Tödliche Wahl - der neue Roman der New-York-Times-Bestsellerautorin Marisha Pessl! Ein packender Genre-Mix aus Psycho-Thriller, Coming-of-Age und Mystery. Seit Jims ungeklärtem Tod hat Bee keinen ihrer Freunde mehr gesprochen. Als sich die fünf ein Jahr später in einem noblen Wochenendhaus an der Küste wiedertreffen, entgehen sie nachts nur knapp einem Autounfall. Unter Schock und vom Regen durchnässt kehren sie ins Haus zurück. Doch dann klopft ein geheimnisvoller Unbekannter an die Tür und eröffnet ihnen das Unfassbare: Der Unfall ist wirklich passiert und es gibt nur einen Überlebenden. Die Freunde sind in einer Zeitschleife zwischen Tod und Leben gefangen, in der sie dieselben elf Stunden immer wieder durchlaufen - bis sie sich geeinigt haben, wer von ihnen überlebt. Der Schlüssel zur Entscheidung scheint Jims Tod zu sein - in ihrer Verzweiflung beginnen die Freunde nachzuforschen, was wirklich mit ihm passiert ist, in jener Nacht, in der er in den Steinbruch stürzte. Und langsam wird klar, dass sie alle etwas zu verbergen haben ... Ein echter Page-Turner, der einen nicht mehr loslässt! »Aufregend, unvorhersehbar und nervenzehrend.« School Library Journal »Eine gelungene Mischung aus dunkler Mystery und völlig abgefahrenem Thriller mit echtem Wow-Effekt.« Buchkultur
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2019Wie soll man bloß sein Leben leben?
Ein Fuchs, der ein Reh sein will, ein einsamer Prinz und ein Junge, der krank im Bett liegt: Tilman Spreckelsen empfiehlt sieben Bücher für die Ferien.
Über den Dächern von Stockholm.
Wenn man krank ist und im Bett liegt, weil ein Bein wie gelähmt ist, seit Monaten schon und ohne Aussicht auf Genesung, wenn die eigenen Eltern deshalb besorgt miteinander flüstern (was man nicht hören soll und trotzdem hört), wenn man also abgeschnitten ist von allem, was das Leben in der Großstadt vorher ausgemacht hat, dann ist so etwas wie der Bau einer U-Bahn direkt vor der eigenen Haustür beinahe schmerzlich: Draußen geht es weiter mit der neuen Zeit, heißt das, nur man selbst nimmt nicht mehr daran teil.
Wenn wir an Astrid Lindgrens Werk denken, dann denken wir meist an Bullerbü, an den Wald von Ronja Räubertochter oder an die Insel Saltkrokan - einzig die drei "Karlsson vom Dach"-Romane erinnern noch daran, dass zahlreiche Bücher der Autorin in einer Großstadt angesiedelt sind, mit der wohl Stockholm gemeint ist. Eine der schönsten Erzählungen Lindgrens, "Im Land der Dämmerung", liegt in einer von Marit Törnqvist traumhaft schön illustrierten Ausgabe vor, deren Bilder Stockholm im Abendlicht zeigen: die großbürgerlichen Wohnungen und die der kleinen Leute, die Klara-Kirche, den königlichen Palast und den Vergnügungspark Skansen mit seinen Tieren und den Häusern aus allen schwedischen Landesteilen.
Für den Jungen mit dem lahmen Bein, Lindgrens Erzähler, ist all dies eigentlich unerreichbar. Seit ihn aber ein gewisser Herr Lilienstengel besucht, der bei Anbruch der Dämmerung durchs offene Fenster ins Krankenzimmer kommt, den Jungen an die Hand nimmt und über das abendliche Stockholm fliegt, spielt die Krankheit keine Rolle mehr: Alles ist möglich in diesem ebenso tröstlichen wie traurigen Buch.
Astrid Lindgren, Marit Törnqvist: "Im Land der Dämmerung"; aus dem Schwedischen von Karl Kurt Peters; Oetinger Verlag, Hamburg 1995; 46 S., geb., 12,90 Euro; ab 4 Jahre.
Die Staatsraison und die Liebe.
Es braucht ein paar wenige Worte, die der Prinz und die Schwanenfrau miteinander wechseln, und der Prinz ist verliebt, unsterblich, bis über beide Ohren, während er für die Geliebte die große Hoffnung verkörpert, endlich dem Verzaubertsein zu entkommen - so rasant geht es in Peter Tschaikowskys Ballett "Schwanensee" zu und auch in Lisbeth Zwergers Nachdichtung, die aus dem Tanztheater wieder ein Märchen macht, das sie selbst wundervoll illustriert hat. Nur dass sich der Prinz genau so rasch, wie er sich kurz zuvor verliebt hatte, nun von der schwarzen Schwanenfrau täuschen lässt, als die bei dem eigens ausgerufenen Ball erscheint, der dem Prinzen endlich die vom Hofstaat herbeigesehnte Braut bringen soll, schließlich soll er schon aus Staatsraison unter die Haube.
Dass die Sache bei Zwerger - anders als in der heute bekannten Fassung von Tschaikowskys Werk - doch noch gut ausgeht, ist nicht nur Zwergers Beharren darauf geschuldet, sondern auch der Existenz entsprechender Versionen dieses Märchentyps, der aber noch ganz andere Fallstricke für das Glück der Liebenden bereithält. Denn unter den Schwanenfrauen ist die Sehnsucht zu fliegen sehr groß: Sie müssen erst von ihren künftigen Männern überlistet und eingefangen werden, indem diese das abgelegte Gefieder der Badenden verstecken und später verschlossen halten, was auf die Dauer aber nicht erfolgreich ist.
Tschaikowsky wie Zwerger weichen diesem Konflikt aus, die Illustratorin aber lenkt den Blick auf etwas ganz anderes: In ihren Bildern vom fast leergefegten Ballsaal und dem steifen Zeremoniell selbst im Tanz zeigt sie einen Prinzen, der bei Hof gar nicht einsamer sein könnte und dessen Sehnsucht nach Liebe nur zu verständlich ist.
Lisbeth Zwerger, Peter I. Tschaikowsky: "Schwanensee"; NordSüd Verlag, Zürich 2019; 32 S., geb., 16 Euro; ab 6 Jahre.
Einmal durch Amerika.
Vier Kinder, die um die Wende zum 20. Jahrhundert im Mississippi-Delta aufwachsen, die zusammenhalten und doch in jeder Hinsicht unterschiedlich sind - das ist die Ausgangslage von Davide Morosinottos Kinderbuch "Die Mississippi-Bande". Bis sich sein Untertitel "Wie wir mit drei Dollar reich wurden" erfüllt, müssen die vier nicht nur eine Fluss- und Eisenbahnfahrt bis in den Norden der Vereinigten Staaten hinter sich bringen, sie müssen Verbrecher abwehren, die ihnen ans Leben wollen, und erkennen, dass es sehr leicht ist, den Falschen zu vertrauen, wenn man nur eine irrtümlich erhaltene Sendung zurückgeben will.
Denn auch davon erzählt dieser spannende Roman: von einer Gesellschaft im Aufbruch, in der Versandhäuser das ganze Land miteinander in Verbindung bringen und Kataloge von einer Welt erzählen, in der alles möglich scheint. Die Reise durch Amerika aber avanciert für uns Leser so zu einer Reise durch die Zeit. Und lässt die Frage aufscheinen, ob es nicht auch ganz anders hätte kommen können.
Davide Morosinotto: "Die Mississippi-Bande. Wie wir mit drei Dollar reich wurden"; aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi; Thienemann Verlag, Stuttgart 2017; 368 S., geb., 15 Euro; ab 10 Jahre.
Über den Zaun in den Wald.
Wenn ein Kind seine Familie verloren hat, muss man sich um es kümmern. Für Mama Reh ist das selbstverständlich, für andere Tiere im Wald keineswegs. Denn bei dem Kind handelt es sich um einen jungen Fuchs, und von dem glauben alle zu wissen, dass man ihm nicht trauen kann - einfach, weil er ein Fuchs ist.
In Kirsten Boies Roman "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte" geht es dann genauso zu, wie es der Titel verspricht: Der Fuchs passt sich an, er sucht Geborgenheit in einer Familie, die ganz anders ist als er selbst, und zu den schönsten Passagen des Buchs gehört, wie dieses Miteinander manchmal sogar gelingt: Wenn der Fuchs nicht wie die Rehe über einen Zaun springen kann, zwängt er sich eben darunter durch. Dann aber steht ein böser Verdacht gegen den Welpen im Raum. Und er braucht die Hilfe seiner neuen Geschwister, um ihn zu entkräften.
Am Ende steht die Frage, wo man am besten aufgehoben ist und wie weit man sich gegen seine Natur anpassen kann. Schlägt man das Buch wieder zu, ist sie noch lange nicht geklärt.
Kirsten Boie: "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte"; Oetinger Verlag, Hamburg 2019; 192 S., geb., 16 Euro; ab 8 Jahre.
Wenn der Müll nun schon da ist.
Er ist überall, wir produzieren ständig neuen, und inzwischen droht er nicht nur uns, sondern den Lebewesen auf der Erde insgesamt über den Kopf zu wachsen. Die "lästigste Sache der Welt", so nennt die Illustratorin Gerda Raidt den Abfall. Ihm und unserem Umgang damit hat sie nun ein ganzes Buch gewidmet. Sie hat dafür enorm recherchiert, einen gut verständlichen, bisweilen sogar witzigen Text geschrieben und ihn so illustriert, dass sich das Ergebnis meilenweit von anderen, wesentlich drögeren Büchern zum Thema abhebt.
Was wir tun können, um Müll zu vermeiden, beschreibt die Autorin auch, etwa das Eindämmen der Verpackungsflut oder die Vergeudung von Lebensmitteln. Und wenn der Müll nun schon da ist? Das Buch steckt voller Ideen, was man damit anfangen kann, von Stühlen aus Euro-Paletten über Lampenschirme aus Altglas bis hin zu ganzen Häusern aus Müll. Und seltsamerweise entlässt Raidt uns so aus diesem Buch über ein anspruchsvolles Problem gar nicht besorgt, sondern mit dem Impuls, etwas dagegen zu tun.
Gerda Raidt: "Müll": Alles über die lästigste Sache der Welt; Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2019; 96 S., geb., 14,95 Euro; ab 6 Jahre.
Von der Suche nach einem Heim.
"Zuhause Nummer 16", so ist das erste Kapitel von "Wünsche sind für Versager" überschrieben. Was das heißt, wird sehr schnell klar. Olivia, die elfjährige Erzählerin des Romans, hat zu diesem Zeitpunkt schon fünfzehnmal versucht, mit den Erwachsenen klarzukommen, die ihr eigentlich ein Zuhause bieten sollten, angefangen mit ihrer Mutter, von der Olivia sagt: "Meine Mum hat mich von Anfang an gehasst." Fünfzehnmal ging es schief, bevor sie nun auf den einsamen Hof kommt, auf dem Jim mit seinen Kindern und einem weiteren Pflegekind, einer Teenie-Mutter, lebt. Olivias Erzählung von dem, was sie bei Jim erlebt, wird immer wieder durch ihre Erinnerungen an frühere Pflegeeinrichtungen unterbrochen, und aus diesen beiden Strängen entsteht ein intensiver, trauriger, zugleich auch hoffnungsvoller Roman, und das Wagnis der Autorin, jener verschlossenen, misstrauischen, äußerst liebebedürftigen Olivia eine Stimme zu verleihen, die hier nie aufgesetzt oder gezwungen klingt, geht vollkommen auf.
Hinzu kommt aber wie ein ferner Spiegel die Geschichte einer Hebamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, die Hunderte von Säuglingen ermordete und deren Fotografie, die in Jims Haus, ihrer einstigen Wirkungsstätte, an der Wand hängt, Olivia so beeindruckt und erschreckt, dass sie nun glaubt, den Geist der Mörderin zu sehen und ihre Befehle zu vernehmen. Es ist dieser Teil der Geschichte, der die positive Entwicklung Olivias im sechzehnten Versuch, ein Heim zu finden, schließlich bedroht. Und der den Leser dieses einfühlsamen Romans in steter Anspannung hält.
Sally Nicholls: "Wünsche sind für Versager"; aus dem Englischen von Beate Schäfer; Hanser Verlag, München 2016; 223 S., br., 15,90 Euro; ab 14 Jahre.
Einer darf davonkommen.
Wenn man tot ist und gar nicht gemerkt hat, dass man gestorben ist, dann ist das eine Situation, der man wohl am liebsten schnell entkommen möchte. Doch Bee und ihre vier Freunde sind in einer Zeitschleife gefangen: Sie erleben den Tag ihres Unfalltods immer wieder, und das so lange, bis sie sich darauf geeinigt haben, wer von ihnen überleben darf - die übrigen vier werden dann endgültig sterben.
Marisha Pessls überaus spannender Roman macht aus dieser durchaus bekannten Konstruktion eine raffinierte Geschichte um Schuld, Lüge und Mitgefühl. Im Angesicht des Todes stellt sich die Frage, wie man sein Leben hätte leben sollen. Nach dem Sinn von Reue im letzten Moment. Und danach, wie man entscheiden soll, wer aus einer Gruppe eine zweite Chance verdient hat: der Talentierteste? Derjenige, der den meisten Nutzen für das Gemeinwohl verspricht?
Pessls Antwort ist überraschend und bei näherem Hinsehen nur zu begründet. Auch deshalb sollte man diesen so intelligenten wie spannenden Roman nicht verpassen.
Marisha Pessl: "Niemalswelt"; aus dem Englischen von Claudia Feldmann; Carlsen Verlag, Hamburg 2019; 384 S., geb., 18 Euro; ab 14 Jahre.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Fuchs, der ein Reh sein will, ein einsamer Prinz und ein Junge, der krank im Bett liegt: Tilman Spreckelsen empfiehlt sieben Bücher für die Ferien.
Über den Dächern von Stockholm.
Wenn man krank ist und im Bett liegt, weil ein Bein wie gelähmt ist, seit Monaten schon und ohne Aussicht auf Genesung, wenn die eigenen Eltern deshalb besorgt miteinander flüstern (was man nicht hören soll und trotzdem hört), wenn man also abgeschnitten ist von allem, was das Leben in der Großstadt vorher ausgemacht hat, dann ist so etwas wie der Bau einer U-Bahn direkt vor der eigenen Haustür beinahe schmerzlich: Draußen geht es weiter mit der neuen Zeit, heißt das, nur man selbst nimmt nicht mehr daran teil.
Wenn wir an Astrid Lindgrens Werk denken, dann denken wir meist an Bullerbü, an den Wald von Ronja Räubertochter oder an die Insel Saltkrokan - einzig die drei "Karlsson vom Dach"-Romane erinnern noch daran, dass zahlreiche Bücher der Autorin in einer Großstadt angesiedelt sind, mit der wohl Stockholm gemeint ist. Eine der schönsten Erzählungen Lindgrens, "Im Land der Dämmerung", liegt in einer von Marit Törnqvist traumhaft schön illustrierten Ausgabe vor, deren Bilder Stockholm im Abendlicht zeigen: die großbürgerlichen Wohnungen und die der kleinen Leute, die Klara-Kirche, den königlichen Palast und den Vergnügungspark Skansen mit seinen Tieren und den Häusern aus allen schwedischen Landesteilen.
Für den Jungen mit dem lahmen Bein, Lindgrens Erzähler, ist all dies eigentlich unerreichbar. Seit ihn aber ein gewisser Herr Lilienstengel besucht, der bei Anbruch der Dämmerung durchs offene Fenster ins Krankenzimmer kommt, den Jungen an die Hand nimmt und über das abendliche Stockholm fliegt, spielt die Krankheit keine Rolle mehr: Alles ist möglich in diesem ebenso tröstlichen wie traurigen Buch.
Astrid Lindgren, Marit Törnqvist: "Im Land der Dämmerung"; aus dem Schwedischen von Karl Kurt Peters; Oetinger Verlag, Hamburg 1995; 46 S., geb., 12,90 Euro; ab 4 Jahre.
Die Staatsraison und die Liebe.
Es braucht ein paar wenige Worte, die der Prinz und die Schwanenfrau miteinander wechseln, und der Prinz ist verliebt, unsterblich, bis über beide Ohren, während er für die Geliebte die große Hoffnung verkörpert, endlich dem Verzaubertsein zu entkommen - so rasant geht es in Peter Tschaikowskys Ballett "Schwanensee" zu und auch in Lisbeth Zwergers Nachdichtung, die aus dem Tanztheater wieder ein Märchen macht, das sie selbst wundervoll illustriert hat. Nur dass sich der Prinz genau so rasch, wie er sich kurz zuvor verliebt hatte, nun von der schwarzen Schwanenfrau täuschen lässt, als die bei dem eigens ausgerufenen Ball erscheint, der dem Prinzen endlich die vom Hofstaat herbeigesehnte Braut bringen soll, schließlich soll er schon aus Staatsraison unter die Haube.
Dass die Sache bei Zwerger - anders als in der heute bekannten Fassung von Tschaikowskys Werk - doch noch gut ausgeht, ist nicht nur Zwergers Beharren darauf geschuldet, sondern auch der Existenz entsprechender Versionen dieses Märchentyps, der aber noch ganz andere Fallstricke für das Glück der Liebenden bereithält. Denn unter den Schwanenfrauen ist die Sehnsucht zu fliegen sehr groß: Sie müssen erst von ihren künftigen Männern überlistet und eingefangen werden, indem diese das abgelegte Gefieder der Badenden verstecken und später verschlossen halten, was auf die Dauer aber nicht erfolgreich ist.
Tschaikowsky wie Zwerger weichen diesem Konflikt aus, die Illustratorin aber lenkt den Blick auf etwas ganz anderes: In ihren Bildern vom fast leergefegten Ballsaal und dem steifen Zeremoniell selbst im Tanz zeigt sie einen Prinzen, der bei Hof gar nicht einsamer sein könnte und dessen Sehnsucht nach Liebe nur zu verständlich ist.
Lisbeth Zwerger, Peter I. Tschaikowsky: "Schwanensee"; NordSüd Verlag, Zürich 2019; 32 S., geb., 16 Euro; ab 6 Jahre.
Einmal durch Amerika.
Vier Kinder, die um die Wende zum 20. Jahrhundert im Mississippi-Delta aufwachsen, die zusammenhalten und doch in jeder Hinsicht unterschiedlich sind - das ist die Ausgangslage von Davide Morosinottos Kinderbuch "Die Mississippi-Bande". Bis sich sein Untertitel "Wie wir mit drei Dollar reich wurden" erfüllt, müssen die vier nicht nur eine Fluss- und Eisenbahnfahrt bis in den Norden der Vereinigten Staaten hinter sich bringen, sie müssen Verbrecher abwehren, die ihnen ans Leben wollen, und erkennen, dass es sehr leicht ist, den Falschen zu vertrauen, wenn man nur eine irrtümlich erhaltene Sendung zurückgeben will.
Denn auch davon erzählt dieser spannende Roman: von einer Gesellschaft im Aufbruch, in der Versandhäuser das ganze Land miteinander in Verbindung bringen und Kataloge von einer Welt erzählen, in der alles möglich scheint. Die Reise durch Amerika aber avanciert für uns Leser so zu einer Reise durch die Zeit. Und lässt die Frage aufscheinen, ob es nicht auch ganz anders hätte kommen können.
Davide Morosinotto: "Die Mississippi-Bande. Wie wir mit drei Dollar reich wurden"; aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi; Thienemann Verlag, Stuttgart 2017; 368 S., geb., 15 Euro; ab 10 Jahre.
Über den Zaun in den Wald.
Wenn ein Kind seine Familie verloren hat, muss man sich um es kümmern. Für Mama Reh ist das selbstverständlich, für andere Tiere im Wald keineswegs. Denn bei dem Kind handelt es sich um einen jungen Fuchs, und von dem glauben alle zu wissen, dass man ihm nicht trauen kann - einfach, weil er ein Fuchs ist.
In Kirsten Boies Roman "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte" geht es dann genauso zu, wie es der Titel verspricht: Der Fuchs passt sich an, er sucht Geborgenheit in einer Familie, die ganz anders ist als er selbst, und zu den schönsten Passagen des Buchs gehört, wie dieses Miteinander manchmal sogar gelingt: Wenn der Fuchs nicht wie die Rehe über einen Zaun springen kann, zwängt er sich eben darunter durch. Dann aber steht ein böser Verdacht gegen den Welpen im Raum. Und er braucht die Hilfe seiner neuen Geschwister, um ihn zu entkräften.
Am Ende steht die Frage, wo man am besten aufgehoben ist und wie weit man sich gegen seine Natur anpassen kann. Schlägt man das Buch wieder zu, ist sie noch lange nicht geklärt.
Kirsten Boie: "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte"; Oetinger Verlag, Hamburg 2019; 192 S., geb., 16 Euro; ab 8 Jahre.
Wenn der Müll nun schon da ist.
Er ist überall, wir produzieren ständig neuen, und inzwischen droht er nicht nur uns, sondern den Lebewesen auf der Erde insgesamt über den Kopf zu wachsen. Die "lästigste Sache der Welt", so nennt die Illustratorin Gerda Raidt den Abfall. Ihm und unserem Umgang damit hat sie nun ein ganzes Buch gewidmet. Sie hat dafür enorm recherchiert, einen gut verständlichen, bisweilen sogar witzigen Text geschrieben und ihn so illustriert, dass sich das Ergebnis meilenweit von anderen, wesentlich drögeren Büchern zum Thema abhebt.
Was wir tun können, um Müll zu vermeiden, beschreibt die Autorin auch, etwa das Eindämmen der Verpackungsflut oder die Vergeudung von Lebensmitteln. Und wenn der Müll nun schon da ist? Das Buch steckt voller Ideen, was man damit anfangen kann, von Stühlen aus Euro-Paletten über Lampenschirme aus Altglas bis hin zu ganzen Häusern aus Müll. Und seltsamerweise entlässt Raidt uns so aus diesem Buch über ein anspruchsvolles Problem gar nicht besorgt, sondern mit dem Impuls, etwas dagegen zu tun.
Gerda Raidt: "Müll": Alles über die lästigste Sache der Welt; Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2019; 96 S., geb., 14,95 Euro; ab 6 Jahre.
Von der Suche nach einem Heim.
"Zuhause Nummer 16", so ist das erste Kapitel von "Wünsche sind für Versager" überschrieben. Was das heißt, wird sehr schnell klar. Olivia, die elfjährige Erzählerin des Romans, hat zu diesem Zeitpunkt schon fünfzehnmal versucht, mit den Erwachsenen klarzukommen, die ihr eigentlich ein Zuhause bieten sollten, angefangen mit ihrer Mutter, von der Olivia sagt: "Meine Mum hat mich von Anfang an gehasst." Fünfzehnmal ging es schief, bevor sie nun auf den einsamen Hof kommt, auf dem Jim mit seinen Kindern und einem weiteren Pflegekind, einer Teenie-Mutter, lebt. Olivias Erzählung von dem, was sie bei Jim erlebt, wird immer wieder durch ihre Erinnerungen an frühere Pflegeeinrichtungen unterbrochen, und aus diesen beiden Strängen entsteht ein intensiver, trauriger, zugleich auch hoffnungsvoller Roman, und das Wagnis der Autorin, jener verschlossenen, misstrauischen, äußerst liebebedürftigen Olivia eine Stimme zu verleihen, die hier nie aufgesetzt oder gezwungen klingt, geht vollkommen auf.
Hinzu kommt aber wie ein ferner Spiegel die Geschichte einer Hebamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, die Hunderte von Säuglingen ermordete und deren Fotografie, die in Jims Haus, ihrer einstigen Wirkungsstätte, an der Wand hängt, Olivia so beeindruckt und erschreckt, dass sie nun glaubt, den Geist der Mörderin zu sehen und ihre Befehle zu vernehmen. Es ist dieser Teil der Geschichte, der die positive Entwicklung Olivias im sechzehnten Versuch, ein Heim zu finden, schließlich bedroht. Und der den Leser dieses einfühlsamen Romans in steter Anspannung hält.
Sally Nicholls: "Wünsche sind für Versager"; aus dem Englischen von Beate Schäfer; Hanser Verlag, München 2016; 223 S., br., 15,90 Euro; ab 14 Jahre.
Einer darf davonkommen.
Wenn man tot ist und gar nicht gemerkt hat, dass man gestorben ist, dann ist das eine Situation, der man wohl am liebsten schnell entkommen möchte. Doch Bee und ihre vier Freunde sind in einer Zeitschleife gefangen: Sie erleben den Tag ihres Unfalltods immer wieder, und das so lange, bis sie sich darauf geeinigt haben, wer von ihnen überleben darf - die übrigen vier werden dann endgültig sterben.
Marisha Pessls überaus spannender Roman macht aus dieser durchaus bekannten Konstruktion eine raffinierte Geschichte um Schuld, Lüge und Mitgefühl. Im Angesicht des Todes stellt sich die Frage, wie man sein Leben hätte leben sollen. Nach dem Sinn von Reue im letzten Moment. Und danach, wie man entscheiden soll, wer aus einer Gruppe eine zweite Chance verdient hat: der Talentierteste? Derjenige, der den meisten Nutzen für das Gemeinwohl verspricht?
Pessls Antwort ist überraschend und bei näherem Hinsehen nur zu begründet. Auch deshalb sollte man diesen so intelligenten wie spannenden Roman nicht verpassen.
Marisha Pessl: "Niemalswelt"; aus dem Englischen von Claudia Feldmann; Carlsen Verlag, Hamburg 2019; 384 S., geb., 18 Euro; ab 14 Jahre.
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