In der exotischen südamerikanischen Republik Costaguana bietet die Silbermine San Tomé die Möglichkeit zu unermesslichem Reichtum und Macht. Doch inmitten der Turbulenzen und Brutalität der lateinamerikanischen Politik wird jeder, der damit zu tun hat – vom kompromittierten englischen Minenbesitzer Gould bis zum habgierigen Geschäftsmann Holroyd, vom Revolutionär Montero bis zum loyalen und scheinbar unbestechlichen Arbeiter Nostromo – irgendwie unwiderruflich befleckt. “Nostromo” ist ein grandioses Epos, verblüffend modern in seiner Technik und politischen Raffinesse – und ein Meisterwerk an Spannung, Abenteuer und Geheimnis. Joseph Conrad (1857-1924) war ein polnisch-britischer Schriftsteller, der von vielen als einer der besten englischsprachigen Romanciers des 20. Jahrhunderts angesehen wird. Als früher Modernist waren sein Erzählstil, seine anti-heroischen Charaktere und sein Fokus auf das psychologische Leben seiner Protagonisten äußerst einflussreich auf andere Autoren. Conrads Erfahrungen als polnischer Emigrant in Großbritannien brachten auch eine einzigartige Perspektive in seine Romane ein, die oft am Rande des britischen Empire spielen und sich mit den negativen Auswirkungen des Imperialismus und Kolonialismus beschäftigen. Zu seinen populärsten und einflussreichsten Werken zählen u.a. “Heart of Darkness” (1899), “Lord Jim” (1900), “Typhoon” (1902), “Nostromo” (1904), “The Secret Agent” (1907) und “Under Western Eyes” (1911). Der Umfang entspricht ca. 500 Druckseiten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2024In den Häfen
spuken die Geister
In den Abkürzungen steckt die Moderne. Es gibt noch Segelschiffe, aber das Kommando über die Handelsaktivitäten im Hafen von Sulaco führt die OSN, die Oceanic Steam Navigation Company. Die Dampfschiffe werden von Kapitalströmen umspült. In Joseph Conrads „Nostromo“, 1904 erschienen, klingt der Name des Titelhelden nach Magie, die südamerikanische Republik Costaguana wie erfunden (und ist es auch), und in der Silbermine spuken die Geister der Schatzsucherei. Aber nicht die Geister rumoren, sondern die Befreiungsbewegungen der indigenen Bevölkerung. Die politischen Akteure verbünden sich mit dem Pressewesen. Conrad überführt den Abenteuerroman in die industrielle Welt. In der Abgründigkeit der Figuren steckt deren Kritik. „Geschäftsleute sind oft ebenso lebhaft und einfallsreich wie Liebende.“ Das ist ein Schlüsselsatz.
LOTHAR MÜLLER
Joseph Conrad:
Nostromo. Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt von Julian
Haefs und Gisbert
Haefs. Mit einem
Nachwort von Robert
Menasse. Manesse
Verlag, München 2024.
560 Seiten, 38 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
spuken die Geister
In den Abkürzungen steckt die Moderne. Es gibt noch Segelschiffe, aber das Kommando über die Handelsaktivitäten im Hafen von Sulaco führt die OSN, die Oceanic Steam Navigation Company. Die Dampfschiffe werden von Kapitalströmen umspült. In Joseph Conrads „Nostromo“, 1904 erschienen, klingt der Name des Titelhelden nach Magie, die südamerikanische Republik Costaguana wie erfunden (und ist es auch), und in der Silbermine spuken die Geister der Schatzsucherei. Aber nicht die Geister rumoren, sondern die Befreiungsbewegungen der indigenen Bevölkerung. Die politischen Akteure verbünden sich mit dem Pressewesen. Conrad überführt den Abenteuerroman in die industrielle Welt. In der Abgründigkeit der Figuren steckt deren Kritik. „Geschäftsleute sind oft ebenso lebhaft und einfallsreich wie Liebende.“ Das ist ein Schlüsselsatz.
LOTHAR MÜLLER
Joseph Conrad:
Nostromo. Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt von Julian
Haefs und Gisbert
Haefs. Mit einem
Nachwort von Robert
Menasse. Manesse
Verlag, München 2024.
560 Seiten, 38 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Man muss sich bei der Lektüre dieses Romans einfach treiben lassen, empfiehlt Rezensent Paul Ingendaay angesichts der von Gisbert und Julian Haefs neu besorgten Übersetzung von Joseph Conrads "Nostromo", das im fiktiven lateinamerikanischen Land Costaguana angesiedelt ist und dessen "blutige Geschichte" enthüllt. Mit den Erzählbewegungen, die stetig in der Zeit vor und zurück springen, nähert sich Conrad seinen Figuren "wie ein Staubsauger", so Ingendaay, etwa dem unterkühlten Investor Holroyd oder der Familie Gould, die die zentrale Silbermine betreibt. Die Figuren werden mit ausgeklügelter psychologischer Rafinesse in all ihrer Abgründigkeit und Menschlichkeit geschildert, so Ingedaay - also Zeit, diesen großen Roman neu zu entdecken, der zu seinem Erscheinen 1904 ein Misserfolg war, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Erstaunlich modern und staunenswert zeitgemäß.« Buchkultur