Eine literarische Reise durch die dunkle Seele der Romantik – Von Lüsten, Wahn und anderen Zwängen. *Die Visionen der Romantik haben die europäische Kultur der vermeintlich aufgeklärten Moderne geprägt – so viel epochaler Anfang war nie. Ob in der Philosophie, der Literatur oder der Kunst, die Romantik war eine wunderbare Neuaneignung unseres Welt- und Selbstverständnisses. *Zu ihrer Konsequenz geführt aber wird die romantische Idee erst in der Schwarzen Romantik – erst diese leuchtet die Abgründe der Seele, das uns Fremde, die andere Seite der Vernunft aus und lässt die Utopie vom besseren Menschen brüchig aussehen.* Die Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel unternimmt essayistische »Nachtmeerfahrten«, literarisch-anthologische Erkundungen der schillernden schwarzromantischen Bilder- und Symbolsprache.*Nachtmeerfahrten beleuchtet die dunklen, die anderen Seiten berühmter Autoren – die wir neu entdecken, neu lesen lernen: Tieck, Heine oder Hoffmann und Hauff, Gautier, Byron, Shelley und Stoker, Maupassant, Stevenson, Poe und Meyrink, Huysmans oder Kubin – die Liste ist lang und Nachtmeerfahrten geleiten uns in eine Welt der Geister und Schatten, die gerahmt und illustriert wird von Werken der bildenden Kunst.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2013Seelenfinsternis und böse Meister
Simone Stölzel unternimmt "Nachtmeerfahrten" rund ums dunkle Kap der romantischen Literatur
Die Facetten der "Schwarzen Romantik" konnte man sich unlängst im Frankfurter Städel vor Augen führen. Eine Vorliebe für nächtliche Atmosphäre, unheimliche Gestalten und rätselhafte Vieldeutigkeit kennzeichnete die ausgestellten Bilder, die mit dem Ende der Stilepoche Romantik im engeren Sinne auch nicht aufhörten - von Goya bis Max Ernst erstreckte sich das aufgezeigte Panorama. Etwas Ähnliches unternimmt Simone Stölzel in ihrem Buch mit dem schönen Titel "Nachtmeerfahrten" für den Bereich der Literatur. "Die dunkle Seite der Romantik" soll anhand von einschlägigen Texten, die weit über die literarische Romantik im engeren Sinne hinausgreifen, erkundet und vermessen werden.
Das zugrundeliegende Strukturprinzip ist ein motivgeschichtliches. Bei den "Seelenfinsternissen" beginnt die Fahrt und führt über die "Gespensterliebe", die "Bösen Meister" und die "Innenansichten des Wahnsinns" zum finalen "Weltenbrand". Auch wenn die Kapitelüberschriften teilweise etwas plakativ gesetzt sind und nicht jede Textzuordnung überzeugt - bei den "Bösen Meistern" etwa erwartet man sich zuallererst etwas zum Genre des Geheimbundromans -, trägt die Gesamttektonik durchaus. Innerhalb der Kapitel werden einzelne Werke detailliert vorgestellt und eher referiert denn interpretiert, so dass das Buch teilweise Züge eines Lesebuches hat, was durch die farbige Markierung längerer Zitate noch unterstrichen wird. Dagegen ist wenig zu sagen.
Dennoch ist der Anspruch des Buches ein anderer. Gegen die klassische Studie "Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik" von Mario Praz wird wiederholt kräftig gewettert und dem Autor unter anderem vorgeworfen, "offenbar ohne Zögern alle möglichen Texte, die im Grunde weder romantisch noch in irgendeiner Weise romantisierend zu nennen sind", unter seine Vorstellung von den romantischen Nachtseiten subsumiert zu haben. Und was macht Simone Stölzel? Genau besehen, nichts anderes. Texte von Mary Shelley, E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe stehen gleichberechtigt neben solchen von Turgenjew, Stevenson oder Bram Stoker, und auch im zwanzigsten Jahrhundert geht es munter weiter. Was aber ist "romantisch" an Alfred Kubins phantastischem Roman "Die andere Seite"? Rein motivgeschichtlich ist es natürlich durchaus legitim, weite Bögen zu spannen, aber zwischen Vorläufern, romantischer Motiv(er)findung und der nahezu unendlichen und selbstverständlich nicht abgeschlossenen Rezeptionsgeschichte sollte man schon unterscheiden.
Letztlich bleibt der Romantikbegriff von Simone Stölzel seltsam blass und diffus und manche Wertung eigenwillig. Ist die schwarze Romantik wirklich ein "Stiefkind der Literaturbetrachtung"? Ist sie nicht im Gegenteil bis zum Überdruss ausgeschlachtet und trivialisiert worden, so dass es dringend nottäte, Urbild und Abbild zu trennen und Ersteres wieder zum Strahlen zu bringen? Die Ansätze sind ja durchaus vorhanden, doch gehen sie im Meer des Gelesenen und Gesehenen unter, das bis hin zu diversen Vampirverfilmungen scheinbar filterlos Einzug ins Buch findet. Die historischen und diskursiven Kontexte hingegen, die die Zuwendung zu den Nachtseiten der Natur erst ermöglichten, bleiben weitgehend auf der Strecke.
THOMAS MEISSNER
Simone Stölzel: "Nachtmeerfahrten". Die dunkle Seite der Romantik.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 375 S., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Simone Stölzel unternimmt "Nachtmeerfahrten" rund ums dunkle Kap der romantischen Literatur
Die Facetten der "Schwarzen Romantik" konnte man sich unlängst im Frankfurter Städel vor Augen führen. Eine Vorliebe für nächtliche Atmosphäre, unheimliche Gestalten und rätselhafte Vieldeutigkeit kennzeichnete die ausgestellten Bilder, die mit dem Ende der Stilepoche Romantik im engeren Sinne auch nicht aufhörten - von Goya bis Max Ernst erstreckte sich das aufgezeigte Panorama. Etwas Ähnliches unternimmt Simone Stölzel in ihrem Buch mit dem schönen Titel "Nachtmeerfahrten" für den Bereich der Literatur. "Die dunkle Seite der Romantik" soll anhand von einschlägigen Texten, die weit über die literarische Romantik im engeren Sinne hinausgreifen, erkundet und vermessen werden.
Das zugrundeliegende Strukturprinzip ist ein motivgeschichtliches. Bei den "Seelenfinsternissen" beginnt die Fahrt und führt über die "Gespensterliebe", die "Bösen Meister" und die "Innenansichten des Wahnsinns" zum finalen "Weltenbrand". Auch wenn die Kapitelüberschriften teilweise etwas plakativ gesetzt sind und nicht jede Textzuordnung überzeugt - bei den "Bösen Meistern" etwa erwartet man sich zuallererst etwas zum Genre des Geheimbundromans -, trägt die Gesamttektonik durchaus. Innerhalb der Kapitel werden einzelne Werke detailliert vorgestellt und eher referiert denn interpretiert, so dass das Buch teilweise Züge eines Lesebuches hat, was durch die farbige Markierung längerer Zitate noch unterstrichen wird. Dagegen ist wenig zu sagen.
Dennoch ist der Anspruch des Buches ein anderer. Gegen die klassische Studie "Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik" von Mario Praz wird wiederholt kräftig gewettert und dem Autor unter anderem vorgeworfen, "offenbar ohne Zögern alle möglichen Texte, die im Grunde weder romantisch noch in irgendeiner Weise romantisierend zu nennen sind", unter seine Vorstellung von den romantischen Nachtseiten subsumiert zu haben. Und was macht Simone Stölzel? Genau besehen, nichts anderes. Texte von Mary Shelley, E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe stehen gleichberechtigt neben solchen von Turgenjew, Stevenson oder Bram Stoker, und auch im zwanzigsten Jahrhundert geht es munter weiter. Was aber ist "romantisch" an Alfred Kubins phantastischem Roman "Die andere Seite"? Rein motivgeschichtlich ist es natürlich durchaus legitim, weite Bögen zu spannen, aber zwischen Vorläufern, romantischer Motiv(er)findung und der nahezu unendlichen und selbstverständlich nicht abgeschlossenen Rezeptionsgeschichte sollte man schon unterscheiden.
Letztlich bleibt der Romantikbegriff von Simone Stölzel seltsam blass und diffus und manche Wertung eigenwillig. Ist die schwarze Romantik wirklich ein "Stiefkind der Literaturbetrachtung"? Ist sie nicht im Gegenteil bis zum Überdruss ausgeschlachtet und trivialisiert worden, so dass es dringend nottäte, Urbild und Abbild zu trennen und Ersteres wieder zum Strahlen zu bringen? Die Ansätze sind ja durchaus vorhanden, doch gehen sie im Meer des Gelesenen und Gesehenen unter, das bis hin zu diversen Vampirverfilmungen scheinbar filterlos Einzug ins Buch findet. Die historischen und diskursiven Kontexte hingegen, die die Zuwendung zu den Nachtseiten der Natur erst ermöglichten, bleiben weitgehend auf der Strecke.
THOMAS MEISSNER
Simone Stölzel: "Nachtmeerfahrten". Die dunkle Seite der Romantik.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 375 S., geb., 36,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Thomas Meissner findet Simone Stölzels Anliegen in "Nachtmeerfahrten" eigentlich ziemlich löblich. Die Autorin möchte den dunklen Motiven der Romantik auf die Spur kommen, den Seelenfinsternissen, Gespenstern, dem Wahnsinn und dem Weltenbrand, berichtet er. Stölzel bezieht sich dabei auf viele Werke der klassischen Romantik, die sie eher referiert als interpretiert, erklärt der Rezensent, den die Form gelegentlich an ein Lesebuch erinnert hat. Gerade weil die Autorin aber gegen eine ähnliche Studie von Mario Praz wettert und ihm vorwirft, seine Textauswahl umfasse Werke, die weder romantisch noch romantisierend seien, findet Meissner es problematisch, dass auch sie sich regelmäßig verrennt und alles Mögliche romantisch nennt. Ihr Romantik-Begriff ist nicht weniger "blass und diffus" als der von Praz, meint der Rezensent. Sollte sich noch einmal jemand dieser Aufgabe stellen, Meissner wünschte sich eine klarere Unterscheidung von "Urbild und Abbild".
© Perlentaucher Medien GmbH
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