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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Was treibt unsere Schriftstellerinnen um? Julia Frieses Roman "MTTR" lässt es leidvoll erkennen
Marlene Streeruwitz findet den Debütroman der Kolumnistin Julia Friese "Dringlich. Überwältigend. Mitreißend". So steht es auf der Rückseite des Buches. Gemeinsam ist beiden Autorinnen ihre Vorliebe für Drastik (dringlich, überwältigend, mitreißend), wenn es um den männlichen Zugriff auf den weiblichen Körper geht oder eben den Zugriff des patriarchalischen Gesellschaftskörpers auf den weiblichen Privatkörper. Streeruwitz hat mit ihrem rabiatfeministischen Ansatz vor Jahren stilistische Maßstäbe gesetzt. Wie schreibt der von ihr gefeierte Nachwuchs diese kritische Tradition nun fort?
"MTTR" ist ein Roman, der den (körperlichen und seelischen) Empfindungen einer jungen Frau nachgeht, die einen Mutterknacks hat und sich gleichzeitig mit ihrem eigenen (mal gewollten, mal nicht gewollten) Mutterwerden auseinandersetzt - viel mehr allerdings, als der Leserin lieb ist. Denn "MTTR" ist ein Paradebeispiel dafür, wie übertriebene Selbstsorge enervierend sorgenvolle Romanfiguren ohne Entwicklungspotential gebiert.
"MTTR" ist nicht nur ein Roman über den weiblichen Körper, das Mutterwerden und das Muttersein, sondern auch ein Roman über die große Verunsicherung, von der die deutsche Gegenwartsliteratur neuerdings erfasst ist. Nichts scheint den Heldinnen heutiger Selbstfindungsromane noch intuitiv gegeben zu sein. Ob sie, wie im neuen Roman von Teresa Präauer ("Kochen im falschen Jahrhundert"), krampfhaft versuchen, im dänischen Küchendesign gute Gastgeberinnen zu sein, und dabei mit viel Reibung an alten (Mutti) und neuen (die Crowd) Rollenmodellen eine Quiche servieren oder ob sie wie in Lisa Kreißlers Roman "Schreie und Flüstern" oder in Judith Hermanns Roman "Daheim" gelähmt sind vom Leben als Städterin auf dem Land. Oder ob sie wie in "MTTR" mit allem hadern, was ein Frauenleben noch so zu bieten hat: Sex und Liebe, Karriere und Familie, Vergangenheit und Zukunft. "Die Liege ist mit Papier bespannt, das unter meinen Schuhen reißt", heißt es einmal beim Frauenarztbesuch: "Immer reißt es, wenn ich mich auf Liegen lege. Das Papier unter mir bleibt nie gespannt. Wo ich bin, ist Chaos." Darauf muss man erst mal kommen!
Teresa heißt die Chaotin. Sie gehört einer Generation von jungen Berufstätigen an, von denen es heißt, dass ihre Wohnungen sich glichen: "Sie sind Lichtungen. Leer. Uns gehört kaum etwas. Wir haben das Internet." Wir erfahren nicht viel über Teresas Arbeit und auch nicht über ihre Leidenschaften. Nur über ihre Kindheit am Gängelband einer putzwütigen Mutter, der gerne mal die Hand ausrutschte. Ferner, dass sie in einer Beziehung mit Erk lebt, einem zugewandten Mann, der viel Verständnis für Teresas Kindheitstrauma hat. Zumal er selbst unter einer am Sonntagsbraten moralisch gestärkten Elterngeneration ("die Welpen des Wirtschaftswunders") leidet, die immer Bescheid zu wissen meint.
Von Erk erwartet Teresa ein Kind, das sie erst gedankenschwer ersehnt und dann doch lieber abtreiben will. Erk wäre zwar bereit gewesen, aber als moderner Mann begleitet er seine Freundin wie ein Kavalier zur Abtreibungspraxis. Im vorangegangenen Beratungsgespräch passt Teresa die übergriffige Art des Staates nicht, der seine Hilfe anbietet. In der Arztpraxis passt Teresa die übergriffige Art des medizinischen Personals nicht, das routiniert zum Eingriff bläst. Und so entscheidet sie sich am Ende eben doch für das Baby. Erk ist einverstanden. Flexibel bis zur Schmerzgrenze.
Teresa hingegen ist schon wieder mit der Folgesorge beschäftigt: "Der Kopf, der winzige, viel zu große Kopf wird denken, dass ich eine - seine - Mutter bin. Er wird nicht bekommen, was er bekommen sollte. Eine Mama. Eine richtige. Rundum gefüllt. Warm und geborgen. Erwachsen."
Vielleicht ist hiermit ja das Hauptproblem des Romans benannt. Der handelt von einer jungen Frau, die sich als Opfer schwarzer Pädagogik entwirft, dabei aber als Erwachsene erschütternd entwicklungsunfähig bleibt. Die Heldin ist stattdessen nur dauerverunsichert. Alles wird ihr jetzt zur Zumutung: pragmatische Kinderkrankenschwestern voller Tatendrang ("Hörtest, ruft eine Schwester, die einen Apparat in den Raum schiebt. Und ich zucke zusammen"), aber auch freundliche Kinderkrankenschwestern mit "Callcenter-Mund", deren "breitgezogene Freundlichkeit" Teresa irgendwie provoziert. So verliert man mit dieser dauerbeleidigten Heldin allmählich die Geduld. Weder sie selbst noch ihre Erfinderin wissen etwas mit ihr anzufangen. Über das notorische Klagen darüber, ein Subjekt zu sein, das innerhalb von Strukturen, Institutionen und Konventionen agiert, wie alle anderen Subjekte auch, kommt sie nicht hinaus. Vergeblich sucht man nach einer Spur von Individualität, von Gestaltungswillen, Selbstermächtigung, Lebenspraxis. Was ist nur mit diesen neuen Heldinnen los? Warum sind sie so ohnmächtig? So wehleidig? So unsicher? So unlustig? Ist es das Internet, das ihre Leben "leer" gemacht hat? Vielleicht hat Frau Streeruwitz eine Antwort. KATHARINA TEUTSCH
Julia Friese: "MTTR". Roman.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2022. 421 S., geb., 25,- Euro.
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