Die Bonner wird zur Berliner Politik. Zu den Bundesbürgern mit westdeutschen Biographien kommen solche mit DDR-Sozialisation. International steht Deutschland nicht mehr unter dem direkten Einfluß der Siegermächte von 1945. Es ist eingefügt in die Europäische Union. Gegenüber Ost- und Mitteleuropa muß Deutschland seine Position neu definieren. Die Globalisierung der Wirtschaft bewirkt eine soziale Krise des Landes. Schließlich ist in der Millionenstadt Berlin eine Kapitale zu entwickeln, wofür die rheinische Residenzstadt Bonn als Modell ausscheidet. Sind die politischen Parteien gerüstet, diese Aufgaben zur Jahrtausendwende zu bewältigen? Werden sie überhaupt die wichtigsten Träger der politischen Willensbildung bleiben? Und wird sich das bewährte Bonner Parteiensystem in der Berliner Republik durchsetzen, oder kündigen der Erfolg der PDS und die gleichzeitige Krise der FDP an, daß sich ein neues System herausbildet? Jürgen Dittberner, Politikwissenschaftler und Praktiker der Politik gleichermaßen, liefert eine gesamtheitliche Darstellung der deutschen Parteien. Er diagnostiziert ihren Zustand auf dem Weg nach Berlin, beschreibt das Innenleben der Parteien von der Basis bis zur Bundespolitik und schildert die Aktionsfelder in den Parlamenten, Verwaltungen und Regierungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.1998Eine bestenfalls nützliche Reiselektüre
Atmosphärisches und Prozedurales aus dem bundesdeutschen Politikgeschehen
Jürgen Dittberner: Neuer Staat mit alten Parteien? Die deutschen Parteien nach der Wiedervereinigung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1997. 279 Seiten, 38,- Mark.
", . . . aber ick ha' hier noch einige grundsätzliche Probleme - und vor allem eine Frage an dich', und damit hat sie den Finanzminister fest im Visier", eine Ministerin der Potsdamer Kabinettsrunde nämlich, wie unschwer zu erraten ist. Mit solch prägnanten Details versteht es Jürgen Dittberner, von 1990 bis 1992 Staatssekretär in Stolpes Regierung, das Atmosphärische und Prozedurale an Kabinettstischen darzustellen und im Allgemeinen zugleich das Besondere sichtbar werden zu lassen. Denn der Leser kann sich problemlos vorstellen, welche Verhandlungsformen sozusagen ortsgebunden sind und sich nicht ohne weiteres in andere (Bundes-)Länder mit anderen Sitten, etwa nach Dresden, übertragen lassen.
Unter solcher Beachtung des Lokalbedingten der aufs Typische zielenden Analysen Dittberners, in denen "Das Kabinett, die gute Stube" nur ein Kapitel von dreien über "Die Aktionsfelder der Parteien" ist ("Parlamentarisches", "Verwaltungsspezialitäten"), besticht die menschlich einfühlsame und lebensnah gezeichnete Darstellung. Ihre Objektivität läßt hinter allen Abläufen - vielleicht ungewollt - die persönliche Einsamkeit des Politikers spüren und seine Tragik, im Erfolg wie im Scheitern: Stolpe ("Den Kern Manfred Stolpes kannte keiner. Anderswo wird von solchen Menschen gesagt, sie hätten sieben Seelen"), Diepgen, Rexrodt, Momper . . . Dittberners "Sozialisation" (einer der Lieblingsbegriffe des Professors für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam) erfolgte unverkennbar in der achtundsechziger FU-Luft West-Berlins, wie insbesondere seine von Klischees strotzende Darstellung "der Rechten" offenbart. Das bewahrt ihn dann auch nicht vor peinlichen Pauschalurteilen über die diktaturgeschädigten Ostdeutschen: "Manchem von ihnen wird die Umstellung 1945 leichter gefallen sein als die des Jahres 1990."
Sein Weg führte ihn vom "trickreichen Kippen" erlahmter Parteiführungen durch entschlossene junge Aktionsgruppen beim "Marsch durch die Institutionen" auf Bezirks- und Landesebene ziemlich konsequent in das nüchtern-solide politische Handwerk. So ist der Autor von 1986 bis 1990 Staatssekretär in verschiedenen Senatsverwaltungen West-Berlins gewesen und läßt an der Praxis der Ein- beziehungsweise Unterbindung grün-alternativen Wollens im Momper-Senat die ganze Fragwürdigkeit solcher wählerarithmetischen Koalitionszwänge erkennen.
Eigenem Erleben nachgezeichnet und doch über die eigene Partei hinaus aussagekräftig ist das "Innenleben der Parteien" auf den Ebenen der "Mitglieder", der "kleinen Funktionäre und Kommunalpolitiker", der Landespolitiker sowie auf der Bundesebene. Für Interessenten listet Dittberner dabei sehr erhellende, an Beispielen erläuterte Verhaltensregeln auf, etwa für den Parlamentarier: "Du mußt dem Parlament nicht alles, aber die Wahrheit sagen." - "Beifall sollst du nur den eigenen Leuten spenden." - "Du sollst der Verwaltung auf Schritt und Tritt mißtrauen."
Überhaupt schlägt das Herz des Autors in besonderer Weise für das "innige Verhältnis zwischen den politischen Parteien und dem öffentlichen Dienst". Dieses Kapitel ist für den Außenstehenden gewiß köstlich und mit Gewinn zu lesen, auch um tiefergehender Wahrheiten willen. "Politiker kommen und gehen, aber die Bürokratie bleibt bestehen." - "Die Verwaltung vergißt nie." Und die mit solcherlei Interessengegensätzen behafteten "Schichten der Bürokraten und Politiker wären alle beide ohne eine dritte hilflos, nämlich die aus Sekretärinnen, Pförtnern, Fahrern . . . zusammengesetzte Schicht der Dienstleister", die in Gestalt etwa einer Putzfrau schon manchem Minister zu später Stunde die Auswirkungen neuer Gesetze für die einfachen Leute vermittelte.
Mit ausgeprägter Neigung zum Klassifizieren erstehen auf allen Arbeitsgebieten förmliche Typenspiegel, so von den persönlichen Mitarbeitern eines Ministers ("Politkommissar", "Bewunderer", "Koordinator"). Auch die unterschiedlichen Motive der Beamten für ihren Gang von West nach Ost klassifiziert er: problematische Familien- oder Behördensituation, Abenteuerlust, Pioniergeist, Karriere, Geld . . . Wo er sich selbst einordnet, verrät Dittberner nicht.
Und daß er bei aller Einordnung eine beschränkte Sicht auf die historisch einmalige Situation hat, wird dem deutlich, der das unermüdliche, von Begeisterung getragene Wirken zahlreicher Beamter nach der Wiedervereinigung erlebt hat, die es als selbstverständliche Pflicht ansahen, sich einer außergewöhnlichen nationalen Aufgabe zu stellen. Dittberner sieht deshalb in dieser Leistung lediglich "das größte Karriereförderungs- und Zugewinnprogramm der deutschen Verwaltungsgeschichte".
Dieser "klassische Vorgang bürokratischer Herrschaft" erledigte seiner Auffassung nach manchen - freilich illusionären - Wunsch, "ein eigenes ostdeutsches Modell der Verwaltung mit möglichst wenig Bürokratie zu entwickeln". Daraus leitet er die Warnung ab, die politischen Parteien müßten aufpassen, "daß in der Berliner Republik ihnen die Bürokratie nicht zu oft auf den Nasen herumtanzt".
Dem Wirken der Parteien nach dem Umzug von Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree gilt nach dem Titel das Hauptanliegen des Buches. Hierzu Wegweisendes zu sagen, hat der Autor infolge seines Wirkens in beiden innerdeutschen Welten gute Voraussetzungen. Dennoch ist dieser zweite Teil des Werkes nicht nur der kleinere, sondern auch der schwächere. Kurzdarstellungen der bundesrepublikanischen Altparteien (CDU, CSU, SPD und FDP) setzen dank des Talents zum Systematisieren einige interessante historische Akzente, bieten jedoch kaum Neues. Die Einordnung der Grünen-Partei wie der PDS unter die Überschrift "Neuformierungen" weist die "Sozialisation" des Autors als offenbar nur schwer zu überwindende Hypothek bei der politischen Orientierung aus. Gibt es doch kaum eine Erscheinung auf der politischen Bühne Westdeutschlands, die so ursächlich verwurzelt ist in Wohlstand und Struktur, im "Alten" der Altbundesrepublik wie die Grünen, so daß sie zu den Gegnern der Einheit geradezu gehören mußten.
Und der gutgemeinte Einordnungsversuch der PDS verrät eine weitverbreitete Unsicherheit im Umgang mit einer Bevölkerung, deren "egalitäre Sozialisation" und "etatistisches Sicherheitsdenken" als fremd empfunden werden. Doch erschwert den Zugang zum Erleben der Menschen im Osten auch eine Sichtweise, die den Kommunismus im Grunde lediglich als gescheiterte Realisierung einer politischen Idee begreift.
So vermag denn Dittberner nur tastende Fühler in die Berliner Republik auszustrecken und Risiken für die parlamentarische Demokratie zu projizieren, mit Vermutungen über die Änderung des politischen Stils ("Der Ton mag schärfer werden"), ein instabiles Parteiensystem oder die Unerreichbarkeit absoluter Mehrheiten - Überlegungen, die schon eine einfache Landtagswahl obsolet machen kann. Der Politologe Dittberner vergibt sich leider die Möglichkeit, den Wurzeln einer freiheitlichen Demokratie im Unterbau der Parteien, dem Wahlvolk selbst nachzugehen. Denn allem Reden von "Politikverdrossenheit" zum Trotz sind Parteien und Regierungen unverkennbar das getreue Abbild der Lebenseinstellung des Wahlvolks.
So entspricht der häufige Vorwurf von Stagnation und fehlender Zukunftsorientierung an die Adresse der Politik durchaus dem Festklammern aller Bevölkerungsschichten an dem im Westen erklommenen Wohlstandsgipfel mit der Tendenz, zum Zweck der Besitzstandswahrung den Lauf der Dinge am besten anzuhalten. Nur besteht in den neuen Ländern mangels zu wahrender Besitzstände eine ganz andere Interessenlage. Während die Menschen im Westen eher die Angst umtreibt, daß sich etwas ändern könnte, haben die Menschen im Osten Angst davor, daß sich nach den großen Veränderungen von Revolution und Wiedervereinigung nun nichts mehr ändern könnte. Deswegen ist der Weg in die Berliner Republik ein Betreten von Neuland, bei dem Dittberners Buch allerdings nur eine bestenfalls nützliche Reiselektüre aus dem Erfahrungsschatz der Bonner Republik sein kann. STEFFEN HEITMANN
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Atmosphärisches und Prozedurales aus dem bundesdeutschen Politikgeschehen
Jürgen Dittberner: Neuer Staat mit alten Parteien? Die deutschen Parteien nach der Wiedervereinigung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1997. 279 Seiten, 38,- Mark.
", . . . aber ick ha' hier noch einige grundsätzliche Probleme - und vor allem eine Frage an dich', und damit hat sie den Finanzminister fest im Visier", eine Ministerin der Potsdamer Kabinettsrunde nämlich, wie unschwer zu erraten ist. Mit solch prägnanten Details versteht es Jürgen Dittberner, von 1990 bis 1992 Staatssekretär in Stolpes Regierung, das Atmosphärische und Prozedurale an Kabinettstischen darzustellen und im Allgemeinen zugleich das Besondere sichtbar werden zu lassen. Denn der Leser kann sich problemlos vorstellen, welche Verhandlungsformen sozusagen ortsgebunden sind und sich nicht ohne weiteres in andere (Bundes-)Länder mit anderen Sitten, etwa nach Dresden, übertragen lassen.
Unter solcher Beachtung des Lokalbedingten der aufs Typische zielenden Analysen Dittberners, in denen "Das Kabinett, die gute Stube" nur ein Kapitel von dreien über "Die Aktionsfelder der Parteien" ist ("Parlamentarisches", "Verwaltungsspezialitäten"), besticht die menschlich einfühlsame und lebensnah gezeichnete Darstellung. Ihre Objektivität läßt hinter allen Abläufen - vielleicht ungewollt - die persönliche Einsamkeit des Politikers spüren und seine Tragik, im Erfolg wie im Scheitern: Stolpe ("Den Kern Manfred Stolpes kannte keiner. Anderswo wird von solchen Menschen gesagt, sie hätten sieben Seelen"), Diepgen, Rexrodt, Momper . . . Dittberners "Sozialisation" (einer der Lieblingsbegriffe des Professors für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam) erfolgte unverkennbar in der achtundsechziger FU-Luft West-Berlins, wie insbesondere seine von Klischees strotzende Darstellung "der Rechten" offenbart. Das bewahrt ihn dann auch nicht vor peinlichen Pauschalurteilen über die diktaturgeschädigten Ostdeutschen: "Manchem von ihnen wird die Umstellung 1945 leichter gefallen sein als die des Jahres 1990."
Sein Weg führte ihn vom "trickreichen Kippen" erlahmter Parteiführungen durch entschlossene junge Aktionsgruppen beim "Marsch durch die Institutionen" auf Bezirks- und Landesebene ziemlich konsequent in das nüchtern-solide politische Handwerk. So ist der Autor von 1986 bis 1990 Staatssekretär in verschiedenen Senatsverwaltungen West-Berlins gewesen und läßt an der Praxis der Ein- beziehungsweise Unterbindung grün-alternativen Wollens im Momper-Senat die ganze Fragwürdigkeit solcher wählerarithmetischen Koalitionszwänge erkennen.
Eigenem Erleben nachgezeichnet und doch über die eigene Partei hinaus aussagekräftig ist das "Innenleben der Parteien" auf den Ebenen der "Mitglieder", der "kleinen Funktionäre und Kommunalpolitiker", der Landespolitiker sowie auf der Bundesebene. Für Interessenten listet Dittberner dabei sehr erhellende, an Beispielen erläuterte Verhaltensregeln auf, etwa für den Parlamentarier: "Du mußt dem Parlament nicht alles, aber die Wahrheit sagen." - "Beifall sollst du nur den eigenen Leuten spenden." - "Du sollst der Verwaltung auf Schritt und Tritt mißtrauen."
Überhaupt schlägt das Herz des Autors in besonderer Weise für das "innige Verhältnis zwischen den politischen Parteien und dem öffentlichen Dienst". Dieses Kapitel ist für den Außenstehenden gewiß köstlich und mit Gewinn zu lesen, auch um tiefergehender Wahrheiten willen. "Politiker kommen und gehen, aber die Bürokratie bleibt bestehen." - "Die Verwaltung vergißt nie." Und die mit solcherlei Interessengegensätzen behafteten "Schichten der Bürokraten und Politiker wären alle beide ohne eine dritte hilflos, nämlich die aus Sekretärinnen, Pförtnern, Fahrern . . . zusammengesetzte Schicht der Dienstleister", die in Gestalt etwa einer Putzfrau schon manchem Minister zu später Stunde die Auswirkungen neuer Gesetze für die einfachen Leute vermittelte.
Mit ausgeprägter Neigung zum Klassifizieren erstehen auf allen Arbeitsgebieten förmliche Typenspiegel, so von den persönlichen Mitarbeitern eines Ministers ("Politkommissar", "Bewunderer", "Koordinator"). Auch die unterschiedlichen Motive der Beamten für ihren Gang von West nach Ost klassifiziert er: problematische Familien- oder Behördensituation, Abenteuerlust, Pioniergeist, Karriere, Geld . . . Wo er sich selbst einordnet, verrät Dittberner nicht.
Und daß er bei aller Einordnung eine beschränkte Sicht auf die historisch einmalige Situation hat, wird dem deutlich, der das unermüdliche, von Begeisterung getragene Wirken zahlreicher Beamter nach der Wiedervereinigung erlebt hat, die es als selbstverständliche Pflicht ansahen, sich einer außergewöhnlichen nationalen Aufgabe zu stellen. Dittberner sieht deshalb in dieser Leistung lediglich "das größte Karriereförderungs- und Zugewinnprogramm der deutschen Verwaltungsgeschichte".
Dieser "klassische Vorgang bürokratischer Herrschaft" erledigte seiner Auffassung nach manchen - freilich illusionären - Wunsch, "ein eigenes ostdeutsches Modell der Verwaltung mit möglichst wenig Bürokratie zu entwickeln". Daraus leitet er die Warnung ab, die politischen Parteien müßten aufpassen, "daß in der Berliner Republik ihnen die Bürokratie nicht zu oft auf den Nasen herumtanzt".
Dem Wirken der Parteien nach dem Umzug von Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree gilt nach dem Titel das Hauptanliegen des Buches. Hierzu Wegweisendes zu sagen, hat der Autor infolge seines Wirkens in beiden innerdeutschen Welten gute Voraussetzungen. Dennoch ist dieser zweite Teil des Werkes nicht nur der kleinere, sondern auch der schwächere. Kurzdarstellungen der bundesrepublikanischen Altparteien (CDU, CSU, SPD und FDP) setzen dank des Talents zum Systematisieren einige interessante historische Akzente, bieten jedoch kaum Neues. Die Einordnung der Grünen-Partei wie der PDS unter die Überschrift "Neuformierungen" weist die "Sozialisation" des Autors als offenbar nur schwer zu überwindende Hypothek bei der politischen Orientierung aus. Gibt es doch kaum eine Erscheinung auf der politischen Bühne Westdeutschlands, die so ursächlich verwurzelt ist in Wohlstand und Struktur, im "Alten" der Altbundesrepublik wie die Grünen, so daß sie zu den Gegnern der Einheit geradezu gehören mußten.
Und der gutgemeinte Einordnungsversuch der PDS verrät eine weitverbreitete Unsicherheit im Umgang mit einer Bevölkerung, deren "egalitäre Sozialisation" und "etatistisches Sicherheitsdenken" als fremd empfunden werden. Doch erschwert den Zugang zum Erleben der Menschen im Osten auch eine Sichtweise, die den Kommunismus im Grunde lediglich als gescheiterte Realisierung einer politischen Idee begreift.
So vermag denn Dittberner nur tastende Fühler in die Berliner Republik auszustrecken und Risiken für die parlamentarische Demokratie zu projizieren, mit Vermutungen über die Änderung des politischen Stils ("Der Ton mag schärfer werden"), ein instabiles Parteiensystem oder die Unerreichbarkeit absoluter Mehrheiten - Überlegungen, die schon eine einfache Landtagswahl obsolet machen kann. Der Politologe Dittberner vergibt sich leider die Möglichkeit, den Wurzeln einer freiheitlichen Demokratie im Unterbau der Parteien, dem Wahlvolk selbst nachzugehen. Denn allem Reden von "Politikverdrossenheit" zum Trotz sind Parteien und Regierungen unverkennbar das getreue Abbild der Lebenseinstellung des Wahlvolks.
So entspricht der häufige Vorwurf von Stagnation und fehlender Zukunftsorientierung an die Adresse der Politik durchaus dem Festklammern aller Bevölkerungsschichten an dem im Westen erklommenen Wohlstandsgipfel mit der Tendenz, zum Zweck der Besitzstandswahrung den Lauf der Dinge am besten anzuhalten. Nur besteht in den neuen Ländern mangels zu wahrender Besitzstände eine ganz andere Interessenlage. Während die Menschen im Westen eher die Angst umtreibt, daß sich etwas ändern könnte, haben die Menschen im Osten Angst davor, daß sich nach den großen Veränderungen von Revolution und Wiedervereinigung nun nichts mehr ändern könnte. Deswegen ist der Weg in die Berliner Republik ein Betreten von Neuland, bei dem Dittberners Buch allerdings nur eine bestenfalls nützliche Reiselektüre aus dem Erfahrungsschatz der Bonner Republik sein kann. STEFFEN HEITMANN
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