poetischen Maschinen (Texten, Programmen, Praktiken) verkoppeln und dabei revolutionäre Wirkungen produzieren.
Luise Meier zerlegt das, was ansonsten unter dem Namen Marx zum Großwerk monumentalisiert wird, und setzt es neu zusammen. Dass dabei dann auch Ersatzteile zum Einsatz kommen, die gerade in der Werkstatt herumlagen und ursprünglich mit Marx nichts zu tun hatten: Was soll’s? Es zählt allein die Funktionalität der neuen Maschine.
Hier geht es nicht um Wissenschaft, nicht um Historisierung, nicht um Philologie, es geht auch nicht um die reine Lehre. Es geht vielmehr um Poesie in einem weiten, politischen Sinn: Die MRX-Maschine zielt auf eine Befreiung der politischen Einbildungskraft, die, nur weil sie poetisch verfährt, noch lange keine Kunst, keine bloße Kunst, produzieren muss. Es geht Luise Meier darum, das politische Imaginäre nicht nur in vergangenen Gestaltungen zu analysieren – das war die kulturwissenschaftliche Forschungsagenda der abgelaufenen Dekade –, sondern es in der Gegenwart und auf die Gegenwart loszulassen: „Die Kräfte des Rausches für die Revolution gewinnen“, so hat Walter Benjamin das Programm auf den Punkt gebracht. Luise Meier – bekennende Studienabbrecherin – behauptet in einem Interview, der Marx’schen Warenformanalyse „rauschhafte Zustände“ zu verdanken, und der Leser ihres Buches glaubt es ihr gern.
Wo die „bürgerlichen“ Marx-Connaisseure des Jubiläumsjahres sich dessen persönliche Unfähigkeit im Umgang mit Geld regelmäßig dadurch vergegenwärtigen, dass sie sich süffisant lächelnd die entsprechenden Bettelbriefe an Engels vorlesen lassen – so auch bei der vom Bundespräsidenten kuratierten Festveranstaltung zum 200. Geburtstag in Schloss Bellevue –, da zitiert Meier einen Brief an den Freund Joseph Weydemeyer, der nebenbei auch belegt, dass Marx nicht nur mit den Metamorphosen des Werts, sondern auch mit der Vorstellung vertraut war, selbst Maschine zu werden: „Aber ich muss meinen Zweck durch dick und dünn verfolgen und der bürgerlichen Gesellschaft nicht erlauben, mich in eine money-making machine zu verwandeln.“
Neben der Warenformanalyse, die Meier mit Theorien der Gabe und des Potlatschs verschaltet, die sie bei Marcel Mauss und Georges Bataille gefunden hat – das Studium der Ethnologie war dann doch zu etwas gut –, ist es vor allem ein Begriff, der es ihr angetan und der bei den Marx-Feierlichkeiten dieses Jahres sonst kaum eine Rolle gespielt hat: der des Proletariats. Im Proletariat findet Meier den verfemten Teil, der hinter der schönen Fassade des digitalen Kapitalismus unsichtbar gemacht wird und der auch in der kritischen Auseinandersetzung mit diesem nur allzu oft wieder unter den Tisch zu fallen droht: „Hinter der Sexyness des Designs, durch den betörend (...) leuchtenden Screen hindurch einen Blick auf die Lieferkette zu erhaschen“, so fasst die Autorin das Script ihrer MRX-Maschine emblematisch zusammen.
Mit dem Proletariat reanimiert Meier den totesten aller Marx’schen Begriffe, und gerade dadurch wird dieser besonders virulent – oder „ansteckend“, in der Sprache der MRX-Maschine. Dabei geht es Meier nicht um die Identität einer distinkten sozialen Gruppe, sondern um „proletarische Spuren“, die in die Gesellschaft versprengt sind. Wenn wir heute alle ein „unternehmerisches Selbst“ ausbilden müssen, wie es uns die Neoliberalismus-Kritik seit Jahren erklärt – wo ist dann das „innere Proletariat“, das sich von diesem Selbst ausbeuten lässt? Und lässt sich dieses „innere Proletariat“ organisieren? So wie schon das historische Proletariat nach Lenin und Lukács zunächst gegen sich selbst kämpfen musste, gegen den eigenen Opportunismus, um dann erst den Klassenfeind angehen zu können, so stehen hier und heute unser eigener Opportunismus, unser Unternehmergeist und unser Sicherheitsstreben zur Disposition in einem Klassenkampf, den wir gegen uns selbst zu führen haben: „das Individuum ist nicht Teil des Proletariats, sondern das Proletariat Teil des Produktionsprozesses der eigenen Identität“.
Die versierte Dialektikerin hat von Marx und Guy Debord vor allem den stilistischen Handstreich der Genitiv-Umkehrung gelernt, der erst die Umkehrung aller anderen Verhältnisse (Kapitalismus, Neokolonialismus, Patriarchat) herbeiführen kann. Am Ende schließlich wird die theoretische Brüderhorde – Marx, Bataille, Benjamin, Debord – ordentlich aufgemischt. Oder „abgefuckt“, wie Meier in bewusst auch sprachlicher Grenzüberschreitung postuliert. Denn eigentlich ist es Valerie Solanas, die mit ihrem SCUM-Manifesto vor einem halben Jahrhundert schon (fast) alles gesagt hat. Fucking up – bewusst unentschieden zwischen reflexivem Intransitiv und extrovertiertem Transitiv – ist die authentische Form des Streiks, die dem „inneren Proletariat“ geblieben ist. Verbindlichkeiten nicht einhalten, Arbeit – auch am eigenen Selbst, am eigenen Profil – nicht verrichten, Anforderungen und Ansprüche abfucken: Das ist, so Meier mokant, „ein anderes Modell als das der Vereinbarkeit von Karriere und Familie oder von Feminismus und Kapitalismus“. Stattdessen sucht und postuliert sie eine Verbindung von Feminismus und Antikapitalismus, die eben keineswegs selbstverständlich ist.
Und hier wird die „MRX Maschine“ denn auch in einer anderen Debatte des Marx-Jahres virulent: Wo neuerdings linke und rechte Theoriestrategen wieder die benachteiligten Klassen entdecken und den „kleinen Mann“ gegen den überstudierten Feminismus und Postkolonialismus identitätspolitischer Eliten in Schutz nehmen, da verbindet Meier diese Kämpfe auch theoretisch, indem sie zeigt, wie Sexismus, Rassismus und Ausbeutung in den weltweiten Produktions- und Lieferketten ohnehin verkoppelt sind, von den Minenschächten und fensterlosen Fabriken des globalen Südens bis zu den Servicekräften der Metropolen.
Feminismus und Postkolonialismus sind nicht automatisch antikapitalistisch. Aber wo sie antikapitalistisch auftreten, da werden ihre Kämpfe zu proletarischen Kämpfen, zu Kämpfen des globalen Proletariats gegen seine eigenen Konstitutionsbedingungen. Nicht, das es bei all dem nicht jede Menge zu diskutieren gäbe. Gerade umgekehrt: Dass dieses Buch uns in atemraubender Virtuosität so viel Stoff zum Diskutieren geradezu hinschleudert, das ist das Großartige an dieser „MRX Maschine“.
PATRICK EIDEN-OFFE
Im Proletariat findet Meier den
verfemten Teil hinter der Fassade
des digitalen Kapitalismus
Luise Meier: MRX Maschine. Matthes & Seitz, Berlin 2018.
208 Seiten, 14 Euro.
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