Mit einem Vorwort des 3-Sternekochs Jan Hartwig und einem Kapitel zur Spitzengastronomie in der Corona-Krise.
Die Autoren
Maximiliane Wilkesmann ist Heisenberg-Professorin für Arbeits- und Organisationssoziologie an der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Universität Dortmund.
Uwe Wilkesmann ist Direktor des Zentrums für HochschulBildung und Inhaber des Lehrstuhls für Organisationsforschung und Weiterbildungsmanagement an der Technischen Universität Dortmund.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Keine Haute Cuisine ohne strikt eingehaltene Befehlskette in der Küche: Maximiliane und Uwe Wilkesmann untersuchen die Organisation der Spitzengastronomie
Nicht einmal Königsberger Klopse konnten das hartherzige Urteil des berühmtesten Königsbergers mildern: Geschmack sei ein niedriger Sinn, befand Immanuel Kant, weil das Geschmacksurteil nicht auf allgemeinen Begriffen beruhe und deswegen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben könne. In dieselbe Kerbe schlug zweihundert Jahre später der gebürtige Frankfurter Theodor W. Adorno, der offensichtlich weder Gefallen an Grüner Soße noch an Rippchen mit Kraut fand und urteilte, dass den Menschen durch Kochen keine künstlerische Erfahrung vermittelt werden könne. Diese beiden Kostverächter zitieren Maximiliane und Uwe Wilkesmann als Zeugen für eine notorische Geringschätzung des sehr guten Essens in Deutschland und führen als drittes Menetekel den Drei-Sterne-Koch Christian Bau ins Feld, der als erster und bisher einziger deutscher Küchenchef mit dem Bundesverdienstkreuz für seine Arbeit am Herd ausgezeichnet worden ist.
So darf es nicht weitergehen, beschloss das Ehepaar Wilkesmann und setzte sich daran, den Deutschen die Spitzenküche aus ihrer Sicht verständlich zu machen. Die beiden sind Professoren an der Technischen Universität Dortmund, beschäftigen sich dort vor allem mit Arbeitssoziologie und Organisationsforschung, gehen aber auch leidenschaftlich gerne gut essen und haben Beruf und Vergnügen zusammengeführt, um ein Buch über die Organisation der Feinschmeckergastronomie zu schreiben. Ihre wichtigste Quellenbasis sind dabei fünfundzwanzig lange Interviews mit Spitzenköchen - darunter jeweils vier Chefs mit drei und zwei Michelin-Sternen -, Serviceleitern, Gastronomiejournalisten und Chefredakteuren von Restaurantführern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Befragten werden auch ausführlich zitiert, dabei allerdings konsequent anonymisiert, weil ihre Aussagen als paradigmatisch für die Spitzenküche gelten sollen.
Ihr nähern sich die Gourmet-Professoren von allen Seiten, weil sie alle Aspekte der Haute Cuisine interessieren. Sie beschreiben den Tagesablauf in einer Sterneküche, die Organisation des dazugehörigen Service, die wirtschaftliche Kalkulationsbasis von Feinschmeckerlokalen oder die Eigenheiten und Bewertungsmechanismen der großen Restaurantführer, wobei der Guide Michelin bei den meisten Kriterien, vor allem der Qualifizierung der Tester und der finanziellen Unabhängigkeit, mit Abstand am besten abschneidet: Seine "Inspektoren" - so heißen die Tester - haben ausnahmslos eine jahrelange Berufserfahrung in der Gastronomie, und von allen ökonomischen Zwängen befreit ihn sein generöser Besitzer, der Reifenhersteller Michelin.
Karrierewege, Motivation, Prestige und Führungsqualitäten von Spitzenköchen sind genauso ein Thema wie deren Inspirationsquellen, der Entstehungsprozess neuer Gerichte, die Angst vor Plagiaten oder der feine Unterschied zwischen Kreativität und Innovation. Man erfährt, wie eine klassische Küchenbrigade seit den Zeiten Auguste Escoffiers strukturiert ist, welche Aufgaben Gardemanger, Entremétier, Saucier, Rôtisseur und Pâtissier haben und wie rigoros die Befehlskette in der Hierarchie-Pyramide vom Chef de Cuisine bis zum Commis de Cuisine befolgt wird. Die Geschichte von Ferran Adriàs revolutionärem Restaurant "El Bulli" und die Erfindung der Molekularküche wird ebenso erzählt, wie die Gästestruktur von Gourmetlokalen analysiert oder die Rolle der sozialen Medien und des Fernsehens untersucht wird. Ganz zum Schluss widmet sich ein eigenes, sehr trauriges Kapitel den Verheerungen der Corona-Pandemie in der Spitzengastronomie.
Maximiliane und Uwe Wilkesmann sind keine Gastrophilosophen. Sie wollen weder Brillat-Savarin noch Grimod de la Reynière Konkurrenz machen, sondern nähern sich der Spitzenküche strikt von der technischen Seite. Das mag ein wenig zu Lasten der kulinarischen Poesie gehen, doch wie aufschlussreich dieser Ansatz sein kann, zeigt ein Stammbaumdiagramm aller amtierenden und früheren Drei-Sterne-Köche in Deutschland. Es verdeutlicht, welche überragende Bedeutung Harald Wohlfahrt als Lehrmeister hat und wie viele Küchenkarrieren ihren Ausgang in seiner "Schwarzwaldstube" in Baiersbronn nahmen. Ein anderes Schaubild zeigt, dass die Zahl der Restaurants in Deutschland insgesamt kontinuierlich abnimmt, die der Gourmetlokale aber genauso zuverlässig zunimmt.
So lernt man ungeheurer viel über die Spitzengastronomie, begreift ihre Komplexität, versteht ihre Qualität und wird mit einem ganzen Arsenal guter Argumente munitioniert, mit denen man Klischees etwa über die vermeintliche Dekadenz der Feinschmeckerei künftig widerlegen kann. Und da die beiden Professoren trotz ihrer Perspektive als Organisationswissenschaftler immer in einem leichten, mitunter plaudernden Ton von ihren Ergebnissen berichten, liegt nichts schwer im Magen. Keine Fachbegriffe machen die Lektüre unverdaulich, niemals fühlt man sich übersättigt, und manchmal hätte man sogar gerne einen Nachschlag gehabt. Diesen muss man sich aber selbst besorgen, am besten hoffentlich bald in Form eines Besuchs bei einem deutschen Sternemeister.
JAKOB STROBEL Y SERRA
Maximiliane und Uwe Wilkesmann: "Nicht nur eine Frage
des guten Geschmacks". Die Organisation der Spitzengastronomie.
Springer Verlag, Wiesbaden 2020. 236 S., geb., 19,99 [Euro].
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