Barrie Kosky versteht es nicht nur als der gefeierte Regiestar der Komischen Oper in Berlin, sondern auch als unterhaltsamer und fesselnder Erzähler, der überwältigenden Macht des Gefühls einen glänzenden Auftritt zu bereiten. "On Ecstasy" ist seine Biografie des Schreckens und des Glücks im rauschhaften Moment: der Ekstase des Schmeckens beim Genuss der Hühnersuppe der geliebten Großmutter, der Ekstase des Fühlens im Pelzlager des Vaters in Melbourne, des Sogs der unbekannten Zonen des Geschlechts, der Überwältigung in der Begegnung mit den Sinfonien von Mahler und der überirdischen Halluzinationen der Opern von Wagner … "On Ecstasy" ist die humorvolle Betrachtung des sinnlichen Dranges und der éducation sentimentale eines jungen Mannes und seiner Genese als Künstler.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Wolfgang Schreiber scheint nicht gerade berauscht von Barrie Koskys Report "On Ecstasy". Kosky, Regisseur und Intendant an der Komischen Oper in Berlin, erzähle in dem kleinen Buch in "persönlichem Tonfall" emotional von ekstatischen Erinnerungen, darunter zum Beispiel die Kochkünste der polnischen Großmutter oder die ersten Berührungen mit der klassischen Musik, berichtet Schreiber. Die letzten zwanzig Seiten des Buches seien dem Rezensenten zufolge leider eher unbefriedigend und wirken, als hätte der Autor gegen Ende des Schreibprozesses die Geduld verloren. Immerhin - an Koskys bedeutsame "Wagner-Arbeit" in Bayreuth erinnert er sich gerne, schließt Schreiber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2021Euphorisches Erzählen
Porträt des Künstlers als Kind: Barrie Koskys Erinnerungen
Was hat eine heiße Hühnersuppe mit den Symphonien von Gustav Mahler zu tun, was die Textur eines Nerzmantels mit den Kompositionen von Jean-Philippe Rameau? Man könnte auch fragen: Was hat das französische Sandtörtchen Madeleine mit einem tragischen Reitunfall zu tun? Anders als Marcel Proust begibt sich der 1967 in Melbourne geborene, aber schon lange in Berlin lebende Opern- und Theaterregisseur Barrie Kosky freilich nicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit, wenn er sich an das "jüdische Penicillin" seiner polnischen Großmutter oder an die Pelzmäntel im Laden seines Vaters erinnert. Die sensuellen Eindrücke aus der Kindheit sind für ihn bis heute das Rüstzeug für seine existentielle Orientierung.
Bereits 2008 wurden seine knappen Reminiszenzen in Australien veröffentlicht. Der Berliner Verlag Theater der Zeit legt sie nun endlich auf Deutsch vor, unter dem Originaltitel "On Ecstasy". "In Ekstase" hätte das hübsche kleinformatige Brevier allerdings weitaus besser geheißen, weil es durch die anglizistische Attitüde fälschlich den Anschein einer Drogenbeichte vermittelt. Ergänzt wird das Bändchen von einem Interview, das Ulrich Lenz, der Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin, eigens mit Kosky geführt hat, der seit 2012 der höchst erfolgreiche Intendant dieses Hauses ist. Koskys autobiographische Rückschau auf die Zeit des Aufwachsens und den Beginn seiner Regie-Karriere liest sich so spannend und anmutig, so herzlich, amüsant und feinfühlig, wie es manche seiner Inszenierungen sind. Das Buch ist eine Trouvaille, deren Übersetzung sich wahrhaft gelohnt hat.
Bereits mit sieben Jahren, so stellt Kosky fest, verfügte er über eine "blühende Fantasie" und ein "hypersensibles Wahrnehmungsvermögen", wünschte sich mitunter, durch den Kleiderschrank hindurchgehen zu können, um dahinter schneebedeckte Hügel zu finden. Was er las, hörte, sah, versetzte den Jungen oft in verrückte Träume und rauschhafte Zustände. Das erste spektakuläre Opernerlebnis verschafften ihm Schallplatten von Puccinis "Madame Butterfly" mit Renata Tebaldi: "Warum streichelte ihre Stimme meine Haut, drang in meinen Körper und wirbelte in meinem Magen herum?" Er nahm Klavierunterricht, verwandelte sich Musik jedoch im Kinderzimmer auch als "Dirigent" (mit einem Plastik-Essstäbchen) beim Hören von Platten an und vergaß sogar das Abendbrot, wenn er so "mit den Engeln tanzte". Diese sehnsuchtsvollen Entrückungen nennt er "Ekstase", und in die gerät er sowohl bei Omas Hühnersuppe wie bei seiner Inszenierung von Händels Oratorium "Saul" 2015 in Glyndebourne: "Die Verbindung von Körper, Bewegung und Gesang kam der ursprünglichen Ekstase des griechischen Theaters nahe."
Barrie Kosky ist ein euphorischer Erzähler, er schwärmt von Gerüchen und Geräuschen, von Licht und Luft, die ganze Welt ist ihm ein sinnliches Experimentierfeld und das Theater eine "alchemistische Mischung". Er vertraut stets auf direkte Emotionen, selten auf die Ratio, und pflegt dabei immer eine feine, menschliche Art von Humor, mit dem er allem die schönste Leichtigkeit schenkt. So ist ihm ein hinreißendes Porträt des Künstlers als Kind und junger Mann gelungen, bei dem er auf wundersame Weise die energetischen Adern zwischen den Stationen seines Lebens offenlegt. Von Beginn an schwingt natürlich eine sexuelle Komponente bei dieser Éducation sentimentale mit.
Überhaupt hängt alles mit allem zusammen - und ist voll Magie und Leuchtkraft. Sollte es zu einer Fortsetzung dieser Aufzeichnungen kommen, würde er vielleicht über "das Thema Lachen", in "zehn oder fünfzehn Jahren vielleicht über Melancholie schreiben", sagt er zu Ulrich Lenz, als der ihn nach dem Älterwerden befragt. "Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren": Max Reinhardts berühmtes Zitat gilt mit Fug und Recht auch für Barrie Kosky, den ingeniösen Regisseur der Lebenssinnlichkeiten.
IRENE BAZINGER
Barrie Kosky: "On Ecstasy".
Aus dem Englischen von Ulrich Lenz. Verlag Theater der Zeit, Berlin 2021. 104 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Porträt des Künstlers als Kind: Barrie Koskys Erinnerungen
Was hat eine heiße Hühnersuppe mit den Symphonien von Gustav Mahler zu tun, was die Textur eines Nerzmantels mit den Kompositionen von Jean-Philippe Rameau? Man könnte auch fragen: Was hat das französische Sandtörtchen Madeleine mit einem tragischen Reitunfall zu tun? Anders als Marcel Proust begibt sich der 1967 in Melbourne geborene, aber schon lange in Berlin lebende Opern- und Theaterregisseur Barrie Kosky freilich nicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit, wenn er sich an das "jüdische Penicillin" seiner polnischen Großmutter oder an die Pelzmäntel im Laden seines Vaters erinnert. Die sensuellen Eindrücke aus der Kindheit sind für ihn bis heute das Rüstzeug für seine existentielle Orientierung.
Bereits 2008 wurden seine knappen Reminiszenzen in Australien veröffentlicht. Der Berliner Verlag Theater der Zeit legt sie nun endlich auf Deutsch vor, unter dem Originaltitel "On Ecstasy". "In Ekstase" hätte das hübsche kleinformatige Brevier allerdings weitaus besser geheißen, weil es durch die anglizistische Attitüde fälschlich den Anschein einer Drogenbeichte vermittelt. Ergänzt wird das Bändchen von einem Interview, das Ulrich Lenz, der Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin, eigens mit Kosky geführt hat, der seit 2012 der höchst erfolgreiche Intendant dieses Hauses ist. Koskys autobiographische Rückschau auf die Zeit des Aufwachsens und den Beginn seiner Regie-Karriere liest sich so spannend und anmutig, so herzlich, amüsant und feinfühlig, wie es manche seiner Inszenierungen sind. Das Buch ist eine Trouvaille, deren Übersetzung sich wahrhaft gelohnt hat.
Bereits mit sieben Jahren, so stellt Kosky fest, verfügte er über eine "blühende Fantasie" und ein "hypersensibles Wahrnehmungsvermögen", wünschte sich mitunter, durch den Kleiderschrank hindurchgehen zu können, um dahinter schneebedeckte Hügel zu finden. Was er las, hörte, sah, versetzte den Jungen oft in verrückte Träume und rauschhafte Zustände. Das erste spektakuläre Opernerlebnis verschafften ihm Schallplatten von Puccinis "Madame Butterfly" mit Renata Tebaldi: "Warum streichelte ihre Stimme meine Haut, drang in meinen Körper und wirbelte in meinem Magen herum?" Er nahm Klavierunterricht, verwandelte sich Musik jedoch im Kinderzimmer auch als "Dirigent" (mit einem Plastik-Essstäbchen) beim Hören von Platten an und vergaß sogar das Abendbrot, wenn er so "mit den Engeln tanzte". Diese sehnsuchtsvollen Entrückungen nennt er "Ekstase", und in die gerät er sowohl bei Omas Hühnersuppe wie bei seiner Inszenierung von Händels Oratorium "Saul" 2015 in Glyndebourne: "Die Verbindung von Körper, Bewegung und Gesang kam der ursprünglichen Ekstase des griechischen Theaters nahe."
Barrie Kosky ist ein euphorischer Erzähler, er schwärmt von Gerüchen und Geräuschen, von Licht und Luft, die ganze Welt ist ihm ein sinnliches Experimentierfeld und das Theater eine "alchemistische Mischung". Er vertraut stets auf direkte Emotionen, selten auf die Ratio, und pflegt dabei immer eine feine, menschliche Art von Humor, mit dem er allem die schönste Leichtigkeit schenkt. So ist ihm ein hinreißendes Porträt des Künstlers als Kind und junger Mann gelungen, bei dem er auf wundersame Weise die energetischen Adern zwischen den Stationen seines Lebens offenlegt. Von Beginn an schwingt natürlich eine sexuelle Komponente bei dieser Éducation sentimentale mit.
Überhaupt hängt alles mit allem zusammen - und ist voll Magie und Leuchtkraft. Sollte es zu einer Fortsetzung dieser Aufzeichnungen kommen, würde er vielleicht über "das Thema Lachen", in "zehn oder fünfzehn Jahren vielleicht über Melancholie schreiben", sagt er zu Ulrich Lenz, als der ihn nach dem Älterwerden befragt. "Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren": Max Reinhardts berühmtes Zitat gilt mit Fug und Recht auch für Barrie Kosky, den ingeniösen Regisseur der Lebenssinnlichkeiten.
IRENE BAZINGER
Barrie Kosky: "On Ecstasy".
Aus dem Englischen von Ulrich Lenz. Verlag Theater der Zeit, Berlin 2021. 104 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2021Ekstase auf dem Löffel
Barrie Koskys Buch über diverse Rauscherfahrungen
„Musiktheater“, stellt Barrie Kosky fest, „ist flüchtig, es entsteht und vergeht …“ Der Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin ist ein Melancholiker und gab sich philosophisch, als er neulich seine letzte Berliner Spielzeit präsentierte. Er hat allerdings einen Ersatzschauplatz gefunden, dauerhafter als die windige Bühnenkunst – ein Buch, Titel „On Ecstasy“, kein Romanwälzer, nur ein Libretto, zu Deutsch Büchlein, groß wie eine geräumige Handfläche. Darin: Erinnerungen und Reflexionen eines Mannes, der sich zu den potenten Musiktheatermachern der Gegenwart hochgearbeitet hat. Barrie Kosky wählt, wie auf der Bühne, wenn er via Mikro sein Publikum bezirzt, den persönlichen Tonfall, lässt den Emotionen freien Lauf. Aber gleich „Ekstase“? Diese sei ein „mit mystischer oder prophetischer Begeisterung in Verbindung stehendes Gefühl von Trance, Rausch oder Verzückung“.
Um das dingfest zu machen, denkt Kosky, der 1967 in Melbourne geborene Arbeitsgenussmensch, an konkrete Augenblicke des Glücksgefühls. Die sind zuerst mal mit seiner polnischen Großmutter und deren Kochkünsten verbunden, mit ihrer Hühnersuppe. Kosky erinnert sich an das „siebenjährige jüdische Kind“ und dessen frühen Essgenuss: „Der erste Löffel, mit dem die heiße Suppe in meinen Mund flutete und meine Kehle hinabrann, war tiefe metaphysische Verzückung.“ Und die Großmutter öffnete ihm dazu noch das Tor zum Opernglück, indem sie von Madama Butterfly erzählte, Puccinis süchtig machender Unglücksmusik. Die kratzende Schallplatte davon war nur Vorspiel zum Besuch im Princess Theatre zu Melbourne, wo die Stimme der Sängerin „meine Trommelfelle streichelte, in meinen Körper eindrang und mich schwindlig machte“.
Als der Junge mit fünfzehn die Musik Gustav Mahlers entdeckt, den mystischen Beginn der ersten Symphonie, „die 56 Takte eines tiefen Streicherbrummens in der untersten Oktave“, da erwacht er plötzlich in einer ganz anderen Welt, denn „auf einmal tut sich eine weiträumige Landschaft auf, voller Möglichkeiten, ohne Anfang oder Ende“. Ekstase und Schrecknis der jugendlichen Mahler-Verführung lässt noch den Erwachsenen staunen: „Welcher Komponist bringt auf derselben Seite einer sinfonischen Partitur einen Trauermarsch, ein Kinderlied und eine schmissige Klezmer-Band zusammen?“ Die éducation sentimentale des Jungen wird künstlerisch effizient, da er Mahlers Theatralik verstehen lernt, dessen Sinn „für Charaktere, für Szene, für dramatische Konfrontationen, für Licht, für Klangregie“. Und er begreift, dass das Theater der ideale Ort für alles Ekstatische ist, die Bühne für „eine alchemistische Mischung aus Manipulation, Ritual und Stimulation“.
Kosky musste einfach Richard Wagner entdecken, den „Meister theatralischer Phantasmagorien“. Er entschlüsselt den „Fliegenden Holländer“, „Lohengrin“, den „Tristan“ und landet beim denkbar Größten, Wagners „Ring des Nibelungen“ und somit in der eigenen Gegenwart. „More ecstasy“ hat Barrie Kosky die letzten, leider eher ernüchternden 20 Seiten seines Buchs überschrieben. Für die mag dem Theater-Workaholic die Schreibgeduld gefehlt haben. Die Ekstasen der Kindheit hatte er 2007 noch selbst verfasst und in Melbourne zum Buch gemacht, jetzt lässt er Ulrich Lenz, den Übersetzer aus dem Englischen, ein paar Fragen zur Gegenwart stellen. Keine Ekstasenfortschreibung im Intendanzbüro der Berliner Komischen Oper, aber unbedingt dort die Wiederentdeckung der Operetten der Weimarer Republik. Keineswegs ekstatisch, aber doch hochbedeutsam die Wagner-Arbeit in Bayreuth, Koskys zeit- und nazikritischen „Meistersinger“. Und mit der Hühnersuppe der Großmutter wenigstens vergleichbar ein japanisches Genussereignis, das 15-Gänge-Menü in Tokio – der Opernmann an Stäbchen.
WOLFGANG SCHREIBER
Barrie Kosky:
On Ecstasy.
Aus dem Englischen
von Ulrich Lenz.
Verlag Theater der Zeit, Berlin 2021.
104 Seiten, 15 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Barrie Koskys Buch über diverse Rauscherfahrungen
„Musiktheater“, stellt Barrie Kosky fest, „ist flüchtig, es entsteht und vergeht …“ Der Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin ist ein Melancholiker und gab sich philosophisch, als er neulich seine letzte Berliner Spielzeit präsentierte. Er hat allerdings einen Ersatzschauplatz gefunden, dauerhafter als die windige Bühnenkunst – ein Buch, Titel „On Ecstasy“, kein Romanwälzer, nur ein Libretto, zu Deutsch Büchlein, groß wie eine geräumige Handfläche. Darin: Erinnerungen und Reflexionen eines Mannes, der sich zu den potenten Musiktheatermachern der Gegenwart hochgearbeitet hat. Barrie Kosky wählt, wie auf der Bühne, wenn er via Mikro sein Publikum bezirzt, den persönlichen Tonfall, lässt den Emotionen freien Lauf. Aber gleich „Ekstase“? Diese sei ein „mit mystischer oder prophetischer Begeisterung in Verbindung stehendes Gefühl von Trance, Rausch oder Verzückung“.
Um das dingfest zu machen, denkt Kosky, der 1967 in Melbourne geborene Arbeitsgenussmensch, an konkrete Augenblicke des Glücksgefühls. Die sind zuerst mal mit seiner polnischen Großmutter und deren Kochkünsten verbunden, mit ihrer Hühnersuppe. Kosky erinnert sich an das „siebenjährige jüdische Kind“ und dessen frühen Essgenuss: „Der erste Löffel, mit dem die heiße Suppe in meinen Mund flutete und meine Kehle hinabrann, war tiefe metaphysische Verzückung.“ Und die Großmutter öffnete ihm dazu noch das Tor zum Opernglück, indem sie von Madama Butterfly erzählte, Puccinis süchtig machender Unglücksmusik. Die kratzende Schallplatte davon war nur Vorspiel zum Besuch im Princess Theatre zu Melbourne, wo die Stimme der Sängerin „meine Trommelfelle streichelte, in meinen Körper eindrang und mich schwindlig machte“.
Als der Junge mit fünfzehn die Musik Gustav Mahlers entdeckt, den mystischen Beginn der ersten Symphonie, „die 56 Takte eines tiefen Streicherbrummens in der untersten Oktave“, da erwacht er plötzlich in einer ganz anderen Welt, denn „auf einmal tut sich eine weiträumige Landschaft auf, voller Möglichkeiten, ohne Anfang oder Ende“. Ekstase und Schrecknis der jugendlichen Mahler-Verführung lässt noch den Erwachsenen staunen: „Welcher Komponist bringt auf derselben Seite einer sinfonischen Partitur einen Trauermarsch, ein Kinderlied und eine schmissige Klezmer-Band zusammen?“ Die éducation sentimentale des Jungen wird künstlerisch effizient, da er Mahlers Theatralik verstehen lernt, dessen Sinn „für Charaktere, für Szene, für dramatische Konfrontationen, für Licht, für Klangregie“. Und er begreift, dass das Theater der ideale Ort für alles Ekstatische ist, die Bühne für „eine alchemistische Mischung aus Manipulation, Ritual und Stimulation“.
Kosky musste einfach Richard Wagner entdecken, den „Meister theatralischer Phantasmagorien“. Er entschlüsselt den „Fliegenden Holländer“, „Lohengrin“, den „Tristan“ und landet beim denkbar Größten, Wagners „Ring des Nibelungen“ und somit in der eigenen Gegenwart. „More ecstasy“ hat Barrie Kosky die letzten, leider eher ernüchternden 20 Seiten seines Buchs überschrieben. Für die mag dem Theater-Workaholic die Schreibgeduld gefehlt haben. Die Ekstasen der Kindheit hatte er 2007 noch selbst verfasst und in Melbourne zum Buch gemacht, jetzt lässt er Ulrich Lenz, den Übersetzer aus dem Englischen, ein paar Fragen zur Gegenwart stellen. Keine Ekstasenfortschreibung im Intendanzbüro der Berliner Komischen Oper, aber unbedingt dort die Wiederentdeckung der Operetten der Weimarer Republik. Keineswegs ekstatisch, aber doch hochbedeutsam die Wagner-Arbeit in Bayreuth, Koskys zeit- und nazikritischen „Meistersinger“. Und mit der Hühnersuppe der Großmutter wenigstens vergleichbar ein japanisches Genussereignis, das 15-Gänge-Menü in Tokio – der Opernmann an Stäbchen.
WOLFGANG SCHREIBER
Barrie Kosky:
On Ecstasy.
Aus dem Englischen
von Ulrich Lenz.
Verlag Theater der Zeit, Berlin 2021.
104 Seiten, 15 Euro.
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"On Ecstasy ist eine Theaterbiografie, ein kleines Büchlein voller Anekdoten, das zugleich auch eine stringente Bühnentheorie mitvermittelt." DerStandard, Wien