Der 3. Oktober 2013 hat die jüngere europäische Geschichte verändert. Und das Leben von Cristina Cattaneo. An jenem Tag sank ein hoffnungslos überfülltes Boot mit über fünfhundert Menschen an Bord vor der Küste Lampedusas. Cattaneo, Forensikerin aus Mailand, die normalerweise bei der Aufklärung von Kriminalfällen behilflich ist, hat sich seitdem der Identifizierung der Opfer verschrieben. Kurz zuvor war ihr Vater verstorben, und sie, die sich jahrzehntelang beruflich mit dem Tod beschäftigt hatte, spürte plötzlich am eigenen Leib, wie sich der Verlust eines geliebten Menschen anfühlt. Sie konnte ihren Vater bestatten – doch die Angehörigen derer, die im Mittelmeer ertranken, können das nicht. Ihre Söhne, Mütter, Geschwister starben ohne Namen. Cattaneo wurde klar: Eine Gesellschaft wird nicht nur daran gemessen, wie sie sich um die Lebenden kümmert. Sondern auch um die Toten. Seit jenem Tag analysiert sie in ihrem Labor DNA, begutachtet verwaschene Dokumente, Knochensplitter, Zahnbürsten, Kinderzeichnungen. Ein Name allein mache aus einer bloßen Statistik bereits einen Menschen, sagt sie, es sei das einzige Mittel gegen die Gleichgültigkeit. Ihr Buch ist die aufrüttelnde Schilderung eines hartnäckigen, unerschrockenen Einsatzes für die Menschenwürde.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Sonja Ernst liest das Buch der italienischen Rechtsmedizinerin Cristina Cattaneo mit Beklemmung. Die Schilderung der Flüchtlingskatastrophen vor Lampedusa und der Versuch der forensischen Identifizierung von Hunderten von Toten ist für Ernst bewegend, aber auch spannend. Die handwerklichen Herausforderungen von Cattaneos Arbeit werden dabei laut Ernst ebenso deutlich wie der politische Kontext und die Kritik der Autorin an der Migrationspolitik EU. Aber auch die Missstände in den Herkunftsländern kommen laut Rezensentin in den Blick in diesem "lesenswerten" Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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