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Wie braun war der BND?
Die Integration von Mitarbeitern aus verschiedenen Institutionen des Dritten Reichs in den Bundesnachrichtendienst war lange ein Gegenstand von Spekulationen. Auf Basis umfangreicher und bislang unzugänglicher Quellenbestände kann Gerhard Sälter zeigen, dass die Verantwortlichen im BND tatsächlich kein Bewusstsein vom verbrecherischen Charakter der NS-Diktatur besaßen. Für ihren Geheimdienst rekrutierten sie seit 1946 zielstrebig teils schwer belastete NS-Täter. So schufen sie eine bis in die achtziger Jahre wirkende schwere Belastung, deren Ausmaß sie jedoch…mehr

Produktbeschreibung
Wie braun war der BND?

Die Integration von Mitarbeitern aus verschiedenen Institutionen des Dritten Reichs in den Bundesnachrichtendienst war lange ein Gegenstand von Spekulationen. Auf Basis umfangreicher und bislang unzugänglicher Quellenbestände kann Gerhard Sälter zeigen, dass die Verantwortlichen im BND tatsächlich kein Bewusstsein vom verbrecherischen Charakter der NS-Diktatur besaßen. Für ihren Geheimdienst rekrutierten sie seit 1946 zielstrebig teils schwer belastete NS-Täter. So schufen sie eine bis in die achtziger Jahre wirkende schwere Belastung, deren Ausmaß sie jedoch verbergen konnten. Belastete Mitarbeiter bildeten Netzwerke über den BND hinaus, engagierten sich in rechtsextremen Organisationen und begründeten im BND eine Behördenkultur, in der NS-Ideologeme lange fortwirkten.

Autorenporträt
Gerhard Sälter, Jahrgang 1962, Historiker, 2000 Promotion. Seit 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Berliner Mauer; von 2012 bis 2016 Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des BND; seitdem Leiter der Abteilung Forschung und Dokumentation der Stiftung Berliner Mauer. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zum Ministerium für Staatssicherheit und zur Berliner Mauer, zur Geschichte der Geheimdienste und des BND.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2022

So viel Braun war nie (mehr)

Der frühe Bundesnachrichtendienst war mit vielen NS- belasteten Mitarbeitern durchsetzt.

Von Peter Sturm

Die Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission für die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes bis 1968, die mit diesem voluminösen Band ein eindrucksvolles Ende findet, hat die Türen zum vermutlich geheimnisvollsten Archivbestand der Bundesrepublik - hoffentlich unwiderruflich - geöffnet. Das allein ist schon ein nicht geringes Verdienst. Über Geheimdienste im Allgemeinen und den BND im Besonderen wird seit jeher viel "Halbgares" geschrieben. Da kann es nicht schaden, wenn auf der Basis dessen, was real überliefert ist, die Geschichte einer Institution seriös aufgearbeitet wird.

Wie schon Band 1 der Schriftenreihe aus dem Jahr 2016 widmet sich auch der Abschlussband einem Thema, das wie wohl kein zweites dazu beigetragen hat, dass der BND in der Öffentlichkeit oft in sehr zweifelhaftem Licht erscheint. Der erste Band behandelte gewissermaßen aus der Vogelperspektive die "Sozialstruktur" der Mitarbeiter des Dienstes. Bis zur Übernahme in den Bundesdienst im Jahre 1956 war er eine Filiale des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Der vorliegende Band taucht nun tief in das ein, was man nach Lektüre einen "braunen Sumpf" zu nennen versucht ist. Der Autor, Gerhard Sälter, nimmt dabei billigend in Kauf, dass die Gesamtperspektive hinter den akribisch aufbereiteten Lebens- und Karriereverläufen im Dienst zurücktritt.

Wer nur dieses Buch liest und sich ansonsten mit dem Thema nie befasst hat, bekommt den Eindruck, als habe der BND in der Amtszeit seines ersten Präsidenten, Reinhard Gehlen (bis 1968), ausschließlich aus ehemaligen SS-, Gestapo- und SD-Leuten bestanden, von denen noch dazu einige nachweislich schwerste Kriegsverbrechen begangen hatten. Dieser Eindruck ist aber genauso oberflächlich und falsch wie der, den Gehlen und seine Leitungskader zu erwecken versuchten. Sie spielten in öffentlichen Stellungnahmen die Zahl der NS-belasteten Mitarbeiter mit allerlei statistischen Tricks systematisch herunter. "Lediglich ein Prozent" könne als irgendwie belastet gelten, sagte Gehlen gern, wenn er auf dieses heikle Thema angesprochen wurde. Und dieses eine Prozent habe man, so seine entlastende Argumentation, leider unbedingt anwerben müssen, weil ihre "Expertise" unabdingbar für die Arbeit des Dienstes sei.

Der historisch nur halbwegs informierte Leser fragt sich, worin genau diese "Expertise" bei einem Menschen bestanden haben könnte, der als Mitglied einer "Einsatzgruppe" während des Krieges in der Sowjetunion massenhaft Juden umgebracht hat. An vielen Beispielen zeigt Sälter, dass die Weltbilder der Täter in der Mitarbeiterschaft mit denen Gehlens und anderer leitender Bediensteter in weiten Teilen sehr gut kompatibel waren. Dieser Befund ist schon für sich genommen bedenklich für eine Institution, die einer Demokratie dient. Mit der wichtigste Grund dafür, dass sich solche Strukturen überhaupt entwickeln konnten, war die Rekrutierungspraxis vor allem der ersten Jahre der "Organisation Gehlen". Angeworben wurde nämlich auf der Basis persönlicher Bekanntschaft. Das führte zum Beispiel dazu, dass sich die Angehörigen eines großen Teils einer Gestapo-Leitstelle (Trier) in der Nachkriegszeit im Bundesnachrichtendienst wieder zusammenfanden.

Auf der anderen Seite ist es im Zusammenhang mit Geheimdiensten auch nicht angemessen, überall allzu hohe moralische Maßstäbe anzulegen. Es kann durchaus gute Gründe dafür geben, zum Beispiel auf Auslandsposten auf die Dienste von Menschen zurückzugreifen, mit denen man im normalen Leben ganz sicher nichts zu tun haben möchte. Diese Differenzierung kommt in dem Buch etwas zu kurz. Der Autor erweckt den Eindruck, als sei er überwältigt von der Unverfrorenheit, mit der auch schwer Belastete durch die erwähnten personellen Netzwerke vor Strafverfolgung geschützt wurden. Dies deutlich gemacht zu haben ist aber auch eines der großen Verdienste dieses Buches. Es ist, für ein Werk in deutscher Sprache nicht gerade die Regel, vergleichsweise gut und flüssig lesbar. Die Zahl der Buchstabendreher und Schreibfehler ist zu vernachlässigen. Der Verlag hat also sorgfältig gearbeitet. Das ist schön, aber leider erwähnenswert, da längst nicht selbstverständlich.

Die insgesamt 17 Bände umfassende Reihe der Historikerkommission zeigt, wie "amtliche" Geschichtsschreibung wissenschaftliche Distanz zum Gegenstand der Arbeit wahren kann. Von BND-Romantik oder Schönfärberei, wie sie Reinhard Gehlen in seinen Memoiren noch betrieb, ist hier nichts zu sehen. Zuweilen fallen die Bände sogar ein wenig ins andere Extrem. Man kann sich streckenweise schon fragen, wie es mehreren Bundesregierungen einfallen konnte, die Dienste einer Organisation in Anspruch zu nehmen, die nicht nur mit zweifelhaften Leuten durchsetzt war, sondern auch ihre eigentlichen Aufgaben längst nicht so erfüllte, wie sie sollte. Ob es die Amerikaner waren, ob es das Bundesamt für Verfassungsschutz war, immer wieder kommen Institutionen ins Bild, die besser arbeiteten als die Organisation Gehlen beziehungsweise der BND.

Warum also verließ sich Adenauer zumindest viele Jahre lang auf Gehlen? Personen wie das Kommissionsmitglied Klaus-Dietmar Henke würden womöglich antworten, dass Gehlen dem Gründungskanzler der Bundesrepublik auch bei der (dem Dienst verbotenen) Aufklärung innenpolitischer Gegner zu Diensten war. Das könnte den Blick in Bonn auf den einen oder anderen Lapsus bei der Auslandsaufklärung verklärt haben. Die gern so genannte "Historikerzunft" ist nach Ende der Kommissionsarbeit jedenfalls aufgefordert, das Bild des BND weiter zu vervollkommnen. Die Archivtüren sind im Prinzip offen.

Gerhard Sälter: NS-Kontinuitäten im BND. Rekrutierung, Diskurse, Vernetzungen Ch. Links Verlag, Berlin 2022. 832 S., 65,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Peter Sturm muss angesichts der Arbeit der BND-Historikerkommission feststellen, dass auch "amtliche" Geschichtsschreibung funktioniert. Gerhard Sälters Abschlussband zu NS-Kontinuitäten im BND kann er jedenfalls Sorgfalt und Distanz zum Gegenstand attestieren, manchmal vielleicht sogar zu viel des Guten. Sälter zeigt dem Rezensenten jedoch, wie viele Ex-Nazis sich über ihre Netzwerke im Nachrichtendienst breit machen konnten. Verheerend war die Rekrutierungspraxis über persönliche Bekanntschaften, erfährt Sturm, der sich auch mit Schaudern fragt, worin wohl die "unabdingbare Expertise" der Kriegsverbrecher bestanden haben mag, die vom BND wissentlich angeheuert wurden. Allerdings möchte Sturm auch davor warnen, allzu hohe moralische Maßstäbe an die Arbeit eines Geheimdienstes anzulegen. Und er betont, dass der BND nicht ausschließlich aus Nazis bestand.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Noch nie hat jemand so akribisch gearbeitet wie Sälter.« Willi Winkler Süddeutsche Zeitung 20220930