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Natürlichkeit ist in der Alltagsmoral weiterhin ein ausgesprochen positiv beladener Begriff. Eine gewichtige Rolle spielt er überall da, wo naturwüchsige Abläufe durch den technischen Fortschritt menschlicher Steuerung zugänglich werden, etwa in der Reproduktionsmedizin, der Genetik und der modernen Landwirtschaft. Das Buch fragt nach Gründen und Motiven zur Privilegierung des (relativ) Natürlichen gegenüber dem (relativ) Künstlichen und geht dessen ideengeschichtlichen Wurzeln nach.
Pluspunkte:
Autor bekanntester Philosoph für das Thema, Thematik hoch aktuell, hervorragend und einführend geschrieben.
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Produktbeschreibung


Natürlichkeit ist in der Alltagsmoral weiterhin ein ausgesprochen positiv beladener Begriff. Eine gewichtige Rolle spielt er überall da, wo naturwüchsige Abläufe durch den technischen Fortschritt menschlicher Steuerung zugänglich werden, etwa in der Reproduktionsmedizin, der Genetik und der modernen Landwirtschaft. Das Buch fragt nach Gründen und Motiven zur Privilegierung des (relativ) Natürlichen gegenüber dem (relativ) Künstlichen und geht dessen ideengeschichtlichen Wurzeln nach.

Pluspunkte:

  • Autor bekanntester Philosoph für das Thema,
  • Thematik hoch aktuell,
  • hervorragend und einführend geschrieben.

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Autorenporträt


Dieter Birnbacher, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2007

Wie natürlich ist das Natürliche?
Körpertechnologie: Dieter Birnbacher scheitert am Autonomie-Ideal der säkularen Gesellschaft

Zu den Lieblingsträumen der Aufklärer gehörte der Glaube an die menschliche perfectibilité. Der alte Mensch war etwas, das überwunden werden sollte, der Mensch der Zukunft sollte das Produkt bewusster Selbstgestaltung sein. Im Verlauf der Aufklärung durchlief dieser Gedanke einen doppelten Radikalisierungsprozess. Zum einen wandelte sich die Selbstvervollkommnung von einem Recht zu einer Pflicht des Menschen, und zum anderen umfasste sie nun neben der intellektuellen und moralischen Existenz des Menschen auch dessen physisches Substrat.

Während die älteren Aufklärer sich noch mit der verbessernden Wirkung von Bildung und Erziehung begnügten, propagierte John Stuart Mill die Idee einer bewussten Gestaltung der menschlichen Fortpflanzung in Form einer gezielten Geburtenkontrolle. In den Worten des Düsseldorfer Philosophen Dieter Birnbacher sind für diesen aufklärerischen Traditionsstrang "die Gegebenheiten der Naturseite des Menschen - wie die Gegebenheiten der äußeren Natur - primär ein challenge, eine Herausforderung". Das Vorbild dieser Betrachtungsweise stellte pikanterweise der Absolutismus dar, dessen Überwindung in politicis die Aufklärer auf ihre Fahnen geschrieben hatten.

Wer klonend sich bemüht

So wie dort die gleichförmig gemachten Untertanen lediglich als Material der souveränen Zwecksetzungen des Herrschers fungierten, so war die Natur, auch die Natur des Menschen selbst, "dafür da, mithilfe menschlicher Ingenuität und Energie kultiviert, überboten und nach eigenen, autonom gesetzten Zielen gestaltet zu werden". Zu dieser Ingenieurwissenschaft vom Menschen bekennt sich auch Dieter Birnbacher.

Der "säkulare Humanist", als der Birnbacher sich versteht, werde "jeden Versuch willkommen heißen, die Bedingtheiten und Abhängigkeiten des Menschen von der äußeren, aber auch von seiner inneren Natur abzumildern und seine Autonomie zu stärken - nicht nur durch Bildung und Erziehung, sondern auch durch die Weiterentwicklung von Technik und Medizin". Im "alltagsmoralischen Denken" sei zwar bis heute die Überzeugung verbreitet, dem Unterschied zwischen der Natürlichkeit und der Künstlichkeit eines Vorgangs komme ethische Relevanz dergestalt zu, dass in natürliche Geschehensabläufe nicht unbegrenzt eingegriffen werden dürfe.

Wer so denkt, steht nach Birnbachers Urteil indessen noch im Bann "voraufklärerischer Traditionen", namentlich des Platonismus und des Christentums. Natürlichkeit sei zwar ein emotional ansprechendes Ideal. "Es in den Rang eines Allgemeingültigkeit beanspruchenden moralischen Prinzips zu erheben, erscheint jedoch ebenso verfehlt wie der Versuch, seine Befolgung nicht nur durch moralische, sondern auch durch strafrechtliche Normen zu erzwingen."

Die Konsequenzen seiner Position erläutert Birnbacher zum einen anhand des Falls der Geschlechtswahl. Technisch ist heute eine weitgehend sichere Geschlechtswahl möglich, und zwar ohne dass ungeborenes Leben vernichtet werden muss. Dennoch ist hierzulande die Geschlechtswahl fast ausnahmslos verboten. Aber, so fragt Birnbacher, weshalb soll die naturgegebene Zufälligkeit der Geschlechterverteilung schützenswert sein, zumal doch die Störung der Naturordnung "für den Menschen das Natürlichste überhaupt" sei?

Das Gleiche gilt Birnbacher zufolge für das reproduktive Klonen. Von einer Menschenwürdeverletzung, wie die herrschende Meinung sie annimmt, könne hier nicht die Rede sein. Ein Recht des Embryos auf natürliche Entstehung könne es bereits aus logischen Gründen nicht geben, da zum Zeitpunkt des Klonvorgangs noch kein Subjekt existiere, das Träger eines solchen Rechts sein könnte. Der Widerstand gegen das Klonen wurzele letztlich in einer diffusen gesellschaftlichen Angst vor dem Neuen, einem Unbehagen darüber, dass "eine prometheische Technologie eine weitere von der Natur gezogene Grenze überschreitet". Daraus könne ein aufgeklärter Zeitgenosse indessen nur die Lehre ziehen, "im Sinne eines Gefühlsschutzes Innovationen nicht zu übertreiben und die Anpassungsfähigkeit des Menschen nicht zu überfordern". Unbehagen sei hingegen "kein akzeptables Argument gegen die Innovation als solche".

Der Versuch Birnbachers, die Kritiker des biopolitischen Innovationsfurors als ein Häuflein Ewiggestriger hinzustellen, die, vom Tempo der Modernisierung überfordert, ihre Zuflucht in einem Natürlichkeits-Biedermeier suchen, zeugt von einer bemerkenswerten Verständnislosigkeit gegenüber deren eigentlichem Anliegen. Auch der Gegner von Geschlechtswahl und reproduktivem Klonen weiß selbstverständlich, dass die Tatsache der Natürlichkeit eines Vorgangs für sich genommen normativ bedeutungslos ist.

Birnbacher selbst nimmt seine Kontrahenten vor dem Vorwurf eines primitiven Sein-Sollens-Fehlschlusses in Schutz. Für den ethischen Naturalisten sei der Naturalismus in der Regel "keine logisch-semantische, sondern eine axiologische bzw. normative Position, der zufolge die Tatsache, dass ein Wesen oder ein Vorgang ,natürlich' ist, zu seinem Wert bzw. zu seiner Erhaltungswürdigkeit beiträgt - nicht aus Gründen der Logik oder Semantik, sondern aufgrund einer normativen Setzung". So kann, wie etwa Robert Spaemann gezeigt hat, von Menschenrechten überhaupt nur dann die Rede sein, wenn ihre Innehabung nicht erst von den Vernünftigkeitskriterien anderer Menschen abhängt, sondern sich bereits aus der schlichten Teilhabe ihres Trägers an der menschlichen Natur ergibt. Und so gehört es zu den Grundnormen gerade einer säkularen, auf die Kraft des besseren Arguments vertrauenden Gesellschaft, dass die gezielte Einflussnahme auf die Identität anderer Personen im Prinzip nur auf geistigem Weg erfolgen darf. Aus Respekt vor der Autonomie des Betroffenen soll diesem die Chance erhalten bleiben, sich kraft besserer eigener Einsicht von den Prägungen seiner Herkunftswelt zu emanzipieren.

Wo Entwürdigung beginnt

Mit diesem Autonomieverständnis, nicht einem treuherzig-romantischen Natürlichkeitspostulat, steht die Bestimmungsmacht in Konflikt, die der Befürworter von Geschlechtswahl und reproduktivem Klonen für sich reklamiert. Wie ist es möglich, dass einem im Übrigen so scharfsinnigen Autor wie Birnbacher die normative Relevanz des Natürlichen in derart eklatanter Weise entgeht?

Der Grund liegt darin, dass Birnbacher nicht über die philosophischen Kategorien verfügt, derer es bedarf, um die Idee personal verkörperter Würde angemessen zu erfassen. Der zuletzt von Spaemann erneuerte klassische Gedanke der Selbsttranszendenz des Seienden - die Einsicht, dass das Seiende einen Sinn hat, den es gerade in seinem Selbstsein darstellt und den es zu achten gilt - ist Birnbacher gänzlich fremd. Der säkulare Humanist aus Düsseldorf kennt nichts anderes als das unvermittelte Nebeneinander eines von seiner eigenen Naturbasis abgelösten, inhaltlich leer laufenden Willens zur Selbststeigerung auf der einen und einer bedeutungs- und rechtlosen Natur auf der anderen Seite.

In dieser Perspektive schnurren Würdeverletzungen auf Interessenbeeinträchtigungen zusammen, und der Gedanke, dass bestimmte Weisen der Erzeugung interessenfähiger Subjekte bereits als solche entwürdigend sein können, erscheint geradezu abwegig. Metaphysikfrei ist eine solche Sichtweise indessen keineswegs. Im Gegenteil: Sie entpuppt sich als eine besonders krude und unplausible Variante des alten cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa. Eine schlechte Metaphysik aber bringt schlechte Ergebnisse hervor. Anschauungsmaterial dafür liefert Birnbachers Buch.

MICHAEL PAWLIK

Dieter Birnbacher: "Natürlichkeit". Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York 2006. 205 S., br., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Schon der erste Band über die "Klugheit" von Andreas Luckner demonstrierte die leitende Idee der "Grundthemen Philosophie": Ein solider Überblick über das Problemfeld soll zu einem pointierten Beitrag zur aktuellen Debatte werden. [...] In Dieter Birnbachers jüngstem Beitrag über die "Natürlichkeit" wird das Konzept verschärft, da mit diesem Buch die "Natürlichkeit" als echtes Grundthema erst etabliert wird."
Oliver Müller in: Berliner Zeitung 01/2007

"Mit dem Begriff der Natürlichkeit wird sowohl in der professionellen Ethik als auch im öffentlichen Diskurs allzuoft Schindluder getrieben: Da alles Natürliche als 'gut' gilt, eignet es sich hervorragend als Rechtfertigungsstrategie. Solche argumentativen Verwirrungen diskutiert Birnbacher systematisch und sorgfältig, so dass der Leser gegen rhetorische Tricks, die der Ummantelung ganz anderer Interessen dienen, gewappnet ist."
Klaus Erlach in: Der blaue Reiter 2007

"Birnbacher hat mit seiner Analyse einen wichtigen Schritt auf einem Weg gemacht, den in gesellschaftskritischer Hinsicht zu verfolgen notwendig und lohnenswert ist."
Reinhard Meiners in: Widerspruch 2007

"Ein absolut zu empfehlendes und sehr gut lesbares, wissenschaftliches Buch."
Jens Fleischhauer in: www.roterdorn.de

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik betrachtet Dieter Birnbachers Überlegungen zu Körpertechnologie und Biopolitik überaus kritisch. Zwar bescheinigt er dem Philosophen einigen Scharfsinn, aber einer Meinung mit ihm ist er deshalb noch lange nicht. Birnbachers Befürwortung von reproduktiven Klonen und freier Geschlechtswahl kann er nicht teilen. Insbesondere weist er den Versuch des Autors zurück, Kritiker des biopolitischen Innovationswahns als ein "Häuflein Ewiggestriger" hinzustellen, "die, vom Tempo der Modernisierung überfordert, ihre Zuflucht in einem Natürlichkeits-Biedermeier suchen". Er moniert bei Birnbacher die Ignoranz gegenüber denjenigen philosophischen Kategorien, die zum adäquaten Verständnis der Idee personal verkörperter Würde nötig sind. Zudem hält er ihm vor, letztlich eine besonders platte Version des alten cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa zu verfolgen und somit "schlechte Metaphysik" zu betreiben.

© Perlentaucher Medien GmbH