Wie der Wald zur Wildnis wurde "Wilde Natur" wächst heute wie selbstverständlich in 16 deutschen Nationalparken. Der 1970 gegründete Nationalpark Bayerischer Wald war dafür die Basis. Der erste Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, Dr. Hans Bibelriether, schildert in spannenden Geschichten, wie es zu seiner Zeit in den ersten 30 Jahren des Nationalparks dazu kam, dass sich "Wildnis" in deutschen Wäldern entwickeln konnte, wie nicht nur "Kulturerbe", sondern auch "Naturerbe" heute hierzulande schutzwürdig geworden ist. Ohne die richtigen Persönlichkeiten zur rechten Zeit, Minister, Abgeordnete, Bürgermeister, Professoren, Journalisten, Biologen und Forstleute wäre es nicht zum heutigen wilden Naturwald im Bayerischen Wald gekommen. Der Bayerische Wald ohne Nationalpark – nicht mehr vorstellbar.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2017Kraftprobe
Nationalpark
Hans Bibelriether setzt sich durch
gegen Förster und Politiker
Ein Nationalpark macht viel Ärger – vor, während und nach seiner Errichtung. Beim (versprochenen) dritten Nationalpark in Bayern erleben wir jetzt die Phase vor der Gründung. Wo soll er entstehen, im Steigerwald, im Spessart, in der Rhön oder in einem Auwald an der Donau? Das ist offen. Aber wie es nach einer Entscheidung weitergehen könnte, kann man erahnen beim Lesen des Erinnerungsbuches von Hans Bibelriether „Natur Natur sein lassen“. Dort berichtet der Gründungsdirektor des Nationalparks Bayerischer Wald, welche Widerstände es gegen solche Neuerungen gibt. Denn „Natur Natur sein lassen“ widerstrebt einem Urtrieb des Menschen nach Ordnung und Sauberkeit – jedenfalls nach menschlichen Maßstäben.
Bibelriether schildert, wie sich die Freunde eines Naturparks Bayerischer Wald fanden: Hubert Weinzierl, der spätere Vorsitzende des BUND (Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland);Bernhard Grzimek, der mit einem possierlichen Tierchen im Fernsehstudio Unterhaltung bot; Horst Stern, dessen radikalökologischer Fernsehfilm „Bemerkungen über den Rothirsch“ am Heiligen Abend 1971 die selige Bambi-Stimmung störte; der spätere Landtagspräsident Alois Glück (CSU); die Landräte von Grafenau, Wolfstein und Wegscheid, der Bund Naturschutz in Bayern und Gemeinden, die an den künftigen Nationalpark angrenzen würden. Man gründete einen Zweckverband.
Die Politik kam unter Druck. Im Frühjahr 1969 wurde Hans Eisenmann Landwirtschaftsminister, ein strikter Befürworter des Projekts und ein Glücksfall für den Wald in Bayern. Am 11. Juni 1969 beschloss der Bayerische Landtag einstimmig die Einrichtung des Nationalparks. Am 2. Oktober wurde Bibelriether auf Vorschlag von Eisenmann zum Leiter ernannt, sein Studiengenosse Georg Sperber (später prominenter Reformförster im Forstamt Ebrach im Steigerwald) zum Stellvertreter.
Das alles gefiel den Beamten der Staatsforstverwaltung, der Oberforstdirektion Regensburg und den Revierförstern im Gebiet der 13 000 Hektar Nationalpark überhaupt nicht. (Vor allem die Jäger unter ihnen sahen sich möglicher Trophäen beraubt.) Diese Forstleute der alten Schule machten es den beiden frisch promovierten unerfahrenen jungen Förstern recht schwer. Bibelriether erzählt, wie ihn bei seiner Einführung der Regierungsdirektor ansprach: „Herr Doktor Bibelriether, da tun wir jetzt mal drei Jahre so als ob, dann erledigt sich das von selber.“
Weitere Gegner meldeten sich mit Zweifeln am Konzept und mit Verleumdungen: Der Bayerische Forstverein, der Bayerische Jagdschutzverband, der Verein Naturschutzparke e. V. Es folgten jahrelange Kämpfe um Holzmengen, die im Nationalpark gegen den Grundsatz „Keine wirtschaftsbestimmte Nutzung“ geschlagen wurden. Viel zu viele Hirsche und Rehe fraßen junge Pflanzen und schälten Bäume. Sie mussten gegen den Widerstand des Landesjagdverbandes auf „unwaidmännische“, aber wirksame Art in Wintergattern getötet werden. Als 1972 ein Sturm tausende Fichten umwarf, blieben diese in drei Revieren nicht als Totholz liegen, sondern wurden verkauft; die Förster wollten wohl zeigen, dass sie allein das Sagen hätten.
So vergingen die siebziger Jahre, bis 1983 der Borkenkäfer auf der Szene erschien. In einem Jahrzehnt mit besonders warmen Sommertemperaturen brachte er die Bäume auf großen Flächen um. Das Konzept „Natur Natur sein lassen“ stand angesichts des trostlosen Bildes der toten Stümpfe vor dem Ende. Vom Kurdirektor bis zum Waldarbeiter forderten die Leute, es möge wenigstens zur Rettung des übrigen Waldes, zumal der angrenzenden Privatwälder, gespritzt werden. Doch Bibelriether, als „Totengräber des Bayerischen Waldes“ mit Mord bedroht, hielt durch: Kein Gift im Nationalpark! Und bald konnte er auf die Naturverjüngung mit Baumarten hinweisen, die es vorher in der Fichtenmonostruktur nicht gegeben hatte. Auch der Fremdenverkehr litt nicht. In der Gemeinde Neuschönau stiegen die Übernachtungszahlen von 20 000 im Jahr auf 160 000.
1995 bis 1997 stand dann die Vergrößerung des Nationalparks an. Eine „Bürgerbewegung Nationalpark-Betroffener“ bildete sich, unterstützt von vielen lokalen Sektionen des Bayerischen Waldvereins und Vertretern wirtschaftlicher Interessen. Wieder wurde behauptet, die Existenzgrundlage der Bevölkerung werde zerstört, das Trinkwasser vergiftet. Biebelriether wurde wieder beschimpft und bedroht.
Er hat das alles aus seinem Tagebuch, aus Zeitungsberichten, amtlichen Schriften oder Propagandamaterial mit ausführlichen Zitaten dokumentiert. Entstanden ist das Gemälde vieler Interessen an der „Ressource Wald“.
CHRISTIAN SCHÜTZE
Hans Bibelriether: Natur Natur sein lassen. Die Entstehung des ersten Nationalparks Deutschlands. Der Nationalpark Bayerischer Wald. Edition Lichtland, Freyung 2017. 280 Seiten, 19,80 Euro. E-Book 9,90 Euro.
„Herr Doktor Bibelriether, da tun
wir jetzt mal drei Jahre so als ob,
dann erledigt sich das von selber.“
Bibelriether, als „Totengräber des
Bayerischen Waldes“ mit Mord
bedroht, hielt durch: Kein Gift!
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Nationalpark
Hans Bibelriether setzt sich durch
gegen Förster und Politiker
Ein Nationalpark macht viel Ärger – vor, während und nach seiner Errichtung. Beim (versprochenen) dritten Nationalpark in Bayern erleben wir jetzt die Phase vor der Gründung. Wo soll er entstehen, im Steigerwald, im Spessart, in der Rhön oder in einem Auwald an der Donau? Das ist offen. Aber wie es nach einer Entscheidung weitergehen könnte, kann man erahnen beim Lesen des Erinnerungsbuches von Hans Bibelriether „Natur Natur sein lassen“. Dort berichtet der Gründungsdirektor des Nationalparks Bayerischer Wald, welche Widerstände es gegen solche Neuerungen gibt. Denn „Natur Natur sein lassen“ widerstrebt einem Urtrieb des Menschen nach Ordnung und Sauberkeit – jedenfalls nach menschlichen Maßstäben.
Bibelriether schildert, wie sich die Freunde eines Naturparks Bayerischer Wald fanden: Hubert Weinzierl, der spätere Vorsitzende des BUND (Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland);Bernhard Grzimek, der mit einem possierlichen Tierchen im Fernsehstudio Unterhaltung bot; Horst Stern, dessen radikalökologischer Fernsehfilm „Bemerkungen über den Rothirsch“ am Heiligen Abend 1971 die selige Bambi-Stimmung störte; der spätere Landtagspräsident Alois Glück (CSU); die Landräte von Grafenau, Wolfstein und Wegscheid, der Bund Naturschutz in Bayern und Gemeinden, die an den künftigen Nationalpark angrenzen würden. Man gründete einen Zweckverband.
Die Politik kam unter Druck. Im Frühjahr 1969 wurde Hans Eisenmann Landwirtschaftsminister, ein strikter Befürworter des Projekts und ein Glücksfall für den Wald in Bayern. Am 11. Juni 1969 beschloss der Bayerische Landtag einstimmig die Einrichtung des Nationalparks. Am 2. Oktober wurde Bibelriether auf Vorschlag von Eisenmann zum Leiter ernannt, sein Studiengenosse Georg Sperber (später prominenter Reformförster im Forstamt Ebrach im Steigerwald) zum Stellvertreter.
Das alles gefiel den Beamten der Staatsforstverwaltung, der Oberforstdirektion Regensburg und den Revierförstern im Gebiet der 13 000 Hektar Nationalpark überhaupt nicht. (Vor allem die Jäger unter ihnen sahen sich möglicher Trophäen beraubt.) Diese Forstleute der alten Schule machten es den beiden frisch promovierten unerfahrenen jungen Förstern recht schwer. Bibelriether erzählt, wie ihn bei seiner Einführung der Regierungsdirektor ansprach: „Herr Doktor Bibelriether, da tun wir jetzt mal drei Jahre so als ob, dann erledigt sich das von selber.“
Weitere Gegner meldeten sich mit Zweifeln am Konzept und mit Verleumdungen: Der Bayerische Forstverein, der Bayerische Jagdschutzverband, der Verein Naturschutzparke e. V. Es folgten jahrelange Kämpfe um Holzmengen, die im Nationalpark gegen den Grundsatz „Keine wirtschaftsbestimmte Nutzung“ geschlagen wurden. Viel zu viele Hirsche und Rehe fraßen junge Pflanzen und schälten Bäume. Sie mussten gegen den Widerstand des Landesjagdverbandes auf „unwaidmännische“, aber wirksame Art in Wintergattern getötet werden. Als 1972 ein Sturm tausende Fichten umwarf, blieben diese in drei Revieren nicht als Totholz liegen, sondern wurden verkauft; die Förster wollten wohl zeigen, dass sie allein das Sagen hätten.
So vergingen die siebziger Jahre, bis 1983 der Borkenkäfer auf der Szene erschien. In einem Jahrzehnt mit besonders warmen Sommertemperaturen brachte er die Bäume auf großen Flächen um. Das Konzept „Natur Natur sein lassen“ stand angesichts des trostlosen Bildes der toten Stümpfe vor dem Ende. Vom Kurdirektor bis zum Waldarbeiter forderten die Leute, es möge wenigstens zur Rettung des übrigen Waldes, zumal der angrenzenden Privatwälder, gespritzt werden. Doch Bibelriether, als „Totengräber des Bayerischen Waldes“ mit Mord bedroht, hielt durch: Kein Gift im Nationalpark! Und bald konnte er auf die Naturverjüngung mit Baumarten hinweisen, die es vorher in der Fichtenmonostruktur nicht gegeben hatte. Auch der Fremdenverkehr litt nicht. In der Gemeinde Neuschönau stiegen die Übernachtungszahlen von 20 000 im Jahr auf 160 000.
1995 bis 1997 stand dann die Vergrößerung des Nationalparks an. Eine „Bürgerbewegung Nationalpark-Betroffener“ bildete sich, unterstützt von vielen lokalen Sektionen des Bayerischen Waldvereins und Vertretern wirtschaftlicher Interessen. Wieder wurde behauptet, die Existenzgrundlage der Bevölkerung werde zerstört, das Trinkwasser vergiftet. Biebelriether wurde wieder beschimpft und bedroht.
Er hat das alles aus seinem Tagebuch, aus Zeitungsberichten, amtlichen Schriften oder Propagandamaterial mit ausführlichen Zitaten dokumentiert. Entstanden ist das Gemälde vieler Interessen an der „Ressource Wald“.
CHRISTIAN SCHÜTZE
Hans Bibelriether: Natur Natur sein lassen. Die Entstehung des ersten Nationalparks Deutschlands. Der Nationalpark Bayerischer Wald. Edition Lichtland, Freyung 2017. 280 Seiten, 19,80 Euro. E-Book 9,90 Euro.
„Herr Doktor Bibelriether, da tun
wir jetzt mal drei Jahre so als ob,
dann erledigt sich das von selber.“
Bibelriether, als „Totengräber des
Bayerischen Waldes“ mit Mord
bedroht, hielt durch: Kein Gift!
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