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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Er war ein guter Katastrophenmanager: Alexander Bätz legt eine sachkundige Abhandlung über Kaiser Nero vor.
War Nero, zumindest teilweise, ein Potentat nach dem Geschmack unserer Zeit? Ein römischer Kaiser, der nicht eroberte, sondern durch begrenzte Machtprojektion und Diplomatie die Randzonen des Imperiums zu sichern verstand? Ein Herrscher, der aus den ehernen Rollenerwartungen gegenüber einem Princeps ausbrach, indem er einen alternativen Lebensstil pflegte? Der in seinem engeren Umfeld Statusfragen geringer schätzte, als es der senatorischen Tradition entsprach, ja, der aus dem von erlauchten Größen wie Brutus, Cato und Augustus geschmiedeten Käfig eines gravitätischen Römertums flüchtete, seine Person stattdessen in Kleidung, Habitus, Interessen und Betätigungen immer wieder neu selbst konstruierte, dabei mit hybriden Stilen und Ritualen experimentierte? Ein postmoderner Princeps?
Keine Sorge, Alexander Bätz, Althistoriker und im Hauptberuf Bibliothekar, bietet in seinem gediegenen und seriösen Buch über den wohl immer noch prominentesten römischen Kaiser allenfalls indirekt Stoff, in eine solche Richtung zu denken. Sein Ziel ist nicht, die Ehre des öffentlich die Kithara spielenden Herrschers zu retten, sondern ihn zu entmythisieren und in die Umstände seiner Existenz einzuordnen.
Fast möchte man wünschen, der Autor hätte noch etwas mehr Mut gehabt, das Regierungshandeln unter diesem Kaiser plastisch zu extrapolieren und eindringlicher zu fragen, welchen Anteil Nero in den verschiedenen Phasen seiner knapp vierzehnjährigen Herrschaft an guten oder zumindest rationalen Entscheidungen hatte: an der Außenpolitik, der Besetzung wichtiger Stadthalter- und Kommandoposten, der Handhabung des religiösen Apparats oder der Verbesserung der Infrastruktur.
Besonders instruktiv lesen sich in diesem Sinne die Seiten darüber, wie Nero während des großen Brandes in Rom im Juli des Jahres 64 agierte. Mit feinem Gespür präpariert Bätz aus der durchweg nerofeindlichen Überlieferung heraus, wie der Kaiser auf die Not mit umsichtigen Maßnahmen reagierte; er "füllte die Rolle als Katastrophenmanager gut aus, die Erstversorgung scheint funktioniert zu haben". Überdies folgten die Wiederaufbaumaßnahmen einem durchdachten Konzept, das - einer der wenigen Modernismen bei Bätz - "an einen modernen Flächennutzungsplan erinnert" und von den Nachfolgern, die sich ansonsten so weit wie möglich von Nero zu distanzieren suchten, weiterverfolgt wurde - nur das Areal des "Goldenen Hauses" führten sie populäreren Verwendungen zu.
Gewiss besaßen zu Neros Zeit die Institutionen und Routinen der römischen Herrschaft schon sehr viel Eigengewicht und konnten einen Kaiser, der sich lieber als schöpferisches Genie betätigte, auch über längere Zeit aushalten. Ob zu viel Geld für Kriege oder für Feste und Bauten ausgegeben wurde, machte für die Staatskasse keinen Unterschied; für die jeweils betroffenen Menschen jedoch schon. Und selbstverständlich sind die ersten Jahre in der Bilanz auszuklammern, in denen der erfahrene Senator Seneca zusammen mit dem Prätorianerpräfekten Burrus mindestens einen großen Einfluss auf den jungen Regenten ausübte.
Dennoch bleibt festzuhalten: Wenn und solange Nero Kaiser war, war er dies nicht schlechter als andere vor und nach ihm. Und ein Faible für Griechenland sollte später auch ein Hadrian an den Tag legen. Zweifellos konnte er sich dabei nicht zuletzt deshalb sehr viel geschickter und rollenkonformer anstellen als Nero, weil dessen Scheitern den Nachfolgern zur Lehre gereicht hatte.
Nochmals Entwarnung: Der Autor berichtet ausführlich und sachkundig über die bekannten und weniger bekannten Extravaganzen, Missetaten und schrecklichen Verbrechen des Kaisers, gipfelnd im spektakulär inszenierten, doch am Ende nur noch schäbig exekutierten Mord an seiner Mutter Agrippina. Auf der Höhe des Forschungsstandes klärt Bätz einleuchtend über die Voraussetzungen für das Entgleisen von Neros Kaisertum auf.
Neben den Paradoxien in der Konstruktion des augusteischen Prinzipats, vor allem hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Kaiser, Senat und Prätorianern, war da die toxische Komplexität der Verwandtschaftsbeziehungen in den Sippen der Julier und der Claudier, verschärft durch zahlreiche Verbindungen mit hochrangigen und potentiell kaiserfähigen Aristokraten.
Hinzu kam der Hof als sozialer Stressraum, der Misstrauen und Furcht gegenüber Nächststehenden förderte und an dem komplementär dazu Frauen wie Männer jedweden Naturells rasant aufsteigen und ihr Süppchen kochen konnten. Aufgedeckte Verschwörungen glichen Eisbergen; auf sie mit weit gestreuten Tötungen, Suizidbefehlen und Verbannungen zu reagieren kann durchaus als systemangemessen gelten.
Gegen Mischa Meiers attraktive These, Nero habe seit seiner Griechenlandreise gar nicht länger Kaiser, vielmehr nur noch Künstler sein wollen, führt Bätz Ereignisdynamik und Kontingenz ins Feld, um zu erklären, warum Nero so seltsam passiv blieb, als seine Herrschaft von mehreren Seiten zugleich herausgefordert wurde. Er war in der Tat nicht der erste oder der letzte Anführer, der im Chaos verspätet eintreffender, falscher und einander überkreuzender Nachrichten seine Sache vorschnell verloren gab.
Zu loben sind die Bildtafeln; überdies ist das gut ausgewählte, teils selten gezeigte Material angemessen erläutert und mit der Darstellung verknüpft. Der Autor vermeidet längere Perioden, wie sie an Cicero geschulten Altertumswissenschaftlern sonst gern in die Feder fließen: Kaum ein Satz hat mehr als zwei Hierarchieebenen; ungebräuchliche Wörter sind weitgehend vermieden (wie es schon Caesar gefordert hatte), die Kapitel durch prägnante Zwischenüberschriften in Abschnitte von selten mehr als drei, vier Seiten Länge untergliedert.
Jedes Kapitel beginnt mit einem semifiktionalen Einstieg, etwa der Schilderung von Neros Geburt, die selbstverständlich so nicht überliefert ist, jedoch aus verschiedenen antiken Zeugnissen, nicht zuletzt gynäkologischen Traktaten, plausibel imaginiert werden kann. Indem der Autor die Quellen in seine Prosa einschmilzt, bleibt dem Leser eine sperrige, vielfach erklärungsbedürftige zweite Stimme erspart - so hat es immerhin schon Tacitus gehalten. Anders als dieser erlaubt Bätz jedoch einen Blick in seine Werkstatt: Der Endnotenapparat dokumentiert das durchweg solide Fundament der Darstellung. Das Buch, dem leider ein Register fehlt, wird sicher nicht der letzte Nero bleiben, doch es gehört zu den wenigen sehr guten. UWE WALTER
Alexander Bätz: "Nero". Wahnsinn und Wirklichkeit.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 576 S., Abb., geb., 34,- Euro.
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