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Safi schleppt sich im Winter zu Fuß über die Balkanroute. Ruhi fliegt von Teheran zunächst nach Italien. Omid will nach Deutschland und landet dann doch in Calais. Melika steckt in Moria fest. Und Olena hat als Ukrainerin beinahe freie Fahrt. Die preisgekrönte Journalistin Isabel Schayani berichtet von fünf verschlungenen Wegen Richtung Deutschland und gewährt uns tiefe Einblicke in das prekäre Leben im Niemandsland zwischen den Grenzen und in den Grauzonen des Asylrechts. im Vordergrund ihres Augen öffnenden Buches steht die große, drängende Frage, wie wir Flucht und Migration menschlicher…mehr

Produktbeschreibung
Safi schleppt sich im Winter zu Fuß über die Balkanroute. Ruhi fliegt von Teheran zunächst nach Italien. Omid will nach Deutschland und landet dann doch in Calais. Melika steckt in Moria fest. Und Olena hat als Ukrainerin beinahe freie Fahrt. Die preisgekrönte Journalistin Isabel Schayani berichtet von fünf verschlungenen Wegen Richtung Deutschland und gewährt uns tiefe Einblicke in das prekäre Leben im Niemandsland zwischen den Grenzen und in den Grauzonen des Asylrechts. im Vordergrund ihres Augen öffnenden Buches steht die große, drängende Frage, wie wir Flucht und Migration menschlicher organisieren können. Viele Fluchtrouten durch den Vorderen Orient und Afrika haben Deutschland zum Ziel. Hier soll es Freiheit geben, Schulunterricht und medizinische Versorgung gratis, und Frauen dürfen Sport treiben: Für Menschen, die um ihr Leben rennen oder vor Verelendung fliehen, ist das ein großes Versprechen. Sie lassen ihr vertrautes Leben meist erstaunlich uninformiert hinter sich, mit Kind und ohne Kreditkarte, im freien Fall in eine bessere Zukunft. Isabel Schayani hat fünf Geflüchtete auf ihren Wegen teils über mehrere Jahre immer wieder getroffen. Sie lässt uns die Schikanen der Schlepper, illegale Reisebüros, Grenzen, Registrierungen, Lager, Anträge und Internierungen aus der Perspektive der Heimatlosen erleben. Im Gespräch mit Verantwortlichen, Experten – und mit den fünf Geflüchteten selbst – sucht sie nach Antworten auf die große Frage: Wie können wir Flucht und Migration menschlicher organisieren?
Autorenporträt
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2023

Das Handy ist
die Heimat
Isabel Schayanis Buch über Menschen auf der Flucht
Die besondere Begabung der Reporterin Isabel Schayani zeigt sich, wenn sie mit Kindern spricht. Das weiß man aus ihren Fernsehreportagen für den WDR. Dort berichtet sie aus den Flüchtlingscamps Europas, oder porträtiert zwei Jungen aus Afghanistan, die auf den Straßen Athens überleben, indem sie Flaschen sammeln. Schayani kann das wirklich, auf Augenhöhe, einfühlsam, ohne es auf Kulleraugen abgesehen zu haben. So ist es nun auch in ihrem Buch „Nach Deutschland“. In Moria erzählt ihr ein Mädchen von der Überfahrt nach Lesbos: „Beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Die Leute in dem Boot waren so dick.“
Es wird „unangenehm lebendig“, schreibt Schayani, „wenn kleine Menschen vor einem sitzen und das Erlebte mit ihren Worten, Händen und Augen versuchen in Worte zu fassen“. Für ihr Buch erzählt sie nun von fünf Menschen, die sie über die Jahre kennengelernt hat, in Moria, Calais, an der bosnisch-kroatischen Grenze, oder der polnisch-ukrainischen. Als Flüchtlingsreporterin, so nennt sie selbst ihre Tätigkeit, für die sie regelmäßig ausgezeichnet wird. Sie wollen nach Deutschland, nehmen dafür sehr viel auf sich und kommen dennoch nicht alle an.
Ihre Geschichten präzisieren, was das bedeutet, 2700 Kilometer mit einem Kleinkind zu Fuß zu gehen, auf der Balkanroute Ländergrenze um Ländergrenze unerkannt passieren zu müssen. Welche Auswirkungen die europäische Flüchtlingspolitik, sterile Worte wie Pushbacks, Erstaufnahmelager, Verteilungsschlüssel auf Menschenleben haben. Was das konkret bewirkt, in Athen drei Jahre nur auf eine erste Anhörung zur Feststellung des Flüchtlingsstatus warten zu sollen, das Leben in Sammelunterkünften. Und das Zurücklassen.
Schayani erzählt keine reinen Elendsgeschichten, der Stoff dafür wäre aber da, etwa bei Safi, dem jungen Afghanen, der aus Iran nach Europa aufbricht. Viel Prägnantes aus dem Leben auf der Flucht spielt sich an Nebensächlichkeiten ab, dem Handy etwa, das wichtiger wird als ein Pass, Kleidung, Geld oder Nahrung. Eine Existenz aus Landkarten, Nummern, Kontakten, Fotos, schreibt Schayani, „das Handy ist die Heimat“.
Den 20-jährigen Safi findet Schayani mit kaputten Füßen in einem Verschlag in Bosnien. Er erzählt, die kroatische Polizei habe sie ihm zerschlagen, als er versuchte, die Grenze zu überqueren – beim Game. Iraner und Afghanen benutzen dieses Wort für das heimliche Bewegen durch Länder, Landstraßen, Grenzwälder. Was es bedeute, das fragte Schayani auch über die sozialen Netzwerke ab – und erhielt Dutzende Antworten. „Wenn Sie es richtig übersetzen wollen, dann ist es das Spiel mit dem Tod. Wie eine Story von James Bond.“ Wer es spielt, hat sonst nicht viel mehr zu verlieren, „der höchste Einsatz, den ein Mensch hat, ist sein Leben“. Auf der Balkanroute „spielt“ man es in acht Ländern, wer nicht weiterkommt, muss wieder von vorne anfangen. Solange man kann, macht man das, erzählen Schayani die Menschen, die sich selbst nicht Flüchtlinge sondern Reisende nennen. Und wenn nicht? „Wenn du verlierst, bist du Game over.“
Das Spiel verlieren viele. Sie erfrieren in den Bergen Irans, sie ertrinken im Mittelmeer oder im Evros, sie verschwinden in Gefängnissen. Noch nicht verloren hat man, wenn man verprügelt und in Unterhosen zurück in den Wald nach Bosnien geschickt wird, wie es an der kroatischen Grenze geschieht. In den Lagern weiß man das, so Schayani: „Überall, wo man aufeinander hockt und alles ungewiss ist, kreisen die Gedanken und Gerüchte“. Safi hält dennoch an seiner Vision vom Paradies in Deutschland fest. „Entweder ich komme an oder ich sterbe.“
Schayani kann sich in ihrer Rolle als deutsche Reporterin den Geschehnissen nie ganz entziehen, wenn sie in Lager eindringt, häufig illegal. Gleichzeitig muss sie die Geschichten der Menschen als Journalistin akribisch hinterfragen, muss die Erlebnisse verifizieren, will sich aber nicht wie das Bamf benehmen. Da werden die Gespräche auch mal genau dann abgebrochen, wenn ein Geflüchteter von einer Vergewaltigung berichtet – von solchen Dingen kann Schayani berichten.
Das oft schwierige Nachfragen lohnt sich natürlich, und es ist Schayanis empathische und professionelle Art, durch die man bereit ist, ihr in notdürftige Unterkünfte zu traumatisierten Kindern und Erwachsenen zu folgen. Und je tiefer man mit ihr eintaucht, in das Chaos in diesen Menschen, in die Politik der EU-Staaten, die sich in Sachen Aufnahmebedingungen in einem düsteren race to the bottom befinden – desto mehr fragt man sich, ob es nicht eigentlich das Verworrene in den Lebenswegen ist, das in Europa oft so viel Angst auslöst. Europa mit seinen geregelten Verhältnissen, wo für die Reisenden alles so herrlich erscheint, wo jedes Foto von einem Rewe oder einer Tankstelle, das ein bereits Angekommener schickt, die größten Hoffnungen auslöst. Safi, der schon fast sein ganzes Leben reist und es eigentlich besser weiß, benutzt einmal die Redewendung: „Az tschahar dar miai, mi afti tschare – Du kommst aus dem einen kleinen Loch und fällst in ein noch tieferes.“
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Schayani erzählt keine
reinen Elendsgeschichten,
der Stoff dafür wäre aber da
Es ist Isabel Schayanis empathische und professionelle Art, durch die man bereit ist, ihr in notdürftige Unterkünfte zu traumatisierten Menschen zu folgen.
Foto: dpa
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"Beschreibt ... detailliert wie schikanös und lebensgefährlich die Fluchtrouten sind."
Deutschlandfunk Kultur, Tobias Jaecker

"Es ist Schayanis empathische und professionelle Art, durch die man bereit ist, ihr in notdürftige Unterkünfte zu traumatisierten Kindern und Erwachsenen zu folgen. Und je tiefer man mit ihr eintaucht,..., desto mehr fragt man sich, ob es nicht eigentlich das Verworrene in den Lebenswegen ist, das in Europa oft so viel Angst auslöst."
Süddeutsche Zeitung, Aurelie von Blazekovic

"Wie Donner und doch ganz vernünftig und still schob sich [das Buch] in die aufgeregte Migrationsdebatte."
Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg

"Sie beschreibt meisterhaft, was so technokratische Worte wie Aufnahmelager, Pushback und Grenzzaun für den einzelnen Menschen bedeuten. ... Empathisch und trotzdem professionell."
Salzburger Nachrichten

"Unaufgeregt, aber sehr empathisch. ... Sehr lesenswert, auch wenn diejenigen, die es lesen sollten das nicht tun werden. Könnte ja das xenophobe Weltbild zerstören."
Historisches Sachbuch, Ernst Reuß

"Leistet etwas extrem Wichtiges in der aufgeheizten Debatte: Sie gibt der anonymen Masse der Migranten ein Gesicht."
Kölner Stadt-Anzeiger, Kerstin Meier

"Im Zentrum aber stehen die Geschichten der Geflüchteten. Sie sind mal lehrreich informativ, mal spannend, mal zum Verzweifeln oder schlicht zum Heulen. Schayanis brillante Mischung aus professionellem Journalismus und grundempathischer Haltung ist ein wichtiger Beitrag zu einer Debatte, in der der menschliche Faktor oft keinen Platz findet ."
Süddeutsche Zeitung, René Wildangel

"Sieht genau hin, spürt Geschichten auf, stellt Figuren in den Mittelpunkt, die sonst keine Stimmen haben."
ARD Sheroes, Jagoda Marini?

"Sich verantwortungsvoll zu entscheiden ist schwer. Aber es wird einem leichter gemacht, wenn eine souveräne, kluge Journalistin, die nicht doziert, die nicht mit erhobenem Zeigefinger und besserwisserisch und Blick von oben uns etwas beibringen will, sondern, die als kluger, respektvoller Mensch in ruhigen Worten erzählt, was sie gesehen und erfahren hat."
Claus Kleber

"Sie vergisst in der Masse nie den einzelnen Menschen."
SWR1 Begegnungen, Christopher Hoffmann

"Klingt wie ein Abenteuerroman an manchen Stellen, natürlich wie ein sehr trauriger und tragischer immer wieder, aber das Buch macht auch Hoffnung."
Bayern 1 Blaue Couch, Dominique Knoll
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Das Handy ist
die Heimat

Isabel Schayanis Buch über Menschen auf der Flucht

Die besondere Begabung der Reporterin Isabel Schayani zeigt sich, wenn sie mit Kindern spricht. Das weiß man aus ihren Fernsehreportagen für den WDR. Dort berichtet sie aus den Flüchtlingscamps Europas, oder porträtiert zwei Jungen aus Afghanistan, die auf den Straßen Athens überleben, indem sie Flaschen sammeln. Schayani kann das wirklich, auf Augenhöhe, einfühlsam, ohne es auf Kulleraugen abgesehen zu haben. So ist es nun auch in ihrem Buch „Nach Deutschland“. In Moria erzählt ihr ein Mädchen von der Überfahrt nach Lesbos: „Beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Die Leute in dem Boot waren so dick.“

Es wird „unangenehm lebendig“, schreibt Schayani, „wenn kleine Menschen vor einem sitzen und das Erlebte mit ihren Worten, Händen und Augen versuchen in Worte zu fassen“. Für ihr Buch erzählt sie nun von fünf Menschen, die sie über die Jahre kennengelernt hat, in Moria, Calais, an der bosnisch-kroatischen Grenze, oder der polnisch-ukrainischen. Als Flüchtlingsreporterin, so nennt sie selbst ihre Tätigkeit, für die sie regelmäßig ausgezeichnet wird. Sie wollen nach Deutschland, nehmen dafür sehr viel auf sich und kommen dennoch nicht alle an.

Ihre Geschichten präzisieren, was das bedeutet, 2700 Kilometer mit einem Kleinkind zu Fuß zu gehen, auf der Balkanroute Ländergrenze um Ländergrenze unerkannt passieren zu müssen. Welche Auswirkungen die europäische Flüchtlingspolitik, sterile Worte wie Pushbacks, Erstaufnahmelager, Verteilungsschlüssel auf Menschenleben haben. Was das konkret bewirkt, in Athen drei Jahre nur auf eine erste Anhörung zur Feststellung des Flüchtlingsstatus warten zu sollen, das Leben in Sammelunterkünften. Und das Zurücklassen.

Schayani erzählt keine reinen Elendsgeschichten, der Stoff dafür wäre aber da, etwa bei Safi, dem jungen Afghanen, der aus Iran nach Europa aufbricht. Viel Prägnantes aus dem Leben auf der Flucht spielt sich an Nebensächlichkeiten ab, dem Handy etwa, das wichtiger wird als ein Pass, Kleidung, Geld oder Nahrung. Eine Existenz aus Landkarten, Nummern, Kontakten, Fotos, schreibt Schayani, „das Handy ist die Heimat“.

Den 20-jährigen Safi findet Schayani mit kaputten Füßen in einem Verschlag in Bosnien. Er erzählt, die kroatische Polizei habe sie ihm zerschlagen, als er versuchte, die Grenze zu überqueren – beim Game. Iraner und Afghanen benutzen dieses Wort für das heimliche Bewegen durch Länder, Landstraßen, Grenzwälder. Was es bedeute, das fragte Schayani auch über die sozialen Netzwerke ab – und erhielt Dutzende Antworten. „Wenn Sie es richtig übersetzen wollen, dann ist es das Spiel mit dem Tod. Wie eine Story von James Bond.“ Wer es spielt, hat sonst nicht viel mehr zu verlieren, „der höchste Einsatz, den ein Mensch hat, ist sein Leben“. Auf der Balkanroute „spielt“ man es in acht Ländern, wer nicht weiterkommt, muss wieder von vorne anfangen. Solange man kann, macht man das, erzählen Schayani die Menschen, die sich selbst nicht Flüchtlinge sondern Reisende nennen. Und wenn nicht? „Wenn du verlierst, bist du Game over.“

Das Spiel verlieren viele. Sie erfrieren in den Bergen Irans, sie ertrinken im Mittelmeer oder im Evros, sie verschwinden in Gefängnissen. Noch nicht verloren hat man, wenn man verprügelt und in Unterhosen zurück in den Wald nach Bosnien geschickt wird, wie es an der kroatischen Grenze geschieht. In den Lagern weiß man das, so Schayani: „Überall, wo man aufeinander hockt und alles ungewiss ist, kreisen die Gedanken und Gerüchte“. Safi hält dennoch an seiner Vision vom Paradies in Deutschland fest. „Entweder ich komme an oder ich sterbe.“

Schayani kann sich in ihrer Rolle als deutsche Reporterin den Geschehnissen nie ganz entziehen, wenn sie in Lager eindringt, häufig illegal. Gleichzeitig muss sie die Geschichten der Menschen als Journalistin akribisch hinterfragen, muss die Erlebnisse verifizieren, will sich aber nicht wie das Bamf benehmen. Da werden die Gespräche auch mal genau dann abgebrochen, wenn ein Geflüchteter von einer Vergewaltigung berichtet – von solchen Dingen kann Schayani berichten.

Das oft schwierige Nachfragen lohnt sich natürlich, und es ist Schayanis empathische und professionelle Art, durch die man bereit ist, ihr in notdürftige Unterkünfte zu traumatisierten Kindern und Erwachsenen zu folgen. Und je tiefer man mit ihr eintaucht, in das Chaos in diesen Menschen, in die Politik der EU-Staaten, die sich in Sachen Aufnahmebedingungen in einem düsteren race to the bottom befinden – desto mehr fragt man sich, ob es nicht eigentlich das Verworrene in den Lebenswegen ist, das in Europa oft so viel Angst auslöst. Europa mit seinen geregelten Verhältnissen, wo für die Reisenden alles so herrlich erscheint, wo jedes Foto von einem Rewe oder einer Tankstelle, das ein bereits Angekommener schickt, die größten Hoffnungen auslöst. Safi, der schon fast sein ganzes Leben reist und es eigentlich besser weiß, benutzt einmal die Redewendung: „Az tschahar dar miai, mi afti tschare – Du kommst aus dem einen kleinen Loch und fällst in ein noch tieferes.“

AURELIE VON BLAZEKOVIC

Schayani erzählt keine
reinen Elendsgeschichten,
der Stoff dafür wäre aber da

Es ist Isabel Schayanis empathische und professionelle Art, durch die man bereit ist, ihr in notdürftige Unterkünfte zu traumatisierten Menschen zu folgen.

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