« Il arrive toujours un moment où les hommes semblent attendre la catastrophe qui réglera leurs problèmes. Ces périodes sont généralement nommées : avant-guerres. Elles sont assez mal choisies pour tomber amoureux. En 1940, à New York, un écrivain débutant nommé Jerry Salinger, 21 ans, rencontre Oona O'Neill, 15 ans, la fille du plus grand dramaturge américain. Leur idylle ne commencera vraiment que l'été suivant... quelques mois avant Pearl Harbor. Début 1942, Salinger est appelé pour combattre en Europe et Oona part tenter sa chance à Hollywood. Ils ne se marièrent jamais et n'eurent aucun enfant. »
F. B.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2015Mr. Salinger möchte keine Post von Lesern
Der für seine Abwesenheit berühmte Autor ist plötzlich sehr präsent: Eine Biographie, ein Roman und ein Erinnerungsbuch widmen sich J. D. Salinger, doch besser noch sind einige frühe Erzählungen.
Für den "Fänger im Roggen" ist er so berühmt wie für sein jahrzehntelanges Schweigen als Autor: Eine Biographie, ein Roman und ein Erinnerungsbuch wollen jetzt von J. D. Salingers Leben erzählen - und drei seiner frühen Geschichten erscheinen erstmals auf Deutsch.
Bevor J. D. Salinger in den Krieg gegen Hitler zog, war der junge Autor in eines der schönsten Mädchen von New York verliebt, verlor sie aber an den etliche Jahre älteren Filmstar Charlie Chaplin. Nach dem Krieg brachte er mit dem "Fänger im Roggen" (1951), seinem ersten und einzigen Roman, einen unvergesslichen Ton in die amerikanische Literatur. Der Ich-Erzähler Holden Caulfield, dessen Stimme einen so fesselt, haut aus seinem Internat ab, taumelt allein durchs vorweihnachtliche New York, säuft, pöbelt, flucht und reibt sich an der Verlogenheit der Welt wund.
Dem millionenfach verkauften Debüt folgten drei Bände mit wunderbaren Erzählungen, aber 1965 erschien Salingers letzte Geschichte im "New Yorker", ganze fünfundvierzig Jahre vor seinem Tod. Mancher hielt das lange Schweigen für ein weiteres Werk, sozusagen Salingers fünftes Buch.
Mit "Die jungen Leute" liegt jetzt tatsächlich ein fünftes Buch von Salinger auf Deutsch vor, und auch in drei anderen Neuerscheinungen begegnet er uns dieses Frühjahr. Während David Shields und Shane Salerno sich in einer voluminösen Biographie mit Salingers ganzem Leben befassen und Frédéric Beigbeder in einem Roman von den Leiden des jungen Autors in Liebe und Krieg erzählt, schreibt Joanna Rakoff über ihre Zeit bei der Literaturagentur, die Salinger vertrat. Der für seine Abwesenheit so berühmte Autor ist plötzlich sehr präsent.
Jerome David Salinger wurde am 1. Januar 1919 in New York geboren. Sein jüdischer Vater machte Karriere in einer Firma, die Fleisch und Käse importierte. Die Mutter war katholisch. Salinger wollte Schriftsteller werden und belegte an der Columbia University einen Kurs im Schreiben von Kurzgeschichten bei Whit Burnett, der in der Zeitschrift "Story" junge Talente förderte, von denen einige zu großen Autoren wurden. Dort debütierte im Frühjahr 1940 auch Salinger mit "Die jungen Leute". Das Honorar betrug 25 Dollar.
Bei einem Urlaub an der Küste von New Jersey lernte Salinger im Sommer 1941 die Tochter des Dramatikers Eugen O'Neill kennen. Salinger verliebte sich in die sechzehnjährige Oona, ging in New York mit ihr aus und schrieb ihr Briefe, als er 1942 die Grundausbildung bei der Armee begann. In Hollywood, wo sie als Schauspielerin vorsprach, traf Oona jedoch Chaplin, sechsunddreißig Jahre älter, den sie 1943 heiratete. Salinger erlebte im Krieg die Landung der Alliierten in der Normandie am D-Day, die Schlacht im Hürtgenwald und die Befreiung eines Außenlagers von Dachau.
Am Beginn seines Romans "Oona & Salinger" betont der französische Autor Beigbeder die Nachprüfbarkeit der Daten, hebt aber gleichwohl seinen Beitrag als Romancier hervor, weil die Figuren "sehr diskrete Leben geführt" hätten. Er fühlt sich Salinger nicht nur literarisch verbunden, sondern auch in der Liebe zu jungen Frauen. Er sagt sehr viel über sich und tritt hier in vielen Rollen auf: als Fan, der für einen Film auf Salingers Spuren nach Amerika reist, als sein Vorbild noch lebt, dann aber nicht an dessen Tür klopft; als Aufklärer, der seine Liste "WAS MAN DEN FRANZOSEN ÜBER DEN D-DAY NICHT ERZÄHLT" präsentiert; und eben als Verfechter von Beziehungen mit großem Altersunterschied.
Ein großer historischer Roman wäre Beigbeder wohl zu langweilig gewesen. Er dreht an den Daten des Lebens seiner Figuren mehr herum, als er zugibt. Sein Buch enthält ein paar platte Provokationen (oder Fallen für Kritiker, die sich über platte Provokationen empören?). Doch neben einer amüsanten bis anstrengenden Nervensäge kann Beigbeder, wenn er es denn will, auch ein Autor sein, der genau weiß, welche Stilmittel und Bilder er benötigt, um packend zu erzählen. Und seine Begeisterung für Salinger teilt er auf vielen Ebenen mit, wenn er dessen Widmung aus "Franny und Zooey" (1961) variiert, um "Oona & Salinger" seiner Frau, Lara Micheli, zu widmen, oder wenn er die Neugier auf die wenig bekannten frühen Texte weckt.
Salinger nahm einundzwanzig Geschichten aus den Vierzigern in keinen seiner Erzählbände auf und hoffte, dass sie in den alten Zeitschriften "eines ganz natürlichen Todes sterben". Da er sich für "Die jungen Leute" und zwei andere frühe Texte aber offenbar das Copyright nicht gesichert hatte, brachte sie im vergangenen Jahr ein Kleinverlag in Amerika neu heraus. "Die jungen Leute" entlarvt kühl die Lügen, die Leere und das Gelaber auf einer Party. In "Geh zu Eddie", ebenfalls von 1940, geraten die Geschwister Bobby und Helen wegen Helens Affären in Streit.
Vier Jahre später, Ende 1944, erschien "Einmal die Woche bringt dich schon nicht um". Ein junger Mann bricht auf, um zum Militär zu gehen. Der Abschied scheint seine Frau weniger zu stören als die Zumutung, so elend früh aufstehen zu müssen, um ihm Lebewohl zu sagen. Seine wirre Tante überreicht ihm ein Empfehlungsschreiben, das er zerreißt. Im Ungesagten werden die Ungewissheit und die Wehmut des Moments spürbar. Nach diesen starken ersten Eindrücken von Salingers Anfängen wäre es erfreulich, wenn mehr aus seinem todgeweihten Frühwerk weiterleben würde in einem Buch.
Statt auf die Literarisierung von Salingers Leben à la Beigbeder setzen Shields und Salerno in ihrer Biographie auf die Zerteilung in Hunderte von Zitaten. Sie montieren ein Lebensmosaik aus Salingers Büchern und Briefen, aus Kritiken und wissenschaftlichen Analysen der Werke und aus Interviews mit Zeitzeugen und Forschern. Die Menge an Material ist bemerkenswert, die Autoren bekommen es aber nicht in den Griff - denn sie bieten sowohl zu viel als auch zu wenig. Zu viel wird es, die Chronologie für zwölf "Gespräche mit Salinger" zu unterbrechen, wenn dann bisweilen doch nur jemand eine Anekdote darüber erzählt, dass er jemand anderen kennt, der auf einem Flug zufällig ein Gespräch von Salinger belauscht haben will. Zu wenig ist es dagegen, die Anschriften von Salingers Eltern vor dem Umzug in die renommierte Park Avenue einfach runterzurattern. Da leistet Kenneth Slawenski mehr, der in seiner Biographie nachzeichnet, wie die Umzüge den Aufstieg der Familie in Salingers Kindheit widerspiegeln.
Als Salinger im Februar 1955 die einundzwanzigjährige Claire Douglas heiratete, war er mit dem "Fänger" und den "Neun Erzählungen" (1953) ein erfolgreicher Schriftsteller geworden und hatte sich nach Cornish, New Hampshire, zurückgezogen, um ganz für sein Schreiben zu leben. Seine neuen Geschichten im "New Yorker", nur noch fünf von 1955 bis 1965, drehten sich um die Familie Glass, deren Mitglieder teils auch in den "Neun Erzählungen" vorkamen. Während er über die fiktive Familie schrieb, ging das reale Familienleben mit Claire und den zwei Kindern in die Brüche. Die Ehe wurde 1967 geschieden.
Franny Glass sucht nach Erleuchtung und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Ihr ältester Bruder, der Veteran Seymour, schießt sich neben seiner schlafenden Frau eine Kugel in den Kopf. Und Holden Caulfield kommt nicht über den Tod seines kleinen Bruders Allie hinweg: Die Verlorenheit von Salingers Figuren sprach die verzweifelten Jugendlichen ebenso an wie die ehemaligen Soldaten, die sich nach dem Krieg nicht mehr im Alltag zurechtfanden.
Die Glass-Geschichten griffen spirituelle Fragen auf und wurden sehr lang. Salinger konnte durchaus den halben "New Yorker" (oder mehr) für sich haben. Shields und Salerno deuten Salingers Leben und Literatur im Zeichen seiner Hinwendung zum Vedanta, einer Richtung des Hinduismus. Die Religion "zerstörte sein literarisches Talent". Salinger habe sich "von einem Schriftsteller in ein Sprachrohr des Mystizismus" verwandelt. Angesichts der These vom total zerstörten literarischen Talent staunt man über die Ankündigung, mit der Shields und Salerno nach siebenhundert Seiten enden. Zwischen 2015 und 2020 sollen neue Bücher von Salinger erscheinen, darunter auch "Chroniken der beiden außergewöhnlichen Familien Glass und Caulfield" - mit den bekannten Geschichten, aber erweitert um unveröffentlichte Texte. Die Chroniken aus der Zeit von 1941 bis 2008 seien Salingers "Meisterwerke, durch die er uns für immer im Gedächtnis bleiben wird". Um die Logik solcher Aussagen ist es in dieser undurchdachten Biographie also leider auch nicht besser bestellt als um die Auswahl und Aufbereitung des Materials.
Wie gut die Texte aus dem Nachlass wirklich sind, wird sich erweisen, wenn sie erscheinen. Trotz aller Verlorenheit liegt viel Trost in Salingers Werk, ob in der Spiritualität, im Humor oder in der großen literarischen Leistung, die Salinger von sparsamsten Kurzgeschichten bis zum selbstreflexiven, mit Fußnoten und Klammern gespickten Schreiben übers Schreiben in "Seymour, eine Einführung" vollbrachte. Salingers Leser sahen ihn als Ratgeber, wollten ihn persönlich aufsuchen (Beigbeder war wahrlich nicht der Erste) oder schrieben ihm auch noch Jahrzehnte nach seiner letzten Veröffentlichung. Diese Briefe landeten bei Joanna Rakoff, die in den Neunzigern ein Jahr lang als Assistentin von Salingers Literaturagentin arbeitete.
Ihr Erinnerungsbuch macht die Wucht deutlich, mit der Salingers Werke die Leser erwischen. Rakoff sollte eine seit 1963 übliche Standardantwort verschicken: "Wie Sie vielleicht wissen, wünscht es Mr. Salinger nicht, Post von seinen Lesern zu erhalten." Die Briefe ließen sie aber nicht los, deshalb antwortete sie den jungen Verzweifelten und alten Veteranen ausführlicher, bis sie begriff, warum Salinger die Briefe nicht mehr bekommen wollte. Der emotionale Preis war zu hoch.
THORSTEN GRÄBE
J. D. Salinger: "Die jungen Leute". Drei Stories.
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Piper Verlag, München 2015. 67 S., geb., 14,99 [Euro].
David Shields und Shane
Salerno: "Salinger". Ein
Leben.
Aus dem Englischen von
Yamin von Rauch. Droemer Verlag, München 2015.
824 S., geb., 34,- [Euro].
Frédéric Beigbeder: "Oona & Salinger". Roman.
Aus dem Französischen von
Tobias Scheffel. Piper Verlag, München 2015. 304 S., geb., 19,99 [Euro].
Joanna Rakoff: "Lieber Mr. Salinger".
Aus dem Englischen von
Sabine Schwenk. Knaus
Verlag, München 2015.
302 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der für seine Abwesenheit berühmte Autor ist plötzlich sehr präsent: Eine Biographie, ein Roman und ein Erinnerungsbuch widmen sich J. D. Salinger, doch besser noch sind einige frühe Erzählungen.
Für den "Fänger im Roggen" ist er so berühmt wie für sein jahrzehntelanges Schweigen als Autor: Eine Biographie, ein Roman und ein Erinnerungsbuch wollen jetzt von J. D. Salingers Leben erzählen - und drei seiner frühen Geschichten erscheinen erstmals auf Deutsch.
Bevor J. D. Salinger in den Krieg gegen Hitler zog, war der junge Autor in eines der schönsten Mädchen von New York verliebt, verlor sie aber an den etliche Jahre älteren Filmstar Charlie Chaplin. Nach dem Krieg brachte er mit dem "Fänger im Roggen" (1951), seinem ersten und einzigen Roman, einen unvergesslichen Ton in die amerikanische Literatur. Der Ich-Erzähler Holden Caulfield, dessen Stimme einen so fesselt, haut aus seinem Internat ab, taumelt allein durchs vorweihnachtliche New York, säuft, pöbelt, flucht und reibt sich an der Verlogenheit der Welt wund.
Dem millionenfach verkauften Debüt folgten drei Bände mit wunderbaren Erzählungen, aber 1965 erschien Salingers letzte Geschichte im "New Yorker", ganze fünfundvierzig Jahre vor seinem Tod. Mancher hielt das lange Schweigen für ein weiteres Werk, sozusagen Salingers fünftes Buch.
Mit "Die jungen Leute" liegt jetzt tatsächlich ein fünftes Buch von Salinger auf Deutsch vor, und auch in drei anderen Neuerscheinungen begegnet er uns dieses Frühjahr. Während David Shields und Shane Salerno sich in einer voluminösen Biographie mit Salingers ganzem Leben befassen und Frédéric Beigbeder in einem Roman von den Leiden des jungen Autors in Liebe und Krieg erzählt, schreibt Joanna Rakoff über ihre Zeit bei der Literaturagentur, die Salinger vertrat. Der für seine Abwesenheit so berühmte Autor ist plötzlich sehr präsent.
Jerome David Salinger wurde am 1. Januar 1919 in New York geboren. Sein jüdischer Vater machte Karriere in einer Firma, die Fleisch und Käse importierte. Die Mutter war katholisch. Salinger wollte Schriftsteller werden und belegte an der Columbia University einen Kurs im Schreiben von Kurzgeschichten bei Whit Burnett, der in der Zeitschrift "Story" junge Talente förderte, von denen einige zu großen Autoren wurden. Dort debütierte im Frühjahr 1940 auch Salinger mit "Die jungen Leute". Das Honorar betrug 25 Dollar.
Bei einem Urlaub an der Küste von New Jersey lernte Salinger im Sommer 1941 die Tochter des Dramatikers Eugen O'Neill kennen. Salinger verliebte sich in die sechzehnjährige Oona, ging in New York mit ihr aus und schrieb ihr Briefe, als er 1942 die Grundausbildung bei der Armee begann. In Hollywood, wo sie als Schauspielerin vorsprach, traf Oona jedoch Chaplin, sechsunddreißig Jahre älter, den sie 1943 heiratete. Salinger erlebte im Krieg die Landung der Alliierten in der Normandie am D-Day, die Schlacht im Hürtgenwald und die Befreiung eines Außenlagers von Dachau.
Am Beginn seines Romans "Oona & Salinger" betont der französische Autor Beigbeder die Nachprüfbarkeit der Daten, hebt aber gleichwohl seinen Beitrag als Romancier hervor, weil die Figuren "sehr diskrete Leben geführt" hätten. Er fühlt sich Salinger nicht nur literarisch verbunden, sondern auch in der Liebe zu jungen Frauen. Er sagt sehr viel über sich und tritt hier in vielen Rollen auf: als Fan, der für einen Film auf Salingers Spuren nach Amerika reist, als sein Vorbild noch lebt, dann aber nicht an dessen Tür klopft; als Aufklärer, der seine Liste "WAS MAN DEN FRANZOSEN ÜBER DEN D-DAY NICHT ERZÄHLT" präsentiert; und eben als Verfechter von Beziehungen mit großem Altersunterschied.
Ein großer historischer Roman wäre Beigbeder wohl zu langweilig gewesen. Er dreht an den Daten des Lebens seiner Figuren mehr herum, als er zugibt. Sein Buch enthält ein paar platte Provokationen (oder Fallen für Kritiker, die sich über platte Provokationen empören?). Doch neben einer amüsanten bis anstrengenden Nervensäge kann Beigbeder, wenn er es denn will, auch ein Autor sein, der genau weiß, welche Stilmittel und Bilder er benötigt, um packend zu erzählen. Und seine Begeisterung für Salinger teilt er auf vielen Ebenen mit, wenn er dessen Widmung aus "Franny und Zooey" (1961) variiert, um "Oona & Salinger" seiner Frau, Lara Micheli, zu widmen, oder wenn er die Neugier auf die wenig bekannten frühen Texte weckt.
Salinger nahm einundzwanzig Geschichten aus den Vierzigern in keinen seiner Erzählbände auf und hoffte, dass sie in den alten Zeitschriften "eines ganz natürlichen Todes sterben". Da er sich für "Die jungen Leute" und zwei andere frühe Texte aber offenbar das Copyright nicht gesichert hatte, brachte sie im vergangenen Jahr ein Kleinverlag in Amerika neu heraus. "Die jungen Leute" entlarvt kühl die Lügen, die Leere und das Gelaber auf einer Party. In "Geh zu Eddie", ebenfalls von 1940, geraten die Geschwister Bobby und Helen wegen Helens Affären in Streit.
Vier Jahre später, Ende 1944, erschien "Einmal die Woche bringt dich schon nicht um". Ein junger Mann bricht auf, um zum Militär zu gehen. Der Abschied scheint seine Frau weniger zu stören als die Zumutung, so elend früh aufstehen zu müssen, um ihm Lebewohl zu sagen. Seine wirre Tante überreicht ihm ein Empfehlungsschreiben, das er zerreißt. Im Ungesagten werden die Ungewissheit und die Wehmut des Moments spürbar. Nach diesen starken ersten Eindrücken von Salingers Anfängen wäre es erfreulich, wenn mehr aus seinem todgeweihten Frühwerk weiterleben würde in einem Buch.
Statt auf die Literarisierung von Salingers Leben à la Beigbeder setzen Shields und Salerno in ihrer Biographie auf die Zerteilung in Hunderte von Zitaten. Sie montieren ein Lebensmosaik aus Salingers Büchern und Briefen, aus Kritiken und wissenschaftlichen Analysen der Werke und aus Interviews mit Zeitzeugen und Forschern. Die Menge an Material ist bemerkenswert, die Autoren bekommen es aber nicht in den Griff - denn sie bieten sowohl zu viel als auch zu wenig. Zu viel wird es, die Chronologie für zwölf "Gespräche mit Salinger" zu unterbrechen, wenn dann bisweilen doch nur jemand eine Anekdote darüber erzählt, dass er jemand anderen kennt, der auf einem Flug zufällig ein Gespräch von Salinger belauscht haben will. Zu wenig ist es dagegen, die Anschriften von Salingers Eltern vor dem Umzug in die renommierte Park Avenue einfach runterzurattern. Da leistet Kenneth Slawenski mehr, der in seiner Biographie nachzeichnet, wie die Umzüge den Aufstieg der Familie in Salingers Kindheit widerspiegeln.
Als Salinger im Februar 1955 die einundzwanzigjährige Claire Douglas heiratete, war er mit dem "Fänger" und den "Neun Erzählungen" (1953) ein erfolgreicher Schriftsteller geworden und hatte sich nach Cornish, New Hampshire, zurückgezogen, um ganz für sein Schreiben zu leben. Seine neuen Geschichten im "New Yorker", nur noch fünf von 1955 bis 1965, drehten sich um die Familie Glass, deren Mitglieder teils auch in den "Neun Erzählungen" vorkamen. Während er über die fiktive Familie schrieb, ging das reale Familienleben mit Claire und den zwei Kindern in die Brüche. Die Ehe wurde 1967 geschieden.
Franny Glass sucht nach Erleuchtung und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Ihr ältester Bruder, der Veteran Seymour, schießt sich neben seiner schlafenden Frau eine Kugel in den Kopf. Und Holden Caulfield kommt nicht über den Tod seines kleinen Bruders Allie hinweg: Die Verlorenheit von Salingers Figuren sprach die verzweifelten Jugendlichen ebenso an wie die ehemaligen Soldaten, die sich nach dem Krieg nicht mehr im Alltag zurechtfanden.
Die Glass-Geschichten griffen spirituelle Fragen auf und wurden sehr lang. Salinger konnte durchaus den halben "New Yorker" (oder mehr) für sich haben. Shields und Salerno deuten Salingers Leben und Literatur im Zeichen seiner Hinwendung zum Vedanta, einer Richtung des Hinduismus. Die Religion "zerstörte sein literarisches Talent". Salinger habe sich "von einem Schriftsteller in ein Sprachrohr des Mystizismus" verwandelt. Angesichts der These vom total zerstörten literarischen Talent staunt man über die Ankündigung, mit der Shields und Salerno nach siebenhundert Seiten enden. Zwischen 2015 und 2020 sollen neue Bücher von Salinger erscheinen, darunter auch "Chroniken der beiden außergewöhnlichen Familien Glass und Caulfield" - mit den bekannten Geschichten, aber erweitert um unveröffentlichte Texte. Die Chroniken aus der Zeit von 1941 bis 2008 seien Salingers "Meisterwerke, durch die er uns für immer im Gedächtnis bleiben wird". Um die Logik solcher Aussagen ist es in dieser undurchdachten Biographie also leider auch nicht besser bestellt als um die Auswahl und Aufbereitung des Materials.
Wie gut die Texte aus dem Nachlass wirklich sind, wird sich erweisen, wenn sie erscheinen. Trotz aller Verlorenheit liegt viel Trost in Salingers Werk, ob in der Spiritualität, im Humor oder in der großen literarischen Leistung, die Salinger von sparsamsten Kurzgeschichten bis zum selbstreflexiven, mit Fußnoten und Klammern gespickten Schreiben übers Schreiben in "Seymour, eine Einführung" vollbrachte. Salingers Leser sahen ihn als Ratgeber, wollten ihn persönlich aufsuchen (Beigbeder war wahrlich nicht der Erste) oder schrieben ihm auch noch Jahrzehnte nach seiner letzten Veröffentlichung. Diese Briefe landeten bei Joanna Rakoff, die in den Neunzigern ein Jahr lang als Assistentin von Salingers Literaturagentin arbeitete.
Ihr Erinnerungsbuch macht die Wucht deutlich, mit der Salingers Werke die Leser erwischen. Rakoff sollte eine seit 1963 übliche Standardantwort verschicken: "Wie Sie vielleicht wissen, wünscht es Mr. Salinger nicht, Post von seinen Lesern zu erhalten." Die Briefe ließen sie aber nicht los, deshalb antwortete sie den jungen Verzweifelten und alten Veteranen ausführlicher, bis sie begriff, warum Salinger die Briefe nicht mehr bekommen wollte. Der emotionale Preis war zu hoch.
THORSTEN GRÄBE
J. D. Salinger: "Die jungen Leute". Drei Stories.
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Piper Verlag, München 2015. 67 S., geb., 14,99 [Euro].
David Shields und Shane
Salerno: "Salinger". Ein
Leben.
Aus dem Englischen von
Yamin von Rauch. Droemer Verlag, München 2015.
824 S., geb., 34,- [Euro].
Frédéric Beigbeder: "Oona & Salinger". Roman.
Aus dem Französischen von
Tobias Scheffel. Piper Verlag, München 2015. 304 S., geb., 19,99 [Euro].
Joanna Rakoff: "Lieber Mr. Salinger".
Aus dem Englischen von
Sabine Schwenk. Knaus
Verlag, München 2015.
302 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main