In Nenad Veličkovićs Roman „Nachtgäste“ tritt die Erzählerin Maja, eine fiktive achtzehnjährige Protagonistin, im Stil eines Tagebuchs mit den Lesern in direkten Dialog. Als angehende Autorin schreibt sie während des Bosnienkrieges über ihr Erleben, während sie sich mit ihrer Familie und anderen
Schutzsuchenden im Untergeschoss eines Museums versteckt. Dabei gelingt es ihr auf bemerkenswerte…mehrIn Nenad Veličkovićs Roman „Nachtgäste“ tritt die Erzählerin Maja, eine fiktive achtzehnjährige Protagonistin, im Stil eines Tagebuchs mit den Lesern in direkten Dialog. Als angehende Autorin schreibt sie während des Bosnienkrieges über ihr Erleben, während sie sich mit ihrer Familie und anderen Schutzsuchenden im Untergeschoss eines Museums versteckt. Dabei gelingt es ihr auf bemerkenswerte Weise, sowohl die Schrecken des Kriegs als auch die zwischenmenschlichen Dynamiken in ihrem Versteck aufzugreifen. Nach 30 Jahren seit seiner Entstehung ist der Roman noch immer von Relevanz.
Schon in ihrer direkten Ansprache schätzt Maja ihre Leserschaft gut ein: Sie geht davon aus, dass viele europäische Leser kaum Berührungspunkte mit dem Krieg in Sarajevo hatten. Diese Annahme ist zutreffend, denn trotz der zeitgeschichtlichen Nähe wird der Bosnienkrieg selten in der europäischen Gegenwartsliteratur thematisiert. Hier setzt Veličkovićs Roman an: Er bietet nicht nur einen Zugang für Interessierte, sondern auch für weniger kundige Leser, die durch Majas Perspektive an die Hand genommen werden. Die Erzählung im Tagebuchformat ermöglicht eine intime Sicht auf die Ereignisse, die von einer jugendlichen Offenheit und Ehrlichkeit geprägt ist.
Maja schildert ihr Leben während des Kriegs aus der Isolation eines Kellers heraus. Während draußen Granaten explodieren, hält sie in ihrem Tagebuch die Geschehnisse fest – eine berührende Mischung aus Poesie und schonungsloser Klarheit. Doch „Nachtgäste“ ist nicht nur ein Roman über Krieg; er handelt ebenso von den Eigenheiten der Menschen, mit denen Maja ihr Schicksal teilt. Das menschliche Miteinander, die Konflikte und skurrilen Eigenarten der Schutzsuchenden, verleiht dem Roman eine unerwartete Leichtigkeit, die mit dem ernsten Hintergrund des Krieges kontrastiert.
Die Frische und Leichtigkeit der Erzählung verdankt sich vor allem Majas Perspektive. Ihr Blick auf die Dinge wirkt oft kindlich und naiv, ohne dabei unreflektiert zu sein. Trotz der grausamen Realität um sie herum bewahrt sie eine optimistische Grundhaltung. Das Schreiben ist für Maja mehr als ein Mittel zur Dokumentation – es ist ihre Lebenslinie. Durch das Tagebuch strukturiert sie ihre Gedanken, ordnet ihre Gefühle und verleiht ihrem Leben in der Isolation einen Sinn.
Bemerkenswert ist, wie Maja in ihrem Tagebuch mit den Erwachsenen umgeht. Sie beschreibt diese mit einer Unverblümtheit, die nur eine Jugendliche in ihrer Lage aufbringen kann. Dadurch wird die Dynamik innerhalb des Verstecks noch intensiver greifbar. Der Roman lebt von dieser subjektiven Sichtweise: Alles wird aus Majas eingeschränktem Blickwinkel erzählt. Politische Verwicklungen oder die Beweggründe der helfenden Staaten werden nur gestreift und aus Majas Perspektive interpretiert. Diese Begrenzung ist keine Schwäche, sondern eine der Stärken des Romans. Sie macht die Gedankenwelt einer jungen Frau in einer Ausnahmesituation zutiefst nachvollziehbar und authentisch.
Die Sprache des Romans ist ebenso bemerkenswert. Sie ist einfach, direkt und bleibt stets der Protagonistin verbunden. Veličković verzichtet bewusst auf intellektuelle Phrasen oder komplizierte Strukturen. Stattdessen ist die Sprache ungeschliffen und ehrlich – angepasst an Majas jugendliches Wesen. Hier sei auch die Übersetzerin Barbara Antkowiak gelobt, die Majas Stimme auf gelungene Weise ins Deutsche überträgt. Ihre Arbeit bringt die Authentizität und den Stil des Originals hervorragend zur Geltung.
„Nachtgäste“ ist kein Roman, der den Anspruch erhebt, den Bosnienkrieg umfassend zu erklären. Er konzentriert sich auf ein Einzelschicksal und zeigt den Alltag einer jungen Frau, die zwischen Angst und Hoffnung pendelt. Der Fokus liegt auf dem individuellen Erleben und dem Versuch, dem Leben trotz widrigster Umstände Bedeutung zu verleihen.