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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Bora Cosic hat für die deutsche Übersetzung seines Romans "Operation Kaspar" das Original von 1998 überarbeitet
Literaturwissenschaftler, die dereinst das riesige und unübersichtliche literarische Werk Bora Cosics kartographieren müssen, werden wohl nicht zuletzt wegen seiner engen Beziehungen zum Belgrader Surrealismus auf eine berühmte Taxonomie der Kunstgeschichte zurückgreifen. Also von einer gelben, einer roten, einer blauen, einer grauen und einer petrolfarbenen Cosic-Periode sprechen und diesen Farben einzelne Bücher sowie Lebenssituationen und Geistesverfassungen zuordnen. Das ist praktisch, übersichtlich und in seiner Konkretion leicht fassbar. Also alles das, was das OEuvre Cosics auf den ersten und auch den zweiten Blick nicht ist.
Die Einteilung dürfte leichtfallen. Cosics frühe Werke wie "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution" mit ihrem surrealistisch-anarchischen Witz werden der heiteren gelben Periode zugeteilt. "Die Tutoren", dieses überbordende Narrenspiel der Sprache angesichts einer leeren Siebzigerjahre-Welt, in der Cosic überraschend zur Persona non grata und kaltgestellt wurde, fällt in die - was sonst! - rote Periode. Gegenwärtig währt die petrolfarbene, in der sich Cosic, seit kurzem neunzig Jahre jung, der eigenen Kindheit zuwendet. Sie hat die graue Periode beendet, die kalte, leer geräumte Welt des Exils von "Die Zollerklärung" und "Das Land Null". 1992 hatte Cosic das Serbien des Kriegstreibers Milosevic entsetzt verlassen; er lebt seitdem in Berlin und dem kroatischen Rovinj.
Verstummt ist er im Exil nicht. Er schreibe noch im Aufzug, hat der quietschfidele Weißhaarige einmal gesagt, und wenn der Lift stecken bleibe, bedauere er, nach Berlin gezogen zu sein - die deutschen Techniker kämen nämlich furchtbar schnell. Sein gewaltiges Werk ist im Exil also weiter gewachsen, immerhin mehr als dreißig Bände liegen auf Deutsch vor. Die Übersetzungen halten sich allerdings meist nicht an die Reihenfolge der Veröffentlichungen auf Serbisch, was die Übersichtlichkeit des cosicschen Schaffens nicht eben vergrößert.
"Operation Kaspar", die jüngste Übersetzung, ist bereits 1998 im Belgrader Oppositionsverlag Samizdat B92 erschienen. Das serbische Buch hat die ausgezeichnete Cosic-Übersetzerin Brigitte Döbert allerdings gar nicht gesehen. Der Autor überreichte ihr ein überarbeitetes Manuskript; vermutlich hat er das Original aus der strikt grauen Periode der frühen Exiljahre stellenweise mit einigem Schalk aufgehellt. Obwohl sich "Operation Kaspar" zunächst als letzte Prüfung der existenzialistischen Moderne liest: ob sie denn noch tauge, eine des Sinns und der Menschlichkeit beraubte Welt zu zeigen?
Ein Mann und eine Frau hausen in einer Wohnung voll selbst produziertem Müll. Die Frau läuft barfuß im Unterrock zwischen Küche und Zimmer hin und her, zieht Schubladen auf, nimmt etwas heraus, lässt es fallen und läuft ruhelos weiter. Der Mann sitzt mit Hut in der Ecke des Zimmers, sieht der Frau zu, wirft Papierflieger, hängt Gedanken nach, die sich sofort verlieren, fährt Fahrrad durch die Wohnung, sieht sich eine Geige, einen Regenschirm an. Er liest alte Briefe und Rechnungen. Das Radio ist kaputt wie fast alles in der "Bruchbude". Es stinkt, die Fenster sind blind, aber draußen ist es ja nicht anders als drinnen. In elegantem Parlando reiht Cosic Trostlosigkeiten aneinander. Auch ein Kunststück.
Bevor das Trostlose allzu trostlos wird, tupfen der auktoriale und ein Icherzähler kleine Leuchtfeuer hinein. Sie nennen Mann und Frau "Zauderer" und "gemeine Europäer", die im "Universalzimmer ihres Lebens", im "allgemeinen Zimmer des Lebens" oder in der "Zivilisationshütte" ein "Leben ohne Inhalt" führen inmitten der "verbrauchten Reste eines Lebens, dessen Zerstörungsgrad unklar bleibt". Der Roman tendiert zur Parabel.
Nur selten wird die leere, sich in Wiederholungen erschöpfende Gegenwart durchbrochen: Einmal ist die Rede von einer "Epoche", "in der ganze Stadtteile abgeriegelt waren", ein anderes Mal schneidet der Mann aus den alten zerknüllten Zeitungen auf dem Fußboden grausame Kriegsfotografien aus: ein Soldat, der mit einem menschlichen Kopf Fußball spielt, ein weiblicher Torso, dem die Beine abgehackt worden sind. Nun erinnert "das Zimmer trotz seiner trägen Friedfertigkeit an eine vom Krieg verheerte Straße". Als das kaum miteinander sprechende Paar überraschend mit einem leeren Koffer nach Norden aufbricht, ist die Parabel historisch und auch geographisch situiert.
Bora Cosic lässt solche Konkretisierungen sofort wieder aufgehen im Brei des Daseins, und dieses Hin und Her, das auch ein Spiel mit den Leseerwartungen ist, ersetzt die Handlung bis zum Aufbruch weitgehend. Im Ausland wird die Sprache des Paares mit dem in den Himmel drängenden Koffer nicht verstanden, weshalb die Polizei die beiden schließlich ratlos zu einem Professor abschiebt, der Hilfe bei der Spargelernte braucht. Was nach dem Schicksal jugoslawischer Kriegsflüchtlinge klingt, erweist sich als Rehabilitation: Behutsam sorgt der Professor in seinem "göttlichen Garten" für das beschädigte Paar. Es ist wie der im Romantitel erwähnte Kaspar Hauser aus der Wildnis aufgetaucht, erlernt wie dieser Anfänge der Sprache, Zivilisation und Menschlichkeit - und entkommt schließlich auch dessen unglücklichem Ende nicht.
Bora Cosic erzählt von den andauernden Verheerungen eines längst beendeten Krieges. Auch in der grauen Periode ließ er sich weder Trost noch Witz nehmen. Nicht ganz jedenfalls. JÖRG PLATH
Bora Cosic: "Operation Kaspar". Roman.
Aus dem Serbischen
von Brigitte Döbert.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2022. 123 S., geb., 18,- Euro.
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