Mit der Hochschule für Gestaltung, dem Deutschen Ledermuseum und dem Klingspor-Museum besitzt die Stadt Offenbach a. M. drei Kulturinstitute von überregionaler Bedeutung. Die Studie untersucht die Geschichte dieser Häuser bzw. ihrer institutionellen Vorgänger während der NS-Zeit. Prägende Persönlichkeiten waren Hugo Eberhardt (Architekt, Direktor der Kunstgewerbeschule und Gründer des Ledermuseums), Karl Klingspor (Schriftgießer und Erneuerer der Schriftkunst in Deutschland) und Rudolf Koch (einer der bedeutendsten Schriftkünstler der Zeit). Seit 1933 kam es verschiedentlich zu intensiven Einlassungen mit dem NS-Staat und seinen führenden Repräsentanten. Verhaltensweisen der Protagonisten und kunsthandwerkliche Objekte, die in der Offenbacher Häusern hergestellt oder präsentiert wurden, zeugen davon.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2019Angebiedert um fast jeden Preis
Der Historiker Andreas Hansert hat das Handeln von Offenbacher Kulturprotagonisten in der Nazizeit untersucht. Ein hochdifferenzierter Blick in dunkelste Stadtgeschichte.
Von Jochen Remmert
OFFENBACH. Am Anfang stand die Frage, wie es im Mai 1933 auf dem Hof der Offenbacher Kunstgewerbeschule, vor dem Isenburger Schloss zu einer Bücherverbrennung kommen konnte. Alsbald war aber klar, dass der renommierte Historiker Andreas Hansert seine Forschung würde ausweiten müssen auf die Verstrickung bestimmender Protagonisten der Offenbacher Kultur in das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten, um die Zusammenhänge wissenschaftlich angemessen aufzuarbeiten. Nun hat Hansert die Ergebnisse seiner Arbeit in einem Buch vorgelegt, das er am Dienstagabend im Saal des Offenbacher Stadtparlaments der Öffentlichkeit vorstellte.
"Offenbach am Main - Kultur im Sog des Nationalsozialismus" lautet der Titel des 290 Seiten umfassenden Buches. Im Untertitel sind die drei Offenbacher Institutionen genannt, auf die sich Hansert in seiner Forschung konzentriert hat. Genauer gesagt, hat er sich mit dem Verhalten dreier führender Köpfe dieser Institutionen beschäftigt: mit Hugo Eberhardt, dem langjährigen Direktor der Kunstgewerbeschule und Gründer des Deutschen Ledermuseums, mit dem Unternehmer Karl Klingspor, der in Offenbach eine Schriftgießerei betrieben hat, und mit dem bekannten Setzer und Schriftkünstler Rudolf Koch.
Für Eberhardt und Klingspor lässt sich aus Hanserts Forschung herauslesen, dass sie beide, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, mehr als nur Nutznießer der nationalsozialistischen Diktatur und Feinde der demokratischen Weimarer Republik waren. Vielmehr haben sie sich den Nationalsozialisten als Helfer angedient und bei der Verbreitung der NS-Ideologie geholfen. Da der als wegweisend geltende Schriftkünstler Koch schon 1934 starb, lässt Wissenschaftler Hansert die spekulative Frage unbeantwortet, wie sich der erklärte Nationalist Koch wohl gegenüber dem nationalsozialistischen System positioniert hätte. Für eine differenzierte Weltsicht Kochs spricht Hansert zufolge immerhin, dass er eine innige Freundschaft zum jüdischen Rechtsanwalt und Kunstmäzen Siegfried Guggenheim pflegte.
Das Urteil Hanserts über Eberhardt fällt nach Auswertung des reichhaltigen Quellenmaterials sehr viel belastender aus: Eberhardt habe intensiv mit den Nationalsozialisten kooperiert und sich als Direktor der Kunstgewerbeschule massiv zugunsten der Verbreitung der nationalsozialistischen Sicht der Dinge engagiert. Stets habe er sich dem Gauleiter Jakob Sprenger als willfähriger Erfüllungsgehilfe empfohlen, was dieser gerne angenommen habe.
In seiner Funktion als Gründer und Leiter des Ledermuseums schreckte Eberhardt im Laufe der militärischen Expansison in Europa auch nicht davor zurück, sich Kunstgegenstände anzueignen, die bedrohte Familien unter Druck abgaben. Weil er schließlich auch in einem Museum in Linz Stücke aus ursprünglich jüdischem Besitz für "sein" Ledermuseum sichern wollte, schrieb er an die Reichskanzlei einen Brief. Darin hieß es: "Warum soll Offenbach, aus dem der Jude so viel an Wirtschaftswerten - an Kenntnissen von Material, Absatzgebieten, Ursprungsländern, Arbeitsweisen bei seinem Abgang auch ins Ausland verschleppte - nun aus dem von den Juden zusammengebrachten Kunstbesitz nicht eine gewisse Ausgleichsentschädigung erhalten?"
In diesem radikal antisemitischen Stil fuhr Eberhardt fort. Hansert zufolge richtete Eberhardt diese Tirade vor allem gegen Robert von Hirsch, den Firmenerben des einstigen Offenbacher Lederfabrikanten und Ehrenbürgers Ludo Mayer. In dessen Nachfolge hatte sich Hirsch auch als Stifter für das Ledermuseum engagiert, bis er vor den Nazis ins Schweizer Exil flüchtete. Eberhardt trat 1941 schließlich in die NSDAP ein. Er wurde später Ehrenbürger von Offenbach und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Es gibt in Offenbach heute noch einen Hugo-Eberhardt-Weg. Die Stadt denkt angesichts der Forschungsergebnisse darüber nach, ob das so bleiben kann.
Schwieriger als im Fall Eberhardt ist die Einordnung von Karl Klingspor. Er war in der Deutschnationalen Volkspartei engagiert, antidemokratisch und lehnte das parlamentarische System ab, wie den Quellen laut Hansert zu entnehmen ist. Als Nazi will er Klingspor aber nicht bezeichnen, im Gegenteil. "Ein deutschnationaler Republikfeind wird zum Nazigegner", so lautet die Unterzeile eines Klingspor gewidmeten Kapitels. Allerdings verurteilte Klingspor vor allem ein "nationalsozialistisches Bonzentum", nicht etwa den gewalttätigen Ausbau der Macht und die Verfolgung von Juden und Andersdenkenden. Klingspor ließ es sich auch nicht entgehen, im Auftrag von Reichsführer SS Heinrich Himmler für dessen "Forschungsinstitut Ahnenerbe" zu drucken - und anschließend das "monumentalste Druckwerk unserer Zeit" zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag zu gestalten.
Wesentlich einfacher als im Fall von Eberhardt und Klingspor lässt sich in die Rolle des Pfarrers der altkatholischen Gemeinde Offenbach, Josef Maria Weeber, in Nazideutschland beschreiben. Er war es, der als "Führer" der Offenbacher Ortsgruppe des Kampfbunds für Deutsche Kultur im Mai 1933 für die Einladung zur Offenbacher Bücherverbrennung in einer Zeitungsanzeige verantwortlich zeichnete. Hansert beschreibt Weeber aufgrund der Quellenfunde als "wildwuchernden Ideologen und Propagandisten". Er sei einer jener Sonderlinge gewesen, die mit Hitlers Aufstieg die Chance gesehen hätten, ihre lange gehegten "Allmachts- und Vernichtungsphantasien auszuleben".
"Offenbach am Main - Kultur im Sog des Nationalsozialismus" von Andreas Hansert ist bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen und kostet 39 Euro.
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Der Historiker Andreas Hansert hat das Handeln von Offenbacher Kulturprotagonisten in der Nazizeit untersucht. Ein hochdifferenzierter Blick in dunkelste Stadtgeschichte.
Von Jochen Remmert
OFFENBACH. Am Anfang stand die Frage, wie es im Mai 1933 auf dem Hof der Offenbacher Kunstgewerbeschule, vor dem Isenburger Schloss zu einer Bücherverbrennung kommen konnte. Alsbald war aber klar, dass der renommierte Historiker Andreas Hansert seine Forschung würde ausweiten müssen auf die Verstrickung bestimmender Protagonisten der Offenbacher Kultur in das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten, um die Zusammenhänge wissenschaftlich angemessen aufzuarbeiten. Nun hat Hansert die Ergebnisse seiner Arbeit in einem Buch vorgelegt, das er am Dienstagabend im Saal des Offenbacher Stadtparlaments der Öffentlichkeit vorstellte.
"Offenbach am Main - Kultur im Sog des Nationalsozialismus" lautet der Titel des 290 Seiten umfassenden Buches. Im Untertitel sind die drei Offenbacher Institutionen genannt, auf die sich Hansert in seiner Forschung konzentriert hat. Genauer gesagt, hat er sich mit dem Verhalten dreier führender Köpfe dieser Institutionen beschäftigt: mit Hugo Eberhardt, dem langjährigen Direktor der Kunstgewerbeschule und Gründer des Deutschen Ledermuseums, mit dem Unternehmer Karl Klingspor, der in Offenbach eine Schriftgießerei betrieben hat, und mit dem bekannten Setzer und Schriftkünstler Rudolf Koch.
Für Eberhardt und Klingspor lässt sich aus Hanserts Forschung herauslesen, dass sie beide, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, mehr als nur Nutznießer der nationalsozialistischen Diktatur und Feinde der demokratischen Weimarer Republik waren. Vielmehr haben sie sich den Nationalsozialisten als Helfer angedient und bei der Verbreitung der NS-Ideologie geholfen. Da der als wegweisend geltende Schriftkünstler Koch schon 1934 starb, lässt Wissenschaftler Hansert die spekulative Frage unbeantwortet, wie sich der erklärte Nationalist Koch wohl gegenüber dem nationalsozialistischen System positioniert hätte. Für eine differenzierte Weltsicht Kochs spricht Hansert zufolge immerhin, dass er eine innige Freundschaft zum jüdischen Rechtsanwalt und Kunstmäzen Siegfried Guggenheim pflegte.
Das Urteil Hanserts über Eberhardt fällt nach Auswertung des reichhaltigen Quellenmaterials sehr viel belastender aus: Eberhardt habe intensiv mit den Nationalsozialisten kooperiert und sich als Direktor der Kunstgewerbeschule massiv zugunsten der Verbreitung der nationalsozialistischen Sicht der Dinge engagiert. Stets habe er sich dem Gauleiter Jakob Sprenger als willfähriger Erfüllungsgehilfe empfohlen, was dieser gerne angenommen habe.
In seiner Funktion als Gründer und Leiter des Ledermuseums schreckte Eberhardt im Laufe der militärischen Expansison in Europa auch nicht davor zurück, sich Kunstgegenstände anzueignen, die bedrohte Familien unter Druck abgaben. Weil er schließlich auch in einem Museum in Linz Stücke aus ursprünglich jüdischem Besitz für "sein" Ledermuseum sichern wollte, schrieb er an die Reichskanzlei einen Brief. Darin hieß es: "Warum soll Offenbach, aus dem der Jude so viel an Wirtschaftswerten - an Kenntnissen von Material, Absatzgebieten, Ursprungsländern, Arbeitsweisen bei seinem Abgang auch ins Ausland verschleppte - nun aus dem von den Juden zusammengebrachten Kunstbesitz nicht eine gewisse Ausgleichsentschädigung erhalten?"
In diesem radikal antisemitischen Stil fuhr Eberhardt fort. Hansert zufolge richtete Eberhardt diese Tirade vor allem gegen Robert von Hirsch, den Firmenerben des einstigen Offenbacher Lederfabrikanten und Ehrenbürgers Ludo Mayer. In dessen Nachfolge hatte sich Hirsch auch als Stifter für das Ledermuseum engagiert, bis er vor den Nazis ins Schweizer Exil flüchtete. Eberhardt trat 1941 schließlich in die NSDAP ein. Er wurde später Ehrenbürger von Offenbach und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Es gibt in Offenbach heute noch einen Hugo-Eberhardt-Weg. Die Stadt denkt angesichts der Forschungsergebnisse darüber nach, ob das so bleiben kann.
Schwieriger als im Fall Eberhardt ist die Einordnung von Karl Klingspor. Er war in der Deutschnationalen Volkspartei engagiert, antidemokratisch und lehnte das parlamentarische System ab, wie den Quellen laut Hansert zu entnehmen ist. Als Nazi will er Klingspor aber nicht bezeichnen, im Gegenteil. "Ein deutschnationaler Republikfeind wird zum Nazigegner", so lautet die Unterzeile eines Klingspor gewidmeten Kapitels. Allerdings verurteilte Klingspor vor allem ein "nationalsozialistisches Bonzentum", nicht etwa den gewalttätigen Ausbau der Macht und die Verfolgung von Juden und Andersdenkenden. Klingspor ließ es sich auch nicht entgehen, im Auftrag von Reichsführer SS Heinrich Himmler für dessen "Forschungsinstitut Ahnenerbe" zu drucken - und anschließend das "monumentalste Druckwerk unserer Zeit" zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag zu gestalten.
Wesentlich einfacher als im Fall von Eberhardt und Klingspor lässt sich in die Rolle des Pfarrers der altkatholischen Gemeinde Offenbach, Josef Maria Weeber, in Nazideutschland beschreiben. Er war es, der als "Führer" der Offenbacher Ortsgruppe des Kampfbunds für Deutsche Kultur im Mai 1933 für die Einladung zur Offenbacher Bücherverbrennung in einer Zeitungsanzeige verantwortlich zeichnete. Hansert beschreibt Weeber aufgrund der Quellenfunde als "wildwuchernden Ideologen und Propagandisten". Er sei einer jener Sonderlinge gewesen, die mit Hitlers Aufstieg die Chance gesehen hätten, ihre lange gehegten "Allmachts- und Vernichtungsphantasien auszuleben".
"Offenbach am Main - Kultur im Sog des Nationalsozialismus" von Andreas Hansert ist bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen und kostet 39 Euro.
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