»Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.« Julian Barnes, brillant, geistreich und witzig wie immer, setzt sich mit einem Thema auseinander, das jeden ein Leben lang betrifft. Es geht um unsere Sterblichkeit, um provozierende Gedanken und aufrüttelnde Ereignisse auf dem Weg zum Ende. Eigentlich müsste man sich nicht davor fürchten. Wirklich nicht?»Was soll eigentlich dieses ganze Tamtam um den Tod?«, fragt nüchtern Julian Barnes' Mutter. Aber ihr Sohn kann deshalb oft nicht schlafen: »Ich erklärte ihr, mir widerstrebe eben der Gedanke daran.« Die Angst vor dem Tod treibt Julian Barnes seit seiner Jugend um, immer wieder umkreist er das Thema in seiner ganzen Unerbittlichkeit und Hoffnungslosigkeit, denn er glaubt nicht an Gott, vermisst ihn aber. Neugierig und um Erkenntnis bemüht sucht er in der Kunst und in der Literatur, in den Naturwissenschaften und in der Musik nach Antworten. Doch Julian Barnes ist Romancier, deshalb entwickelt er seine Gedanken aus Personen und Handlung. Und so erzählt er auch die anekdotenreiche Geschichte vom Leben und Sterben der sehr britisch zugeknöpften Familie Barnes - von den originellen Großeltern, der herrischen Mutter, dem in sich gekehrten Vater, dem besserwisserischen Philosophen-Bruder und dem belesenen, an den Künsten interessierten Julian. Seine wahren Angehörigen und Vorfahren sind für Julian Barnes allerdings nicht die Mitglieder einer englischen Lehrerfamilie, sondern Schriftsteller und Komponisten wie Stendhal, Flaubert und Strawinsky. Mit ihnen erörtert er scharfsinnig und verängstigt, flapsig und tröstlich, ironisch und ernsthaft die Angst vor dem Treppenlift, den Blick in den Abgrund, das Wie und Wo und Wann. Und hat ein aufregendes Buch geschrieben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2010Die Geschichte des Todes in zehneinhalb Kapiteln
Alle sterben, früher, später, leiser, lauter, leichter: Julian Barnes hat ein Buch über den Tod geschrieben - und zeigt, wie Worte dabei helfen können, die Furcht vor ihm auszuhalten.
Von Tobias Rüther
Dies ist ein Buch zum Sätzeanstreichen. Und genauso wird Julian Barnes seine Arbeit daran wohl auch begonnen haben: mit Sätzen, die er in anderen Büchern angestrichen hat. Bei Montaigne, Koestler oder Larkin. In Biographien über Rachmaninow, Stendhal und Strawinsky. Die meisten dieser Anstrichsätze handeln vom Tod und wie man am besten mit ihm umgeht. Der französische Schriftsteller Gustave Flaubert zum Beispiel, schon immer der Liebling von Julian Barnes, nahm sich vor: "Man sagt ,So ist es! So ist es!', schaut in die schwarze Grube zu seinen Füßen hinab und bleibt dadurch ruhig." Ein anderer Franzose, Jules Renard, schrieb an seinem Geburtstag ins Tagebuch: "Vierundvierzig - ein Alter, in dem man die Hoffnung aufgeben muss, seine Jahre zu verdoppeln." Zwei Jahre später war er tot. Und Freud meinte: "Der eigene Tod ist ja auch unvorstellbar; und sooft wir den Versuch dazu machen, können wir bemerken, dass wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben."
Viele Anstrichsätze handeln aber vom anderen großen Rätsel des Lebens: nicht dem der Liebe, die kommt zwar auch vor, aber nicht so oft. Nein, es ist die Familie, oder besser: seine Familie, mit der sich der englische Autor Julian Barnes in seinem neuen Buch intensiv beschäftigt. "Nichts, was man fürchten müsste" heißt es, und so richtig gibt es kein Format, in das man es einsortieren könnte: Für einen philosophischen Essay ist es zu lustig, für einen Lebensratgeber zu skeptisch, als Autobiographie zu flüchtig, als Sachbuch zu poetisch. Vielleicht ist es ein Krimi? Weil so viel gestorben wird. Oder ein französischer Spielfilm, es wird ja auch ständig geredet.
Es ist aber, so philosophisch, skeptisch, flüchtig und französisch es auch zugeht, ein Buch von Julian Barnes, wie es alle seine Bücher seit "Metroland" von 1980 gewesen sind, genau wie "Flauberts Papagei" und "Darüber reden" oder "Die Geschichte der Welt in 10 œ Kapiteln" oder "Arthur & George" von 2007. Bücher von Julian Barnes erkennt man typischerweise daran, dass ihr Kern - die Liebe, ein Verbrechen, jetzt also der Tod und die Familie - unablässig umkreist wird, umstellt wird von tausend Ansichten, Wahrheiten und Erinnerungen, die miteinander konkurrieren und nur in dieser Konkurrenz eine vage Ahnung davon geben, wer es gewesen ist, was die Liebe sein könnte, wie es wäre, zu sterben.
Man könnte manchmal wahnsinnig werden darüber, auch diesmal wieder, wie sehr Barnes dem endgültigen Satz, der alles entscheidet, misstraut. Und fällt er einmal doch, dieser Satz, dann nimmt ihn Barnes gleich wieder zurück. Das ist große Kunst. Er selbst hat dem widersprochen, es sei keine literarische Methode, so sei nun mal das Leben. Diese Lebensnähe hat viele seiner Romane, die frühen stärker als die späteren, allerdings so ergreifend gemacht. Und deshalb stammen die meisten Anstrichsätze aus diesem Buch, die von der Familie handeln, diesem vitalen und komplizierten Etwas, das unser Leben zusammenhält oder auseinanderreißt, auch vom Autor selbst.
Streichen wir also einen Satz an: "Ich habe nie das Grab irgendeines Angehörigen besucht und glaube auch nicht, dass ich das je tun werde", schreibt Barnes. Die Asche seiner Eltern verwehte über dem Atlantik. "Dafür habe ich die Gräber vieler verschiedener Verwandter im Geiste besucht: Flaubert, Georges Brassens, Ford Madox Ford, Strawinsky, Camus, George Sand, Toulouse-Lautrec, Evelyn Waugh, Degas, Jane Austen, Braque . . ." Fast jeder der aufgezählten Künstler taucht im Buch auf. Und oft wirkt es, als würde sich Barnes besser in ihrem Innenleben auskennen als in dem seiner Eltern, als seien sie ihm näher, als hätten sie ihn in Wirklichkeit aufgezogen, als seien sie immer viel lieber zu ihm gewesen.
Es wird oft ungemütlich, wenn Barnes von den Eltern erzählt. Seine Mutter, so liest man es heraus, hat er nicht gemocht, sein Vater stand ihm offenbar näher, tat ihm aber leid, weil er mit seiner Mutter verheiratet war. Wie tief der Lehrerhaushalt ihn und seine Bücher geprägt hat, auch das erfährt man aus dem neuen Buch. Als Barnes mit Mitte zwanzig Romane zu schreiben begann, die von Sex und Geschichte und Kunst und Paris und vom Erwachsenwerden handelten, habe er sich vorgestellt, seine Eltern wären tot. Was er damit meinte, brachte seine Mutter in einem anstrichreifen Satz zum Ausdruck: "Einer meiner Söhne schreibt Bücher, die ich lesen, aber nicht verstehen kann, und der andere schreibt Bücher, die ich verstehen, aber nicht lesen kann."
Julians Bruder Jonathan ist nämlich Philosoph von Beruf. Im Buch ist er der Sparringspartner für die Ideen des Jüngeren, er verwirft die meisten mit seiner Logik, die das heiße Herz des Romanciers auskühlen lässt und es doch eigentlich nicht ergründen kann. "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn", ist zum Beispiel so eine Idee von Julian und zugleich der erste Satz seines Buchs. "Sentimentaler Quatsch", sagt Jonathan dazu. "Ich kann ja nachvollziehen, warum jemand so etwas sagt (setz für ,Götter' mal versuchsweise ,Dodos' oder ,Yetis' ein), aber ich für meinen Teil bin mit der Lage der Dinge ganz zufrieden."
Aber was ist die Lage der Dinge? Ob es Gott gibt oder nicht, alle sterben, früher, später, leiser, lauter, leichter. Davon, wie seine Eltern starben, erzählt Barnes: erst der Vater, dann die Mutter, beide im Heim, der eine dämmernd, die andere rebellischer. Barnes selbst sagt, ihm sei mit dreizehn, vierzehn Jahren klargeworden, dass es ihn eines Tages nicht mehr geben würde (dem philosophischen Bruder angeblich schon mit vier). Sein eigener Nachruf, den er zwischendurch leichthändig entwirft, endet mit den Worten: "Er liebte seine Frau und fürchtete den Tod."
Und an dieser Stelle, zwei Drittel ins Buch hinein, kann man es nicht mehr abschütteln, das unglückliche Gefühl beim Lesen, weil diese geliebte Frau nicht mehr lebt: Pat Kavanagh starb, ein paar Monate nachdem "Nothing to be frightened of" im Sommer 2008 erschienen war, ein Gehirntumor. Da sitzt man nun vor dem Buch eines Mannes, der den Tod fürchtete und seine Frau liebte. Es ist ihr gewidmet, wie fast jedes seiner Werke. "In der Ehe", hatte Barnes 1980 im Debüt "Metroland" geschrieben, "sind alle schlechten Witze gute Witze." Plötzlich wirken alle schlechten und guten Witze über den Tod im neuen Buch teuer erkauft. "Eine Möglichkeit, die wir nicht in Betracht gezogen haben, ist die, dass Gott der letzte Ironiker ist", lautet einer von ihnen.
Die Lektüre von "Nichts, was man fürchten müsste" ist nichts, was man fürchten müsste, wenn man zum ersten Mal hört, wovon das Buch handelt: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wenn es eines gibt, werden sie da in der Lage sein, einen Zwanziger wechseln zu können? Gut, das war jetzt Woody Allen und nicht Julian Barnes, aber es hätte auch in diesem Buch stehen können, das nicht schwer ist, vielleicht hin und wieder zu nervtötend geistreich und höchstens etwas zu lang - aber dafür sammelt man Anekdoten und Sätze aus dem Leben und Sterben großer und kleiner Frauen und Männer und ist Barnes dankbar dafür, sie angestrichen und herausgeschrieben zu haben.
Zum Beispiel, wie der englische Historiker Roy Porter auf seinem Fahrrad starb, ein Herzinfarkt, "er hatte einen Strauß Blumen mit nach Hause bringen wollen, die dann von einem Augenblick zum anderen zu seinem eigenen Gedenken am Straßenrand lagen". Und klingt es noch so schön: Der Mann war trotzdem tot. Barnes weiß das. Aber er weiß eben auch, dass der Tod, die Furcht vor ihm, der Schmerz über ihn, zum Trost die Zunge löst. Oder um es mit einem seiner Anstrichsätze zu sagen, ein letztes Mal Jules Renard: "Der Tod meines Vaters gibt mir ein Gefühl, als hätte ich ein wunderbares Buch geschrieben."
Julian Barnes: "Nichts, was man fürchten müsste". Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 320 S., geb., 19,95 [Euro].
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Alle sterben, früher, später, leiser, lauter, leichter: Julian Barnes hat ein Buch über den Tod geschrieben - und zeigt, wie Worte dabei helfen können, die Furcht vor ihm auszuhalten.
Von Tobias Rüther
Dies ist ein Buch zum Sätzeanstreichen. Und genauso wird Julian Barnes seine Arbeit daran wohl auch begonnen haben: mit Sätzen, die er in anderen Büchern angestrichen hat. Bei Montaigne, Koestler oder Larkin. In Biographien über Rachmaninow, Stendhal und Strawinsky. Die meisten dieser Anstrichsätze handeln vom Tod und wie man am besten mit ihm umgeht. Der französische Schriftsteller Gustave Flaubert zum Beispiel, schon immer der Liebling von Julian Barnes, nahm sich vor: "Man sagt ,So ist es! So ist es!', schaut in die schwarze Grube zu seinen Füßen hinab und bleibt dadurch ruhig." Ein anderer Franzose, Jules Renard, schrieb an seinem Geburtstag ins Tagebuch: "Vierundvierzig - ein Alter, in dem man die Hoffnung aufgeben muss, seine Jahre zu verdoppeln." Zwei Jahre später war er tot. Und Freud meinte: "Der eigene Tod ist ja auch unvorstellbar; und sooft wir den Versuch dazu machen, können wir bemerken, dass wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben."
Viele Anstrichsätze handeln aber vom anderen großen Rätsel des Lebens: nicht dem der Liebe, die kommt zwar auch vor, aber nicht so oft. Nein, es ist die Familie, oder besser: seine Familie, mit der sich der englische Autor Julian Barnes in seinem neuen Buch intensiv beschäftigt. "Nichts, was man fürchten müsste" heißt es, und so richtig gibt es kein Format, in das man es einsortieren könnte: Für einen philosophischen Essay ist es zu lustig, für einen Lebensratgeber zu skeptisch, als Autobiographie zu flüchtig, als Sachbuch zu poetisch. Vielleicht ist es ein Krimi? Weil so viel gestorben wird. Oder ein französischer Spielfilm, es wird ja auch ständig geredet.
Es ist aber, so philosophisch, skeptisch, flüchtig und französisch es auch zugeht, ein Buch von Julian Barnes, wie es alle seine Bücher seit "Metroland" von 1980 gewesen sind, genau wie "Flauberts Papagei" und "Darüber reden" oder "Die Geschichte der Welt in 10 œ Kapiteln" oder "Arthur & George" von 2007. Bücher von Julian Barnes erkennt man typischerweise daran, dass ihr Kern - die Liebe, ein Verbrechen, jetzt also der Tod und die Familie - unablässig umkreist wird, umstellt wird von tausend Ansichten, Wahrheiten und Erinnerungen, die miteinander konkurrieren und nur in dieser Konkurrenz eine vage Ahnung davon geben, wer es gewesen ist, was die Liebe sein könnte, wie es wäre, zu sterben.
Man könnte manchmal wahnsinnig werden darüber, auch diesmal wieder, wie sehr Barnes dem endgültigen Satz, der alles entscheidet, misstraut. Und fällt er einmal doch, dieser Satz, dann nimmt ihn Barnes gleich wieder zurück. Das ist große Kunst. Er selbst hat dem widersprochen, es sei keine literarische Methode, so sei nun mal das Leben. Diese Lebensnähe hat viele seiner Romane, die frühen stärker als die späteren, allerdings so ergreifend gemacht. Und deshalb stammen die meisten Anstrichsätze aus diesem Buch, die von der Familie handeln, diesem vitalen und komplizierten Etwas, das unser Leben zusammenhält oder auseinanderreißt, auch vom Autor selbst.
Streichen wir also einen Satz an: "Ich habe nie das Grab irgendeines Angehörigen besucht und glaube auch nicht, dass ich das je tun werde", schreibt Barnes. Die Asche seiner Eltern verwehte über dem Atlantik. "Dafür habe ich die Gräber vieler verschiedener Verwandter im Geiste besucht: Flaubert, Georges Brassens, Ford Madox Ford, Strawinsky, Camus, George Sand, Toulouse-Lautrec, Evelyn Waugh, Degas, Jane Austen, Braque . . ." Fast jeder der aufgezählten Künstler taucht im Buch auf. Und oft wirkt es, als würde sich Barnes besser in ihrem Innenleben auskennen als in dem seiner Eltern, als seien sie ihm näher, als hätten sie ihn in Wirklichkeit aufgezogen, als seien sie immer viel lieber zu ihm gewesen.
Es wird oft ungemütlich, wenn Barnes von den Eltern erzählt. Seine Mutter, so liest man es heraus, hat er nicht gemocht, sein Vater stand ihm offenbar näher, tat ihm aber leid, weil er mit seiner Mutter verheiratet war. Wie tief der Lehrerhaushalt ihn und seine Bücher geprägt hat, auch das erfährt man aus dem neuen Buch. Als Barnes mit Mitte zwanzig Romane zu schreiben begann, die von Sex und Geschichte und Kunst und Paris und vom Erwachsenwerden handelten, habe er sich vorgestellt, seine Eltern wären tot. Was er damit meinte, brachte seine Mutter in einem anstrichreifen Satz zum Ausdruck: "Einer meiner Söhne schreibt Bücher, die ich lesen, aber nicht verstehen kann, und der andere schreibt Bücher, die ich verstehen, aber nicht lesen kann."
Julians Bruder Jonathan ist nämlich Philosoph von Beruf. Im Buch ist er der Sparringspartner für die Ideen des Jüngeren, er verwirft die meisten mit seiner Logik, die das heiße Herz des Romanciers auskühlen lässt und es doch eigentlich nicht ergründen kann. "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn", ist zum Beispiel so eine Idee von Julian und zugleich der erste Satz seines Buchs. "Sentimentaler Quatsch", sagt Jonathan dazu. "Ich kann ja nachvollziehen, warum jemand so etwas sagt (setz für ,Götter' mal versuchsweise ,Dodos' oder ,Yetis' ein), aber ich für meinen Teil bin mit der Lage der Dinge ganz zufrieden."
Aber was ist die Lage der Dinge? Ob es Gott gibt oder nicht, alle sterben, früher, später, leiser, lauter, leichter. Davon, wie seine Eltern starben, erzählt Barnes: erst der Vater, dann die Mutter, beide im Heim, der eine dämmernd, die andere rebellischer. Barnes selbst sagt, ihm sei mit dreizehn, vierzehn Jahren klargeworden, dass es ihn eines Tages nicht mehr geben würde (dem philosophischen Bruder angeblich schon mit vier). Sein eigener Nachruf, den er zwischendurch leichthändig entwirft, endet mit den Worten: "Er liebte seine Frau und fürchtete den Tod."
Und an dieser Stelle, zwei Drittel ins Buch hinein, kann man es nicht mehr abschütteln, das unglückliche Gefühl beim Lesen, weil diese geliebte Frau nicht mehr lebt: Pat Kavanagh starb, ein paar Monate nachdem "Nothing to be frightened of" im Sommer 2008 erschienen war, ein Gehirntumor. Da sitzt man nun vor dem Buch eines Mannes, der den Tod fürchtete und seine Frau liebte. Es ist ihr gewidmet, wie fast jedes seiner Werke. "In der Ehe", hatte Barnes 1980 im Debüt "Metroland" geschrieben, "sind alle schlechten Witze gute Witze." Plötzlich wirken alle schlechten und guten Witze über den Tod im neuen Buch teuer erkauft. "Eine Möglichkeit, die wir nicht in Betracht gezogen haben, ist die, dass Gott der letzte Ironiker ist", lautet einer von ihnen.
Die Lektüre von "Nichts, was man fürchten müsste" ist nichts, was man fürchten müsste, wenn man zum ersten Mal hört, wovon das Buch handelt: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wenn es eines gibt, werden sie da in der Lage sein, einen Zwanziger wechseln zu können? Gut, das war jetzt Woody Allen und nicht Julian Barnes, aber es hätte auch in diesem Buch stehen können, das nicht schwer ist, vielleicht hin und wieder zu nervtötend geistreich und höchstens etwas zu lang - aber dafür sammelt man Anekdoten und Sätze aus dem Leben und Sterben großer und kleiner Frauen und Männer und ist Barnes dankbar dafür, sie angestrichen und herausgeschrieben zu haben.
Zum Beispiel, wie der englische Historiker Roy Porter auf seinem Fahrrad starb, ein Herzinfarkt, "er hatte einen Strauß Blumen mit nach Hause bringen wollen, die dann von einem Augenblick zum anderen zu seinem eigenen Gedenken am Straßenrand lagen". Und klingt es noch so schön: Der Mann war trotzdem tot. Barnes weiß das. Aber er weiß eben auch, dass der Tod, die Furcht vor ihm, der Schmerz über ihn, zum Trost die Zunge löst. Oder um es mit einem seiner Anstrichsätze zu sagen, ein letztes Mal Jules Renard: "Der Tod meines Vaters gibt mir ein Gefühl, als hätte ich ein wunderbares Buch geschrieben."
Julian Barnes: "Nichts, was man fürchten müsste". Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 320 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Nicht recht froh ist Rezensent Rolf-Bernhard Essig mit diesem Buch geworden. Er beschreibt es als "extrem langen Essay", der die "Sterbekunst" wieder aufleben lassen will. Dies jedoch ist Julian Barnes seiner Ansicht nach nur mäßig gelungen. Am unterhaltsamsten findet Essig noch Barnes' Nachruf auf sich selbst. Insgesamt betrachtet der Kritiker die dargebotenen Details über das Dahinsiechen von Verwandten und Freunden des Autors als nur mäßig aufschlussreich. Denn Barnes bleibe nicht beim Persönlichen und Anekdotischen, sondern betrete auch Gebiete, von denen er augenscheinlich wenig verstehe, wie Hirnforschung, Genetik oder Evolutionsbiologie. Hier tische der Autor seinen Lesern dann immer wieder Halbverstandenes, Banales, Falsches und schlicht Uninteressantes auf, moniert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Julian Barnes hat ein brillantes Buch über den Tod geschrieben."