Gegen die Rückkehr des Nationalismus - für eine gerechtere Globalisierung Kaum etwas in der deutschen Politik der letzten Jahre kam so unerwartet wie die Ernennung des langjährigen SPD-Vorsitzenden und streitbaren innenpolitischen Frontmanns der Sozialdemokratie, Sigmar Gabriel, zum Außenminister der Bundesrepublik. Und das in einer Zeit und in einer Welt, in der die Gewissheiten schwanken und die Konflikte zunehmen. Auch international verkörpert er nun mit Leidenschaft die Werte der sozialen Demokratie. Außenpolitik in der Ära Trump, Europas Zukunft angesichts des Brexit, neue rechtsautoritäre Bewegungen innerhalb und außerhalb Europas, Flüchtlingskrise und Migration, Handelskonflikte mit den USA und mit China, der Westen in der Defensive - diese Fragen richteten sich sofort an den neuen Mann im Auswärtigen Amt. Welche Koordinaten prägen Gabriel? Mit welchem Anspruch geht er an die Aufgabe des Außenministers heran? »Neuvermessungen« gibt darüber Auskunft und zeigt den anderen, den nachdenklichen Sigmar Gabriel, der die Brüche der Politik in unserer Zeit wie kein anderer erlebt hat und diese Erfahrung in einer mutigen Analyse in die Zukunft wendet. Der eine frische Perspektive in die außenpolitischen Routinen bringt. Und der die internationale Politik neu zu vermessen sucht - als Chance, den Weg zu einer gerechten Globalisierung zu finden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2017Auf den Kompass kommt es an
Sigmar Gabriel vermisst eine unübersichtliche und unsichere Welt
Außenminister Sigmar Gabriel hat sich zuletzt als besonders angriffslustiger Trump-Kritiker hervorgetan und sich dabei keinerlei diplomatische Zurückhaltung auferlegt. Die Versuchung ist auch zu groß. Der Wahlkampf zieht herauf, die SPD hat ein paar trübsinnig stimmende Wochen hinter sich - da kommt das Amerika-ist-gefährlich-Thema wie gerufen. Mitschuldig mache sich, wer sich der amerikanischen Politik nicht entgegensetze. Man wüsste zu gerne, wer genau der Adressat des Widerstandsappells des früheren SPD-Vorsitzenden ist. Die Bundeskanzlerin, mit der er kurz nach dem Wechsel ins Auswärtige Amt in Sachen Amerika noch ganz einig war?
In seinem kürzlich vorgestellten Buch "Neuvermessungen", in dem er auf die Welt von heute und die von morgen blickt, hat sich Gabriel natürlich mit dem neuen amerikanischen Präsidenten und den potentiellen Folgen für das transatlantische Verhältnis beschäftigt: Was passiert, wenn die "Radikalität des Denkens" aus dem Wahlkampf zur außenpolitischen "Handschrift" der Vereinigten Staaten wird? Dann kann es, kurz gesagt, zu einer ernsthaften Krise des Westens kommen, was keine sonderlich originelle Feststellung ist.
Interessanter ist, wie Gabriel quasi nebenbei Jahrzehnte amerikanischer Bündnispolitik entsorgt. Eine wachsende Entfremdung zwischen Amerika und Europa beobachtend, stellt er lapidar fest, dass die amerikanische Sicherheitsgarantie für Europa ein "Nachkriegsmodell des Zweiten Weltkriegs" sei, "das jetzt mit einigen Jahrzehnten Verspätung ausläuft". Wenn das so ist, muss man sich fragen, warum etwa der neue SPD-Vorsitzende sich darüber erregt, dass Trump bei seinem Besuch in Brüssel die Sicherheitsgarantien Amerikas nicht explizit bekräftigt hat. Die logische Konsequenz aus der "Emanzipation" von Washington ist jedenfalls klar: Europa muss eine gemeinsame Außenpolitik entwickeln, muss für die Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft der westlichen Demokratien Verantwortung übernehmen. Wenn die Vereinigten Staaten sich aus dem System kollektivere Sicherheit herauszögen, müsse Europa selbst das Vakuum füllen. Der Satz erinnert an Merkels Aphorismen: "Europas Sicherheit liegt in Europas eigener Verantwortung." Was bedeutet das für die Verteidigungspolitik, konkret: für die Verteidigungsausgaben? Da verschließt sich der Außenminister nicht der Einsicht in die Wirklichkeit: "Der europäische Arm der Nato darf nicht länger an Muskelschwund leiden." Wenn die EU sich stärker als sicherheitspolitische Macht verstehe, müssten "unsere Verteidigungshaushalte darauf eingestellt werden". Aber Gabriel, der zuletzt ziemlich laut gegen das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses polemisiert hat, bleibt Gabriel: Muskelaufbau ist eben nicht allein eine Sache höherer Rüstungsausgaben. Ein bisschen mehr soll es sein, aber dann doch nicht wirklich sehr viel mehr. Europa, nach Amerikas Abschied von den Werten des Westens dessen neuer Kern, soll natürlich als Friedensmacht eine neue Weltordnung schaffen.
Es ist bedauerlich, dass Gabriel Überlegungen wenig Raum gibt, wie Europa Amerika bei der Stange halten könnte. Schließlich wäre das die Aufgabe operativer Politik, seine Aufgabe als Praktiker. Die Vorstellung, dass beide "unentbehrliche" Partner sind, scheint Gabriel nicht zu teilen. Und auch in dem Buch wird die Frage nicht gestellt, wie die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Substanz in der Zukunft aussehen könnten. Es ist, wie gehabt, allein von Europa die Rede; wie sich die beiden Schlüsselmächte der atlantischen Gemeinschaft zueinander verhalten sollten, wird offenbar für nicht zeitgemäß erachtet.
Das politische Vorleben des Autors kommt mit erkennbarer Leidenschaft immer dann zum Vorschein, wenn er den Auswirkungen des technischen und wirtschaftlichen Wandels auf soziale Stabilität und politische Einstellungen - Stichwort Populismus - nachgeht; wenn er die Frage wendet, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer globalisierten Welt trotz Dauerveränderungsstress gewahrt bleiben kann. Da zeigt er Verständnis für diejenigen, die sich von den Eliten an den Rand gedrängt fühlen. Gabriel mag es als Befreiung empfinden, nicht mehr für Wahlniederlagen der SPD als Erster in Haftung genommen zu werden; er mag auch Gefallen an dem neuen Job als Außenminister finden. An den Schnittstellen von Gesellschaft, Technik, Wirtschaft und Politik schlägt sein Herz aber besonders heftig.
KLAUS-DIETER FRANKENBERGER
Sigmar Gabriel: Neuvermessungen. Was da alles auf uns zukommt und worauf es jetzt ankommt. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2017. 236 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sigmar Gabriel vermisst eine unübersichtliche und unsichere Welt
Außenminister Sigmar Gabriel hat sich zuletzt als besonders angriffslustiger Trump-Kritiker hervorgetan und sich dabei keinerlei diplomatische Zurückhaltung auferlegt. Die Versuchung ist auch zu groß. Der Wahlkampf zieht herauf, die SPD hat ein paar trübsinnig stimmende Wochen hinter sich - da kommt das Amerika-ist-gefährlich-Thema wie gerufen. Mitschuldig mache sich, wer sich der amerikanischen Politik nicht entgegensetze. Man wüsste zu gerne, wer genau der Adressat des Widerstandsappells des früheren SPD-Vorsitzenden ist. Die Bundeskanzlerin, mit der er kurz nach dem Wechsel ins Auswärtige Amt in Sachen Amerika noch ganz einig war?
In seinem kürzlich vorgestellten Buch "Neuvermessungen", in dem er auf die Welt von heute und die von morgen blickt, hat sich Gabriel natürlich mit dem neuen amerikanischen Präsidenten und den potentiellen Folgen für das transatlantische Verhältnis beschäftigt: Was passiert, wenn die "Radikalität des Denkens" aus dem Wahlkampf zur außenpolitischen "Handschrift" der Vereinigten Staaten wird? Dann kann es, kurz gesagt, zu einer ernsthaften Krise des Westens kommen, was keine sonderlich originelle Feststellung ist.
Interessanter ist, wie Gabriel quasi nebenbei Jahrzehnte amerikanischer Bündnispolitik entsorgt. Eine wachsende Entfremdung zwischen Amerika und Europa beobachtend, stellt er lapidar fest, dass die amerikanische Sicherheitsgarantie für Europa ein "Nachkriegsmodell des Zweiten Weltkriegs" sei, "das jetzt mit einigen Jahrzehnten Verspätung ausläuft". Wenn das so ist, muss man sich fragen, warum etwa der neue SPD-Vorsitzende sich darüber erregt, dass Trump bei seinem Besuch in Brüssel die Sicherheitsgarantien Amerikas nicht explizit bekräftigt hat. Die logische Konsequenz aus der "Emanzipation" von Washington ist jedenfalls klar: Europa muss eine gemeinsame Außenpolitik entwickeln, muss für die Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft der westlichen Demokratien Verantwortung übernehmen. Wenn die Vereinigten Staaten sich aus dem System kollektivere Sicherheit herauszögen, müsse Europa selbst das Vakuum füllen. Der Satz erinnert an Merkels Aphorismen: "Europas Sicherheit liegt in Europas eigener Verantwortung." Was bedeutet das für die Verteidigungspolitik, konkret: für die Verteidigungsausgaben? Da verschließt sich der Außenminister nicht der Einsicht in die Wirklichkeit: "Der europäische Arm der Nato darf nicht länger an Muskelschwund leiden." Wenn die EU sich stärker als sicherheitspolitische Macht verstehe, müssten "unsere Verteidigungshaushalte darauf eingestellt werden". Aber Gabriel, der zuletzt ziemlich laut gegen das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses polemisiert hat, bleibt Gabriel: Muskelaufbau ist eben nicht allein eine Sache höherer Rüstungsausgaben. Ein bisschen mehr soll es sein, aber dann doch nicht wirklich sehr viel mehr. Europa, nach Amerikas Abschied von den Werten des Westens dessen neuer Kern, soll natürlich als Friedensmacht eine neue Weltordnung schaffen.
Es ist bedauerlich, dass Gabriel Überlegungen wenig Raum gibt, wie Europa Amerika bei der Stange halten könnte. Schließlich wäre das die Aufgabe operativer Politik, seine Aufgabe als Praktiker. Die Vorstellung, dass beide "unentbehrliche" Partner sind, scheint Gabriel nicht zu teilen. Und auch in dem Buch wird die Frage nicht gestellt, wie die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Substanz in der Zukunft aussehen könnten. Es ist, wie gehabt, allein von Europa die Rede; wie sich die beiden Schlüsselmächte der atlantischen Gemeinschaft zueinander verhalten sollten, wird offenbar für nicht zeitgemäß erachtet.
Das politische Vorleben des Autors kommt mit erkennbarer Leidenschaft immer dann zum Vorschein, wenn er den Auswirkungen des technischen und wirtschaftlichen Wandels auf soziale Stabilität und politische Einstellungen - Stichwort Populismus - nachgeht; wenn er die Frage wendet, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer globalisierten Welt trotz Dauerveränderungsstress gewahrt bleiben kann. Da zeigt er Verständnis für diejenigen, die sich von den Eliten an den Rand gedrängt fühlen. Gabriel mag es als Befreiung empfinden, nicht mehr für Wahlniederlagen der SPD als Erster in Haftung genommen zu werden; er mag auch Gefallen an dem neuen Job als Außenminister finden. An den Schnittstellen von Gesellschaft, Technik, Wirtschaft und Politik schlägt sein Herz aber besonders heftig.
KLAUS-DIETER FRANKENBERGER
Sigmar Gabriel: Neuvermessungen. Was da alles auf uns zukommt und worauf es jetzt ankommt. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2017. 236 Seiten, 20 Euro.
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»Ein leichthändiges Welterklärungswerk [...].« NZZ