>>Eine Geschichte, die man NIEMALS vergessen wird Jess und Nicu lernen sich beim Müllaufsammeln im Park kennen. Auf den ersten Blick ein ungleiches Paar, entwickelt sich ihre Freundschaft bald zu einer zarten Liebe. Als die Situation bei Jess zuhause immer schlimmer wird und auch Nicus Zukunft in England bedroht ist, laufen sie davon. Doch dann trifft Nicu eine folgenschwere Entscheidung <<
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018Im Innenreich
Diese Idee ist "meißte Einstein": In ihrem Versroman schildern Sarah Crossan und Brian Conaghan zweistimmig eine Außenseiterliebe.
Von Eva-Maria Magel
Sind sie denn alle vernagelt? So beschäftigt mit sich selbst und ihren kleinen Leben, dass sie gar nicht merken, was für eine Tragödie sich da abspielt? Da ist ein Mädchen, mit allen Anlagen, sich zu entfalten, das sich einen Panzer zulegt, um den brutalen Alltag in ihrer Familie und in ihrer Schule zu überleben. Und da ist ein Junge, der aus einem fremden Land kommt, Opfer der mobbenden Schulgang und beinahe erdrückt vom Zwang seiner Verhältnisse, eine Zwangsheirat als Minderjähriger eingeschlossen. Ja klar, sie ist schon ein Früchtchen, aber nicht so, dass sich das nicht legen könnte. Und er ist ohnehin nur aus Versehen zum "Taugenichts" geworden.
Könnte man ein Buch so schütteln, dass es die Erwachsenen, die darin vorkommen, so richtig durchrüttelt, bis sie endlich etwas tun für diese Beinahe-noch-Kinder oder aber einfach abhauen - bei diesem möchte man es tun. Was schade für das Buch wäre. Denn es lädt weniger ein, es zu zausen als es zu streicheln. Was auch daran liegt, dass es schon rein äußerlich ein schönes Buch ist. Für "Nicu und Jess" hat sich der 2006 gegründete Münchner Verlag Mixtvision wieder einmal ein wundervolles Design ausgedacht, mit dem neonpinkfarbenen Seitenschnitt, dem Lesebändchen, dem cremeweißen Recyclingpapier entspricht "Nicu und Jess" gewissermaßen ganz dem Klischee eines Lyrikbands für jüngere Leser.
Gedichtet, verdichtet ist auch die Geschichte von Nicu und Jess. Auf Vers-, nicht Reim-Epen im zeitgenössischen Stil ist Sarah Crossan, Jahrgang 1981, spezialisiert, seit sie mit "Die Sprache des Wassers" (2012/13) einen ersten großen Erfolg veröffentlicht hat. Sie hat die freie Versform für sich als zeitgemäßes Medium des Erzählens entdeckt, eine Art sachliche und zugleich oft schwelgerische Poesie, die den Kommunikationsformen jüngerer Leser, vor allem den digitalen, eher entspricht und gleichzeitig durch das Spiel mit der Leerstelle im Text und dem Weißraum auf den Seiten Räume eröffnet.
Zu " Nicu und Jess" passt diese Art des Erzählens außerordentlich gut. Denn die Sprache ist schon immer ein starker Mitspieler in Crossans Texten gewesen. In diesem Fall mehr denn je, denn Crossan hat sich erstmals mit einem Kollegen zusammengetan, wobei im Buch nicht verraten wird, wer was geschrieben hat.
Brian Conaghan ("Der Junge, der es regnen ließ"), zehn Jahre älter als Crossan und wie sie auch als Lehrer erfahren, scheint perfekt zu harmonieren. Gemeinsam entfalten sie die tragische Geschichte zweier Jugendlicher, die einen Hauch "Romeo und Julia" hat. Nicus Eltern wollen den Fünfzehnjährigen an eine Gleichaltrige verheiraten. Und Jess, zu Hause dem Terror des Stiefvaters ausgesetzt, der die Mutter verprügelt und sie bedrängt, schwant, dass sie nicht mehr lange dort bleiben kann. "Ich denke, dein Idee ist meißte Einstein uberhaupt", schreibt Nicu ihr, als Jess das erste Mal von Abhauen spricht. Wo Jess hinter ihrem äußerlich oft teenagermäßig mundfaulen Gestammel nur halb ein außergewöhnliches Sprachund Denktalent verbirgt, ist es bei Nicu umgekehrt: Er würde, könnte er, in den blumigsten und gewähltesten Worten sprechen.
Allein, für ihn ist die neue Sprache eine "harte Melone zu knacken". Er kommt aus Rumänien, ein Roma-Junge, Diskriminierung ist er von zu Hause gewöhnt. In England, Anglia, ist die noch viel schlimmer, und er kann sich, weil er kaum Worte findet, noch weniger wehren als möglich. Aber, das ist der große Unterschied, es gibt für ihn auch eine Hoffnung, auf bessere Tage, Schule, Arbeit, Selbstbestimmung. Und auf Jess.
All das entfaltet er, der äußerlich Sprachlose, in seinem Teil der wechselnden inneren Monologe, in der ihm fremden Sprache. Es ist ein ungeheurer Reichtum, der sich in dieser bisweilen auch herzlich komischen gebrochenen Sprache auftut. Ein sprachlicher Reichtum all der unfreiwilligen Neologismen, aber vor allem ein gedanklicher und emotionaler. "Ein guter Junge", so nennt ihn die Sozialarbeiterin Dawn, die Jess und Nicu betreut, und recht hat sie - ohne, wie alle Erwachsenen, auch nur zu ahnen, welche Kämpfe die beiden ertragen müssen. Und ein Guter, das ist Nicu bis zum Showdown am Bahnhof, wenn er sich opfert, damit Jess, vielleicht, ein besseres Leben hat.
"Nicu und Jess" ist ein herzzerreißender Liebes- und Freundschaftsroman. Er wirft zugleich einen schonungslosen und ziemlich realistischen Blick auf ein desolates Umfeld, auf abgestumpfte Jugendliche, denen jedes Mitleid fehlt, auf Lehrer und Eltern, die ihr eigenes Versagen auf Kosten ihrer Schutzbefohlenen ausleben. Auf eine Gesellschaft, deren Vorurteile es schon zum Glücksfall machen, wenn jemand ohne Privilegien sich entwickeln kann. Ach, könnte man sie doch schütteln.
Sarah Crossan, Brian Conaghan: "Nicu & Jess". Roman.
Aus dem Englischen von Cordula Setsman. Mixtvision Verlag, München 2018. 330 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diese Idee ist "meißte Einstein": In ihrem Versroman schildern Sarah Crossan und Brian Conaghan zweistimmig eine Außenseiterliebe.
Von Eva-Maria Magel
Sind sie denn alle vernagelt? So beschäftigt mit sich selbst und ihren kleinen Leben, dass sie gar nicht merken, was für eine Tragödie sich da abspielt? Da ist ein Mädchen, mit allen Anlagen, sich zu entfalten, das sich einen Panzer zulegt, um den brutalen Alltag in ihrer Familie und in ihrer Schule zu überleben. Und da ist ein Junge, der aus einem fremden Land kommt, Opfer der mobbenden Schulgang und beinahe erdrückt vom Zwang seiner Verhältnisse, eine Zwangsheirat als Minderjähriger eingeschlossen. Ja klar, sie ist schon ein Früchtchen, aber nicht so, dass sich das nicht legen könnte. Und er ist ohnehin nur aus Versehen zum "Taugenichts" geworden.
Könnte man ein Buch so schütteln, dass es die Erwachsenen, die darin vorkommen, so richtig durchrüttelt, bis sie endlich etwas tun für diese Beinahe-noch-Kinder oder aber einfach abhauen - bei diesem möchte man es tun. Was schade für das Buch wäre. Denn es lädt weniger ein, es zu zausen als es zu streicheln. Was auch daran liegt, dass es schon rein äußerlich ein schönes Buch ist. Für "Nicu und Jess" hat sich der 2006 gegründete Münchner Verlag Mixtvision wieder einmal ein wundervolles Design ausgedacht, mit dem neonpinkfarbenen Seitenschnitt, dem Lesebändchen, dem cremeweißen Recyclingpapier entspricht "Nicu und Jess" gewissermaßen ganz dem Klischee eines Lyrikbands für jüngere Leser.
Gedichtet, verdichtet ist auch die Geschichte von Nicu und Jess. Auf Vers-, nicht Reim-Epen im zeitgenössischen Stil ist Sarah Crossan, Jahrgang 1981, spezialisiert, seit sie mit "Die Sprache des Wassers" (2012/13) einen ersten großen Erfolg veröffentlicht hat. Sie hat die freie Versform für sich als zeitgemäßes Medium des Erzählens entdeckt, eine Art sachliche und zugleich oft schwelgerische Poesie, die den Kommunikationsformen jüngerer Leser, vor allem den digitalen, eher entspricht und gleichzeitig durch das Spiel mit der Leerstelle im Text und dem Weißraum auf den Seiten Räume eröffnet.
Zu " Nicu und Jess" passt diese Art des Erzählens außerordentlich gut. Denn die Sprache ist schon immer ein starker Mitspieler in Crossans Texten gewesen. In diesem Fall mehr denn je, denn Crossan hat sich erstmals mit einem Kollegen zusammengetan, wobei im Buch nicht verraten wird, wer was geschrieben hat.
Brian Conaghan ("Der Junge, der es regnen ließ"), zehn Jahre älter als Crossan und wie sie auch als Lehrer erfahren, scheint perfekt zu harmonieren. Gemeinsam entfalten sie die tragische Geschichte zweier Jugendlicher, die einen Hauch "Romeo und Julia" hat. Nicus Eltern wollen den Fünfzehnjährigen an eine Gleichaltrige verheiraten. Und Jess, zu Hause dem Terror des Stiefvaters ausgesetzt, der die Mutter verprügelt und sie bedrängt, schwant, dass sie nicht mehr lange dort bleiben kann. "Ich denke, dein Idee ist meißte Einstein uberhaupt", schreibt Nicu ihr, als Jess das erste Mal von Abhauen spricht. Wo Jess hinter ihrem äußerlich oft teenagermäßig mundfaulen Gestammel nur halb ein außergewöhnliches Sprachund Denktalent verbirgt, ist es bei Nicu umgekehrt: Er würde, könnte er, in den blumigsten und gewähltesten Worten sprechen.
Allein, für ihn ist die neue Sprache eine "harte Melone zu knacken". Er kommt aus Rumänien, ein Roma-Junge, Diskriminierung ist er von zu Hause gewöhnt. In England, Anglia, ist die noch viel schlimmer, und er kann sich, weil er kaum Worte findet, noch weniger wehren als möglich. Aber, das ist der große Unterschied, es gibt für ihn auch eine Hoffnung, auf bessere Tage, Schule, Arbeit, Selbstbestimmung. Und auf Jess.
All das entfaltet er, der äußerlich Sprachlose, in seinem Teil der wechselnden inneren Monologe, in der ihm fremden Sprache. Es ist ein ungeheurer Reichtum, der sich in dieser bisweilen auch herzlich komischen gebrochenen Sprache auftut. Ein sprachlicher Reichtum all der unfreiwilligen Neologismen, aber vor allem ein gedanklicher und emotionaler. "Ein guter Junge", so nennt ihn die Sozialarbeiterin Dawn, die Jess und Nicu betreut, und recht hat sie - ohne, wie alle Erwachsenen, auch nur zu ahnen, welche Kämpfe die beiden ertragen müssen. Und ein Guter, das ist Nicu bis zum Showdown am Bahnhof, wenn er sich opfert, damit Jess, vielleicht, ein besseres Leben hat.
"Nicu und Jess" ist ein herzzerreißender Liebes- und Freundschaftsroman. Er wirft zugleich einen schonungslosen und ziemlich realistischen Blick auf ein desolates Umfeld, auf abgestumpfte Jugendliche, denen jedes Mitleid fehlt, auf Lehrer und Eltern, die ihr eigenes Versagen auf Kosten ihrer Schutzbefohlenen ausleben. Auf eine Gesellschaft, deren Vorurteile es schon zum Glücksfall machen, wenn jemand ohne Privilegien sich entwickeln kann. Ach, könnte man sie doch schütteln.
Sarah Crossan, Brian Conaghan: "Nicu & Jess". Roman.
Aus dem Englischen von Cordula Setsman. Mixtvision Verlag, München 2018. 330 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
mit Sicherheit unvergesslich Andrea Wedan, Buchkultur ... unglaublich ausdrucksstark geschrieben in freier Versform. Verena Specks-Ludwig, WDR 5 Scala Bücher so voller Poesie, dass sie (...) uns Lesende immer wieder umhaut. Kathrin Köller, Eselsohr Eine fesselnde Geschichte, die auch für anspruchsvollere Leser gut geeignet ist. Dr. Roswitha Budeus- Budde, Süddeutsche Zeitung "Die Geschichte von Nicu und Jess klingt lange nach, wühlt seltsam auf..." Brigitte Jakobeit, Die Zeit "Komisch und herzzerreißend." Anja Robert, Radio Bremen "ein herzzerreißender Liebes- und Freundschaftsroman" Eva-Maria Magel, Frankfurter Allgemeine Zeitung