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Am 11. November 1874 kaufte Emilie Fontane im Atelier des berühmten Fotografen Giorgio Sommer einige Neapel-Ansichten, während ihr Mann Theodor, dem wenige Tage zuvor beim Spaziergang über die Via Toledo die Brieftasche gestohlen worden war, das archäologische Nationalmuseum besichtigte. Knapp hundertzwanzig Jahre zuvor, genau am 28. Mai 1755, lag Wilhelmine von Bayreuth krank im Bett und konnte erst zwei Tage später den Palazzo Reale besichtigen. Ihre "Nachfolgerin" Lady Craven, Mätresse des letzten Markgrafen von Ansbach und Bayreuth, fand 1828 ihr Grab auf dem alten protestantischen Friedhof in Neapel. Möchte man das alles wissen? Und dann auch noch, daß im Hotel Caruso in Ravello ein Kännchen Tee im Jahr 1924 fast soviel kostete wie eine halbe Flasche Wein und Goethe am ersten Tag seines Neapel-Aufenthalts an Durchfall litt? Die Antwort: unbedingt ja! Man möchte all das nicht nur wissen, sondern liest es vor allem mit staunendem Vergnügen. In sechs profund recherchierten und elegant geschriebenen Kapiteln versteht es der Autor, beginnend mit der griechisch-römischen Geschichte Neapels, ein Porträt der Stadt zu entwerfen, wie es so in der unüberschaubaren Neapel-Literatur bislang nicht zu finden war. Kenntnisreicher ist über die hohe Zeit Neapels als glanzvolle europäische Metropole des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts vielleicht noch nie geschrieben worden. So sind Kapitel wie "Grand Tour - Der Golf von Neapel als europäische Reiselandschaft" oder "Internationale Metropole - Die ausländische Diaspora" nicht nur kulturhistorisch interessant, sondern präzise soziologische Untersuchungen zur Geschichte der Stadt und der sich verändernden Wahrnehmung durch ausländische Besucher. Zudem hat der Autor einzigartige Quellen ausfindig gemacht, hat Polizeiakten, Briefe, Reisetagebücher und Hotellisten ausgewertet und nicht zuletzt einen Blick in die mit Abfall des späten neunzehnten Jahrhunderts gefüllte Zisterne der Villa Rufolo in Ravello geworfen. Dort hat die damalige Besitzerfamilie der Villa ihren aus ganz Europa nach Neapel importierten luxuriösen Wohlstandsmüll entsorgt. Ob Francis Neville Reid nun Münchner Bier trank oder seine Briefe mit Tinte aus Dijon schrieb, mag eine Marginalie sein, im Zusammenhang dieses Buchs aber ist das aufregend und interessant. Der Autor kombiniert seine Erkenntnisse und Betrachtungen zu einem großen Ganzen, das so nicht nur zu einer Biographie der Stadt und ihrer Besucher, sondern auch zu einer Geschichte des Tourismus am legendären Golf von Neapel wird. Das Buch ist kein Reiseführer, es ist viel mehr. Wer Neapel besucht und wirklich etwas über die Stadt und ihre Geschichte erfahren möchte, kann auf seine Lektüre nicht verzichten.
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"Neapel - Biographie einer Stadt" von Dieter Richter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 301 Seiten. Broschiert, 13,90 Euro. ISBN 3-8031-2509-X.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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