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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine Oral History über das deutsche Musikfernsehen
Falls es stimmt, dass die Popkultur ihre eigenen Krisen regelmäßig mithervorgebracht hat, lohnt ein Blick aufs Musikfernsehen. Denn bei MTV und Viva erlebte Pop einen Bedeutungszuwachs, der sich finanziell niederschlagen und genau deswegen jedes symbolische Kapital verspielen sollte. Spätestens mit Kurt Cobain wurde nicht nur unter rock-'n'-roll-geschulten Teenagern ein Lebensmodell salon- und mehrheitsfähig, das strikt auf Nonkonformität setzte. In der Folge schlitterte der Typus des Außenseiters in die Sphäre des Konsums hinein, und der Konsum entdeckte das Außenseitertum. All das hat Wegbereiter, aber in den Neunzigern wurde der Vorgang täglich im Fernsehen gezeigt.
Was Pop eigentlich ist, lässt sich dabei kaum sagen, und das ist Teil seiner Attraktion. Der Kulturhistoriker Jost Hermand bemerkte schon 1971, dass "Pop nun einmal keine Grenzen mehr" kenne. Der Begriff lässt sich für alles Mögliche benutzen und zugleich als Unterscheidungskriterium heranziehen. Bei MTV und Viva war Pop in der Regel nicht der ästhetische Diskurs, sondern das Erlebnis mit Prominenten. Im Fall von Viva Zwei sah das freilich anders aus, da ging es um beides: Selbstbestimmung und Probleme der Verwertungslogik auf der einen Seite, Events und Stargeschichten auf der anderen.
1995 kam der Musikjournalist Markus Kavka zu Viva, zwei Jahre nach Gründung des Kanals. Er präsentierte ein Heavy-Metal-Magazin und brachte eine Expertise mit, die den anderen Moderatoren bis dahin fehlte. Zusammen mit dem ehemaligen Programmdirektor von Viva Zwei und MTV Elmar Giglinger hat er nun das Buch "MTViva liebt dich!" herausgegeben. Es ist eine Oral History aus der Sicht derjenigen, die die entscheidende Phase des Musikfernsehens in Deutschland gestaltet haben.
Mitarbeiter der Sender kommen genauso zu Wort wie Fettes Brot, Smudo, Judith Holofernes oder Farin Urlaub. Campino beweist einmal mehr, dass er keinen Sinn für Humor hat und ein wandelndes Arroganzzentrum ist, H. P. Baxxter scheint ausweislich seiner Anekdoten ein netter Kerl zu sein. Und Kavka war immer dabei, ob Viva, Viva Zwei oder MTV, wo er auftrat, fühlte sich Pop nie wie kulturindustrieller Ramsch an.
Dass Viva als Rumpelkammer voller Dilettanten begann, ist bekannt und wurde oft kommentiert. Was in kurzer Zeit daraus erwuchs, nämlich nicht nur der Ort, der neben dem Radiosender 1Live am zuverlässigsten Lieder zum Abgewöhnen spielte, sondern auch ein ernst zu nehmender Rivale für MTV, davon ist in überraschend kurzweiliger Ausführlichkeit immer wieder die Rede.
Wer das damals mitverfolgen konnte, wird sich daran erinnern, dass viel Musik gespielt wurde, während es eigentlich laufend um andere Dinge ging: Klamotten, Glamour, Befindlichkeiten. Wieso es trotzdem, aber auch gerade deswegen ein großer Spaß war, Teil des Viva-Teams zu sein, warum das alles einer einzigen Party gleichkam, erklären Leute wie Nilz Bokelberg, Mola Adebisi, Heike Makatsch, Aleksandra Bechtel, Sarah Kuttner, Jessica Schwarz oder Matthias Opdenhövel.
Im Kern drehten sich sämtliche Abläufe natürlich ums Geld. Sobald ein Song bei Viva oder MTV auf der höchsten Rotationsstufe lief, wurde daraus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Single-Hit. Ließ also eine Plattenfirma ein Video für hunderttausend Mark produzieren, das am Ende nicht gesendet wurde, hatte sie Kapital zum Fenster rausgeschmissen. Entsprechend groß waren Erwartungen und Druck vonseiten der Managements und Labels.
Um das Angebot zu erweitern, ging 1995 Viva Zwei an den Start, zunächst als Verwaltungsstation von Adult-Contemporary-Musik, ab 1998 dann, zum Glück, als Alternative-Plattform. Damit war der Höhepunkt erreicht: Mainstream für Gegner des Mainstreams. Kurz darauf hat man den defizitären Sender gleichwohl eingestellt, Viva probierte einen Börsengang, schwächelte, wurde ironischerweise Teil von MTV - und plötzlich war das Musikfernsehen in jener Form, wie es Jugendliche in den Neunzigern und frühen Nullerjahren bei Laune gehalten hatte, ein für alle Mal erledigt. KAI SPANKE
Markus Kavka und Elmar Giglinger (Hrsg.): "MTViva liebt dich!". Die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 528 S., Abb., br., 21,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Oral History über das deutsche Musikfernsehen
Falls es stimmt, dass die Popkultur ihre eigenen Krisen regelmäßig mithervorgebracht hat, lohnt ein Blick aufs Musikfernsehen. Denn bei MTV und Viva erlebte Pop einen Bedeutungszuwachs, der sich finanziell niederschlagen und genau deswegen jedes symbolische Kapital verspielen sollte. Spätestens mit Kurt Cobain wurde nicht nur unter rock-'n'-roll-geschulten Teenagern ein Lebensmodell salon- und mehrheitsfähig, das strikt auf Nonkonformität setzte. In der Folge schlitterte der Typus des Außenseiters in die Sphäre des Konsums hinein, und der Konsum entdeckte das Außenseitertum. All das hat Wegbereiter, aber in den Neunzigern wurde der Vorgang täglich im Fernsehen gezeigt.
Was Pop eigentlich ist, lässt sich dabei kaum sagen, und das ist Teil seiner Attraktion. Der Kulturhistoriker Jost Hermand bemerkte schon 1971, dass "Pop nun einmal keine Grenzen mehr" kenne. Der Begriff lässt sich für alles Mögliche benutzen und zugleich als Unterscheidungskriterium heranziehen. Bei MTV und Viva war Pop in der Regel nicht der ästhetische Diskurs, sondern das Erlebnis mit Prominenten. Im Fall von Viva Zwei sah das freilich anders aus, da ging es um beides: Selbstbestimmung und Probleme der Verwertungslogik auf der einen Seite, Events und Stargeschichten auf der anderen.
1995 kam der Musikjournalist Markus Kavka zu Viva, zwei Jahre nach Gründung des Kanals. Er präsentierte ein Heavy-Metal-Magazin und brachte eine Expertise mit, die den anderen Moderatoren bis dahin fehlte. Zusammen mit dem ehemaligen Programmdirektor von Viva Zwei und MTV Elmar Giglinger hat er nun das Buch "MTViva liebt dich!" herausgegeben. Es ist eine Oral History aus der Sicht derjenigen, die die entscheidende Phase des Musikfernsehens in Deutschland gestaltet haben.
Mitarbeiter der Sender kommen genauso zu Wort wie Fettes Brot, Smudo, Judith Holofernes oder Farin Urlaub. Campino beweist einmal mehr, dass er keinen Sinn für Humor hat und ein wandelndes Arroganzzentrum ist, H. P. Baxxter scheint ausweislich seiner Anekdoten ein netter Kerl zu sein. Und Kavka war immer dabei, ob Viva, Viva Zwei oder MTV, wo er auftrat, fühlte sich Pop nie wie kulturindustrieller Ramsch an.
Dass Viva als Rumpelkammer voller Dilettanten begann, ist bekannt und wurde oft kommentiert. Was in kurzer Zeit daraus erwuchs, nämlich nicht nur der Ort, der neben dem Radiosender 1Live am zuverlässigsten Lieder zum Abgewöhnen spielte, sondern auch ein ernst zu nehmender Rivale für MTV, davon ist in überraschend kurzweiliger Ausführlichkeit immer wieder die Rede.
Wer das damals mitverfolgen konnte, wird sich daran erinnern, dass viel Musik gespielt wurde, während es eigentlich laufend um andere Dinge ging: Klamotten, Glamour, Befindlichkeiten. Wieso es trotzdem, aber auch gerade deswegen ein großer Spaß war, Teil des Viva-Teams zu sein, warum das alles einer einzigen Party gleichkam, erklären Leute wie Nilz Bokelberg, Mola Adebisi, Heike Makatsch, Aleksandra Bechtel, Sarah Kuttner, Jessica Schwarz oder Matthias Opdenhövel.
Im Kern drehten sich sämtliche Abläufe natürlich ums Geld. Sobald ein Song bei Viva oder MTV auf der höchsten Rotationsstufe lief, wurde daraus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Single-Hit. Ließ also eine Plattenfirma ein Video für hunderttausend Mark produzieren, das am Ende nicht gesendet wurde, hatte sie Kapital zum Fenster rausgeschmissen. Entsprechend groß waren Erwartungen und Druck vonseiten der Managements und Labels.
Um das Angebot zu erweitern, ging 1995 Viva Zwei an den Start, zunächst als Verwaltungsstation von Adult-Contemporary-Musik, ab 1998 dann, zum Glück, als Alternative-Plattform. Damit war der Höhepunkt erreicht: Mainstream für Gegner des Mainstreams. Kurz darauf hat man den defizitären Sender gleichwohl eingestellt, Viva probierte einen Börsengang, schwächelte, wurde ironischerweise Teil von MTV - und plötzlich war das Musikfernsehen in jener Form, wie es Jugendliche in den Neunzigern und frühen Nullerjahren bei Laune gehalten hatte, ein für alle Mal erledigt. KAI SPANKE
Markus Kavka und Elmar Giglinger (Hrsg.): "MTViva liebt dich!". Die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 528 S., Abb., br., 21,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main