"Brilliant, innovative, beautiful." -The Guardian "Dazzling...a work of parody, but also of poetry." -The New York Times Book Review NAMED ONE OF THE BEST BOOKS OF THE YEAR BY NPR, THE GUARDIAN, AND THE IRISH TIMES "Latin America's new literary star" (The New Yorker), Alejandro Zambra is celebrated around the world for his strikingly original, slyly funny, daringly unconventional fiction. Now, at the height of his powers, Zambra returns with his most audaciously brilliant book yet. Written in the form of a standardized test, Multiple Choice invites the reader to respond to virtuoso language exercises and short narrative passages through multiple-choice questions that are thought-provoking, usually unanswerable, and often absurd. It offers a new kind of reading experience, one in which the reader participates directly in the creation of meaning, and the nature of storytelling itself is called into question. At once funny, poignant, and political, Multiple Choice is about love and family, authoritarianism and its legacies, and the conviction that, rather than learning to think for ourselves, we are trained to obey and repeat. Serious in its literary ambition and playful in its execution, it confirms Alejandro Zambra as one of the most important writers working in any language. NAMED A BEST BOOK OF THE SUMMER BY THE WALL STREET JOURNAL, ELLE, THE HUFFINGTON POST, THE MILLIONS, VOX, LIT HUB, THE BBC, THE GUARDIAN AND PUREWOW
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018Bitte
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Schlau, poetisch und
seltsam berührend:
Der chilenische Schriftsteller
Alejandro Zambra hat
einen Roman in Form
eines Multiple-Choice-Tests
geschrieben
VON BIRTHE MÜHLHOFF
Es ist ja nicht so, als gäbe es in der Literatur keine Tradition der Fragebögen. Marcel Proust hat Fragebögen entwickelt, die in den Pariser Salons der Jahrhundertwende zirkulierten, und sie – darf man sich den Witz erlauben und sagen: zum Zeitvertreib? – auch immer wieder aufs Neue selbst ausgefüllt. Nicht weniger bekannt, aber etwas abgedrehter sind die Fragebögen von Max Frisch. Mit dem Roman „Multiple Choice“ des chilenischen Autors Alejandro Zambra, der ausschließlich aus einem Fragebogen besteht, lässt sich die Zeit etwas weniger gut totschlagen – was daran liegt, dass dieses großartige experimentelle Buch nicht besonders dick ist.
Alejandro Zambra nimmt sich eine zeitgenössischere Form der Evaluation als Vorlage: die 1967 in Chile eingeführte „Prueba de Selección Universitaria“ (PSU). Der Aufbau des Buches folgt, so die Vorbemerkung des Autors, der Aufnahmeprüfung für die Universität, wie sie bis 1994 gültig war. Ein Ankreuztest mit 90 Fragen, unterteilt in fünf Abschnitte, die mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad das Leseverständnis der Abiturienten abfragen.
Dass hinter den Aufgaben, die Zambra seinen Lesern gibt, mehr steckt als bei herkömmlichen Prüfungen zeigt sich schnell. Wenn unter dem Schlagwort „Kopieren“ fünf Worte stehen, aus denen man ein Unpassendes streichen soll, und diese fünf Worte lauten „Ausschneiden, Einfügen, Ausschneiden, Einfügen“ und „Rückgängig machen“, dann bleibt einem wohl nichts anderes, als sich dem infiniten Regress der Ironie hinzugeben und „Rückgängig machen“ anzukreuzen. Und was soll man bitte streichen, wenn unter dem Schlagwort „Familie“ die Optionen „Verwandte, Erben, Angehörige, Ungehörige, Pädophile“ angeboten werden? Streicht man die Pädophilen raus, bleiben die „Ungehörigen“.
Zambra braucht also nur fünf Begriffe, um eine Welt zu skizzieren. „Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist der Strich einer Narbe.“ Dieser Satz fällt äußerst beiläufig. Man könnte aber behaupten, dass sich darin Zambras schriftstellerisches Prinzip versteckt: Im Schreiben den kürzesten, den direktesten Ausdruck zu finden, der sich dann als etwas Grundsätzliches, eine Wunde, ein Schnitt, eine Narbe herausstellen muss. Alejandro Zambra ist ein Meister der Knappheit. Schon sein erster Roman „Bonsai“ aus dem Jahr 2006 war nur 90 Seiten lang. „Multiple Choice“ zählt 109 Seiten, und viele davon sind nur spärlich bedruckt, mit einzelnen Begriffen, die zur Auswahl stehen, oder einzelnen Sätzen, die in eine bessere Reihenfolge zu bringen sind. Was das für eine Herausforderung gewesen sein muss, dieses Buch zu übersetzen! Die Philologin Susanne Lange, die für ihre Übersetzungen aus dem Spanischen mit den höchsten Auszeichnungen geehrt wurde (im vorigen Jahr erschien ihre Neuübersetzung von Don Quijote), verwandelt das scheinbar mühelos.
Dabei ist nicht nur die Knappheit eine Schwierigkeit. Was Zambra vollbringt, ist zum einen eine Verballhornung des Multiple-Choice-Tests in kritischer Absicht und zum anderen eine Art poetischer Verdichtung. Es ist eine (bittere) Satire auf die Idee, dass 90 wohlgesetzte Kreuze über den Verstand und die Fähigkeiten und die Zukunft eines Menschen entscheiden sollen, und eine (tief berührende) Hymne darauf, was der Mensch aus seinem Leben macht. Parodie und Poesie zugleich.
Das haben gute Parodien mit guter Poesie gemein: Wenn sie gut sind, dann sind sie fast schon wieder eine Form von Realismus. Zumindest treffen sie einen real existierenden Nagel auf den Kopf. Mal ehrlich, wer von uns hat in einer Prüfung noch nie auf den Zettel gestarrt, in aufkeimender Panik, während sich die Fragen vor dem inneren Auge verformen. Und wer kennt nicht das Gefühl, dass keine der angebotenen Antwortmöglichkeiten zu passen scheint; dass sie alle gleich aussehen? Wer kennt das nicht, dass man sich von einem Gebrauchstext auf einmal befremdet fühlt, weil er menschliche Schicksale beschreibt?
Für einen Augenblick hängt man den Figuren, die in einer Sachaufgabe verwendet werden, in Gedanken nach. Zum Beispiel dem melancholischen Religionslehrer, der bei Zambra in einer Anwendungsaufgabe auftaucht, und der irgendwann seinen Job an den Nagel hängt und U-Bahn-Fahrer wird und plötzlich das Doppelte verdient. Lehrer hatte er eh nicht werden wollen. Obwohl er jahrelang in der Schule Klassenbester gewesen ist, musste er Religion auf Lehramt studieren, weil er die Aufnahmeprüfung an der Uni vermasselt hat.
Was alles über ein Leben entscheidet: Auch darum geht es. Die Absurdität eines stupiden Aufnahmetests, der aus einem guten Schüler einen Reli-Lehrer macht, der mit Gott hadert, und aus den ausgefuchsten Covarrubias-Zwillingen Luis und Antonio, die in der Prüfung tricksen, erfolgreiche Anwälte. Diese Absurdität ist auch die Absurdität von Chile unter Pinochet. Geboren wurde Zambra 1975, zwei Jahre nach dem von den USA unterstützten Militärputsch. Pinochets Chile verstand sich gut mit katholischen Hardlinern. Chile war ein Land, in dem es, wie es Zambra in einer der kurzen Geschichten beschreibt, bis 2004 keine rechtliche Möglichkeit gab, sich scheiden zu lassen, weshalb man die Ehe stattdessen mit einem aufwendigen Verfahren annullieren lassen musste, indem man Beweise dafür erbrachte, dass man nie zusammengelebt habe.
„Kreuzen Sie bei den Übungen 55 bis 66 an, welcher der angeführten Sätze oder Abschnitte gestrichen werden kann, weil er keine Information hinzufügt oder in keiner Beziehung zum Text steht.“ Was als eine ganz normale Aufgabenstellung daherkommt, hat etwas Gewalttätiges, wenn es um Literatur geht. Und schnell ist es auch eine moralische Frage. Soll man den Satz streichen, in dem der Ich-Erzähler sich eingesteht, dass er ein Dreckskerl war? Ist das ein Satz, der dem Text „keine Information hinzufügt“ und „in keiner Beziehung zum Text steht“? Was ist das für eine Zusatzinformation zu wissen, dass jemand um seine Schwächen weiß? Man ist aufgerufen, seine Kreuzchen zu setzen, man ist gebeten, die richtige Antwort auszuwählen – und bekommt immer mehr das Gefühl, dass es die „richtige Antwort“ vielleicht gar nicht gibt. Hatte man sich extra einen Bleistift geholt, weil man Lust hatte, endlich mal wieder einen scherzhaft gemeinten Fragebogen auszufüllen, entwickelt man spätestens im letzten Kapitel, wenn man für drei Kurzgeschichten den richtigen Interpretationsansatz auswählen soll, eine Scheu, auf diese lapidare Weise über menschliche Schicksale zu urteilen. Immer da, wo eine Entscheidung – wer wird in der Universität aufgenommen und wer nicht – durch einen quantifizierten Test hervorgerufen werden soll, immer da, wo ein Entscheidungsvorgang „objektiviert“ werden soll, gibt es am Ende niemanden mehr, der für diese Entscheidung Verantwortung trägt. Was aussieht wie eine wunderbar objektive Vorgehensweise, ist viel zu oft nur der illusionäre Versuch, eine Entscheidung wie von Zauberhand herbeizuführen.
Obwohl dieser Multiple-Choice-Test keine Charakterfragen stellt, führt er in eine immense Beschäftigung mit dem eigenen Selbst. Trotz der geringen Seitenzahl, der rigiden, schlichten Form, berührt „Multiple Choice“ auf existenzielle Weise. Das Prinzip erinnert an ein anderes Buch, das auch nur hundert Seiten zählt und auf ähnliche Weise unter die Haut geht: „Autoportrait“ von Edouard Levé. Als Claudia Hamm das Buch 2013 ins Deutsche übersetzte, wurde es vielleicht auch deshalb viel zu wenig beachtet, weil Levé da schon seit sechs Jahren tot war und der ganze Rummel, der vom Literaturbetrieb sonst manchmal um interessante Autoren veranstaltet wird, entfiel. Vielleicht war das Buch aber zu eigenwillig: Es enthält nichts als eine Liste mit den Dingen, die Levé in seinem Leben getan oder nicht getan, gemocht oder nicht gemocht hat. Der Anzahl an Frauen, mit denen er geschlafen, und die Anzahl derer, die er geliebt hat. Am Ende legt man das Buch weg und fragt sich, ob man sich soeben in eine Auflistung verliebt hat. In einen Menschen, den man kaum kennt, den man nur kennt über das, worüber er sich den Kopf zerbricht.
In den Geschichten aber, die in Zambras Aufgabentexten erzählt wurden, geht es nicht nur um eine Person, nicht nur um ein Leben. Zumindest von der Anzahl der Kinder, von denen die Rede ist, haut das nicht hin. Hier sind viele Schicksale nebeneinander aufgefächert. Die Grundthemen aber spiegeln sich in ihnen: die Einsamkeit, die Schuld, ein schlechter Sohn und ein schlechter Vater zu sein, gewesen zu sein, die Überlegung, man hätte es anders machen können.
Es ist das, was man eine „Abrechnung“ nennt. Immer wieder (und immer öfter?) werden wir aufgefordert, uns selbst wie einen kleinen quantifizierbaren Teil einer Statistik zu begreifen. Man kann Zambras Buch daher auch wie ein Pamphlet lesen: Lasst euch nicht einreden, dass ihr nur die Wahl habt zwischen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten! Lasst euch nicht einreden, dass das Leben eines Menschen in einer Punkteanzahl auszudrücken ist! Lasst euch nicht den Blick darauf verstellen, dass hinter jedem Eintrag in einer Datenbank ein Schicksal steckt, ein Mensch mit seiner Geschichte.
Wen streicht man aus
seiner Familie? Den Pädophilen
oder den Ungehörigen?
Immer wenn eine
Entscheidung „objektiviert“
werden soll, trägt
niemand mehr
die Verantwortung
Alejandro Zambra:
Multiple Choice.
Aus dem Spanischen
von Susanne Lange.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2018,
109 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Schlau, poetisch und
seltsam berührend:
Der chilenische Schriftsteller
Alejandro Zambra hat
einen Roman in Form
eines Multiple-Choice-Tests
geschrieben
VON BIRTHE MÜHLHOFF
Es ist ja nicht so, als gäbe es in der Literatur keine Tradition der Fragebögen. Marcel Proust hat Fragebögen entwickelt, die in den Pariser Salons der Jahrhundertwende zirkulierten, und sie – darf man sich den Witz erlauben und sagen: zum Zeitvertreib? – auch immer wieder aufs Neue selbst ausgefüllt. Nicht weniger bekannt, aber etwas abgedrehter sind die Fragebögen von Max Frisch. Mit dem Roman „Multiple Choice“ des chilenischen Autors Alejandro Zambra, der ausschließlich aus einem Fragebogen besteht, lässt sich die Zeit etwas weniger gut totschlagen – was daran liegt, dass dieses großartige experimentelle Buch nicht besonders dick ist.
Alejandro Zambra nimmt sich eine zeitgenössischere Form der Evaluation als Vorlage: die 1967 in Chile eingeführte „Prueba de Selección Universitaria“ (PSU). Der Aufbau des Buches folgt, so die Vorbemerkung des Autors, der Aufnahmeprüfung für die Universität, wie sie bis 1994 gültig war. Ein Ankreuztest mit 90 Fragen, unterteilt in fünf Abschnitte, die mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad das Leseverständnis der Abiturienten abfragen.
Dass hinter den Aufgaben, die Zambra seinen Lesern gibt, mehr steckt als bei herkömmlichen Prüfungen zeigt sich schnell. Wenn unter dem Schlagwort „Kopieren“ fünf Worte stehen, aus denen man ein Unpassendes streichen soll, und diese fünf Worte lauten „Ausschneiden, Einfügen, Ausschneiden, Einfügen“ und „Rückgängig machen“, dann bleibt einem wohl nichts anderes, als sich dem infiniten Regress der Ironie hinzugeben und „Rückgängig machen“ anzukreuzen. Und was soll man bitte streichen, wenn unter dem Schlagwort „Familie“ die Optionen „Verwandte, Erben, Angehörige, Ungehörige, Pädophile“ angeboten werden? Streicht man die Pädophilen raus, bleiben die „Ungehörigen“.
Zambra braucht also nur fünf Begriffe, um eine Welt zu skizzieren. „Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist der Strich einer Narbe.“ Dieser Satz fällt äußerst beiläufig. Man könnte aber behaupten, dass sich darin Zambras schriftstellerisches Prinzip versteckt: Im Schreiben den kürzesten, den direktesten Ausdruck zu finden, der sich dann als etwas Grundsätzliches, eine Wunde, ein Schnitt, eine Narbe herausstellen muss. Alejandro Zambra ist ein Meister der Knappheit. Schon sein erster Roman „Bonsai“ aus dem Jahr 2006 war nur 90 Seiten lang. „Multiple Choice“ zählt 109 Seiten, und viele davon sind nur spärlich bedruckt, mit einzelnen Begriffen, die zur Auswahl stehen, oder einzelnen Sätzen, die in eine bessere Reihenfolge zu bringen sind. Was das für eine Herausforderung gewesen sein muss, dieses Buch zu übersetzen! Die Philologin Susanne Lange, die für ihre Übersetzungen aus dem Spanischen mit den höchsten Auszeichnungen geehrt wurde (im vorigen Jahr erschien ihre Neuübersetzung von Don Quijote), verwandelt das scheinbar mühelos.
Dabei ist nicht nur die Knappheit eine Schwierigkeit. Was Zambra vollbringt, ist zum einen eine Verballhornung des Multiple-Choice-Tests in kritischer Absicht und zum anderen eine Art poetischer Verdichtung. Es ist eine (bittere) Satire auf die Idee, dass 90 wohlgesetzte Kreuze über den Verstand und die Fähigkeiten und die Zukunft eines Menschen entscheiden sollen, und eine (tief berührende) Hymne darauf, was der Mensch aus seinem Leben macht. Parodie und Poesie zugleich.
Das haben gute Parodien mit guter Poesie gemein: Wenn sie gut sind, dann sind sie fast schon wieder eine Form von Realismus. Zumindest treffen sie einen real existierenden Nagel auf den Kopf. Mal ehrlich, wer von uns hat in einer Prüfung noch nie auf den Zettel gestarrt, in aufkeimender Panik, während sich die Fragen vor dem inneren Auge verformen. Und wer kennt nicht das Gefühl, dass keine der angebotenen Antwortmöglichkeiten zu passen scheint; dass sie alle gleich aussehen? Wer kennt das nicht, dass man sich von einem Gebrauchstext auf einmal befremdet fühlt, weil er menschliche Schicksale beschreibt?
Für einen Augenblick hängt man den Figuren, die in einer Sachaufgabe verwendet werden, in Gedanken nach. Zum Beispiel dem melancholischen Religionslehrer, der bei Zambra in einer Anwendungsaufgabe auftaucht, und der irgendwann seinen Job an den Nagel hängt und U-Bahn-Fahrer wird und plötzlich das Doppelte verdient. Lehrer hatte er eh nicht werden wollen. Obwohl er jahrelang in der Schule Klassenbester gewesen ist, musste er Religion auf Lehramt studieren, weil er die Aufnahmeprüfung an der Uni vermasselt hat.
Was alles über ein Leben entscheidet: Auch darum geht es. Die Absurdität eines stupiden Aufnahmetests, der aus einem guten Schüler einen Reli-Lehrer macht, der mit Gott hadert, und aus den ausgefuchsten Covarrubias-Zwillingen Luis und Antonio, die in der Prüfung tricksen, erfolgreiche Anwälte. Diese Absurdität ist auch die Absurdität von Chile unter Pinochet. Geboren wurde Zambra 1975, zwei Jahre nach dem von den USA unterstützten Militärputsch. Pinochets Chile verstand sich gut mit katholischen Hardlinern. Chile war ein Land, in dem es, wie es Zambra in einer der kurzen Geschichten beschreibt, bis 2004 keine rechtliche Möglichkeit gab, sich scheiden zu lassen, weshalb man die Ehe stattdessen mit einem aufwendigen Verfahren annullieren lassen musste, indem man Beweise dafür erbrachte, dass man nie zusammengelebt habe.
„Kreuzen Sie bei den Übungen 55 bis 66 an, welcher der angeführten Sätze oder Abschnitte gestrichen werden kann, weil er keine Information hinzufügt oder in keiner Beziehung zum Text steht.“ Was als eine ganz normale Aufgabenstellung daherkommt, hat etwas Gewalttätiges, wenn es um Literatur geht. Und schnell ist es auch eine moralische Frage. Soll man den Satz streichen, in dem der Ich-Erzähler sich eingesteht, dass er ein Dreckskerl war? Ist das ein Satz, der dem Text „keine Information hinzufügt“ und „in keiner Beziehung zum Text steht“? Was ist das für eine Zusatzinformation zu wissen, dass jemand um seine Schwächen weiß? Man ist aufgerufen, seine Kreuzchen zu setzen, man ist gebeten, die richtige Antwort auszuwählen – und bekommt immer mehr das Gefühl, dass es die „richtige Antwort“ vielleicht gar nicht gibt. Hatte man sich extra einen Bleistift geholt, weil man Lust hatte, endlich mal wieder einen scherzhaft gemeinten Fragebogen auszufüllen, entwickelt man spätestens im letzten Kapitel, wenn man für drei Kurzgeschichten den richtigen Interpretationsansatz auswählen soll, eine Scheu, auf diese lapidare Weise über menschliche Schicksale zu urteilen. Immer da, wo eine Entscheidung – wer wird in der Universität aufgenommen und wer nicht – durch einen quantifizierten Test hervorgerufen werden soll, immer da, wo ein Entscheidungsvorgang „objektiviert“ werden soll, gibt es am Ende niemanden mehr, der für diese Entscheidung Verantwortung trägt. Was aussieht wie eine wunderbar objektive Vorgehensweise, ist viel zu oft nur der illusionäre Versuch, eine Entscheidung wie von Zauberhand herbeizuführen.
Obwohl dieser Multiple-Choice-Test keine Charakterfragen stellt, führt er in eine immense Beschäftigung mit dem eigenen Selbst. Trotz der geringen Seitenzahl, der rigiden, schlichten Form, berührt „Multiple Choice“ auf existenzielle Weise. Das Prinzip erinnert an ein anderes Buch, das auch nur hundert Seiten zählt und auf ähnliche Weise unter die Haut geht: „Autoportrait“ von Edouard Levé. Als Claudia Hamm das Buch 2013 ins Deutsche übersetzte, wurde es vielleicht auch deshalb viel zu wenig beachtet, weil Levé da schon seit sechs Jahren tot war und der ganze Rummel, der vom Literaturbetrieb sonst manchmal um interessante Autoren veranstaltet wird, entfiel. Vielleicht war das Buch aber zu eigenwillig: Es enthält nichts als eine Liste mit den Dingen, die Levé in seinem Leben getan oder nicht getan, gemocht oder nicht gemocht hat. Der Anzahl an Frauen, mit denen er geschlafen, und die Anzahl derer, die er geliebt hat. Am Ende legt man das Buch weg und fragt sich, ob man sich soeben in eine Auflistung verliebt hat. In einen Menschen, den man kaum kennt, den man nur kennt über das, worüber er sich den Kopf zerbricht.
In den Geschichten aber, die in Zambras Aufgabentexten erzählt wurden, geht es nicht nur um eine Person, nicht nur um ein Leben. Zumindest von der Anzahl der Kinder, von denen die Rede ist, haut das nicht hin. Hier sind viele Schicksale nebeneinander aufgefächert. Die Grundthemen aber spiegeln sich in ihnen: die Einsamkeit, die Schuld, ein schlechter Sohn und ein schlechter Vater zu sein, gewesen zu sein, die Überlegung, man hätte es anders machen können.
Es ist das, was man eine „Abrechnung“ nennt. Immer wieder (und immer öfter?) werden wir aufgefordert, uns selbst wie einen kleinen quantifizierbaren Teil einer Statistik zu begreifen. Man kann Zambras Buch daher auch wie ein Pamphlet lesen: Lasst euch nicht einreden, dass ihr nur die Wahl habt zwischen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten! Lasst euch nicht einreden, dass das Leben eines Menschen in einer Punkteanzahl auszudrücken ist! Lasst euch nicht den Blick darauf verstellen, dass hinter jedem Eintrag in einer Datenbank ein Schicksal steckt, ein Mensch mit seiner Geschichte.
Wen streicht man aus
seiner Familie? Den Pädophilen
oder den Ungehörigen?
Immer wenn eine
Entscheidung „objektiviert“
werden soll, trägt
niemand mehr
die Verantwortung
Alejandro Zambra:
Multiple Choice.
Aus dem Spanischen
von Susanne Lange.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2018,
109 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2019Einmal die vier ohne Freiheit und Gnade, bitte
Das Leben in der Dikatur, erzählt in einer literarischen Spielform, die Wahlmöglichkeit nur suggeriert: Alejandro Zambras "Multiple Choice"
Zu Zeiten der chilenischen Militärdiktatur bestand eine der staatlichen Repressalien darin, die Zulassung zur Universität durch einen Multiple-Choice-Test zu regulieren. Die Fragen dieses Tests hatten ganz nebenbei auch die Funktion, die Grundlagen der diktatorischen Ideologie einzuüben und die dazugehörige Regierungstreue und Unterwürfigkeit zu überprüfen. Ein Staatsbürger-Examen, ob man auch bereit sei, wirklich alle Pinochet-Wendungen mitzumachen. Dieser direkte Eingriff des Regimes in den Bildungsweg seiner Jugend diente schon zu Pinochets Zeiten als unerschöpflicher Fundus für heimliche Witze und subversive Phantasiespiele: Stell dir vor, du hast einen Doppelgänger oder gar Zwilling, der geht in Santiago zur Prüfung und besteht glänzend, während du gleichzeitig in Valparaiso revolutionäre Lyrik verfasst und verbreitest.
Manche Witze zünden nur, wenn man einen gemeinsamen kulturellen Fundus teilt. Und meist ist die Komik schon dahin, wenn man glaubt, eine Pointe erklären zu müssen.
Doch erst vor diesem Hintergrund versteht man den bitteren Ernst jenes Witzes, den der chilenische Autor Alejandro Zambra wagt, wenn er für seinen Roman "Multiple Choice" exakt die Struktur des besagten Eingangstestes übernimmt: Der Aufbau seines Buches "folgt dem der sprachlichen Prüfung, wie sie bis 1994 gültig war und die 90 Multiple-Choice-Fragen enthielt, unterteilt in fünf Gruppen". Ja, auch das gehört zur bitteren Wahrheit: Bis 1994 und damit vier Jahre über das Ende der Diktatur hinaus hat man diese Prüfungsform beibehalten.
Wir können Zambras gewitzte Formpointe nachvollziehen. Aber können wir auch befreit darüber lachen, wenn wir die Repressalien nicht erfahren haben? Wenn bei uns kein Familienmitglied oder Bekannter mit seinen Zukunftsplänen oder an diesem Test zerschellt ist? Wenn wir im Hinblick auf die Form dieses Romans erst eine Erklärung benötigen? Tatsächlich kommt in den deutschsprachigen Rezensionen regelmäßig der Vorbehalt auf, das Verfahren werde schnell langweilig, es wirke wie ein abgenutztes avantgardistisches Formexperiment in der Nachfolge etwa von Oulipo. Könnte vielleicht mal jemand überprüfen, ob es Unterschiede in der Leserbewertung zwischen Ost- und Westdeutschen gibt? Oder ob die Einschätzung sich verschiebt, wenn man das Buch jenen vorlegt, die am altbekannten Medizinertest gescheitert sind? Interessanterweise wurde Zambras Experiment auch in den Vereinigten Staaten mit weit größerer Begeisterung aufgenommen als in Deutschland. Ob das allein an Zulassungsregulierungen zu den amerikanischen Elite-Hochschulen liegt?
Für die Generation von Alejandro Zambra, der 1975 geboren wurde, sind diese historischen Zusammenhänge durchaus noch prägend. In der Elite-Schule, die Zambra besuchte, war das gesamte Lernen der Schulzeit auf diesen Test hin angelegt. Der Studienbeginn mag noch Jahre voraus gelegen haben, die Lehrer erprobten dennoch immer dasselbe Format der Wissensabfrage. Was auch immer das Thema des Unterrichts gewesen sein mag, am Ende hatte das Wissen die Form dieses Tests anzunehmen: "Man musste nichts schreiben, keine Meinung kundtun, nichts entwickeln, keine einzige Idee. Wir mussten nur das Spiel mitspielen und die Falle erraten." Am Ende konnte derjenige gut bestehen, der am besten in dieser Form denken konnte oder wollte. Oder dessen Denken am besten schon von vornherein diese Form annahm. Und gut schnitt man auch ab, wenn man auf das Lernen verzichtete, und sich stattdessen auf die Kunst des Abschreibens und Spickens verstand. Was für ein desavouierendes Generationenporträt: Die Welt als Multiple-Choice-Aufgabe, ein bisschen Spicken, ein wenig Abschreiben, wer gelernt hat, ist selber schuld. Dafür aber regiert die Solidarität des gemeinschaftlichen Betrugs. Das ist die Geisteshaltung jener Generation von Chilenen, die längst die entscheidenden Posten in Gesellschaft und Wirtschaft avisiert oder erreicht hat. Hat man da noch Fragen zur Zukunft des Landes?
Nur damit nicht die kleinste Überheblichkeit aufkommt: Vergleichbare Fragen sind in unserer Gesellschaft hochgradig virulent. Wie wirkt es sich auf die Beurteilung von Situationen aus, wenn vorgegebene Formate suggerieren, man könnte die Welt mit maximal vier Stichpunkten pro Folie fassen? Oder welche Folgen hat es eigentlich, wenn sich die Personen samt ihrer Kommunikation und vermeintlichen Bedeutung in den sozialen Medien unablässig klassifizieren?
Zambra nimmt diese Frage, wie das Sein einer Testform das Bewusstsein prägt, gewitzt ernst. So nutzt er die ersten 24 Testfragen, um mit Hilfe einer Matrix von Begriffen eine Enzyklopädie des Diktatorischen aufzufächern. Je ein Begriff ist mit fünf ihm untergeordneten Stichworten versehen, von denen einer vermeintlich nicht passt: bei "Beschützen" klappt das mit den Alternativen "beschirmen, bewundern, behüten, bespitzeln, bewachen" sehr gut. Bei dem Stichwort "Sammel-", mit dem man Komposita bilden soll und zwischen den Alternativen "Sammel-Werk, -Lager, -Grab, -Wut, -Surium" wählen darf, versteht man sofort, wie harmlose Wörter in einer Diktatur eine neue Färbung erhalten. In den besten Fällen funktionieren die Aufgaben als beißender Kommentar zur Perfidie des Diktatorischen. Ab und an sind die Aufgaben so strategisch ausgeklügelt wie das Playbook eines Quarterbacks beim American Football. Manchmal aber wirken sie auch so erschreckend trivial wie die Pizzabestellung in einem Restaurant: Die 4 ohne Freiheit und Gnade, bitte. Es ist faszinierend, diesen Parcours zu durchschreiten. Aber man kann auch nicht leugnen, dass sich Alejandro Zambra zugunsten seines Konzepts seiner großen Stärke beraubt.
Zambra ist ein wunderbarer Erzähler, konzise, mit zärtlicher Zuneigung für seine häufig verqueren Figuren und ohne Scheu vor klaren politischen Ansagen. Das hat sich international längst herumgesprochen, weshalb man über die vergangenen Jahre hinweg auch im Deutschen etwa in den Genuss seiner Kürzestromane "Bonsai" und "Das Leben der Bäume" sowie seines Erzählungsbandes "Ferngespräch" kam. In "Multiple Choice" leuchtet Zambras erzählerische Eleganz erst wieder auf, wenn er im letzten Teil des Test drei knappe Geschichten entfaltet. Seine kulturelle Gedächtnisarbeit ist unerlässlich. Aber sie schmälert die Freude nicht, in zukünftigen Bänden wieder auf den Geschichtenerzähler Zambra zu treffen.
CHRISTIAN METZ
Alejandro Zambra: "Multiple Choice".
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 109 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Leben in der Dikatur, erzählt in einer literarischen Spielform, die Wahlmöglichkeit nur suggeriert: Alejandro Zambras "Multiple Choice"
Zu Zeiten der chilenischen Militärdiktatur bestand eine der staatlichen Repressalien darin, die Zulassung zur Universität durch einen Multiple-Choice-Test zu regulieren. Die Fragen dieses Tests hatten ganz nebenbei auch die Funktion, die Grundlagen der diktatorischen Ideologie einzuüben und die dazugehörige Regierungstreue und Unterwürfigkeit zu überprüfen. Ein Staatsbürger-Examen, ob man auch bereit sei, wirklich alle Pinochet-Wendungen mitzumachen. Dieser direkte Eingriff des Regimes in den Bildungsweg seiner Jugend diente schon zu Pinochets Zeiten als unerschöpflicher Fundus für heimliche Witze und subversive Phantasiespiele: Stell dir vor, du hast einen Doppelgänger oder gar Zwilling, der geht in Santiago zur Prüfung und besteht glänzend, während du gleichzeitig in Valparaiso revolutionäre Lyrik verfasst und verbreitest.
Manche Witze zünden nur, wenn man einen gemeinsamen kulturellen Fundus teilt. Und meist ist die Komik schon dahin, wenn man glaubt, eine Pointe erklären zu müssen.
Doch erst vor diesem Hintergrund versteht man den bitteren Ernst jenes Witzes, den der chilenische Autor Alejandro Zambra wagt, wenn er für seinen Roman "Multiple Choice" exakt die Struktur des besagten Eingangstestes übernimmt: Der Aufbau seines Buches "folgt dem der sprachlichen Prüfung, wie sie bis 1994 gültig war und die 90 Multiple-Choice-Fragen enthielt, unterteilt in fünf Gruppen". Ja, auch das gehört zur bitteren Wahrheit: Bis 1994 und damit vier Jahre über das Ende der Diktatur hinaus hat man diese Prüfungsform beibehalten.
Wir können Zambras gewitzte Formpointe nachvollziehen. Aber können wir auch befreit darüber lachen, wenn wir die Repressalien nicht erfahren haben? Wenn bei uns kein Familienmitglied oder Bekannter mit seinen Zukunftsplänen oder an diesem Test zerschellt ist? Wenn wir im Hinblick auf die Form dieses Romans erst eine Erklärung benötigen? Tatsächlich kommt in den deutschsprachigen Rezensionen regelmäßig der Vorbehalt auf, das Verfahren werde schnell langweilig, es wirke wie ein abgenutztes avantgardistisches Formexperiment in der Nachfolge etwa von Oulipo. Könnte vielleicht mal jemand überprüfen, ob es Unterschiede in der Leserbewertung zwischen Ost- und Westdeutschen gibt? Oder ob die Einschätzung sich verschiebt, wenn man das Buch jenen vorlegt, die am altbekannten Medizinertest gescheitert sind? Interessanterweise wurde Zambras Experiment auch in den Vereinigten Staaten mit weit größerer Begeisterung aufgenommen als in Deutschland. Ob das allein an Zulassungsregulierungen zu den amerikanischen Elite-Hochschulen liegt?
Für die Generation von Alejandro Zambra, der 1975 geboren wurde, sind diese historischen Zusammenhänge durchaus noch prägend. In der Elite-Schule, die Zambra besuchte, war das gesamte Lernen der Schulzeit auf diesen Test hin angelegt. Der Studienbeginn mag noch Jahre voraus gelegen haben, die Lehrer erprobten dennoch immer dasselbe Format der Wissensabfrage. Was auch immer das Thema des Unterrichts gewesen sein mag, am Ende hatte das Wissen die Form dieses Tests anzunehmen: "Man musste nichts schreiben, keine Meinung kundtun, nichts entwickeln, keine einzige Idee. Wir mussten nur das Spiel mitspielen und die Falle erraten." Am Ende konnte derjenige gut bestehen, der am besten in dieser Form denken konnte oder wollte. Oder dessen Denken am besten schon von vornherein diese Form annahm. Und gut schnitt man auch ab, wenn man auf das Lernen verzichtete, und sich stattdessen auf die Kunst des Abschreibens und Spickens verstand. Was für ein desavouierendes Generationenporträt: Die Welt als Multiple-Choice-Aufgabe, ein bisschen Spicken, ein wenig Abschreiben, wer gelernt hat, ist selber schuld. Dafür aber regiert die Solidarität des gemeinschaftlichen Betrugs. Das ist die Geisteshaltung jener Generation von Chilenen, die längst die entscheidenden Posten in Gesellschaft und Wirtschaft avisiert oder erreicht hat. Hat man da noch Fragen zur Zukunft des Landes?
Nur damit nicht die kleinste Überheblichkeit aufkommt: Vergleichbare Fragen sind in unserer Gesellschaft hochgradig virulent. Wie wirkt es sich auf die Beurteilung von Situationen aus, wenn vorgegebene Formate suggerieren, man könnte die Welt mit maximal vier Stichpunkten pro Folie fassen? Oder welche Folgen hat es eigentlich, wenn sich die Personen samt ihrer Kommunikation und vermeintlichen Bedeutung in den sozialen Medien unablässig klassifizieren?
Zambra nimmt diese Frage, wie das Sein einer Testform das Bewusstsein prägt, gewitzt ernst. So nutzt er die ersten 24 Testfragen, um mit Hilfe einer Matrix von Begriffen eine Enzyklopädie des Diktatorischen aufzufächern. Je ein Begriff ist mit fünf ihm untergeordneten Stichworten versehen, von denen einer vermeintlich nicht passt: bei "Beschützen" klappt das mit den Alternativen "beschirmen, bewundern, behüten, bespitzeln, bewachen" sehr gut. Bei dem Stichwort "Sammel-", mit dem man Komposita bilden soll und zwischen den Alternativen "Sammel-Werk, -Lager, -Grab, -Wut, -Surium" wählen darf, versteht man sofort, wie harmlose Wörter in einer Diktatur eine neue Färbung erhalten. In den besten Fällen funktionieren die Aufgaben als beißender Kommentar zur Perfidie des Diktatorischen. Ab und an sind die Aufgaben so strategisch ausgeklügelt wie das Playbook eines Quarterbacks beim American Football. Manchmal aber wirken sie auch so erschreckend trivial wie die Pizzabestellung in einem Restaurant: Die 4 ohne Freiheit und Gnade, bitte. Es ist faszinierend, diesen Parcours zu durchschreiten. Aber man kann auch nicht leugnen, dass sich Alejandro Zambra zugunsten seines Konzepts seiner großen Stärke beraubt.
Zambra ist ein wunderbarer Erzähler, konzise, mit zärtlicher Zuneigung für seine häufig verqueren Figuren und ohne Scheu vor klaren politischen Ansagen. Das hat sich international längst herumgesprochen, weshalb man über die vergangenen Jahre hinweg auch im Deutschen etwa in den Genuss seiner Kürzestromane "Bonsai" und "Das Leben der Bäume" sowie seines Erzählungsbandes "Ferngespräch" kam. In "Multiple Choice" leuchtet Zambras erzählerische Eleganz erst wieder auf, wenn er im letzten Teil des Test drei knappe Geschichten entfaltet. Seine kulturelle Gedächtnisarbeit ist unerlässlich. Aber sie schmälert die Freude nicht, in zukünftigen Bänden wieder auf den Geschichtenerzähler Zambra zu treffen.
CHRISTIAN METZ
Alejandro Zambra: "Multiple Choice".
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 109 S., geb., 18,- [Euro].
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