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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wechseljahre: Mit Sabine Peters im "Narrengarten"
Der Umschlag zeigt das turbulente Treiben des Jahrmarkts: wilde und zahme Karussells, Schieß- und Spielbuden und deutlich lesbar das Schild einer Bratwurstbude. Und wer sich auf Personenidentifikation versteht, wird darauf auch den Mann mit der Schiffermütze sehen, Hand in Hand mit dem guten Bürger mit Hut, Schlips und Kragen. Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.
"Narrengarten" hat Sabine Peters ihr Buch genannt und es als "Roman" deklariert, was insofern eine etwas eigenwillige Bezeichnung ist, als dass hier nicht eine im Großen und Ganzen ineinander verwobene Geschichte erzählt, sondern eher ein Fotoalbum in sechsundzwanzig Episoden aufgeblättert wird. "Dom" heißt dieses Spielfeld des Volksvergnügens in Hamburg. Und die Gäste sind Piet und Mareike, Paul, Sonja, Andrea, Bernd, Hermine mit dem roten Haar sowie Christa und Klaus. Auch eine Frau Ahab ist dabei aus morgenländischer Ferne und ebenso Nazim, Insa oder Nadine, und nicht zuletzt dann wieder Frau Müller aus Flottbek sowie Heiko, der "Doktor jur. aal. glatt", was mit Fisch von der Nordsee indes nichts zu tun hat. Die Männer sind bereits auf dem Weg in den zweiten Frühling, die Frauen in die Wechseljahre. "Sie steigen in eine der Gondeln, schweben langsam in die Höhe. Unter ihnen die grellen Buden, das Bismarck-Denkmal, die Elbe mit den falschen Mississippi-Dampfern. Weiter Blick über die Stadt. Heller Himmel, alles ganz klar, kein Schwindel." Und natürlich gehört die Hamburger Kunsthalle dazu ebenso wie die Baustelle der Elbphilharmonie.
Seinem Wesen nach ist das alles ein Patchwork-Porträt einer Stadt, das Sabine Peters angelegt hat, mit mehr als fünfzig Personen, zu denen dann noch ein paar literarische Orientierungsgestalten treten. Wenn Vera fragt: "War es nicht Hölderlin mit dem heilignüchternen Wasser?" erhält sie von Judith zur Antwort: "Der hat bestimmt nicht an Chlor gedacht." Denn was für junge Frauen heutzutage zählt, ist bei Peters der Swimmingpool. Dennoch werden da und dort künstlerische Markierungen gesetzt. Bei Almut dreht zum Beispiel Maurice Ravel in seinem Bolero "endlos Kreise", was er ja eigentlich gerade nicht tut, sondern seine Kreise raffiniert zum absoluten Ende steigert. Amateurmusiker Florian wiederum versucht, Bachsche Musik rückwärts zu pfeifen, bis ihm Frau Bauer solcherlei streng verweist: "Bist du närrisch?"
Der Narrengarten des Buches bekommt so nach und nach seine Bewohner. Aber auch Fragen versuchen, ein eigenes Maß für die Hamburger Musikszene herzustellen: "Woran denken die Leute, die hier ein Konzert absitzen? An ihre feuchte Wäsche, die im Knitterschutz-Modus in der Maschine wartet und die sie nachher noch aufhängen müssen." Der Alltag als Störer des Schönen? Was stört, ist offenbar wirklich Alltag, sind die "Mühen der Ebenen". So jedenfalls lautet der Titel des drittletzten Kapitels von Sabine Peters' Buch, womöglich eine Anspielung auf Erich Loests Roman "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" aus dem Jahr 1977.
Das zweitletzte Kapitel trägt dann speziell noch einmal die thematische Überschrift "Narrengarten". Dort wird vom Leben des Doktor Friedo erzählt, der sich um die Seelenkranken sorgt, dessen größte Sorge es aber ist, dass die Patienten nicht sein Wissen und seine Sorge zu brauchen scheinen, sondern lieber Psychopharmaka schlucken. Bis dann das letzte Kapitel "Wohlan denn, Herz" mit diesem Ausruf zum versöhnlichen Ausklang beiträgt. Denn darin ist die Rede von Regine, die in die Welt hinauszieht, jene junge Frau, von der ihre Mutter denkt und sagt: "Meine Tochter ist nicht friedfertig. Sie ist kritisch, ehrgeizig und tüchtig. Deutscher als deutsch." Und deshalb treibt es sie hinaus in die Welt, um sich unter den Menschen anderer Länder zu bewähren. Als Legitimation wählt Sabine Peters aus ihrer Perspektive dann jedoch zusätzlich noch Hermann Hesse: "Es muss das Herz bereit sein für den Neubeginn." Und das versucht sie dann auszubalancieren mit dem letzten Satz ihres Buches: "Aber Regine kommt doch erst." Was freilich, wie dieses ganze Kaleidoskop an Charakteren und Begebenheiten des norddeutschen Lebens, mehr Fragen öffnet, als sie beantwortet.
GERHARD SCHULZ
Sabine Peters: "Narrengarten". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
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