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Nigeria ist ein Land der extremen Gegensätze. Heinrich Bergstresser versucht sich dieser Realität zu nähern und geht den Gründen für die vielfältigen Verwerfungen des "Systems" Nigeria nach. Auch mit Hilfe junger und etablierter nigerianischer Autoren wirft er einen ungeschminkten Blick auf dieses schwierige Land. Der größte christlich-islamische Staat der Welt und bevölkerungsreichste Teil Afrikas, der über große Erdöl- und riesige Erdgasreserven verfügt und die größte afrikanische Diaspora in Übersee stellt, versucht seit nunmehr 50 Jahren den Weg zu finden, aus dem ethnisch und religiös…mehr

Produktbeschreibung
Nigeria ist ein Land der extremen Gegensätze. Heinrich Bergstresser versucht sich dieser Realität zu nähern und geht den Gründen für die vielfältigen Verwerfungen des "Systems" Nigeria nach. Auch mit Hilfe junger und etablierter nigerianischer Autoren wirft er einen ungeschminkten Blick auf dieses schwierige Land. Der größte christlich-islamische Staat der Welt und bevölkerungsreichste Teil Afrikas, der über große Erdöl- und riesige Erdgasreserven verfügt und die größte afrikanische Diaspora in Übersee stellt, versucht seit nunmehr 50 Jahren den Weg zu finden, aus dem ethnisch und religiös hochkomplizierten Gebilde Nigeria eine Nation zu formen. Irrungen und Wirrungen kennzeichnen diesen Weg, auf dem Freud und Leid, Gewalt und Kreativität, Repression, ungebrochener Überlebenswille und Optimismus Hand in Hand gehen. Noch ist dieser Staat nicht kollabiert, sondern spielt geopolitisch in Afrika zusammen mit Südafrika nach wie vor eine führende Rolle, und die Führungsmächte der Welt betrachten Nigeria als einen zentralen Eckpfeiler ihrer Afrikapolitik. Der Autor: Heinrich Bergstresser, geb. 1949, Studium der Politikwissenschaft und Afrikanistik in Hamburg, langjähriger Redakteur bei der Deutschen Welle in Köln und Bonn. Viele Berichte, Reportagen und Features über Nigeria und andere afrikanische Staaten und über die Medienentwicklung in Afrika. Arbeitet als freier wissenschaftlicher Autor und Journalist.
Autorenporträt
Der Autor: Heinrich Bergstresser, geb. 1949, Studium der Politikwissenschaft und Afrikanistik in Hamburg, langjähriger Redakteur bei der Deutschen Welle in Köln und Bonn. Viele Berichte, Reportagen und Features über Nigeria und andere afrikanische Staaten und über die Medienentwicklung in Afrika. Arbeitet als freier wissenschaftlicher Autor und Journalist. Mitarbeit: Sibylle Pohly-Bergstresser
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2011

Übersichtlich ist nur die Exportbilanz
Zwei Bücher über Nigeria und einen politischen Hoffnungsträger seiner jüngsten Geschichte

Nach den unlängst durchgeführten Präsidentenwahlen in Nigeria, aus denen der aus dem christlich geprägten Süden des Landes stammende Goodluck Jonathan als Sieger hervorging, kam es sogleich zu gewalttätigen Protesten im muslimischen Norden des Landes. Kenner des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika hatten dies befürchtet. Gleichwohl stellten sie fest, dass der Gang zu den Urnen "ruhiger und transparenter" verlaufen sei als bei früheren Wahlen.

Auch der vor gut einer Dekade als Hoffnungsträger gefeierte Olusegun Obasanjo musste sich 2003 bei seiner Wiederwahl als Präsident sowie bei der Regelung seiner Nachfolge den Vorwurf der dreisten Fälschung und Manipulation gefallen lassen. Der in Cambridge lehrende Historiker John Iliffe, Autor zahlreicher grundlegender Werke zur Geschichte Afrikas, hat nun eine profunde Biographie Obasanjos vorgelegt, welche deutlich auf die Widersprüchlichkeiten und Fehlleistungen in dessen Karriere verweist, zugleich aber auch seine Meriten betont.

Obasanjo, der viele Staatsmänner in der westlichen Welt, darunter Helmut Schmidt, zu seinen Freunden zählt, gehört zu den schillerndsten und umstrittensten Politikern Afrikas. Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Berufssoldat führte in den späten siebziger Jahren ein Militärregime, um die Macht dann an eine zivile Regierung abzutreten. Er war später Mitbegründer von Transparency International, scharfer Kritiker des Apartheidsystems in Südafrika, arbeitete als Landwirt und Autor und saß unter dem Diktator Sani Abacha drei Jahre als politischer Gefangener im Gefängnis. Den Vorschusslorbeeren, die seine Rückkehr in die Politik begleiteten, wurde er jedoch nicht gerecht. Die Bekämpfung der Korruption misslang, Obasanjo gerierte sich zunehmend autokratisch.

Heinrich Bergstresser springt in seinem Buch noch wesentlich kritischer mit Obasanjo um, als Iliffe es tut. Schlau, charmant, autoritär, cholerisch und brutal, das sind die Etiketten, die er ihm anheftet. Der langjährige Afrika-Redakteur der Deutschen Welle und ausgewiesene Nigeriaexperte unternimmt das Wagnis, die komplexe Geschichte und Gegenwart des Landes auf weniger als dreihundert Seiten für ein allgemeines Publikum einzufangen. Er nähert sich seinem Gegenstand anhand von fünf großen Themenkomplexen, die jeweils historische Aspekte und jüngere Entwicklungen zusammenführen. Einen vergleichsweise breiten Raum in der Darstellung nimmt der Biafra-Krieg von 1967 bis 1970 ein, der weit über Nigeria hinaus Bedeutung erlangte und auch für Obasanjos Karriere eine wichtige Etappe markierte. Bergstresser skizziert die wesentlichen Ursachen und den Verlauf des Krieges, ohne große Sympathie für jene nigerianischen Politiker der südöstlichen Region, die die Abspaltung von Nigeria und einen unabhängigen Staat Biafra ausgerufen hatten.

Das immense Leid sei, argumentiert er, nicht zuletzt dadurch verlängert worden, dass es Biafras Politikern und Propagandaspezialisten auf sehr effiziente Weise gelang, den Krieg zu internationalisieren und etwa das Thema des drohenden Genozids an der Bevölkerung Biafras auf die Agenda der Weltöffentlichkeit zu setzen. Bilder von zum Skelett abgemagerten Kindern mit leblosen Augen - "Bilder, schlimmer als aus Bergen-Belsen", wie die Londoner Times befand - erschienen in zahlreichen europäischen und amerikanischen Medien.

Wole Soyinka verbrachte die Jahre des Krieges als politischer Häftling im Gefängnis. Der damals schon bekannte spätere Nobelpreisträger für Literatur galt der von Militärs geführten Bundesregierung als Unruhestifter und unbotmäßiger Kritiker, der ruhiggestellt werden müsste. Bergstresser geht ausführlich auf Leben und Werk Soyinkas und anderer Schriftsteller ein, von denen einige, etwa Chinua Achebe, ebenfalls Weltruhm erlangten.

Zahlreiche Künstler und Literaten wirken heute außerhalb Nigerias, vor allem in den Vereinigten Staaten und England. Die nigerianische Diaspora wächst kontinuierlich, zugleich findet aber auch, darauf verweist der Autor, "ein Brain Drain gut gebildeter nigerianischer Briten statt, die in der höchst profitablen IT-Branche, bei Banken, Versicherungen und multinationalen Öl- und Gaskonzernen in Nigeria Spitzenpositionen besetzen und Spitzengehälter kassieren".

Unter den von Bergstresser porträtierten Nigerianern genießt Ken Saro-Wiwa die uneingeschränkte Sympathie des Verfassers. Das Leben des Schriftstellers, Journalisten und politischen Aktivisten, im Übrigen ein enger Freund Obasanjos, endete auf dramatische Weise. Er wurde im November 1995 zusammen mit acht weiteren Mitstreitern nach einem Scheinprozess hingerichtet. Saro-Wiwa hatte in der Ogoni-Region eine Organisation gegründet, die mit Nachdruck die Sanierung der durch die Erdölförderung ökologisch geschädigten Gebiete sowie die Beteiligung der Bevölkerung an den Öleinnahmen forderte.

Die wirtschaftliche Entwicklung Nigerias wird seit Dekaden von der Ölindustrie bestimmt. Die Einnahmen aus dem Ölexport betragen gegenwärtig nahezu hundert Prozent der Gesamteinnahmen aus der Ausfuhr. Doch sei der Ressourcenreichtum, bilanziert Bergstresser, mehr Fluch als Segen. "Erdöl und Erdgas landen in den Industriestaaten und den neuen Wirtschaftszentren Asiens, während die Haushalte der Nigerianer des Nachts zumeist im Dunkeln bleiben." Lediglich eine kleine, oft korrupte Elite profitiert.

"Neue Unübersichtlichkeit" lautet der Titel des letzten Kapitels. In der Tat: Ein Streifzug durch das heutige Nigeria verweist auf höchst widersprüchliche Entwicklungen. So gehen die stark anwachsenden religiös geprägten Konflikte keineswegs im Gegensatz zwischen Christen und Muslimen auf. Die digitale Revolution hat durchaus zu einer Liberalisierung der Medien geführt. Und unter dem Markennamen "Nollywood" entstand binnen kurzem ein einzigartiges afrikanisches Geschäftsmodell, das sich zur weltweit drittgrößten Filmindustrie entwickelte. Leider endet das nicht durchweg eingängig geschriebene Buch recht abrupt. Als Einstieg in dieses Land der Extreme ist es gleichwohl zu empfehlen.

ANDREAS ECKERT

Heinrich Bergstresser: "Nigeria". Macht und Ohnmacht am Golf von Guinea.

Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 2010. 272 S., br., 24,90 [Euro].

John Iliffe: "Obasanjo, Nigeria and the World".

James Currey Verlag, Woodbridge/Suffolk 2011. 339 S., geb., 54,99 [Euro].

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