Vom Kommunisten zum Unternehmer, vom Kombinat zum eigenen Betrieb?
Mit dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes wurde auch das System der »sozialen Marktwirtschaft« übernommen. Doch woher sollten in einem vormals sozialistischen Land die Unternehmer kommen? Die Akzeptanz des neuen politischen und ökonomischen Systems hing entscheidend von seiner regionalen Verankerung ab. »Mittelstand« war das Zauberwort, das für die Stärke der westdeutschen Volkswirtschaft stand. Mit der Privatisierung der ostdeutschen Staatsbetriebe durch die Treuhandanstalt bot sich die einmalige Chance, das vermeintliche Erfolgsmodell in Rekordzeit auf Ostdeutschland zu übertragen. Es handelte sich um ein soziales Experiment par excellence, das Max Trecker an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gesellschaft genau analysiert.
Mit dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes wurde auch das System der »sozialen Marktwirtschaft« übernommen. Doch woher sollten in einem vormals sozialistischen Land die Unternehmer kommen? Die Akzeptanz des neuen politischen und ökonomischen Systems hing entscheidend von seiner regionalen Verankerung ab. »Mittelstand« war das Zauberwort, das für die Stärke der westdeutschen Volkswirtschaft stand. Mit der Privatisierung der ostdeutschen Staatsbetriebe durch die Treuhandanstalt bot sich die einmalige Chance, das vermeintliche Erfolgsmodell in Rekordzeit auf Ostdeutschland zu übertragen. Es handelte sich um ein soziales Experiment par excellence, das Max Trecker an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gesellschaft genau analysiert.
»Ein sehr gut geschriebener und unbedingt lesenswerter erster Beitrag zur historischen Mittelstandsforschung über die DDR.« Yassin Abou El Fadil Forum H-Soz-Kult 20230116
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hartmut Berghoff liest in diesem Buch von Max Trecker, das auf Studien des Instituts für Zeitgeschichte beruht, Interessantes über die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft nach dem Mauerfall. Die im Titel angekündigte Analyse des Mittelstandes verfehlt das Werk aber, findet der Rezensent. Mit dem Zusammenbruch der DDR wurden viele vorher verstaatlichte Unternehmen an Privateigentümer zurückgegeben, informiert der Kritiker, das führte zunächst dazu, dass sich in Ostdeutschland eine erstaunlich "vitale, überwiegend mittelständisch strukturierte Unternehmenslandschaft" bildete. Mit der Gründung der Treuhandanstalt, die durch ihre Strukturen Großunternehmen begünstigte, verlangsamte sich diese Entwicklung stark. Die Ausführungen Treckers zur Treuhand sind aufschlussreich, lobt Berghoff, allerdings wird das Thema Neugründungen von Unternehmen außen vor gelassen und Unternehmer selbst nur "als Objekte, nicht aber als Akteure" geschildert. Die Geschichte des Mittelstandes in Ostdeutschland ist damit noch nicht geschrieben, stellt der Kritiker abschließend fest.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2023Auferstanden aus Ruinen
Die mittelständische Wirtschaft in Ostdeutschland
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstand nach 1990 und dem weitgehenden Zusammenbruch der Industrie eine vitale, überwiegend mittelständisch strukturierte Unternehmenslandschaft. Das war nach den Verheerungen des Sozialismus nicht unbedingt zu erwarten. 1945 bis 1950 und 1972 hatte das SED-Regime die meisten privaten Unternehmen enteignet. 1993 gab es in den neuen Bundesländern aber schon wieder fast 200.000 Unternehmen. Deren Zahl stieg bis 2017 auf mehr als 450.000. Mehr als 90 Prozent davon waren Familienunternehmen überwiegend mittelständischen Zuschnitts.
Das vorliegende, aus dem Treuhandprojekt des Instituts für Zeitgeschichte hervorgegangene Buch analysiert die Ursachen der erstaunlichen Wiederbelebung des Unternehmertums in Ostdeutschland. Leider konzentriert es sich auf die Zeit der Treuhandanstalt bis 1994, sodass nur die Ausgangssituation in den Blick gerät. Entgegen dem Untertitel geht es nicht um Neugründungen, sondern primär um den Umgang mit den Hinterlassenschaften der Staatswirtschaft.
Diese beherbergte aber überraschende Potentiale. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls gab es in der DDR noch mehr als 100.000 Privatunternehmen, überwiegend im Handwerk und in Nischen. Die Verstaatlichungskampagnen hatten zum Teil hybride Strukturen geschaffen, nämlich Betriebe mit staatlicher Beteiligung, in denen die ehemaligen Eigentümer weiterhin aktiv waren. In keinem Land des Ostblocks gab es vergleichbare Restbestände privaten Unternehmertums, auch wenn deren Spielräume gering und die Gängelungen des Staates beträchtlich waren. Ihre trotzdem vorhandene Vitalität stellte diese Gruppe Anfang 1990 unter Beweis, als dem Unternehmerverband der DDR vier Wochen nach seiner Gründung 20.000 Beitrittsanträge vorlagen.
Ferner existierte ein von fast allen Akteuren der Umbruchzeit geteiltes Leitbild, das den Mittelstand als zentralen Aktivposten hervorhob. Er war zentral für die Soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik, aber auch für die Zukunftsprojektionen der Bürgerrechtsbewegung und der Reformkommunisten in der DDR. Der Mittelstand sollte Arbeitsplätze schaffen, die sozialen Kosten der Transformation verringern und die, wie man anfangs meinte, zu bewahrenden industriellen Großkombinate ergänzen. Attraktiv war der Mittelstand auch deshalb, da er großkapitalistische Strukturen verhindern sollte. Die Rückgabe der 1972 verstaatlichten Familienunternehmen stand 1989/1990 weit oben auf der Agenda der letzten beiden DDR-Regierungen. In den Monaten bis zur Vereinigung im Oktober 1990 wurden fast 3000 Unternehmen reprivatisiert.
Mit dem Übergang der Verantwortung auf die Treuhandanstalt brach dieses hohe Tempo ab, denn allen mittelstandspolitischen Bekenntnissen zum Trotz standen nun die großen Kombinate im Vordergrund. Für eine durchdachte strukturpolitische Strategie fehlte der Treuhand die Zeit, die administrative Kapazität und wohl auch die Kompetenz. Es ging ihr zumeist um die Maximierung des Verkaufserlöses und die Beschleunigung der Verfahren. Mittelständische Bieter verfügten oft über weniger Kapital und Sicherheiten als großindustrielle Interessenten. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse verzögerten Privatisierungen, was zu Substanzverlusten führte, da an Investitionen vorerst nicht zu denken war. Die Treuhand bestand häufig auf der Übernahme von Altschulden, was viele reprivatisierte Unternehmen in die Insolvenz trieb. Oft wäre eine Sanierung notwendig gewesen, was aber dem Imperativ schneller Privatisierungen widersprach. Nichts fürchtete die Treuhand mehr, als langfristig Verantwortung zu übernehmen. Gewisse Erfolge erzielte sie jedoch beim Verkauf von Unternehmen an ostdeutsche Führungskräfte, sogenannte "Management-Buy-outs" (MBO). Auf diese Weise blieben Wissen, Erfahrungen und Kontakte erhalten. MBOs betrafen aber nur einen Bruchteil der Privatisierungen. Durch die Ausgründung kleinerer Unternehmen aus Kombinaten schuf sie ferner neue mittelständische Strukturen, die aber oft in westdeutsche Hände übergingen.
Der Autor beleuchtet auch andere Akteure, die den neuen Mittelstand deutlich stärker förderten. Da sich die privaten Geschäftsbanken zugeknöpft gaben, sprang die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau mit gigantischen Kreditsummen ein und unterstützte viele Unternehmen. Die neuen Länder engagierten sich ebenfalls, wobei Brandenburg trotz des Fehlens einer weit zurückreichenden mittelständischen Tradition erfolgreich war. Ein detailliertes Fallbeispiel zu dem in der Plasmaschneidtechnologie tätigen Unternehmen Kjellberg in Finsterwalde beschreibt die Transformation eines Teilbetriebes eines Kombinates zu einem erfolgreich auf dem Weltmarkt agierenden Mittelständler mit 450 Beschäftigten. Dieser Weg war von vielen Hindernissen gesäumt und benötigte über zehn Jahre.
Insgesamt handelt es sich um eine instruktive Studie über den Umgang mit dem Mittelstand in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Da der Fokus auf der Treuhand liegt, kommt das Thema Neugründungen kaum vor, wie auch die Unternehmer nur als Objekte, nicht aber als Akteure behandelt werden. Insofern bleibt die Geschichte des ostdeutschen Mittelstandes vorerst ungeschrieben. HARTMUT BERGHOFF
Max Trecker: Neue Unternehmer braucht das Land. Die Genese des ostdeutschen Mittelstands nach der Wiedervereinigung, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 320 Seiten, 30 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die mittelständische Wirtschaft in Ostdeutschland
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstand nach 1990 und dem weitgehenden Zusammenbruch der Industrie eine vitale, überwiegend mittelständisch strukturierte Unternehmenslandschaft. Das war nach den Verheerungen des Sozialismus nicht unbedingt zu erwarten. 1945 bis 1950 und 1972 hatte das SED-Regime die meisten privaten Unternehmen enteignet. 1993 gab es in den neuen Bundesländern aber schon wieder fast 200.000 Unternehmen. Deren Zahl stieg bis 2017 auf mehr als 450.000. Mehr als 90 Prozent davon waren Familienunternehmen überwiegend mittelständischen Zuschnitts.
Das vorliegende, aus dem Treuhandprojekt des Instituts für Zeitgeschichte hervorgegangene Buch analysiert die Ursachen der erstaunlichen Wiederbelebung des Unternehmertums in Ostdeutschland. Leider konzentriert es sich auf die Zeit der Treuhandanstalt bis 1994, sodass nur die Ausgangssituation in den Blick gerät. Entgegen dem Untertitel geht es nicht um Neugründungen, sondern primär um den Umgang mit den Hinterlassenschaften der Staatswirtschaft.
Diese beherbergte aber überraschende Potentiale. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls gab es in der DDR noch mehr als 100.000 Privatunternehmen, überwiegend im Handwerk und in Nischen. Die Verstaatlichungskampagnen hatten zum Teil hybride Strukturen geschaffen, nämlich Betriebe mit staatlicher Beteiligung, in denen die ehemaligen Eigentümer weiterhin aktiv waren. In keinem Land des Ostblocks gab es vergleichbare Restbestände privaten Unternehmertums, auch wenn deren Spielräume gering und die Gängelungen des Staates beträchtlich waren. Ihre trotzdem vorhandene Vitalität stellte diese Gruppe Anfang 1990 unter Beweis, als dem Unternehmerverband der DDR vier Wochen nach seiner Gründung 20.000 Beitrittsanträge vorlagen.
Ferner existierte ein von fast allen Akteuren der Umbruchzeit geteiltes Leitbild, das den Mittelstand als zentralen Aktivposten hervorhob. Er war zentral für die Soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik, aber auch für die Zukunftsprojektionen der Bürgerrechtsbewegung und der Reformkommunisten in der DDR. Der Mittelstand sollte Arbeitsplätze schaffen, die sozialen Kosten der Transformation verringern und die, wie man anfangs meinte, zu bewahrenden industriellen Großkombinate ergänzen. Attraktiv war der Mittelstand auch deshalb, da er großkapitalistische Strukturen verhindern sollte. Die Rückgabe der 1972 verstaatlichten Familienunternehmen stand 1989/1990 weit oben auf der Agenda der letzten beiden DDR-Regierungen. In den Monaten bis zur Vereinigung im Oktober 1990 wurden fast 3000 Unternehmen reprivatisiert.
Mit dem Übergang der Verantwortung auf die Treuhandanstalt brach dieses hohe Tempo ab, denn allen mittelstandspolitischen Bekenntnissen zum Trotz standen nun die großen Kombinate im Vordergrund. Für eine durchdachte strukturpolitische Strategie fehlte der Treuhand die Zeit, die administrative Kapazität und wohl auch die Kompetenz. Es ging ihr zumeist um die Maximierung des Verkaufserlöses und die Beschleunigung der Verfahren. Mittelständische Bieter verfügten oft über weniger Kapital und Sicherheiten als großindustrielle Interessenten. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse verzögerten Privatisierungen, was zu Substanzverlusten führte, da an Investitionen vorerst nicht zu denken war. Die Treuhand bestand häufig auf der Übernahme von Altschulden, was viele reprivatisierte Unternehmen in die Insolvenz trieb. Oft wäre eine Sanierung notwendig gewesen, was aber dem Imperativ schneller Privatisierungen widersprach. Nichts fürchtete die Treuhand mehr, als langfristig Verantwortung zu übernehmen. Gewisse Erfolge erzielte sie jedoch beim Verkauf von Unternehmen an ostdeutsche Führungskräfte, sogenannte "Management-Buy-outs" (MBO). Auf diese Weise blieben Wissen, Erfahrungen und Kontakte erhalten. MBOs betrafen aber nur einen Bruchteil der Privatisierungen. Durch die Ausgründung kleinerer Unternehmen aus Kombinaten schuf sie ferner neue mittelständische Strukturen, die aber oft in westdeutsche Hände übergingen.
Der Autor beleuchtet auch andere Akteure, die den neuen Mittelstand deutlich stärker förderten. Da sich die privaten Geschäftsbanken zugeknöpft gaben, sprang die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau mit gigantischen Kreditsummen ein und unterstützte viele Unternehmen. Die neuen Länder engagierten sich ebenfalls, wobei Brandenburg trotz des Fehlens einer weit zurückreichenden mittelständischen Tradition erfolgreich war. Ein detailliertes Fallbeispiel zu dem in der Plasmaschneidtechnologie tätigen Unternehmen Kjellberg in Finsterwalde beschreibt die Transformation eines Teilbetriebes eines Kombinates zu einem erfolgreich auf dem Weltmarkt agierenden Mittelständler mit 450 Beschäftigten. Dieser Weg war von vielen Hindernissen gesäumt und benötigte über zehn Jahre.
Insgesamt handelt es sich um eine instruktive Studie über den Umgang mit dem Mittelstand in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung. Da der Fokus auf der Treuhand liegt, kommt das Thema Neugründungen kaum vor, wie auch die Unternehmer nur als Objekte, nicht aber als Akteure behandelt werden. Insofern bleibt die Geschichte des ostdeutschen Mittelstandes vorerst ungeschrieben. HARTMUT BERGHOFF
Max Trecker: Neue Unternehmer braucht das Land. Die Genese des ostdeutschen Mittelstands nach der Wiedervereinigung, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 320 Seiten, 30 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main