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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Annekathrin Kohout betrachtet den Nerd
Auf dem Cover des vor vierzehn Jahren erschienenen Buchs "American Nerd" von Benjamin Nugent entdeckt der Leser eine hübsch angeordnete Auswahl von Gegenständen. Neben einem Amateurfunkgerät und einem Taschenrechner finden sich eine Hornbrille und eine Actionfigur, ein Comic und ein Inhalator. Wer diese Devotionalien sein Eigen nennt, so wird man die Gestaltung deuten dürfen, verkörpert einen Typus, dessen Persönlichkeit auf die Präsenz bestimmter Prothesen angewiesen ist.
Überraschen sollte das nicht, denn der Nerd zeichnet sich durch sein defizitäres Wesen aus, seitdem er sich vom Spießer in amerikanischen Filmen der Fünfzigerjahre zum klugen, aber erbarmungslos verspotteten Eigenbrötler entwickelte. Dass er jedoch mehr ist als die Summe seiner Accessoires, zeigt nun die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout in einem Buch, welches die ästhetische Seite der Figur genauso durchleuchtet wie deren soziale Bedeutung.
Die Pointe der Untersuchung, so viel sei gleich verraten, läuft darauf hinaus, dass sich der Nerd kaum noch dingfest machen lässt. Einst sagte man ihm nach, er ernähre sich am liebsten von Pizza; heute gibt es Food-Nerds, die der Haute Cuisine huldigen. Im Kino war er lange Zeit der Gegenentwurf des mit einer stumpfsinnigen Mainstream-Männlichkeit ausgestatteten Athleten; heute nehmen Sport-Nerds körperliche Fitness wesentlich ernster, als es ein Football-Spieler aus der Highschool je könnte. Seine schlecht zusammengestellte funktionale Garderobe verlieh ihm früher im Klassenzimmer den Appeal eines Erwachsenen; heute sind Fashion-Nerds die zuverlässigsten Informanten in Sachen Modetrends.
Wenn nun jeder, der ein Spezialinteresse pflegt, ein Nerd ist, wird das Bedürfnis, sich als solcher zu inszenieren, stetig abnehmen. "Die Figur überrascht kaum noch, erschöpft sich so langsam und wird sich deshalb womöglich in andere Richtungen weiterentwickeln", schreibt Kohout. Anders formuliert: Lässt die Referenzfigur "Nerd" eine unüberschaubare Menge an willkürlichen Repräsentationen zu, löst sie sich auf. Ein anderer Makel, der dem Nerd inzwischen anhaftet, ist seine mangelnde Political Correctness. So ist häufiger zu lesen, der Erfolg der Sitcom "The Big Bang Theory" verdanke sich nicht zuletzt misogynen und rassistischen Witzen. Da geht es von der Annahme, blonde Frauen seien naiv, über das Klischee, indisches Essen verursache Durchfall, bis hin zur Meinung einer Hauptfigur, wer menstruiere, könne keine seriöse Wissenschaft betreiben.
Kohout schließt sich den Vorbehalten gegen den Nerd nicht blind an, sondern betrachtet sie als Symptome eines gesellschaftlichen und politischen Wandels. Daher ist ihr der Reflex fremd, kulturellen Artefakten, die Klischees bedienen und bei manchen den Ruf nach Trigger-Warnungen laut werden lassen, rundheraus ihre Daseinsberechtigung abzusprechen. Stattdessen fragt sie, ob es nicht auch die Rolle einer Sitcom sein könnte, Stereotype humorvoll zu verarbeiten. Am Ende kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Figuren aus "The Big Bang Theory" nicht nur zur Popularisierung des Nerds beigetragen haben, sondern auch zu einer geschärften Kritik an seinem Anspruchsdenken und seiner offensichtlichen Arroganz.
Der 1984 erschienene Film "Revenge of the Nerds" von Jeff Kanew popularisierte ein Motiv, das Kohout zufolge auch in den Biographien von Bill Gates oder Steve Jobs auftaucht - die Rache. Wer als Außenseiter jahrelang Häme auf sich gezogen hat, wird jubeln, wenn er zum IT-Überflieger oder Computermogul aufsteigt. Sein Erfolg, sein Geld, sein Einfluss und seine Macht, all das bezeugt letztlich die Dummheit derer, die nicht an ihn glaubten.
Die Botschaft dahinter ist eine Variante des amerikanischen Traums: Wie schlecht auch immer dein Hemd sitzt, wie tölpelhaft auch immer du durch den Alltag stolperst, eines Tages wirst du es allen zeigen. Und damit kann aus der Warnung vor einem schwierigen Außenseiter plötzlich ein Kompliment werden: Nerd Alert! KAI SPANKE
Annekathrin Kohout: "Nerds". Eine Popkulturgeschichte.
C. H. Beck Verlag, München 2022. 272 S., Abb., br., 16,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kai Spanke
"Männlich, weiß und heterosexuell: Annekathrin Kohout entwickelt eine facettenreiche Genealogie des Nerds ... Wie eine Pop-Archäologin legt sie die Mediengeschichte der Nerd-Figur als Identitäts-Schablone Schicht um Schicht frei."
Frankfurter Rundschau, Jens Buchholz
"Aus Witzfiguren wird eine Tech-Elite ... Annekathrin Kohout spiegelt den Nerd ausgiebig im Schein der Debatten um Political Correctness und Identitätspolitik."
Die Zeit, Eva Behrendt
"Opulenter Streifzug durch Film- und Fernsehgeschichte ... Spannend!"
Deutschlandfunk, Vera Linß
"Nerds gelten als schräg, etwas weltfremd und sind in TV-Serien meistens die Computer-Kumpels im karierten Hemd. Die Kulturhistorikerin Annekathrin Kohout hat ein Buch über Nerds verfasst und beschreibt, wie sehr sich das Bild dieser Figur verändert."
Deutschlandfunk Kultur Lesart, Andrea Gerk
"Denkt man an Nerds, sieht man vielleicht ungepflegte junge Männer ..., die sich für Computer interessieren und bei Frauen nicht sonderlich beliebt sind. ... In ihrem Buch zeichnet Annekathrin Kohout eine viel facettenreichere Geschichte nach, die vom spießigen Streber über den genialen Computerfreak bis hin zum Alten Weißen Mann führt."
RBB, Radio Eins, Meili Scheidemann und Max Ulrich
"Ein heiß ersehntes Buch. ... Das ist das Buch, mit dem man hinterher garantiert nicht dümmer geworden ist."
taz, Jan Feddersen
"Sesenswerte Popkulturgeschichte ... einleuchtend schlüssig argumentiert"
NDR Kultur, Danny Marques Marcalo
"Annekathrin Kohout zeichnet die Entwicklung des Nerds vom Spießer und Computerfreak bis hin zur Sozialfigur nach."
taz, Julia Hubernagel
"Starkes Buch"
rbb, radioeins, Katja Weber
"Irre anschaulich: vor allem durch ihre plastischen Analysen konkreter Nerdfiguren. Manchmal reale Personen, häufiger Charaktere aus Filmen und Serien. Der 'rasante Ritt durch die Populärkultur', den der Buchrücken fröhlich floskelnd verspricht, löst sich auf jeden Fall ein ... unterhaltsam ... Aber nie oberflächlich oder pointenfixiert."
Bayern2, Tobias Stosiek
"Die deutsche Kulturhistorikerin und Medienwissenschaftlerin zeigt in ihrem eben erschienenen Sachbuch 'Nerds. Eine Popkulturgeschichte' auf, wie sich das Schimpfwort Nerd beinahe schon zu einem Kompliment entwickelt hat."
SonntagsBlick, Jonas Dreyfus
"Sehr klug und gut lesbar"
Nürnberger Nachrichten, Wolf Ebersberger
"Nicht nur für Nerd-Nerds, sondern für alle popkulturell Interessierten."
Augsburger Allgemeine, Wolfgang Schütz