Omar Chajjam wurde Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die berühmte Versübertragung des englischen Dichters Edward Fitzgerald zu einem bekannten Namen in England und in den USA. Vor dem zweiten Weltkrieg wurde er als solcher auch in Deutschland in verschiedenen Übersetzungen viel gelesen. Seither aber sind sein Poetisches Werk, das zum Schatz der Weltliteratur gehört, und seine Person zunehmend aus dem Bewusstsein des literarischen und der kulturellen Öffentlichkeit Europas verschwunden. Selbst seiner bemerkenswerten Leistungen in Mathematik und Astronomie, für die er zu seinen Lebzeiten allein bekannt war, gedenken wir heute kaum noch. Seine Dichtung für die Leserschaft wiederzugewinnen, ist aber nicht nur von poetischem Interesse. Was selten gewürdigt wird, ist, wie sehr Chajjam in seinen Gedichten auch eine pointierte Welt- und Lebensauffassung ausbreitet, in der sich Lebensfreude, Ironie, religiöse und weltanschauliche Skepsis sowie eine Lebens- und Existenzphilosophie zu einer beispielhaft selbstbestimmenden liberalen Welt- und Lebenshaltung verbindet. Seine kühnen Ideen, seine unerhörte Freimütigkeit, seine Aversion gegen Heuchelei, seine Lust an der Provokation, seine beißende Satire, seinen scharfen Witz sowie die tiefe Humanität seiner Texte sind aktueller als je zuvor. Chajjam spricht vom Werden und Vergehen, von der Selbstgestaltung und der Selbstbefreiung des Menschen, von Liebe und Freundschaft, vom Leiden der Welt, von Schmerzen und von der Lust, vom Genuss des Augenblickes, von heiterer Muse und Gelassenheit, von Traum und Trunkenheit, vom Respekt vor der Natur und von der Begrenztheit allen Lebens. Die hier vorgelegte Edition bietet nicht nur eine gründliche und den Inhalt möglichst getreu wiedergebende Ausgabe, sondern enthält darüber hinaus eine umfangreiche Einleitung und einen detaillierten Kommentar. Sie trägt damit zum einen dem Sachverhalt Rechnung, dass Chajjam aus dem Bewusstsein der Gebildeten herausgefallen ist und dem Publikum neu vorgestellt werden muss. Zum anderen war es die Absicht des Autors, den philosophischen Gehalt und damit den Ernst der Chajjamischen Lebensauffassung durch die Ironie und Heiterkeit seiner Texte hindurch begreiflich werden zu lassen. Es sind schon viele Bücher über Chajjams Rubaijat geschrieben worden, keines jedoch mit dem Ziel, seine Lebens- und Existenzphilosophie zu erfassen und zugleich die Relevanz seiner kritischen Haltung für die Gegenwart wiederzugewinnen.
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