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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Houellebecq'sche Wendung inklusive: Malu Halasa macht in ihrem Roman "Mutter aller Schweine" aus dem Syrien-Konflikt eine böse Groteske
Umm al-Chanasir ist eine Supersau. Auf vier Dutzend Ferkel pro Jahr beläuft sich ihr Nachwuchs, der sich rasch weiter fortpflanzt in die Aberhunderte. Die Schweine-Invasion ist den frommen Muslimen des Ortes ein Dorn im Auge und ein Ärgernis in der Nase. Es leuchtet ein, dass der Beruf des Schweinemetzgers in einem kleinen jordanischen Städtchen im Grenzgebiet zu Syrien mit gewissen Reibungen und Risiken verbunden ist. War es eine gute Idee, dass sich Hussein nach seiner Frühpensionierung als Armeeoffizier entschied, auf solch anrüchige Weise sein Geld zu verdienen?
Dabei kommt er der muslimischen Empfindlichkeit entgegen und verkauft freitags "nichts Unredliches", sondern bloß Ziegen- und Schafsfleisch. Die arabische Jugend hat aber wenig Sinn für solche lebenspraktischen Kompromisse. Gleich zu Beginn wird Hussein in seinem schäbigen Lieferwagen vor einer Moschee von einer wütenden Menge bedrängt. Käme nun auch noch heraus, dass die ihm gelieferten Schachteln mit Ebersperma-Ampullen eine hebräische Aufschrift tragen, dann "würde all seine Arbeit in Rauch und Flammen aufgehen". Hussein seinerseits hat "jedwede religiöse Überzeugung aufgegeben". Seine Lebenserfahrungen - achtzehn Jahre in der Armee, eine schwere Verwundung - haben es ihm "unmöglich gemacht, weiter zu glauben". Stattdessen hat er nun ein Alkoholproblem.
Hussein ist die Hauptfigur des Romans "Mutter aller Schweine", einer unter neun Söhnen und vier Töchtern, die der Patriarch Dschabir Ahmed Saber mit zwei Ehefrauen gezeugt hat. Malu Halasa erzählt von einer Großfamilie, die man zunächst nur dank der vorangestellten Stammbaumskizze überschaut. Es ist eine christliche Familie, obwohl das eigentlich wenig Unterschied macht. Kinderreichtum und althergebrachte patriarchale Strukturen scheinen eher ein Merkmal der Region als der Religion. Die Autorin Malu Halasa wurde in Oklahoma geboren, ihr Vater aber ist Jordanier, ihre Mutter Filipina; heute lebt sie in London. Vieles in ihrem Roman dürfte autobiographische Züge tragen.
Die Situation der Frauen ist ein zentrales Thema im Roman, der verschiedene weibliche Figuren und Haltungen miteinander ins Gespräch bringt. Da ist die ergebene Matriarchin Fadhma, da ist Husseins Frau Laila, die als Lehrerin arbeitet, da ist seine unverheiratete Schwester Samira, die sich heimlich einem "Frauenkomitee" anschließt und Botengänge für syrische Oppositionsgruppen übernimmt. Und da ist seine Nichte Muna, die aus Amerika zu Besuch nach Jordanien kommt. Durch den "Arabischen Frühling" ist sie neugierig auf das Herkunftsland ihrer Eltern geworden. Sie bringt den Verwandten als Gastgeschenk westliche Kleidung mit, die nicht auf der Straße zu tragen ist, weil sie zu viel Haut unbedeckt lässt. Nicht nur daraus ergeben sich hitzige Diskussionen.
Die kurioseste Figur ist Husseins Onkel Abu Satar, Spitzname: Ar-Risch-Aschanah, "der Fledderer". Er ist Herr über das "Schnäppchen-Emporium", einen Kramladen von labyrinthischen Ausmaßen und eine Fundgrube für Elektroschrott und Apparaturen aller Art, von der "synkopischen Türklingel" bis zur "Hotel-Hosenbügelmaschine". Der Händler verkörpert die Spannung zwischen Althergebrachtem und Moderne; sein Emporium ist halb Technikmuseum, halb Arsenal des Fortschritts. Religiöse und nationale Konflikte sind für ihn nur ein "Gezänk". Allerdings versteht er von jedem politischen Umbruch zu profitieren. Abu Satar war es auch, der seinen Neffen auf die Geschäftsidee mit dem Schweinefleisch gebracht hat. Er selbst kann gleich mit Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln für die Schweinezucht dienen. Davon hat er nämlich noch reichliche Bestände im Emporium, weil er vor Jahren fälschlich annahm, dass das Städtchen vor einem Fitness-Boom stünde.
Ehrgeizig thematisiert Malu Halasa in ihrem Roman die vielfältigen Probleme des Nahen Ostens, die sie zuvor als Reporterin und Sachbuchautorin erkundet hat. Bisweilen überfrachtet sie das Erzählen mit ihren Kenntnissen, vor allem in den sehr diskursiv geratenen Dialogen, was aber eine verzeihliche Schwäche ist. Nicht ganz überzeugend auch, wenn einige Abschnitte aus Sicht der mächtigen Sau erzählt werden, die keines ihrer zahllosen Ferkel dem "Wurstmeister" überlassen will. Sie beschließt, die Brut lieber selbst zu verzehren.
Es geht nicht gut aus, nicht für die "Mutter aller Schweine", nicht für Hussein. Es gibt eine geradezu houellebecq'sche Wendung, als Seinab, die Mentorin im Frauenkomitee, ausgerechnet mit den Islamisten eine Allianz eingeht, weil die über Ressourcen, Netzwerke und Waffen verfügen. Alles eine Frage von Macht und Taktik. Gerade deshalb ist Samira fassungslos: "Die stehen gegen alles, woran das Frauenkomitee glaubt - alles, was du mir beigebracht hast." Malu Halasas Roman bietet ein Gesellschaftspanorama, das mit wenig Hoffnung, dafür aber mit klugen Reflexionen und schwarzem Humor aufwarten kann - über eine Welt im Widerstreit zwischen Kotelett und Koran.
WOLFGANG SCHNEIDER
Malu Halasa: "Mutter aller Schweine". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Wolf. Elster & Salis, Zürich 2020. 348 S., geb., 24,- [Euro].
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