Dieter Kühn erzählt das Leben Napoleon Bonapartes von der Geburt bis zur Machtübernahme im Jahr 1799. Doch Kühn schreibt keine einfache Biographie des ehrgeizigen französischen Generals, sondern eine brillante Erzählung, die zugleich ein spannendes Gedankenspiel ist. Kühn hebt die Grenzen zwischen Möglichkeit und Realität auf und schildert Alternativen zum tatsächlichen Leben Napoleons. Hätte Napoleon auch ein Geistlicher werden können oder ein einfacher Landwirt? Hätte er eine andere Rolle bei der Französischen Revolution spielen können? Kühns Buch, in dem sich große Imaginationskraft und ein klarer Blick auf die Geschichte vereinen, ist ein Meisterwerk historischen Erzählens - ein Buch, in dem man weit mehr erfahren kann als in Geschichtsbüchern zu lesen ist.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1995Lehrer in Feuer und Rauch
Axel Kühn erzählt von A. S. Neill / Von Katharina Rutschky
Auf dem Umweg über die Vereinigten Staaten und einen Verlag in München erreichten 1965 die Ideen eines Pädagogen schottischer Herkunft den deutschen Leser. Vier Jahre zu früh, um Gerhard Szczeny den Erfolg zu bescheren, zu dem erst der aufmüpfige Zeitgeist und die Studentenbewegung einer Taschenbuchausgabe aus Reinbek verhalfen. Statt "Erziehung in Summerhill" hieß das Konglomerat aus Neills Büchern nun so schön kopflastig wie vage marxistisch "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung: Das Beispiel Summerhill". Die Verantwortung für dieses Buch trug eigentlich ein amerikanischer Verleger, mit dessen eingreifender Redaktion seines Lebenswerks A. S. Neill sich nur deshalb abfand, weil der pekuniäre Erfolg dem ewigen Außenseiter und pädagogischen Exzentriker den Schneid zum Widerspruch abkaufte. Plötzliche Popularität und zahlreiche öffentliche Ehrungen taten ein übriges, um einen alten Mann, Jahrgang 1883, für den Rest seines Lebens mit dem Dasein als pädagogischer Guru zu versöhnen.
Was einen damals bezauberte, war gewiß Neills Appell, ohne Angst vor dem Kind sich ihm als Pädagoge vertrauensvoll zuzuwenden und nicht nur das Umgekehrte zu verlangen. Heute fällt, mehr als damals, der Stil auf, dessen sich Neill bediente, um seine Pädagogik unter die Leute zu bringen. Er setzte selbstironisch immer um Stufen tiefer an, als wir es auch von bewunderten Progressiven aus der Reformtradition gewohnt waren. Er machte sich selbst und seine umstürzlerischen Ideen klein und faßte sie pragmatisch, bezog sie auf ein einzelnes Kind, seine Eltern und den Schullehrer. Es gab bei ihm keine hochtrabenden Versprechungen auf die Gesellschaft, die Zukunft einer qua Erziehung erlösten Menschheit. Seine dezidierte Einfachheit war originell und inspirierend für alle, die damals Kinderläden gründeten und die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern durchschlagend modernisierten.
Um den Neill vor der Entdeckung des Prinzips Summerhill durch uns kümmerte man sich damals gar nicht. In welchem Maß er der international agierenden Reformpädagogik der Zwischenkriegszeit verbunden war, wußte man sowenig, wie man diese selbst ja auch nicht mehr kannte. In gewohnter Manier, solide und handlich holt nun ein Band in der Reihe von Rowohlts Monographien die Einordnung nach und versorgt uns mit hinreichenden Informationen über Herkunft, Kindheit und einen reichlich ungeordneten Bildungsweg. In Hellerau bei Dresden gründete der im schottischen Forfar geborene unruhige Dorfschullehrer, Journalist und Schriftsteller seine erste eigene Schule, die während des kommunistischen Putsches 1923 schließen mußte. Kafka hatte sie seiner Schwester Elli nachdrücklich, aber vergeblich empfohlen. Eine weitere Schulgründung, diesmal in Österreich, schloß sich an, ehe Neill endgültig in das Vereinigte Königreich zurückging.
Seine ökonomische Existenz war immer prekär; die Angst vor dem Urteil der Schulinspektoren saß ihm fest im Nacken. Der "rauhe, liebenswerte Schotte", als den ihn die "Times" in ihrem Nachruf bezeichnete, litt wohl mehr unter Ängsten und Selbstwertkrisen, als sein öffentlich zur Schau getragener unerschütterlicher Humor ahnen ließ. Was ihm therapeutische Besserungsversuche bei Wilhelm Stekel und später Wilhelm Reich in Oslo gebracht haben, wissen wir nicht.
Wie manche, die in einem rigiden moralischen und asketischen Milieu aufgewachsen waren, schlug sich Neill ostentativ, aber mit bemerkenswert geringem ideologischen Aufwand auf die Seite eines hedonistischen Alltags. Über den Vegetarismus seiner Mitstreiter, welche die pädagogische Reform mit Gesundheit verwechselten, mokierte er sich häufig. Daß der Leiter einer Reformschule für Arbeiterkinder während des Unterrichts rauchte, beeindruckte ihn ebenso wie der Feuereifer der Kinder. Heute steht pädagogische Weltverbesserung im Zeichen von Rauchverbot und Vollwertkost und sentimentaler Kindertümelei. Da kommt diese gründliche Erinnerung an Neill gerade recht.
Axel D. Kühn: "Alexander S. Neill". rororo-monographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995.
158 S., br., 12,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Axel Kühn erzählt von A. S. Neill / Von Katharina Rutschky
Auf dem Umweg über die Vereinigten Staaten und einen Verlag in München erreichten 1965 die Ideen eines Pädagogen schottischer Herkunft den deutschen Leser. Vier Jahre zu früh, um Gerhard Szczeny den Erfolg zu bescheren, zu dem erst der aufmüpfige Zeitgeist und die Studentenbewegung einer Taschenbuchausgabe aus Reinbek verhalfen. Statt "Erziehung in Summerhill" hieß das Konglomerat aus Neills Büchern nun so schön kopflastig wie vage marxistisch "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung: Das Beispiel Summerhill". Die Verantwortung für dieses Buch trug eigentlich ein amerikanischer Verleger, mit dessen eingreifender Redaktion seines Lebenswerks A. S. Neill sich nur deshalb abfand, weil der pekuniäre Erfolg dem ewigen Außenseiter und pädagogischen Exzentriker den Schneid zum Widerspruch abkaufte. Plötzliche Popularität und zahlreiche öffentliche Ehrungen taten ein übriges, um einen alten Mann, Jahrgang 1883, für den Rest seines Lebens mit dem Dasein als pädagogischer Guru zu versöhnen.
Was einen damals bezauberte, war gewiß Neills Appell, ohne Angst vor dem Kind sich ihm als Pädagoge vertrauensvoll zuzuwenden und nicht nur das Umgekehrte zu verlangen. Heute fällt, mehr als damals, der Stil auf, dessen sich Neill bediente, um seine Pädagogik unter die Leute zu bringen. Er setzte selbstironisch immer um Stufen tiefer an, als wir es auch von bewunderten Progressiven aus der Reformtradition gewohnt waren. Er machte sich selbst und seine umstürzlerischen Ideen klein und faßte sie pragmatisch, bezog sie auf ein einzelnes Kind, seine Eltern und den Schullehrer. Es gab bei ihm keine hochtrabenden Versprechungen auf die Gesellschaft, die Zukunft einer qua Erziehung erlösten Menschheit. Seine dezidierte Einfachheit war originell und inspirierend für alle, die damals Kinderläden gründeten und die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern durchschlagend modernisierten.
Um den Neill vor der Entdeckung des Prinzips Summerhill durch uns kümmerte man sich damals gar nicht. In welchem Maß er der international agierenden Reformpädagogik der Zwischenkriegszeit verbunden war, wußte man sowenig, wie man diese selbst ja auch nicht mehr kannte. In gewohnter Manier, solide und handlich holt nun ein Band in der Reihe von Rowohlts Monographien die Einordnung nach und versorgt uns mit hinreichenden Informationen über Herkunft, Kindheit und einen reichlich ungeordneten Bildungsweg. In Hellerau bei Dresden gründete der im schottischen Forfar geborene unruhige Dorfschullehrer, Journalist und Schriftsteller seine erste eigene Schule, die während des kommunistischen Putsches 1923 schließen mußte. Kafka hatte sie seiner Schwester Elli nachdrücklich, aber vergeblich empfohlen. Eine weitere Schulgründung, diesmal in Österreich, schloß sich an, ehe Neill endgültig in das Vereinigte Königreich zurückging.
Seine ökonomische Existenz war immer prekär; die Angst vor dem Urteil der Schulinspektoren saß ihm fest im Nacken. Der "rauhe, liebenswerte Schotte", als den ihn die "Times" in ihrem Nachruf bezeichnete, litt wohl mehr unter Ängsten und Selbstwertkrisen, als sein öffentlich zur Schau getragener unerschütterlicher Humor ahnen ließ. Was ihm therapeutische Besserungsversuche bei Wilhelm Stekel und später Wilhelm Reich in Oslo gebracht haben, wissen wir nicht.
Wie manche, die in einem rigiden moralischen und asketischen Milieu aufgewachsen waren, schlug sich Neill ostentativ, aber mit bemerkenswert geringem ideologischen Aufwand auf die Seite eines hedonistischen Alltags. Über den Vegetarismus seiner Mitstreiter, welche die pädagogische Reform mit Gesundheit verwechselten, mokierte er sich häufig. Daß der Leiter einer Reformschule für Arbeiterkinder während des Unterrichts rauchte, beeindruckte ihn ebenso wie der Feuereifer der Kinder. Heute steht pädagogische Weltverbesserung im Zeichen von Rauchverbot und Vollwertkost und sentimentaler Kindertümelei. Da kommt diese gründliche Erinnerung an Neill gerade recht.
Axel D. Kühn: "Alexander S. Neill". rororo-monographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995.
158 S., br., 12,90 DM.
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