Josef von Neupauers 'Österreich im Jahre 2020' ist ein faszinierender Blick in die Zukunft des Landes, geschrieben in einem präzisen und analytischen Stil. Das Buch bietet nicht nur eine detaillierte Beschreibung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Österreichs im Jahr 2020, sondern wirft auch einen kritischen Blick auf die aktuellen Trends und Zukunftsaussichten. Von Neupauer kombiniert historische Fakten mit futuristischen Spekulationen, um ein facettenreiches Bild des Landes zu zeichnen, das den Leser zum Nachdenken anregt. Sein literarischer Kontext liegt im Bereich der politischen Prognosen und dystopischen Literatur, was seine Arbeit zu einer wichtigen Quelle für zukünftige Diskussionen über die Entwicklung Österreichs macht. Die klare und prägnante Schreibweise des Autors ermöglicht es dem Leser, komplexe Themen leicht zu verstehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Durch seinen sachkundigen Ansatz und seine umfassende Recherche liefert von Neupauer einen faszinierenden Einblick in die mögliche Zukunft Österreichs.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2020Schlaf, mein Utopist, schlaf ein
Josef von Neupauer wollte 1893 die Wunder des Jahres 2020 sehen und schickte dafür zwei Erzfeinde ins künftige Wien
Da schläft Julian West doch sage und schreibe 113 Jahre aus nie geklärten Umständen, um dann in seiner Heimatstadt Boston in den Vereinigten Staaten anno 2000 zu erwachen und das Land in einen sozialistischen klassenlosen Staat mit Volkseigenen Betrieben und allgemeiner Glückseligkeit verwandelt vorzufinden. Woraufhin er gleichsam als Archäologe des kapitalistischen Systems des neunzehnten Jahrhunderts zum vielgefragten Vortragsreisenden wird. Bis etwas schiefgeht, beinahe ein zweiter Bürgerkrieg ausbricht und er gemeinsam mit seinem vormaligen Erzfeind, einem gewissen Mister Forest, Vorname unbekannt, im Jahr 2020 nach Europa reist.
Genauer gesagt: in die Habsburgermonarchie Österreich, die allerdings auch den Weg zum Kommunismus gefunden hat. West und Forest sind anfangs skeptisch - Forest ist bisweilen gar offen feindselig -, sie wollen aber dennoch herausfinden und später dann in ihrer Heimat davon berichten, ob und wie der Traum (manche würden sogar sagen: Albtraum) einer klassenlosen Gesellschaft (notabene: inklusive Adel und eben sogar Kaiserhaus!) in der Alten Welt funktioniert.
Kommt das bekannt vor? Nun, Julian West erlebt den ersten Teil dieser Zukunftsreise bereits im Jahre 1888 in dem utopischen Roman "Looking Backward: 2000-1887" (auf Deutsch unter dem Titel "Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887" erschienen, und zwar 1890/91). Der Roman ist der einzige, dafür aber umso größere sowie heftig und kontrovers diskutierte literarische Erfolg von Edward Bellamy (1850 bis 1898) aus Massachusetts. Auf seinen Widersacher Forest trifft West dann in der bitterbösen Antwortsatire des deutsch-amerikanischen Journalisten und Autors Richard C. Michaelis (1839 bis 1909), die als "Looking Further Forward: An Answer to ,Looking Backward' by Edward Bellamy" zwei Jahre später in Chicago herauskam.
Der österreichische Jurist und Laienschriftsteller Josef von Neupauer hatte ganz offensichtlich beide Werke gelesen, war aber, so scheint es, mit keinem davon recht zufrieden. Daher nahm er frech die Hauptfiguren und ließ sie 1893 eben die in ein kommunistisches Paradies verwandelte Habsburgermonarchie der Zukunft bereisen. Irgendetwas dürfte da dennoch in der Zwischenzeit passiert sein, denn im Jahr 2020, also heuer, wie wir in Österreich sagen, hat Wien, das in diesem Roman weiterhin die Hauptstadt eines Immer-noch-Vielvölkerstaates ist, gerade einmal 450 000 Einwohner. Dabei umfasste die Bevölkerungszahl des realen Wien bereits um 1890 annähernd zwei Millionen, und heute nähert man sich diesem Wert wieder an. In einem Nebensatz von Neupauers Roman wird zwar ein verheerender Krieg erwähnt, aber ob es sich dabei um einen pessimistischen Ausblick (Neupauer war, so viel ist bekannt, vom österreichisch-preußischen Krieg des Jahres 1866 entsetzt) oder um eine Fortschreibung aus Michaelis' Dystopie handelt, bleibt unklar.
Viel an Handlung darf man freilich auch in "Österreich im Jahre 2020" nicht erwarten. In etwas ungelenkem Stil berichtet der Ich-Erzähler von den verschiedenen Stationen, die er und sein Kumpan besuchen. Er spricht auch die Rechte der Frauen an: Ob sie etwa wählen dürfen, wird nicht ganz klar, aber sie haben sich dann doch so weit emanzipiert, dass sie gleichsam eine selbstverwaltete Parallelgesellschaft bilden und aus eigenem Antrieb sich eher um Heim und Familie kümmern, als Brotberufe zu ergreifen. Andererseits gibt es Ärztinnen, wie ausdrücklich erwähnt wird. In für einen Roman durchaus ungewöhnlichen, sogar numerierten Anmerkungen kritisiert der Autor Neupauer heftig die Schrift "Die Frau und der Sozialismus" von August Bebel.
Seltsame, für die Entstehungszeit freilich nicht ungewöhnliche Schilderungen gibt es sodann in Bezug auf die sogenannte Volksgesundheit. Es wird zwar nicht von "unwertem Leben" gesprochen, doch die Gesellschaft legt sich durchaus Selbstbeschränkungen auf, was die Vermehrung betrifft. Selbstverständlich aus auf das Gemeinwohl bedachten Überlegungen und aus eigenem Antrieb der Bewohner!
Das letzte Kapitel vor dem Nachwort darf dann Wests Schwester Ellen erzählen, die ein Jahr später ebenfalls nach Österreich fährt und dort eine junge Dame trifft, in die sich Julian bei seiner Reise verliebt hatte.
Warum dieses Buch nun 127 Jahre später wieder, diesmal im Wiener Luftschacht Verlag, herausgegeben wird, bleibt rätselhaft - die schiere Freude an der Jahreszahl 2020 wird es ja wohl nicht sein. Fast noch rätselhafter ist übrigens, dass dieser "Sozialpolitische Roman" allein in den letzten vier Jahren in mindestens vier verschiedenen Ausgaben jeweils unterschiedlicher Länge bei diversen Verlagen erschienen ist. Rätselhaft zum Dritten bleibt auch der Autor Josef von Neupauer, lediglich sein Sterbejahr 1914 scheint festzustehen. Der aktuelle Herausgeber, der Münchener Tobias Roth, hat sich zumindest bemüht, möglichst viel über ihn herauszubekommen. So dürfte Neupauer durchaus ein Sonderling, wenn auch kein stadtbekannter, gewesen sein. Unter anderem soll er der damals, 1889, in Gründung befindlichen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei angetragen haben, ihr zwei Millionen Interessierte oder gar Mitglieder zu verschaffen. Die SDAP lehnte höflich ab, da sie diese Zahl wohl für ein Hirngespinst hielt.
Dieses "Österreich im Jahre 2020" selbst ist wohl nicht mehr als eine leidlich unterhaltsame, wenn auch durchaus skurrile Fußnote in der Geschichte der utopischen Schriften.
MARTIN LHOTZKY
Josef von Neupauer:
"Österreich im Jahre 2020". Roman.
Hrsg. von Tobias Roth.
Luftschacht Verlag, Wien 2020. 302 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Josef von Neupauer wollte 1893 die Wunder des Jahres 2020 sehen und schickte dafür zwei Erzfeinde ins künftige Wien
Da schläft Julian West doch sage und schreibe 113 Jahre aus nie geklärten Umständen, um dann in seiner Heimatstadt Boston in den Vereinigten Staaten anno 2000 zu erwachen und das Land in einen sozialistischen klassenlosen Staat mit Volkseigenen Betrieben und allgemeiner Glückseligkeit verwandelt vorzufinden. Woraufhin er gleichsam als Archäologe des kapitalistischen Systems des neunzehnten Jahrhunderts zum vielgefragten Vortragsreisenden wird. Bis etwas schiefgeht, beinahe ein zweiter Bürgerkrieg ausbricht und er gemeinsam mit seinem vormaligen Erzfeind, einem gewissen Mister Forest, Vorname unbekannt, im Jahr 2020 nach Europa reist.
Genauer gesagt: in die Habsburgermonarchie Österreich, die allerdings auch den Weg zum Kommunismus gefunden hat. West und Forest sind anfangs skeptisch - Forest ist bisweilen gar offen feindselig -, sie wollen aber dennoch herausfinden und später dann in ihrer Heimat davon berichten, ob und wie der Traum (manche würden sogar sagen: Albtraum) einer klassenlosen Gesellschaft (notabene: inklusive Adel und eben sogar Kaiserhaus!) in der Alten Welt funktioniert.
Kommt das bekannt vor? Nun, Julian West erlebt den ersten Teil dieser Zukunftsreise bereits im Jahre 1888 in dem utopischen Roman "Looking Backward: 2000-1887" (auf Deutsch unter dem Titel "Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887" erschienen, und zwar 1890/91). Der Roman ist der einzige, dafür aber umso größere sowie heftig und kontrovers diskutierte literarische Erfolg von Edward Bellamy (1850 bis 1898) aus Massachusetts. Auf seinen Widersacher Forest trifft West dann in der bitterbösen Antwortsatire des deutsch-amerikanischen Journalisten und Autors Richard C. Michaelis (1839 bis 1909), die als "Looking Further Forward: An Answer to ,Looking Backward' by Edward Bellamy" zwei Jahre später in Chicago herauskam.
Der österreichische Jurist und Laienschriftsteller Josef von Neupauer hatte ganz offensichtlich beide Werke gelesen, war aber, so scheint es, mit keinem davon recht zufrieden. Daher nahm er frech die Hauptfiguren und ließ sie 1893 eben die in ein kommunistisches Paradies verwandelte Habsburgermonarchie der Zukunft bereisen. Irgendetwas dürfte da dennoch in der Zwischenzeit passiert sein, denn im Jahr 2020, also heuer, wie wir in Österreich sagen, hat Wien, das in diesem Roman weiterhin die Hauptstadt eines Immer-noch-Vielvölkerstaates ist, gerade einmal 450 000 Einwohner. Dabei umfasste die Bevölkerungszahl des realen Wien bereits um 1890 annähernd zwei Millionen, und heute nähert man sich diesem Wert wieder an. In einem Nebensatz von Neupauers Roman wird zwar ein verheerender Krieg erwähnt, aber ob es sich dabei um einen pessimistischen Ausblick (Neupauer war, so viel ist bekannt, vom österreichisch-preußischen Krieg des Jahres 1866 entsetzt) oder um eine Fortschreibung aus Michaelis' Dystopie handelt, bleibt unklar.
Viel an Handlung darf man freilich auch in "Österreich im Jahre 2020" nicht erwarten. In etwas ungelenkem Stil berichtet der Ich-Erzähler von den verschiedenen Stationen, die er und sein Kumpan besuchen. Er spricht auch die Rechte der Frauen an: Ob sie etwa wählen dürfen, wird nicht ganz klar, aber sie haben sich dann doch so weit emanzipiert, dass sie gleichsam eine selbstverwaltete Parallelgesellschaft bilden und aus eigenem Antrieb sich eher um Heim und Familie kümmern, als Brotberufe zu ergreifen. Andererseits gibt es Ärztinnen, wie ausdrücklich erwähnt wird. In für einen Roman durchaus ungewöhnlichen, sogar numerierten Anmerkungen kritisiert der Autor Neupauer heftig die Schrift "Die Frau und der Sozialismus" von August Bebel.
Seltsame, für die Entstehungszeit freilich nicht ungewöhnliche Schilderungen gibt es sodann in Bezug auf die sogenannte Volksgesundheit. Es wird zwar nicht von "unwertem Leben" gesprochen, doch die Gesellschaft legt sich durchaus Selbstbeschränkungen auf, was die Vermehrung betrifft. Selbstverständlich aus auf das Gemeinwohl bedachten Überlegungen und aus eigenem Antrieb der Bewohner!
Das letzte Kapitel vor dem Nachwort darf dann Wests Schwester Ellen erzählen, die ein Jahr später ebenfalls nach Österreich fährt und dort eine junge Dame trifft, in die sich Julian bei seiner Reise verliebt hatte.
Warum dieses Buch nun 127 Jahre später wieder, diesmal im Wiener Luftschacht Verlag, herausgegeben wird, bleibt rätselhaft - die schiere Freude an der Jahreszahl 2020 wird es ja wohl nicht sein. Fast noch rätselhafter ist übrigens, dass dieser "Sozialpolitische Roman" allein in den letzten vier Jahren in mindestens vier verschiedenen Ausgaben jeweils unterschiedlicher Länge bei diversen Verlagen erschienen ist. Rätselhaft zum Dritten bleibt auch der Autor Josef von Neupauer, lediglich sein Sterbejahr 1914 scheint festzustehen. Der aktuelle Herausgeber, der Münchener Tobias Roth, hat sich zumindest bemüht, möglichst viel über ihn herauszubekommen. So dürfte Neupauer durchaus ein Sonderling, wenn auch kein stadtbekannter, gewesen sein. Unter anderem soll er der damals, 1889, in Gründung befindlichen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei angetragen haben, ihr zwei Millionen Interessierte oder gar Mitglieder zu verschaffen. Die SDAP lehnte höflich ab, da sie diese Zahl wohl für ein Hirngespinst hielt.
Dieses "Österreich im Jahre 2020" selbst ist wohl nicht mehr als eine leidlich unterhaltsame, wenn auch durchaus skurrile Fußnote in der Geschichte der utopischen Schriften.
MARTIN LHOTZKY
Josef von Neupauer:
"Österreich im Jahre 2020". Roman.
Hrsg. von Tobias Roth.
Luftschacht Verlag, Wien 2020. 302 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main