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Mitte zwischen Geiz und Verschwendung gesucht
Schon der Titel des Buches mutet paradox an. Der akademische Diskurs um Nachhaltigkeit pendelt irgendwo zwischen Technikeuphorie (Kernfusion! Wasserstoff! CCS!) und Konsumverzicht, und Fred Luks schlägt als Mittel zur Bewältigung der multiplen globalen Krisen ausgerechnet eine "Ökonomie der Großzügigkeit" vor. Und das in einer Zeit, in der Ressourcen knapp und viele Grenzen der Tragfähigkeit bereits überschritten sind.
So ganz intuitiv erscheint die Logik des Autors auch nach Lektüre des 340 Seiten langen Werkes nicht. Was daran liegen mag, dass die Rezensentin - wie alle anderen Studierenden der Volkswirtschaftslehre - im ersten Semester an der Universität eingetrichtert bekam, der Homo oeconomicus handele stets rational und nutzenmaximierend, also auf den eigenen Vorteil bedacht. Reziprozität, also Gegenseitigkeit, existiert im konventionellen volkswirtschaftlichen Gedankengebäude natürlich, aber Fred Luks, der sich in der Ökologischen Ökonomik verortet, geht es um mehr.
In seiner Diagnose reiht sich das Buch ein in eine ganze Sammlung von Werken, welche die vermeintliche Dominanz des ökonomischen Denkens kritisieren und eine Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch (grünes Wachstum) für unmöglich halten. Und so schreibt Luks in seinem knapp gehaltenen Vorwort: Im Kontext von "Corona, Krieg und Klimadesaster" werde "immer deutlicher, dass die 'normale' westliche Lebensweise an ihr Ende kommt und eine 'große Transformation' notwendig ist, die einen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel in Richtung Zukunftsfähigkeit realisiert". So weit, so überzeugend.
Neu ist das Medikament, das der Ökonom unserer Gesellschaft verordnet: Der Mensch soll sich großzügig verhalten, also zwischen maßvoller Verschwendung und maßvollem Verzicht hin- und herpendeln, Grenzen erkennen und ernst nehmen. Später wird Luks noch poetischer: Es gehe darum, einen Rhythmus zu finden zwischen "Ausschweifung und Achtsamkeit".
Auf der Suche nach Auswegen aus der multiplen Krise skizziert Luks zwei Lager: Auf der einen Seite befinde sich der "Ökonomiepopulismus", der auf Effizienz, Innovation und Wachstum setze und damit "letztlich maßlos auf fortgesetzte Expansion". Der "Ökologiepopulismus" befinde sich auf der anderen Seite. Dieser vertraue Suffizienz und Schrumpfung und "sieht sich regelmäßig auf der moralisch richtigen Seite".
Luks will es sich mit keinem der beiden Lager verscherzen. Beide Konzepte würden zwar gebraucht. Doch der Idee der Effizienz werde zu viel zugetraut, kritisiert er. Natürlich darf auch hier die bekannte Kritik des Rebound-Effektes nicht fehlen, also des Phänomens, dass mehr Effizienz nicht zwangsläufig zu weniger, sondern auch zu mehr Verbrauch führen kann. Die Appelle von Postwachstumsökonomen wie Niko Paech, um nur den bekanntesten deutschen Theoretiker zu nennen, nennt er hingegen "miesepetrig, ästhetisch achtlos und moralinsauer". Überhaupt sind Ästhetik, Fülle, Opulenz und Schönheit für Luks zentrale Kategorien.
Dass "Reduktionsfuror" (Luks) selten Spaß macht, leuchtet ein. Das Paradigma des Autors lautet an dieser Stelle: Der Mensch kann nicht ohne Verschwendung, ohne Extreme und Exzess, also soll er sie haben. Weil es nicht anders sein kann, muss es so sein. Das ist nahe dran an der Tautologie.
Auch wenn nicht jedes Argument im Detail überzeugt, liefert Luks dennoch einen spannenden Beitrag in einer überaus zentralen gesellschaftlichen Debatte. Wohltuend ist sein Optimismus: Nichtnachhaltigkeit sei zwar "überaus lebendig", doch gebe es mit dem europäischen Green Deal, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, dem Trend zu Vegetarismus oder dem Inflation Reduction Act zahllose Beispiele dafür, dass Wandel bereits stattfinde. Die gute Nachricht, die Luks verbreitet: Die Zukunft bleibe "offen, gestaltbar und voller Möglichkeiten" - und für eine gute Zukunft zu arbeiten sei "nicht naiv und dumm, sondern realistisch und klug". In Anbetracht der vielen schlechten Nachrichten, die jeden Tag auf uns einprasseln, ist das ein Gedanke, den es sich öfter in Erinnerung zu rufen lohnt.
Im zweiten Teil seines Buches versucht sich Luks in der Anwendung seines theoretischen Konzeptes der Nichtnutzung von Ressourcen. Und er bezieht sich keinesfalls nur auf die ökologische Transformation, sondern schlägt einen sehr - vielleicht etwas zu - umfassenden Bogen auch über sozial-kulturelle sowie juristische Grundsatzfragen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Es geht um den Umgang mit Tieren, die in der Corona-Zeit erlernte zentrale Rolle von Resilienz, die Wehrhaftigkeit unserer Marktwirtschaft, das Gesundheits- und Bildungswesen. Sogar einen Exkurs in die Digitalisierung und die damit verbundene Selbstoptimierung unternimmt er.
An vielen Stellen hat der Autor in seiner Analyse einen Punkt. Stets lautet die Idee: Gesellschaftlich müsse organisiert werden, dass nicht getan wird, was getan werden könnte. Eine Mammutaufgabe. Aber vermutlich eine, die es sich lohnt, anzugehen, wenn wir mit unserem Planeten zukunftsfähig werden wollen. HANNA DECKER
Fred Luks: Ökonomie der Großzügigkeit. Wie Gesellschaften zukunftsfähig werden. transcript-Verlag, Bielefeld 2023, 340 Seiten, 32 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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www.centrum3.at, 4 (2024) 20240415