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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Trägt Früchte:
Ernest Callenbachs Roman "Ökotopia", der als Klassiker der
Umweltbewegung gilt, erscheint in neuer Übersetzung.
Sich mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu beschäftigen sorgt bei vielen Menschen für schlechte Laune. Verzicht und Verbote gelten als Reizwörter. Umso wichtiger ist es, positive Erzählungen für ein gutes Leben in den öffentlichen Diskurs zu integrieren. Dem amerikanischen Schriftsteller und Universitätsdozenten Ernest Callenbach war es 1975 mit seinem Bestsellerroman "Ökotopia" gelungen, nicht nur entscheidenden Einfluss auf die Umweltbewegung seiner Zeit zu nehmen, sondern zugleich ein optimistisches Bild einer nachhaltigeren Gesellschaft zu zeichnen. Nun hat Holger Hanowell den Klassiker für den Reclam Verlag neu ins Deutsche übersetzt.
Die Geschichte, die Callenbach erzählt, liest sich als radikale Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft der Siebzigerjahre, wie der Autor sie verstand. Sein Icherzähler, der Reporter William Weston, sollte den westlichen Durchschnittsmann repräsentieren: Er definiert sich über Konsum und beruflichen Erfolg, pflegt eher lose Beziehungen zu seiner Lebenspartnerin und seinen Kindern, ist technikgläubig, unterdrückt negative Gefühle und verfügt über ein schier grenzenloses Ego.
Dementsprechend durchlebt Weston im fiktiven Jahr 1999 einen Kulturschock, als er als erster amerikanischer Journalist nach Ökotopia reisen soll. Das ist ein Kleinstaat, der sich von den Vereinigten Staaten abgespalten hat und dessen Gebiet die ehemaligen Bundesstaaten Washington und Oregon sowie den Norden Kaliforniens umfasst. Die Ökotopier sprechen ständig über ihre Gefühle, setzen eher auf die Kraft der Gemeinschaft als auf die des Individuums und pflegen ein nahezu penetrantes ökologisches Bewusstsein. Dafür ist die Luft- und Wasserqualität hervorragend, Nahrung ausreichend und möglichst ohne künstliche Zusätze vorhanden, das Leben entschleunigt und dezentralisiert. So arbeiten die Menschen in Ökotopia meist nicht mehr als zwanzig Stunden pro Woche, können auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zurückgreifen und unterbrechen eine Arbeitsbesprechung für einen Besuch in der Sauna - natürlich zusammen mit dem Chef. Der Fortschrittsglaube, der sich durch steigende Produktivität und zunehmenden materiellen Wohlstand definiert hat, weicht in Ökotopia einem Denken im Gleichgewicht, in postmaterieller Selbstbestimmung und Authentizität.
Callenbachs Vorstellungen einer ökologischen Gesellschaft tragen dabei keinerlei technikfeindliche Züge und umfassen Elemente einer marktwirtschaftlichen Ordnung: Die Energieversorgung läuft fast ausschließlich über Sonnen-, Wasser- und Windkraft. Alle Produktions- und Arbeitsprozesse sollen der Natur so wenig wie möglich schaden. Eine Kreislaufwirtschaft wandelt Essensreste, Abwasser und Abfälle in wiederverwertbaren organischen Dünger um, auf den Tellern wird synthetisches Fleisch serviert. Die Unternehmen befinden sich in Privatbesitz, und alle Arbeitnehmer sind Teilhaber. Profitmaximierung und freie Preisbildung sind nach wie vor möglich - allerdings innerhalb streng regulierter Grenzen. Weston ist zunächst irritiert von all diesen Neuerungen, doch allmählich findet er Gefallen an Ökotopia - und verliebt sich.
Kritiker haben Callenbach vorgeworfen, dass sein Buch frauenfeindlich sei. Tatsächlich ist seine Hauptfigur Weston ein Sexist der übelsten Sorte. Doch das muss als Kritik an der Mehrheit der Männer zur damaligen Zeit verstanden werden. In Ökotopia hingegen sind die Geschlechter gleichgestellt. Frauen erhalten die gleiche Bezahlung, bestimmen autonom über ihren Körper und geben in der Politik den Ton an.
Der Vorwurf, dass Ökotopia Dezentralisierung und Gemeinschaft verabsolutiere, lässt sich allerdings nicht ganz so leicht entkräften. In Ökotopia ist von der Verwaltung bis zur Energieversorgung und den Medien nahezu alles dezentralisiert oder entmonopolisiert. Schulen sind Privatunternehmen, die sich im Kollektivbesitz der Lehrer befinden. Darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, dass jede Schule eigenständig entscheidet, wie der Unterricht abläuft, lässt sich streiten. Auch wirkt es so, als hätten die Ökotopier panische Angst davor, von der Mehrheitsmeinung abzuweichen. Die Gemeinschaft scheint über dem Individuum zu stehen - auch wenn das Individuum vielleicht mal eine Pause von der Gemeinschaft brauchte. Dass keine Geschirrspülmaschinen mehr hergestellt werden dürfen, wirkt eher dystopisch. Auch die Tatsache, dass Minderheiten wie die Afroamerikaner - wenn auch freiwillig - eigene Stadtstaaten mit eigener Regierung und Polizei gründen und es regelmäßig zu Kriegsritualen kommt, bei denen jedes Jahr fünfzig Männer sterben, lässt an Ökotopia zweifeln.
Wie jedoch Callenbach in einem Vortrag aus dem Jahre 2006 betont hat, soll "Ökotopia" keinesfalls eine perfekte Gesellschaft darstellen. Vielmehr wolle er gerade jungen Menschen mit diesem Roman Hoffnung geben, dass ein gutes Leben möglich sei, ohne immer mehr zu kaufen. Die sich abwechselnden Reiseberichte und Tagebucheinträge von Weston lesen sich aber oft nur zäh, Callenbach ist wahrlich kein großer Stilist. Das Buch trägt eher Züge eines philosophischen Sachbuchs denn eines Romans mit ausdrucksvoller Sprache.
Dennoch lohnt die Lektüre heute noch. Die Botschaft von Callenbach erscheint aktueller denn je: Technischer Fortschritt und Produktivität sind zwar wichtig, werden es allein aber nicht richten. Weniger Konsum und Arbeit müssen kein Verlust sein, sondern können zu mehr Zufriedenheit und Selbstbestimmung führen. FELIX SCHWARZ
Ernest Callenbach:
"Ökotopia". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Holger
Hanowell. Reclam Verlag, Ditzingen 2022.
284 S., geb., 24,- Euro.
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