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Ein Millenial soll Mutter werden und will alles, nur nicht die eigene deutsche Familie reproduzieren. Ein gesellschafts- und sprachkritischer Roman erzählt drei Trimester – und die Zeit danach. »Alle Befürchtungen waren wahr, und alles war gerecht gewesen.« Ein Test im Büro bringt die Gewissheit: Teresa Borsig ist schwanger. Von der Idee einer Familie fühlt sie sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Da sind die Erinnerungen an ihre Kindheit, an Distanz, Disziplin und Schläge. In der Abtreibungsklinik von den Schwestern zum Schlucken der Tablette gedrängt, geht Teresa in den Widerstand:…mehr

Produktbeschreibung
Ein Millenial soll Mutter werden und will alles, nur nicht die eigene deutsche Familie reproduzieren. Ein gesellschafts- und sprachkritischer Roman erzählt drei Trimester – und die Zeit danach. »Alle Befürchtungen waren wahr, und alles war gerecht gewesen.« Ein Test im Büro bringt die Gewissheit: Teresa Borsig ist schwanger. Von der Idee einer Familie fühlt sie sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Da sind die Erinnerungen an ihre Kindheit, an Distanz, Disziplin und Schläge. In der Abtreibungsklinik von den Schwestern zum Schlucken der Tablette gedrängt, geht Teresa in den Widerstand: Sie will doch Mutter werden. Nein, Mama will sie werden. Kann man geben, was einem selber fehlt? Das Gesundheitssystem nimmt die Schwangere auf wie einst die Eltern. Effizient. Kalt. Man will doch nur ihr Bestes. Und ihr Baby in einem Wärmebett isolieren. Wie hoch ist die Überlebenswahrscheinlichkeit ihres Säuglings? Ärzte und Schwestern sprechen über ihren Kopf hinweg. Teresa schreit. Sie solle sich mal nicht so wichtig nehmen, sagt das Krankenhaus. »MTTR« erzählt von den Auswirkungen deutscher Nachkriegserziehung, erzählt die Unfähigkeit der Babyboomer, Gefühle zu zeigen, und wenn dann nur durch Ersatzhandlungen: Kauf, Korrektur und Sorge. Jeder Dialog ist eine Boshaftigkeit. Fast bemerkt man sie nicht, denn aktengraue Gefühlstemperatur und grobe Unbeholfenheit sind Alltag in Deutschland. Werden Millennials, wie Teresa, sie reproduzieren?
Autorenporträt
Julia Friese lebt in Berlin und arbeitet als freie Kulturjournalistin. Ihre Kolumne »gedanken zum gegenwärtig*innen« wurde 2021 mit dem International Music Journalism Award ausgezeichnet. »MTTR« ist ihr literarisches Debüt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die "Dauerverunsicherung" der Figuren im Roman von Julia Friese geht Rezensentin Katharina Teutsch ein bisschen auf die Nerven. Die Hauptfigur Theresa ist eine junge Frau, die wirklich mit allem hadert, seufzt die Kritikerin, mit ihrer Schwangerschaft, dem Personal im Krankenhaus, mit ihrer eigenen Identität. Vieles empfindet sie als übergriffig, hat dem aber nichts entgegen zu setzen, so Teutsch. Dabei erfährt der Leser kaum etwas über Teresas Persönlichkeit, außer, dass sie sich als Opfer ihrer problematischen Mutter sieht. Sie selbst zeigt sich als Erwachsene "erschütternd entwicklungsunfähig" und beschränkt sich auf "notorisches Klagen", meint Teutsch, die sich abschließend fragt, wo eigentlich die individuellen, starken Heldinnen in der Literatur abgeblieben sind?

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2022

Die innere
Mutter
In Julia Frieses Roman „MTTR“ geht es um
die autoritären Dogmen, die deutsche
Millennials unbewusst an ihre Kinder weitergeben.
Aber lässt sie da nicht was aus?
VON ERIKA THOMALLA
In der schwarzen Pädagogik ist das Kind der potenzielle Feind der Erwachsenen. Seine Persönlichkeit gilt als defizitär, sein Verhalten muss überwacht werden. Katharina Rutschky, die den Begriff der schwarzen Pädagogik 1977 geprägt hat, ging es mit ihren Studien und Quellensammlungen zur Geschichte der modernen Erziehung nicht zuletzt um eine Aufarbeitung jener Techniken der Disziplinierung, die in Deutschland um die Mitte des 20. Jahrhunderts eine Gesellschaft von Tätern und Mitläufern hervorgebracht hat.
Erschienen ist Rutschkys Standardwerk in der Hochphase der alternativen und antiautoritären Erziehungskonzepte. Die pädagogischen Reformbemühungen der 1960er- und 1970er-Jahre waren so erfolgreich, dass deutsche Punks um 1980 ihre linksalternativen Eltern mit dem Satz „Wir wollen autoritär erzogen werden“ schockieren konnten und Bücher mit Titeln wie „Kinder brauchen Grenzen“ erschienen, die vorsichtige Einwände gegen den vollständigen Verzicht auf erzieherische Regeln erhoben.
Liest man „MTTR“, den Debütroman der Journalistin Julia Friese, bekommt man den Eindruck, dass diese Reformbewegungen nie stattgefunden haben. Die Geschichte, die im Berlin der Gegenwart spielt und aus der Perspektive einer jungen Frau geschrieben ist, die ihre Erlebnisse vom Beginn ihrer Schwangerschaft bis kurz nach der Geburt ihrer Tochter schildert, beruht auf der impliziten Annahme, dass die schwarze Pädagogik noch bis in die Gegenwart die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern prägt. Nun ist Elternschaft als Thema tatsächlich in jüngerer Zeit wieder stärker diskutiert worden. Um dem Alltag der Fürsorge und der Erwartungen besonders an Mütter Aufmerksamkeit zu verschaffen, haben Autorinnen wie Rachel Cusk, Sheila Heti, Antonia Baum, Maren Wurster oder Jessica Lind Essays und Romane verfasst, die von der Spannung zwischen feministischen Lebensentwürfen und traditionellen Idealvorstellungen handeln. Die Arbeit an den Widersprüchen, in die sich Menschen begeben, sobald sie Kinder bekommen, ist ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen, und auch Julia Friese beteiligt sich daran. Vor einiger Zeit hat sie mit einem Artikel auf sich aufmerksam gemacht, der den Geburtsvorgang so schonungslos beschreibt, wie man das selten findet. An ihren ersten Roman konnte man deswegen hohe Erwartungen haben. Der Titel des Romans, „MTTR“ und das Titelbild, das wie das Modell eines Gebärmutterhalses anmutet, zielen auf ein kalkuliertes Missverständnis. Intuitiv ergänzt man die fehlenden Vokale und liest: „MUTTER“. Es handelt sich aber um eine Abkürzung aus den Ingenieurwissenschaften und bezeichnet die „mittlere Reparaturzeit“, die ein System nach einem Ausfall benötigt: „Mean Time To Repair“. Der Buchumschlag baut also Vorstellungen auf, die gezielt unterlaufen werden, um dann doch wieder eingelöst zu werden – denn natürlich geht es im Buch nicht um technische Systeme, sondern um Mutterschaft.
Die Falle, die den Lesern durch die intendierte Fehllektüre gestellt wird, birgt aber eine These, die den Roman bestimmt: dass Mutterschaft vornehmlich das Produkt von Zuschreibungen ist. Das „System“, von dessen Regenerierungszeit die Erzählung handelt, ist nicht bloß der individuelle Mutterkörper. Vielmehr ist es eine ganze Gesellschaft, die sich in Frieses Darstellung von den Nachwirkungen einer Pädagogik der Disziplin und Unerbittlichkeit sowie von deren Auffassungen über die Pflichten einer Mutter erholen muss.
„MTTR“ beginnt mit einem Dilemma: Die Hauptfigur Teresa ist schwanger. Obwohl sie seit Monaten alles dafür getan hat, entschließt sie sich zur Abtreibung, die sie dann wiederum in letzter Sekunde abbricht. Der Grund für diesen Wankelmut ist nicht die Beziehung zu ihrem Partner – Teresa ist mit ihrem Freund Erk glücklich liiert –, sondern die Beziehung zu den eigenen Eltern: „Wenn man nicht will, dass man wie seine Eltern wird, darf man nicht Eltern werden.“
Teresa entscheidet sich ungeachtet dieser Angst für das Kind, vor allem, weil ihr der herrische, wenig einfühlsame Ton in der Abtreibungsklinik zuwider ist. In dieser Szene wird ein Grundmotiv des Romans entworfen: In Teresas Kopf spricht nicht nur eine, sondern es sprechen zahlreiche Stimmen, am häufigsten die ihrer eigenen Mutter. Die Formelhaftigkeit der Muttersätze macht sie als internalisierte Anordnungen lesbar: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, „Wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?“, „Reiß dich doch mal zusammen“. Teresa reibt sich beständig an solchen Regeln – mal, indem sie sich ihnen trotzig oder mit schlechtem Gewissen widersetzt, mal, indem sie ihnen nachkommt. Sie erscheint in ihren Verhaltensweisen kaum je selbstbestimmt und frei, sondern erlebt die nahende Mutterschaft als schmerzhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit. Sie erkennt, dass sie „viel wegschaffen muss“, um zu wissen, was sie „eigentlich will“. In einigen eindrucksvoll geschriebenen Teilen des Romans werden die Widersprüche dieser inneren Auseinandersetzung sichtbar. Dann zeigt sich, dass das Problem der Erzählerin nicht nur die eigenen Eltern sind, sondern der Double Bind, der alle ihre Intimbeziehungen prägt: Die realen Erwartungen, Vorwürfe oder Zurechtweisungen der nahestehenden Personen sind kaum noch von dem zu trennen, was die Erzählerin ihnen zuschreibt.
Die Passagen, in denen die Erzählerin mit ihren eigenen Urteilen hadert, werden allerdings überdeckt von einer großen Anzahl an Szenen, in denen Dialoge mit den Eltern, Schwiegereltern oder Ärzten schlicht demonstrieren sollen, dass das Verhalten der sogenannten Boomer-Generation grundsätzlich durch einen Ton der Kälte und Härte geprägt ist. Nicht nur Teresas Eltern lassen an ihrer Tochter kein gutes Haar, auch ihre Schwiegereltern und das Krankenhauspersonal sind übergriffig und grob. Alle Vertreter der älteren Generation sagen im Roman fortwährend Sätze wie: „Früher hätte es so etwas nicht gegeben“. Die Boomer in „MTTR“ vertreten die Auffassung, dass man Kinder mit Behinderung abtreiben sollte, dass „richtige Jungs“ sich prügeln müssen und dass man den Nachwuchs besser „windelweich“ schlagen als verzärteln solle. Wiederholt wird die nationale Signatur solcher Klischeesätze hervorgehoben: „Das ist Deutschland“. In die Nähe der Parodie gerät die Kritik an einer von militärischer Disziplin geprägten Gesellschaft, wenn die Erzählerin beschreibt, dass selbst die „Fleischstücke“ im Krankenhausessen rechteckig „in Reih und Glied“ angeordnet seien. Gerade durch diesen plumpen Verallgemeinerungsanspruch verfehlt der Roman sein Ziel und wirkt eigentümlich aus der Zeit gefallen. Frieses Geschichte spielt in einer Fantasiewelt zwischen den 1950er-Jahren und der Gegenwart: Zwei Lager von Menschen – solche, die ihren Kindern Gehorsam „einbläuen“ möchten, und solche, die an gewaltfreie Erziehung glauben – stehen einander verständnislos und feindselig gegenüber. Damit wird ein erzählerisches Potenzial verschenkt, das Mutterschaft im 21. Jahrhundert als literarisches Sujet bietet.
Selbst da, wo die Konflikte, die der Roman beschreibt, über einen Generationengegensatz hinausgehen, erscheinen die Figurenreden wie die Erfüllung stereotyper Skripte. Die kinderlose Freundin teilt Teresa unumwunden mit, dass sie nach der Geburt nie wieder in ihre Kleidung passen oder ausgehen werde. Die Freundin mit Migrationshintergrund erzählt, dass sie im Kindergarten die Einzige gewesen sei, die von ihren Eltern geküsst wurde – „die Deutschen“ hätten das nie gemacht. Durch derartige Rollenprosa täuscht „MTTR“ darüber hinweg, dass die Fronten im realen Leben oft sehr viel weniger klar abgesteckt sind.
Die unterschiedlichen Expertenkulturen, Institutionen, Berufs- und Interessengruppen, die um die „richtige“ Haltung zum Thema Mutter- oder Elternschaft ringen, kann man kaum in säuberlich getrennte Positionen einteilen, weil sich soziale Rollen und individuelle Erfahrungshorizonte oft überlagern. Ob man Boomer oder Millenial, Mutter, Vater oder kinderlos, Ärztin oder Hebamme, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ist, autoritär oder antiautoritär erzogen wurde, determiniert nicht allein, wie man zum Thema Kinder, Geburt oder Elternschaft steht. Systemische Zusammenhänge kennen keine isolierten Positionen. In „MTTR“ wird die Chance, die Komplexität einer Debatte widerzuspiegeln, vertan.
„Wenn man nicht will, dass
man wie seine Eltern wird,
darf man nicht Eltern werden.“
So säuberlich kann man Boomer
und Millennials, Eltern
und Kinderlose nicht sortieren
In „MTTR“ wird die Chance,
die Komplexität einer Debatte
widerzuspiegeln, vertan
Julia Friese: MTTR.
Roman. Wallstein Verlag, Göttingen, 2022.
421 Seiten, 25 Euro.
Vor einiger Zeit hat sie mit einem Artikel auf sich aufmerksam gemacht, der den Geburtsvorgang so schonungslos beschreibt, wie man das selten findet: die Journalistin und Autorin Julia Friese.
Foto: privat
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2023

Allgemeine Dauerverunsicherung
Was treibt unsere Schriftstellerinnen um? Julia Frieses Roman "MTTR" lässt es leidvoll erkennen

Marlene Streeruwitz findet den Debütroman der Kolumnistin Julia Friese "Dringlich. Überwältigend. Mitreißend". So steht es auf der Rückseite des Buches. Gemeinsam ist beiden Autorinnen ihre Vorliebe für Drastik (dringlich, überwältigend, mitreißend), wenn es um den männlichen Zugriff auf den weiblichen Körper geht oder eben den Zugriff des patriarchalischen Gesellschaftskörpers auf den weiblichen Privatkörper. Streeruwitz hat mit ihrem rabiatfeministischen Ansatz vor Jahren stilistische Maßstäbe gesetzt. Wie schreibt der von ihr gefeierte Nachwuchs diese kritische Tradition nun fort?

"MTTR" ist ein Roman, der den (körperlichen und seelischen) Empfindungen einer jungen Frau nachgeht, die einen Mutterknacks hat und sich gleichzeitig mit ihrem eigenen (mal gewollten, mal nicht gewollten) Mutterwerden auseinandersetzt - viel mehr allerdings, als der Leserin lieb ist. Denn "MTTR" ist ein Paradebeispiel dafür, wie übertriebene Selbstsorge enervierend sorgenvolle Romanfiguren ohne Entwicklungspotential gebiert.

"MTTR" ist nicht nur ein Roman über den weiblichen Körper, das Mutterwerden und das Muttersein, sondern auch ein Roman über die große Verunsicherung, von der die deutsche Gegenwartsliteratur neuerdings erfasst ist. Nichts scheint den Heldinnen heutiger Selbstfindungsromane noch intuitiv gegeben zu sein. Ob sie, wie im neuen Roman von Teresa Präauer ("Kochen im falschen Jahrhundert"), krampfhaft versuchen, im dänischen Küchendesign gute Gastgeberinnen zu sein, und dabei mit viel Reibung an alten (Mutti) und neuen (die Crowd) Rollenmodellen eine Quiche servieren oder ob sie wie in Lisa Kreißlers Roman "Schreie und Flüstern" oder in Judith Hermanns Roman "Daheim" gelähmt sind vom Leben als Städterin auf dem Land. Oder ob sie wie in "MTTR" mit allem hadern, was ein Frauenleben noch so zu bieten hat: Sex und Liebe, Karriere und Familie, Vergangenheit und Zukunft. "Die Liege ist mit Papier bespannt, das unter meinen Schuhen reißt", heißt es einmal beim Frauenarztbesuch: "Immer reißt es, wenn ich mich auf Liegen lege. Das Papier unter mir bleibt nie gespannt. Wo ich bin, ist Chaos." Darauf muss man erst mal kommen!

Teresa heißt die Chaotin. Sie gehört einer Generation von jungen Berufstätigen an, von denen es heißt, dass ihre Wohnungen sich glichen: "Sie sind Lichtungen. Leer. Uns gehört kaum etwas. Wir haben das Internet." Wir erfahren nicht viel über Teresas Arbeit und auch nicht über ihre Leidenschaften. Nur über ihre Kindheit am Gängelband einer putzwütigen Mutter, der gerne mal die Hand ausrutschte. Ferner, dass sie in einer Beziehung mit Erk lebt, einem zugewandten Mann, der viel Verständnis für Teresas Kindheitstrauma hat. Zumal er selbst unter einer am Sonntagsbraten moralisch gestärkten Elterngeneration ("die Welpen des Wirtschaftswunders") leidet, die immer Bescheid zu wissen meint.

Von Erk erwartet Teresa ein Kind, das sie erst gedankenschwer ersehnt und dann doch lieber abtreiben will. Erk wäre zwar bereit gewesen, aber als moderner Mann begleitet er seine Freundin wie ein Kavalier zur Abtreibungspraxis. Im vorangegangenen Beratungsgespräch passt Teresa die übergriffige Art des Staates nicht, der seine Hilfe anbietet. In der Arztpraxis passt Teresa die übergriffige Art des medizinischen Personals nicht, das routiniert zum Eingriff bläst. Und so entscheidet sie sich am Ende eben doch für das Baby. Erk ist einverstanden. Flexibel bis zur Schmerzgrenze.

Teresa hingegen ist schon wieder mit der Folgesorge beschäftigt: "Der Kopf, der winzige, viel zu große Kopf wird denken, dass ich eine - seine - Mutter bin. Er wird nicht bekommen, was er bekommen sollte. Eine Mama. Eine richtige. Rundum gefüllt. Warm und geborgen. Erwachsen."

Vielleicht ist hiermit ja das Hauptproblem des Romans benannt. Der handelt von einer jungen Frau, die sich als Opfer schwarzer Pädagogik entwirft, dabei aber als Erwachsene erschütternd entwicklungsunfähig bleibt. Die Heldin ist stattdessen nur dauerverunsichert. Alles wird ihr jetzt zur Zumutung: pragmatische Kinderkrankenschwestern voller Tatendrang ("Hörtest, ruft eine Schwester, die einen Apparat in den Raum schiebt. Und ich zucke zusammen"), aber auch freundliche Kinderkrankenschwestern mit "Callcenter-Mund", deren "breitgezogene Freundlichkeit" Teresa irgendwie provoziert. So verliert man mit dieser dauerbeleidigten Heldin allmählich die Geduld. Weder sie selbst noch ihre Erfinderin wissen etwas mit ihr anzufangen. Über das notorische Klagen darüber, ein Subjekt zu sein, das innerhalb von Strukturen, Institutionen und Konventionen agiert, wie alle anderen Subjekte auch, kommt sie nicht hinaus. Vergeblich sucht man nach einer Spur von Individualität, von Gestaltungswillen, Selbstermächtigung, Lebenspraxis. Was ist nur mit diesen neuen Heldinnen los? Warum sind sie so ohnmächtig? So wehleidig? So unsicher? So unlustig? Ist es das Internet, das ihre Leben "leer" gemacht hat? Vielleicht hat Frau Streeruwitz eine Antwort. KATHARINA TEUTSCH

Julia Friese: "MTTR". Roman.

Wallstein Verlag,

Göttingen 2022. 421 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Julia Friese schreibt auf eine besondere Art und Weise, mit abrupten Satzenden und teilweise nur einem Wort. Trotz der Knappheit sitzt jeder Satz und ergibt zusammen einen fesselnden Text.« (Victoria Elisa Krüger, NetGalley) »fast atemlos habe ich die erste Hälfte am Wochenende gelesen. Dazu musste ich das Buch auch immer mal wieder weglegen. Zu schockierend die glasklaren und so wahren Gedanken von Teresa. Krass und erschütternd auch die Eltern von Erk, das Geburtstrauma von Yelda...« (Nadine Dötsch, Vier Türme GmbH, Münsterschwarzach) »Ein großartiges Debüt. Es tut weh, nervt, ist beklemmend und so gut. (...) Wirklich ein tolles Buch, das mir immer wieder in den Sinn kam und mich auch nach dem Lesen noch ein Stücken begleitet hat.« (Melanie Wagner, NetGalley) Aber im Endeffekt möchte ich nur "Danke" sagen für die tollen Denkanstöße und die ungefilterte und authentische Sprache! Es braucht definitiv noch mehr solcher ehrlichen Bücher in dieser Welt. (Jessica Litsch, NetGalley)