Was wird das mal über mich sagen
In ihrem zweiten Roman erzählt die Schriftstellerin Kerstin Preiwuß unter dem hintersinnigen Titel «Nach Onkalo» von einer Zäsur im Leben ihres absonderlichen Protagonisten. Hans Matuschek ist ein vierzigjähriges Muttersöhnchen, er lebt noch im «Hotel Mama» und
ist mit sich und seiner kleinen Welt zufrieden. Mit dieser Geschichte typischer Antihelden in einer…mehrWas wird das mal über mich sagen
In ihrem zweiten Roman erzählt die Schriftstellerin Kerstin Preiwuß unter dem hintersinnigen Titel «Nach Onkalo» von einer Zäsur im Leben ihres absonderlichen Protagonisten. Hans Matuschek ist ein vierzigjähriges Muttersöhnchen, er lebt noch im «Hotel Mama» und ist mit sich und seiner kleinen Welt zufrieden. Mit dieser Geschichte typischer Antihelden in einer abgehängten Gegend Ostdeutschlands schreibt die Autorin jedoch keinen Abgesang auf die Lebensuntüchtigen im Abseits, sondern schildert aus gebührender Distanz deren wechselvolles Leben im Prekariat, bei dem zwischen Ohnmacht und Renitenz auch das Glück seinen Platz hat, - das kleine jedenfalls.
Es war sein alter Freund Witt, der Matuschek einst einige Tauben geschenkt hatte, seither ist die Taubenzucht sein Steckenpferd, das er neben seiner Stellung als Wetterbeobachter auf dem regionalen Flughafen liebevoll betreibt. Als die Mutter des Antihelden Matuschek eines Morgens tot im Bett liegt, ist das für den unselbständigen Sohn ein katastrophaler Schicksalsschlag. In seiner Verwirrung läuft er zum Nachbarhaus, in dem ein russisches Ehepaar wohnt, Igor und Galina, er hat nie ein Wort mit ihnen gesprochen bisher. Igor regelt alle Formalitäten für Matuschek, die Beiden werden dicke Freunde und gehen auf Igors Kajütboot zum Angeln, wobei der Wodka immer reichlich fließt. Und Igor sorgt als Kuppler dann auch noch dafür, dass Matuschek Galinas alleinstehende Cousine, die vollbusige Irina kennenlernt. Sie kommen sich tatsächlich näher, werden ein Paar. Damit ist das Glück für ihn vollkommen, er schlägt ihr bald schon vor, zu ihm zu ziehen. Als er Irina einmal überraschend in ihrer Wohnung aufsucht, wo er noch nie war, kommt es zum Eklat, als er dort auf ihren erwachsenen Sohn stößt, der vor dem Dienst in der russischen Armee nach Deutschland zu seiner Mutter geflüchtet ist. Der Sohn macht ihm eine unschöne Szene, spuckt ihn an, die Beziehung zu Irina ist damit endgültig beendet, wieder eine Katastrophe für ihn. Als er dann auch noch seine Stellung verliert, bricht seine Welt endgültig zusammen, er verwahrlost zusehends, kümmert sich auch kaum noch um seine Tauben. Er will nur noch seine Ruhe haben, sitzt am liebsten all seine Probleme einfach aus.
Auch den anderen Figuren des Romans ist kein glückliches Schicksal beschieden, Igor stirbt, als er besoffen am Ufer des Sees ins seichte Wasser fällt und dabei in seinem Vollrausch ertrinkt. Witt ist schwer lungenkrank, flüchtet schließlich aus der Klinik und verkriecht sich zum Sterben in seinen Schutzbunker, wo Matuschek ihn irgendwann tot auffindet, - er benachrichtigt aber niemanden, will ihm seine Ruhe lassen. Zu dem Nachfolger in Igors Haus, einem zwielichtigen Burschen, entwickelt sich eine kumpelhafte, nicht immer harmonische Freundschaft, aber er ist es schließlich, der die Lebensgeister bei Matuscheck wieder weckt.
Jede dieser liebevoll gezeichneten Romanfiguren versucht auf seine Weise, mit dem Leben klar zu kommen in einem randständigen Milieu, das Kerstin Preiwuß einfühlsam und sehr realistisch beschreibt, mit feinem Gespür für das Atmosphärische. Sie weiß mit vielen Details von der Taubenzucht ebenso interessant zu berichten wie vom Angeln oder dem Wetterdienst, beschreibt aber genau so stimmig den trostlosen Alltag in diesem abgelegenen Teil Ostdeutschlands. Dabei benutzt sie eine angemessene Sprache, die leicht lesbar ihre Handlung voranbringt und den Leser mitzieht. Der glaubt nach fast der Hälfte des Romans, dass Glück also doch möglich ist, allen Widrigkeiten zum Trotz, - bis das Zerwürfnis mit Irina dem Plot eine ganz andere Richtung gibt. Das titelgebende Atommüll-Endlager in Finnland erinnert Matuschek mit seiner auf 100.000 Jahre angelegten Nutzungsdauer an die Ewigkeit. «Was wird das mal über mich sagen, wenn ich da irgendwo meinen Namen einritze» sinniert er, inzwischen Baggerführer beim Abriss eines Kernkraftwerks, beim Blick auf den Atomschrott.