»Klug, abgründig und hintersinnig. Nora Haddada hat ein faszinierendes Debüt geschrieben, ich konnte kaum aufhören zu lesen.« Benedict Wells
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Schamlos schillernd scharfsinnig: Nora Haddadas Debütroman "Nichts in den Pflanzen" blickt in die Abgründe einer jungen Autorin
Schreiben ist oft ein Kampf. Mit Worten, die plötzlich irrsinnig beliebig wirken, wenn man versucht, unter ihnen die richtigen für die eigene Sache auszumachen. Mit der Zeit, die neue Regeln aufstellt, wenn es gilt, eine leere Seite zu füllen. Und mit dem Inhalt, der dazu neigt, fürchterlich banal zu klingen, sobald er einmal das Dunkel des Kopfs verlassen und das Licht der Seite betreten hat. Schreiben als Akt der Kontemplation ist eine romantische Verklärung, die jene erzählen, die es nie getan haben, und unter der alle leiden, die den Horror des weißen Blattes kennen.
Zu denen, die leiden, gehört Leila, die Protagonistin von Nora Haddadas Debütroman "Nichts in den Pflanzen". Leila sollte eigentlich schreiben, findet aber diverse Ausreden, warum sie kaum etwas aufs Papier bringt. Sie ist Drehbuchautorin, hat gerade ihren ersten Vertrag mit einer großen Produktionsfirma unterzeichnet und treibt sich, statt zu schreiben, lieber in Kneipen, auf Partys und überhaupt vornehmlich da herum, wo es literweise Alkohol und allerlei andere berauschende Substanzen gibt; wenn sie sich nicht gerade in den Laken ihres Freundes wälzt. Zu den Ausreden, kaum einen Satz zu schreiben trotz nahender und verstreichender Deadlines, zählen ominöse Fliegen, die aus ihrem Laptop krabbeln (eingebildet), das Fehlen einer künstlerischen Muse (auch eingebildet) und haufenweise Animositäten gegenüber fast allen Menschen, mit denen sie zu tun hat (ebenfalls eingebildet - oder anders ausgedrückt: Projektion).
Leila, das verdeutlicht bereits die Eingangsszene, in der die junge Frau die Katze ihres Partners ersäuft, gibt dem Leser keine klassische Identifikationsfigur ab. Sie ist eine Trinkerin und Narzisstin, manipuliert und lügt schamlos, ohne dass sie die Beweggründe ihres Handelns reflektiert, und hat darüber hinaus einen Hang zum Sadismus. Immer dann, wenn die Menschen, die ihr am nächsten stehen, leiden, löst sich ihre Schreibblockade und die sonst so quälend leeren Seiten füllen sich mit Inhalt.
Nicht weniger zwielichtig als ihre Protagonistin entwirft Haddada die Welt, in der sich Leila bewegt. In der Film- und Kulturszene (mutmaßlich von Berlin) scheint es keine Trennung mehr zwischen Privatem und Beruflichem zu geben. Nicht nur wird gemeinsam sauniert und konsumiert - vornehmlich auf Smartphone-Displays mit Plastikkarten Zerhacktes -, sondern auch intimste Körperlichkeit ausgetauscht, ohne dass dabei Freude aufkäme. "Weißt du, es ist so unglaublich langweilig geworden, seitdem sie die Tabus abgeschafft haben. Man weiß gar nicht mehr, wie man sich amüsieren soll", lässt Haddada eine ihrer Figuren hellsichtig sinnieren. Zu amüsieren scheint sich in der Tat kaum jemand bei den beschriebenen Exzessen, vielmehr sind sie der Modus Operandi dieser Szene, den keiner der Mitspieler infrage stellt.
Ist das nun eine Überzeichnung oder adäquates Abbild der Berliner Kulturblase? Immer wieder konstruiert die Autorin Szenen und Figuren, die mit den Grenzen zur Autofiktionalität kokettieren. Nicht nur, dass Haddada selbst eine junge Berliner Autorin ist (geboren 1998) und das Aussehen ihrer eigenen Agentin dem der Roman-Agentin Lenka verdächtig nahe kommt. Auch der fiktionale Vorwurf an Leila, die Protagonistin ihres Drehbuchs sei nicht nett genug, wirkt wie eine nonfiktionale Mahnung an die Autorin selbst, ihre Figur doch bitte etwas zugänglicher zu gestalten - während sich Haddada konsequent weigert, ihren Lesern auch nur ein Minimum von Leilas Vorgeschichte preiszugeben, die helfen könnte, die Gründe für ihre Grausamkeit nachzuvollziehen. Da überrascht es kaum noch, dass in Haddadas Danksagung ausgerechnet jener Name doppelt auftaucht, der auch in ihrem Roman zweifach besetzt ist: Leon und der "Andere Leon".
Das geschickt inszenierte Schillern zwischen Fiktionalität und Nonfiktionalität ist eine der großen Stärken des Buchs, das ein derart kunstvolles Vexierbild gestaltet, dass man sich als Leser unweigerlich fragt, ob Haddada nicht tatsächlich - wie auch Leila - mit dem Abschluss ihres Werkes gehadert hat - was jedenfalls das abrupte Ende des Romans nahelegt. Ob Haddada nun ihr eigenes Hadern künstlerisch verarbeitet hat oder, ganz im Gegenteil, ihre Leser gekonnt auf diese Fährte lockt, indem sie ebenjene Charakterzüge, die man ihr unterstellt, der Protagonistin zuschreibt, bleibt aus Lesersicht eine unentwirrbare, aber doch hübsche Verflechtung.
Überzeugend sind auch die Dialoge, die Haddada ihren Figuren in den Mund legt. Nicht nur spielen die Aspiranten der Kulturbranche so affektiert mit literarischen Referenzen, wie es in der Tat nur Menschen tun, die sich ihres eigenen Intellekts noch unsicher sind. Auch spinnen Leila, die beiden Leons und die Agentin Lenka derart charmante und zugleich krude Theorien (die Liebe etwa sei die "last Metaphysik standing" in unserer entzauberten Welt), dass man annimmt, dass diese nicht am heimischen Schreibtisch der Autorin, sondern am Kneipentresen mit etlichen Drinks intus ersonnen sein dürften. Zwar weist die Handlung einige Längen auf, gerne ist man aber bereit, sie der Autorin aufgrund ihrer stimmigen Sprachbilder und klugen Beobachtungen zu verzeihen. Haddada gelingt mit "Nichts in den Pflanzen" ein scharfsinniges Debüt, das nicht bloß in künstlerische, sondern auch in menschliche Abgründe blickt. KIRA KRAMER
Nora Haddada: "Nichts in den Pflanzen". Roman.
Ecco Verlag, Hamburg 2023. 237 S., geb., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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