Der große schwedische Denker N. Söderblom (1866–1931) war ein Pionier der vergleichenden Religionswissenschaft, Religionsphilosoph und Theologe, bedeutender schwedischer Erzbischof und Mitbegründer der ökumenischen Bewegung. Seine größten wissenschaftlichen Leistungen sind die Entdeckung des Heiligen als Grundbegriff der Religion und eine neue Interpretation der schriftlosen Religionen. Der Höhepunkt seiner ökumenischen Tätigkeit war die Konferenz in Stockholm 1925.Seine Theorie der Ökumene – Einheit in Mannigfaltigkeit, friedlicher Wettbewerb und praktische Zusammenarbeit gleichberechtigter, in Lehre und Organisation selbstständig bleibender Kirchengemeinschaften – ist bis heute aktuell. Für seine Bemühungen um den Weltfrieden wurde er 1930 mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet. Ein großer Teil seines vielseitigen literarischen Werkes ist nur auf Schwedisch zugänglich und deshalb in Deutschland unbekannt. Die bisherige Literatur hat wichtige Aspekte seines Denkens analysiert.Dietz Lange stellt Söderbloms Denken und Wirken erstmals im Ganzen dar und stützt sich dabei nicht nur auf die Druckschriften, sondern auch auf den umfangreichen Nachlass, vor allem Briefe oder Tagebücher. Das Lebenswerk wird dabei in den biographischen Zusammenhang hineingestellt, in die wissenschaftliche Diskussionslage und allgemeine geistige Situation der Zeit eingeordnet und auf die sozialen, politischen und kirchlichen Verhältnisse der damaligen Welt bezogen. Auf diese Weise soll nicht nur ein Eindruck von Söderbloms weitem internationalen Horizont, sondern auch ein lebendiges Bild der Epoche, in der er gelebt hat, vermittelt werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.09.2011Den Weltlauf zum Guten wenden
Er propagierte eine „evangelische Katholizität“: Leben und Zeit des Friedensnobelpreisträgers und frommen Optimisten Nathan Söderblom
Am 20. Mai 1914 bestimmte König Gustaf V. den lutherischen Theologen Nathan Söderblom zum Erzbischof von Schweden. Die feierliche Amtseinführung fand am 8. November im Dom zu Uppsala statt. Söderblom war die Entscheidung nach Leipzig mitgeteilt worden, wo er seit dem Herbst 1912 einen Lehrstuhl für Religionsgeschichte innehatte. Unmittelbar konnte dort der zuvor in Uppsala Lehrende den Abweg Deutschlands in den Weltkrieg verfolgen. Erschrocken musste der deutschfreundliche Söderblom erkennen, dass militaristische und nationalistische Strömungen sich in den Vordergrund drängten. Zunehmend nahm er es als illusionäres Wunschdenken wahr, deutsche Wissenschaft und Kultur allein als gesellschaftsgestaltende Elemente anzusehen.
Selbst wer sich auf Johann Sebastian Bach fixierte, dessen Musik Söderblom als das „fünfte Evangelium“ pries, konnte die zunehmend bedrohlichen Realitätssignale nicht ausblenden. Schweden behielt im weltweiten Kampf seine Neutralität bei, und auch der Erzbischof versuchte auszugleichen. Mit aller Kraft machte er die Verkündigung christlicher Friedensbotschaft so sehr zu seinem Markenzeichen, dass ihm 1930, ein Jahr vor seinem Tod, der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Seine Botschaft war unmissverständlich: Ohne Verständigung unter den Konfessionen und Religionen ist ein einträchtiges Zusammenleben nicht möglich.
Söderblom propagierte eine „evangelische Katholizität“. Als Handlungsreisender in Sachen Kircheneinheit legte er diese auch einer römisch-katholisch geprägten Hörerschaft nahe, als er im Mai 1923 an der Münchner Universität Gastvorlesungen hielt. Ein Zusammenschluss von Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus sei möglich, wenn jede Richtung die ihr vertrauten Formen, den Glauben zu artikulieren, also Gottesdienst und Verfassungen, beibehalten könne. Im Konzept einer „unity in variety“ wäre es Aufgabe evangelischer Theologie, bloß zeitliche Satzungen und Ordnungen zu identifizieren, um so das Ewige, tatsächlich Heilsrelevante abzuheben. Protestantische Frömmigkeit stelle die persönliche Gottesbeziehung über den Anspruch der Institution Kirche. Nur ein allumfassender demokratischer Dialog habe Zukunft. In einem zu bildenden Ökumenischen Rat der Kirchen sah Söderblom das entscheidende Forum. Erst 1948 sollte dieses Gremium dann gegründet werden, aber auf dem Weg dorthin bestimmte der schwedische Erzbischof maßgebliche Stationen. So hielt er 1925 – allerdings ohne die erhoffte Beteiligung von Papst Pius XI. – in Stockholm die „Weltkonferenz für Praktisches Christentum“ ab, auf der gerade auch deutsche Theologen und Kirchenvertreter aus ihrer Isolation befreit wurden. Die versöhnende, soziale Kraft des Christentums sollte unter Beweis gestellt werden. Söderblom war sich sicher: Die Dynamik der Liebe Gottes, die auf die Menschen übergeht, und die Fortschreibung der Offenbarung in internationaler Rechtsordnung können den katastrophischen Weltverlauf zum Guten wenden. Dieser fromme Optimismus war tief in der religiösen Grundhaltung des Theologen verankert.
Söderblom entstammte einem vom Erweckungschristentum geprägten, ländlichen Pfarrhaushalt. Religiöser Ernst und Arbeitseifer beeinflussten die Persönlichkeitsentwicklung des oft kränkelnden Nathan. Er galt als empathiefähig und extrovertiert. Während seines Theologiestudiums forderten ihn nicht nur die Methoden historisch-kritischer Exegese heraus, die lieb gewordene Überzeugungen relativierten, sondern gerade auch das irritierende Bewusstsein eigener Sündhaftigkeit: Es geriet zu einer harten Anfechtung, aus der sich Söderblom nur mühsam emporkämpfte.
Leitthema seiner Theologie, in die viele Anregungen von Søren Kierkegaard, Julius Wellhausen und Adolf Harnack eingingen, wurde die Religionswissenschaft. Noch vor Rudolf Otto, dessen klassische Schrift „Das Heilige“ 1917 erschien, fand Söderblom in genau diesem Begriff den zentralen hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der Religionen. Alle Religionen beziehen sich auf das Heilige und partizipieren insofern an umfassender Wahrheit. Keiner einzigen von ihnen kann es jedoch gelingen, mit dem Wahren eins zu werden. Wahrheit liege bleibend außerhalb, im Geheimnis des Unbedingten selbst, und sei nur als absolute Verpflichtung zu vernehmen.
Der Göttinger Emeritus für Systematische Theologie Dietz Lange präsentiert in seiner konzentrierten Werkbiographie eben den Verpflichtungscharakter, von dem Nathan Söderblom getrieben war. Lange zeigt auf, wie sehr der Erzbischof zeitlebens auf der Suche war nach der Offenbarung des göttlichen Willens in der gelebten Wirklichkeit des Einzelnen. Söderblom faszinierte das immerwährende Streben, das eigene, so begrenzte Handeln als Teil der göttlichen Ewigkeit zu erfassen – und sei es nur in einem einzelnen geglückten Augenblick. ALF CHRISTOPHERSEN
DIETZ LANGE: Nathan Söderblom und seine Zeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 480 Seiten, 49,95 Euro.
Nathan Söderblom (1866 - 1931). Foto: SZ Photo/Scherl
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Er propagierte eine „evangelische Katholizität“: Leben und Zeit des Friedensnobelpreisträgers und frommen Optimisten Nathan Söderblom
Am 20. Mai 1914 bestimmte König Gustaf V. den lutherischen Theologen Nathan Söderblom zum Erzbischof von Schweden. Die feierliche Amtseinführung fand am 8. November im Dom zu Uppsala statt. Söderblom war die Entscheidung nach Leipzig mitgeteilt worden, wo er seit dem Herbst 1912 einen Lehrstuhl für Religionsgeschichte innehatte. Unmittelbar konnte dort der zuvor in Uppsala Lehrende den Abweg Deutschlands in den Weltkrieg verfolgen. Erschrocken musste der deutschfreundliche Söderblom erkennen, dass militaristische und nationalistische Strömungen sich in den Vordergrund drängten. Zunehmend nahm er es als illusionäres Wunschdenken wahr, deutsche Wissenschaft und Kultur allein als gesellschaftsgestaltende Elemente anzusehen.
Selbst wer sich auf Johann Sebastian Bach fixierte, dessen Musik Söderblom als das „fünfte Evangelium“ pries, konnte die zunehmend bedrohlichen Realitätssignale nicht ausblenden. Schweden behielt im weltweiten Kampf seine Neutralität bei, und auch der Erzbischof versuchte auszugleichen. Mit aller Kraft machte er die Verkündigung christlicher Friedensbotschaft so sehr zu seinem Markenzeichen, dass ihm 1930, ein Jahr vor seinem Tod, der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Seine Botschaft war unmissverständlich: Ohne Verständigung unter den Konfessionen und Religionen ist ein einträchtiges Zusammenleben nicht möglich.
Söderblom propagierte eine „evangelische Katholizität“. Als Handlungsreisender in Sachen Kircheneinheit legte er diese auch einer römisch-katholisch geprägten Hörerschaft nahe, als er im Mai 1923 an der Münchner Universität Gastvorlesungen hielt. Ein Zusammenschluss von Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus sei möglich, wenn jede Richtung die ihr vertrauten Formen, den Glauben zu artikulieren, also Gottesdienst und Verfassungen, beibehalten könne. Im Konzept einer „unity in variety“ wäre es Aufgabe evangelischer Theologie, bloß zeitliche Satzungen und Ordnungen zu identifizieren, um so das Ewige, tatsächlich Heilsrelevante abzuheben. Protestantische Frömmigkeit stelle die persönliche Gottesbeziehung über den Anspruch der Institution Kirche. Nur ein allumfassender demokratischer Dialog habe Zukunft. In einem zu bildenden Ökumenischen Rat der Kirchen sah Söderblom das entscheidende Forum. Erst 1948 sollte dieses Gremium dann gegründet werden, aber auf dem Weg dorthin bestimmte der schwedische Erzbischof maßgebliche Stationen. So hielt er 1925 – allerdings ohne die erhoffte Beteiligung von Papst Pius XI. – in Stockholm die „Weltkonferenz für Praktisches Christentum“ ab, auf der gerade auch deutsche Theologen und Kirchenvertreter aus ihrer Isolation befreit wurden. Die versöhnende, soziale Kraft des Christentums sollte unter Beweis gestellt werden. Söderblom war sich sicher: Die Dynamik der Liebe Gottes, die auf die Menschen übergeht, und die Fortschreibung der Offenbarung in internationaler Rechtsordnung können den katastrophischen Weltverlauf zum Guten wenden. Dieser fromme Optimismus war tief in der religiösen Grundhaltung des Theologen verankert.
Söderblom entstammte einem vom Erweckungschristentum geprägten, ländlichen Pfarrhaushalt. Religiöser Ernst und Arbeitseifer beeinflussten die Persönlichkeitsentwicklung des oft kränkelnden Nathan. Er galt als empathiefähig und extrovertiert. Während seines Theologiestudiums forderten ihn nicht nur die Methoden historisch-kritischer Exegese heraus, die lieb gewordene Überzeugungen relativierten, sondern gerade auch das irritierende Bewusstsein eigener Sündhaftigkeit: Es geriet zu einer harten Anfechtung, aus der sich Söderblom nur mühsam emporkämpfte.
Leitthema seiner Theologie, in die viele Anregungen von Søren Kierkegaard, Julius Wellhausen und Adolf Harnack eingingen, wurde die Religionswissenschaft. Noch vor Rudolf Otto, dessen klassische Schrift „Das Heilige“ 1917 erschien, fand Söderblom in genau diesem Begriff den zentralen hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der Religionen. Alle Religionen beziehen sich auf das Heilige und partizipieren insofern an umfassender Wahrheit. Keiner einzigen von ihnen kann es jedoch gelingen, mit dem Wahren eins zu werden. Wahrheit liege bleibend außerhalb, im Geheimnis des Unbedingten selbst, und sei nur als absolute Verpflichtung zu vernehmen.
Der Göttinger Emeritus für Systematische Theologie Dietz Lange präsentiert in seiner konzentrierten Werkbiographie eben den Verpflichtungscharakter, von dem Nathan Söderblom getrieben war. Lange zeigt auf, wie sehr der Erzbischof zeitlebens auf der Suche war nach der Offenbarung des göttlichen Willens in der gelebten Wirklichkeit des Einzelnen. Söderblom faszinierte das immerwährende Streben, das eigene, so begrenzte Handeln als Teil der göttlichen Ewigkeit zu erfassen – und sei es nur in einem einzelnen geglückten Augenblick. ALF CHRISTOPHERSEN
DIETZ LANGE: Nathan Söderblom und seine Zeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 480 Seiten, 49,95 Euro.
Nathan Söderblom (1866 - 1931). Foto: SZ Photo/Scherl
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alf Christophersen hat Dietz Langes Biografie des schwedischen Erzbischofs Nathan Söderblom offensichtlich zugesagt. Der emeritierte Göttinger Theologe stellt in seinen Augen insbesondere den "Verpflichtungscharakter", der Söderblom maßgeblich antrieb, mit seiner dichten Werkbiografie überzeugend dar. Genauso werde deutlich, wie sehr der Friedensnobelpreisträger Söderblom, der sich für die Einigung der christlichen Kirchen einsetzte und, wie der Rezensent es schreibt, von einem "frommen Optimismus" beseelt war, das Handeln des Einzelnen als "Teil der göttlichen Ewigkeit" zu erfassen suchte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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