Das erste Buch über die organisierte Kriminalität der mächtigsten Mafia Europas
Momentan steht sie im Rampenlicht, obwohl sie lieber im Dunkeln arbeitet: Der bisher größte Prozess gegen die 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia Europas, läuft seit Januar 2021 und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Denn: Die 'Ndrangheta ist schon lange kein rein italienisches Problem mehr, sondern betrifft ganz Europa. Und damit unser aller Leben. Von der Lebensmittelproduktion bis zur Müllentsorgung – die 'Ndrangheta hat ihre Finger im Spiel. Mit unglaublichem Mut und Durchblick gelingt es der Journalistin Sanne de Boer, das System hinter dieser äußerst raffiniert agierenden Mafia zu durchdringen, die besonders von Krisenzeiten wie der jetzigen enorm profitiert. Ein ebenso enthüllendes wie erhellendes Buch!
»Ein eindringliches Porträt der größten kriminellen internationalen Organisation der Welt.« Volkskrant
»Ein ausgezeichnetes, mutiges und wichtiges Buch.« Bas Mesters, ehemaliger Italien-Korrespondent für NOS und das NRC Handelsblad
Momentan steht sie im Rampenlicht, obwohl sie lieber im Dunkeln arbeitet: Der bisher größte Prozess gegen die 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia Europas, läuft seit Januar 2021 und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Denn: Die 'Ndrangheta ist schon lange kein rein italienisches Problem mehr, sondern betrifft ganz Europa. Und damit unser aller Leben. Von der Lebensmittelproduktion bis zur Müllentsorgung – die 'Ndrangheta hat ihre Finger im Spiel. Mit unglaublichem Mut und Durchblick gelingt es der Journalistin Sanne de Boer, das System hinter dieser äußerst raffiniert agierenden Mafia zu durchdringen, die besonders von Krisenzeiten wie der jetzigen enorm profitiert. Ein ebenso enthüllendes wie erhellendes Buch!
»Ein eindringliches Porträt der größten kriminellen internationalen Organisation der Welt.« Volkskrant
»Ein ausgezeichnetes, mutiges und wichtiges Buch.« Bas Mesters, ehemaliger Italien-Korrespondent für NOS und das NRC Handelsblad
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als die niederländische Journalistin Sanne de Boer nach Kalabrien zog, war sie ahnungslos, wie weit der Arm der italienischen Mafia reicht, leitet David Klaubert seine Rezension ein. Als das Auto einer Nachbarin brennt, packt sie aber schnell der berufliche Ehrgeiz, Licht ins Dunkle zu bringen. Das Buch, das ihre Recherchen zusammenfasst, liefert einen guten Überblick über das Treiben der Ndrangheta, schreibt Klaubert. De Boer hat mit allen möglichen Menschen gesprochen und ihnen viel Platz eingeräumt. Auch wenn die Journalistin letztlich nichts Neues erzählt, macht ist Empathie für das traumatisierende Treiben der weltumspannenden kriminellen Organisation spürbar und sorgt für interessante Lektüre, so der Rezensent. Er glaubt aber auch, es wäre noch mehr Saft in der kalabrischen Orange gewesen, hätte de Boer hinterfragt, was ihr berichtet wurde, um weiter zu recherchieren und ihrem Buch damit noch mehr Tiefe zu geben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2023Macht schöpfen aus der Traumatisierung der Opfer
Von Kalabrien in die Welt, auch nach Deutschland: Die niederländische Journalistin Sanne de Boer folgt den Spuren der 'Ndrangheta
Im September 2007 trat die Mafia in Sanne de Boers Leben. In ihrer Straße brannte ein Auto. Es gehörte einer jungen Nachbarin, die in der Gemeindeverwaltung Bauanträge bearbeitete. Jemand schien mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden zu sein. Die Nachbarin hatte einen Verdacht, wer die Täter waren. Darüber sprechen wollte sie nicht.
Als de Boer ein Dreivierteljahr zuvor aus Amsterdam nach Kalabrien gezogen war, in ein Dorf auf einem Hügel über dem Meer, hatte sie keine Ahnung von der 'Ndrangheta, der Mafia, die hier an der Spitze des italienischen Stiefels ihre Heimat hat. Es war der "Duft selbstgepflückter Orangen", der die niederländische Journalistin begeisterte, die Gastfreundschaft, die schroffe Herzlichkeit. Beim Thema Mafia schwiegen sich auch ihre neuen Nachbarn aus. Die Gemeindemitarbeiterin, deren Auto angezündet wurde, ging nicht einmal zur Polizei. Stattdessen suchte sie sich einen neuen Job. De Boer fragte nicht weiter nach. Und lieh der Frau ihr Auto.
De Boers kalabrisches Idyll aber war beschädigt. Sie versuchte, mehr über die 'Ndrangheta herauszufinden, über diese kriminelle Organisation, die scheinbar unsichtbar und unantastbar in dem Bergdorf waltete und zur selben Zeit weltweit in den Schlagzeilen war, weil ihre Killer vor einer Pizzeria in Duisburg sechs Männer erschossen hatten. Die Journalistin suchte Menschen, die es wagten, mit ihr über die Mafia zu sprechen: Aktivisten, Opfer, Kronzeugen, Staatsanwälte, Journalisten, Forscher. De Boer las Ermittlungs- und Gerichtsakten. Sie folgte den Spuren der Mafiosi, die sie zurück in die Niederlande führten - und nach Deutschland, wo die 'Ndrangheta besonders feste Wurzeln geschlagen hat.
Detailreiche Schilderungen
Ihre Leser nimmt de Boer mit auf diese Spurensuche. Sie zeigt, wie fest die Mafiaclans Kalabrien im Würgegriff halten, mit welcher Menschenfeindlichkeit und Machtgier; wie sie die kalabrische Kultur, tradierte Werte und Verhaltensweisen für ihre Zwecke verdrehen und missbrauchen; wie "Bauern und Schafhirten mit kriminellen Neigungen" zu "verschwiegenen Meistern der Entführung" und schließlich zu "verschwiegenen Meistern im Handel harter Drogen" wurden. Wie die 'Ndrangheta auf fünf Kontinenten agiert, ohne je die Verbindung in die Heimat zu verlieren. Wie sie sich immer wieder wandelt, anpasst, wie sie die kriminelle Welt verlässt und in Politik und Wirtschaft einsickert. "Die Mafia wuchert wie ein Krebsgeschwür innerhalb eines Körpers und nicht davon losgelöst, sie benutzt die gesunden Zellen, um zu wachsen", sagt der Staatsanwalt Antonio De Bernardo. "Die Mafia wächst und gedeiht, eben weil sie Teil der Gesellschaft ist."
De Boer hört ihren Gesprächspartnern geduldig zu, lässt ihnen viel Raum, ihre Geschichten zu erzählen, oft über ganze Kapitel hinweg. Da ist der kalabrische Bauunternehmer, der Jahr um Jahr den Erpressungen der lokalen Bosse ausgeliefert ist, immer kurz davor, auch selbst in deren Machenschaften hineingezogen zu werden, und den sie, als er sich schließlich zur Wehr setzt, wirtschaftlich in den Ruin und gesellschaftlich in die Isolation treiben; der Kronzeuge, der in einer 'Ndrangheta-Familie aufwächst wie in einem "Volksstamm mit einer eigenen Religion und einem eigenen Lebensstil", schon als Kind auf Gewalt getrimmt; die Ermittler, die ihr Leben dem Kampf gegen die Mafia unter- und ihre Freiheiten in die Zwänge des 24/7-Polizeischutzes einordnen; die Opfer, die nicht mehr selbst erzählen können, etwa weil sie sich als Frauen gegen ihre Rolle in den patriarchalischen Clans aufgelehnt hatten und deshalb erdrosselt und verbrannt oder gezwungen wurden, eine tödliche Menge Salzsäure zu trinken.
Der Detailreichtum all dieser Schilderungen und die emotionale Nähe machen "'Ndrangheta" aus. Auch wenn de Boer auf ihrer Spurensuche nichts wirklich Neues ans Licht bringt, ist das Buch doch mehr als ein guter Überblick. Es hilft, das Phänomen Mafia besser zu verstehen, die Tiefe, mit der es eine ganze Gesellschaft und das Leben des Einzelnen durchdringt; welche Traumata der Terror der 'Ndrangheta in Kalabrien hinterlassen hat und wie ihre Mitglieder (die in der hin und wieder etwas knirschenden Übersetzung "'Ndranghetisten" heißen) genau daraus ihre Macht schöpfen.
An manchen Stellen aber verlässt sich de Boer zu sehr auf ihre Gesprächspartner. Sie hinterfragt nicht, recherchiert nicht weiter. Gerichtsprozesse und Ermittlungsakten dienen ihr dazu, Verbrechen nachzuzeichnen und spannungsreich zu erzählen, doch sie nutzt die Fakten nicht, um eigene Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Sie wiederholt beliebte Mythen, etwa dass die 'Ndrangheta "direkt nach dem Mauerfall" in den Osten Deutschlands gezogen sei, gleichsam in Voraussicht der sich später bietenden Möglichkeiten. Belege dafür gibt es nicht, in Thüringen etwa ließen sich die ersten mutmaßlichen Mafiosi erst ab Mitte der Neunzigerjahre nieder. Oder die Mär, dass journalistische Berichterstattung über die Mafia in Deutschland nicht möglich sei, weil deutsche Richter (warum auch immer) dafür sorgten, dass entsprechende Texte "zensiert" würden. Oder die Behauptung, die 'Ndrangheta kontrolliere achtzig Prozent des europäischen Kokainhandels, eines der lukrativsten Geschäfte der organisierten Kriminalität überhaupt. Schon ein Blick auf die Vielzahl der Akteure, die direkten Kontakt zu südamerikanischen Lieferanten haben, von galicischen Schmugglerclans über niederländische und marokkanische Netzwerke bis hin zu irischen Banden, hätte gezeigt, dass diese Zahl nicht stimmen kann.
Eingefahrene Überhöhungen
Wann immer es in Berichten oder Büchern um die 'Ndrangheta geht, sind italienische Anti-Mafia-Staatsanwälte die wichtigsten Ansprechpartner, natürlich. Fast immer aber wird dabei übersehen, dass diese dazu tendieren, die Rolle und den Einfluss der Mafiaclans außerhalb Italiens zu überzeichnen, sei es aus ihrer kalabrischen Perspektive, sei es aus politischem Kalkül, wahrscheinlich spielt beides eine Rolle. Journalisten übernehmen die Narrative, da ist de Boer keine Ausnahme, spitzen weiter zu, sodass die 'Ndrangheta in der öffentlichen Wahrnehmung oft deutlich überhöht wird: eine allgegenwärtige kriminelle Supermacht. Während sich de Boer im niederländischen Original noch auf die Suche nach der "mächtigsten Mafia Italiens" begibt, lautet der Untertitel nun: "Wie die mächtigste Mafia Europas unser Leben bestimmt". Gemeint sind die deutschen Leser - und das ist, trotz aller Finesse und Beharrlichkeit, mit der die 'Ndrangheta hierzulande agiert, nicht nur Unsinn. Es wird auch den Menschen nicht gerecht, deren Leben die kalabrischen Clans tatsächlich bestimmen und deren erbarmungslose Realität de Boer ja selbst eindrücklich beschreibt. DAVID KLAUBERT
Sanne de Boer: "'Ndrangheta". Wie die mächtigste Mafia Europas unser Leben bestimmt.
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt und Gerd Busse. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 350 S., geb. , 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Kalabrien in die Welt, auch nach Deutschland: Die niederländische Journalistin Sanne de Boer folgt den Spuren der 'Ndrangheta
Im September 2007 trat die Mafia in Sanne de Boers Leben. In ihrer Straße brannte ein Auto. Es gehörte einer jungen Nachbarin, die in der Gemeindeverwaltung Bauanträge bearbeitete. Jemand schien mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden zu sein. Die Nachbarin hatte einen Verdacht, wer die Täter waren. Darüber sprechen wollte sie nicht.
Als de Boer ein Dreivierteljahr zuvor aus Amsterdam nach Kalabrien gezogen war, in ein Dorf auf einem Hügel über dem Meer, hatte sie keine Ahnung von der 'Ndrangheta, der Mafia, die hier an der Spitze des italienischen Stiefels ihre Heimat hat. Es war der "Duft selbstgepflückter Orangen", der die niederländische Journalistin begeisterte, die Gastfreundschaft, die schroffe Herzlichkeit. Beim Thema Mafia schwiegen sich auch ihre neuen Nachbarn aus. Die Gemeindemitarbeiterin, deren Auto angezündet wurde, ging nicht einmal zur Polizei. Stattdessen suchte sie sich einen neuen Job. De Boer fragte nicht weiter nach. Und lieh der Frau ihr Auto.
De Boers kalabrisches Idyll aber war beschädigt. Sie versuchte, mehr über die 'Ndrangheta herauszufinden, über diese kriminelle Organisation, die scheinbar unsichtbar und unantastbar in dem Bergdorf waltete und zur selben Zeit weltweit in den Schlagzeilen war, weil ihre Killer vor einer Pizzeria in Duisburg sechs Männer erschossen hatten. Die Journalistin suchte Menschen, die es wagten, mit ihr über die Mafia zu sprechen: Aktivisten, Opfer, Kronzeugen, Staatsanwälte, Journalisten, Forscher. De Boer las Ermittlungs- und Gerichtsakten. Sie folgte den Spuren der Mafiosi, die sie zurück in die Niederlande führten - und nach Deutschland, wo die 'Ndrangheta besonders feste Wurzeln geschlagen hat.
Detailreiche Schilderungen
Ihre Leser nimmt de Boer mit auf diese Spurensuche. Sie zeigt, wie fest die Mafiaclans Kalabrien im Würgegriff halten, mit welcher Menschenfeindlichkeit und Machtgier; wie sie die kalabrische Kultur, tradierte Werte und Verhaltensweisen für ihre Zwecke verdrehen und missbrauchen; wie "Bauern und Schafhirten mit kriminellen Neigungen" zu "verschwiegenen Meistern der Entführung" und schließlich zu "verschwiegenen Meistern im Handel harter Drogen" wurden. Wie die 'Ndrangheta auf fünf Kontinenten agiert, ohne je die Verbindung in die Heimat zu verlieren. Wie sie sich immer wieder wandelt, anpasst, wie sie die kriminelle Welt verlässt und in Politik und Wirtschaft einsickert. "Die Mafia wuchert wie ein Krebsgeschwür innerhalb eines Körpers und nicht davon losgelöst, sie benutzt die gesunden Zellen, um zu wachsen", sagt der Staatsanwalt Antonio De Bernardo. "Die Mafia wächst und gedeiht, eben weil sie Teil der Gesellschaft ist."
De Boer hört ihren Gesprächspartnern geduldig zu, lässt ihnen viel Raum, ihre Geschichten zu erzählen, oft über ganze Kapitel hinweg. Da ist der kalabrische Bauunternehmer, der Jahr um Jahr den Erpressungen der lokalen Bosse ausgeliefert ist, immer kurz davor, auch selbst in deren Machenschaften hineingezogen zu werden, und den sie, als er sich schließlich zur Wehr setzt, wirtschaftlich in den Ruin und gesellschaftlich in die Isolation treiben; der Kronzeuge, der in einer 'Ndrangheta-Familie aufwächst wie in einem "Volksstamm mit einer eigenen Religion und einem eigenen Lebensstil", schon als Kind auf Gewalt getrimmt; die Ermittler, die ihr Leben dem Kampf gegen die Mafia unter- und ihre Freiheiten in die Zwänge des 24/7-Polizeischutzes einordnen; die Opfer, die nicht mehr selbst erzählen können, etwa weil sie sich als Frauen gegen ihre Rolle in den patriarchalischen Clans aufgelehnt hatten und deshalb erdrosselt und verbrannt oder gezwungen wurden, eine tödliche Menge Salzsäure zu trinken.
Der Detailreichtum all dieser Schilderungen und die emotionale Nähe machen "'Ndrangheta" aus. Auch wenn de Boer auf ihrer Spurensuche nichts wirklich Neues ans Licht bringt, ist das Buch doch mehr als ein guter Überblick. Es hilft, das Phänomen Mafia besser zu verstehen, die Tiefe, mit der es eine ganze Gesellschaft und das Leben des Einzelnen durchdringt; welche Traumata der Terror der 'Ndrangheta in Kalabrien hinterlassen hat und wie ihre Mitglieder (die in der hin und wieder etwas knirschenden Übersetzung "'Ndranghetisten" heißen) genau daraus ihre Macht schöpfen.
An manchen Stellen aber verlässt sich de Boer zu sehr auf ihre Gesprächspartner. Sie hinterfragt nicht, recherchiert nicht weiter. Gerichtsprozesse und Ermittlungsakten dienen ihr dazu, Verbrechen nachzuzeichnen und spannungsreich zu erzählen, doch sie nutzt die Fakten nicht, um eigene Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Sie wiederholt beliebte Mythen, etwa dass die 'Ndrangheta "direkt nach dem Mauerfall" in den Osten Deutschlands gezogen sei, gleichsam in Voraussicht der sich später bietenden Möglichkeiten. Belege dafür gibt es nicht, in Thüringen etwa ließen sich die ersten mutmaßlichen Mafiosi erst ab Mitte der Neunzigerjahre nieder. Oder die Mär, dass journalistische Berichterstattung über die Mafia in Deutschland nicht möglich sei, weil deutsche Richter (warum auch immer) dafür sorgten, dass entsprechende Texte "zensiert" würden. Oder die Behauptung, die 'Ndrangheta kontrolliere achtzig Prozent des europäischen Kokainhandels, eines der lukrativsten Geschäfte der organisierten Kriminalität überhaupt. Schon ein Blick auf die Vielzahl der Akteure, die direkten Kontakt zu südamerikanischen Lieferanten haben, von galicischen Schmugglerclans über niederländische und marokkanische Netzwerke bis hin zu irischen Banden, hätte gezeigt, dass diese Zahl nicht stimmen kann.
Eingefahrene Überhöhungen
Wann immer es in Berichten oder Büchern um die 'Ndrangheta geht, sind italienische Anti-Mafia-Staatsanwälte die wichtigsten Ansprechpartner, natürlich. Fast immer aber wird dabei übersehen, dass diese dazu tendieren, die Rolle und den Einfluss der Mafiaclans außerhalb Italiens zu überzeichnen, sei es aus ihrer kalabrischen Perspektive, sei es aus politischem Kalkül, wahrscheinlich spielt beides eine Rolle. Journalisten übernehmen die Narrative, da ist de Boer keine Ausnahme, spitzen weiter zu, sodass die 'Ndrangheta in der öffentlichen Wahrnehmung oft deutlich überhöht wird: eine allgegenwärtige kriminelle Supermacht. Während sich de Boer im niederländischen Original noch auf die Suche nach der "mächtigsten Mafia Italiens" begibt, lautet der Untertitel nun: "Wie die mächtigste Mafia Europas unser Leben bestimmt". Gemeint sind die deutschen Leser - und das ist, trotz aller Finesse und Beharrlichkeit, mit der die 'Ndrangheta hierzulande agiert, nicht nur Unsinn. Es wird auch den Menschen nicht gerecht, deren Leben die kalabrischen Clans tatsächlich bestimmen und deren erbarmungslose Realität de Boer ja selbst eindrücklich beschreibt. DAVID KLAUBERT
Sanne de Boer: "'Ndrangheta". Wie die mächtigste Mafia Europas unser Leben bestimmt.
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt und Gerd Busse. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 350 S., geb. , 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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