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Ausgezeichnet mit dem Tiburtius Preis - Preis der Berliner Hochschulen (2013) Eine grundlegende Neubewertung der letzten Phase der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Stefan Hördler stellt den aktuellen Forschungsstand, die Schlussphase der nationalsozialistischen Konzentrationslager sei durch Desorganisation, Chaos und Willkür geprägt gewesen, in Frage: Er zeigt, dass ab März 1944 eine umfassende Neuordnung des KZ-Systems einsetzte, und dass das letzte Kriegsjahr eine eigenständige Phase in der Genese der Lager darstellte. Ab 1944 verfolgte das NS-Regime zwei Ziele: erstens eine…mehr

Produktbeschreibung
Ausgezeichnet mit dem Tiburtius Preis - Preis der Berliner Hochschulen (2013) Eine grundlegende Neubewertung der letzten Phase der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Stefan Hördler stellt den aktuellen Forschungsstand, die Schlussphase der nationalsozialistischen Konzentrationslager sei durch Desorganisation, Chaos und Willkür geprägt gewesen, in Frage: Er zeigt, dass ab März 1944 eine umfassende Neuordnung des KZ-Systems einsetzte, und dass das letzte Kriegsjahr eine eigenständige Phase in der Genese der Lager darstellte. Ab 1944 verfolgte das NS-Regime zwei Ziele: erstens eine forcierte Ökonomisierung und zweitens eine Stabilisierung des Lagersystems. Zur Analyse beider Dimensionen führt der Autor den Begriff der Rationalisierung ein, unter dem sowohl die Massenmorde als auch eine utilitaristisch ausgerichtete »Auslese" der arbeitsfähigen Häftlinge als Teile dieser Entwicklung zusammengefasst werden können.
Autorenporträt
Stefan Hördler, geb. 1977, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Washington, 2011-2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, 2009 Fellow am Center for Advanced Holocaust Studies des U.S. Holocaust Memorial Museum.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sebastian Weitkamp sieht in Stefan Hördlers Studie zum KZ-System in den letzten Kriegsmonaten einen wichtigen Impuls für die Forschung. Hördler vermag ihm fakten- und quellenreich wie inhaltlich nachvollziehbar die "Ökonomisierung" der Lager, die den Massenmord von Häftlingen bedeutete, sowie Patronage und Protektion in den Lagern aufzuzeigen. Dass sich der Autor dabei einer nüchtern bilanzierenden "Wirtschaftssprache" bedient, scheint Weitkamp allerdings fragwürdig. Ebenso der Umstand, dass der Autor die Opferperspektive weitgehend ausspart.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2016

Vor der Auflösung
Der Krieg geht zu Ende, das Morden geht weiter. Stefan Hördler schreibt über das Vernichtungssystem
in den Konzentrationslagern während der letzten Kriegsmonate – ohne die Opfer zu vergessen
VON MICHAEL MAYER
Der SS-Unterführer trug einen weißen Arztkittel. Der sowjetische Kriegsgefangene, der sich im Konzentrationslager scheinbar einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen hatte, betrat nichts ahnend das Behandlungszimmer. Wie auch sollte er wissen, dass sich hier, umgeben von medizinischen Utensilien, eine getarnte Genickschussanlage befand. Der SS-Unterführer trat auf ihn zu und bat ihn, sich vor eine Messlatte zur Bestimmung der Körpergröße zu stellen. Diese Messlatte, die nun passgenau eingestellt wurde, besaß einen Schlitz in Höhe seines Genicks. Auf ein Zeichen des „Arztes“ hin wurde der Gefangene aus einem Nebenraum heraus exekutiert. Stolz vermerkte man im KZ Buchenwald dazu: „Jede Minute eine Leiche.“
  Derartige Vorkommnisse beschreibt Stefan Hördler in seinem aktuellen Buch, das sich auf das System der Konzentrationslager im letzten Kriegsjahr konzentriert. Damals kam es zu umfangreichen Veränderungen im SS-Lagersystem, was von der Wissenschaft als eine „Ökonomisierung“ des KZ-Kosmos in den letzten Kriegsmonaten interpretiert wurde: Die Verschlechterung der Kriegslage habe dazu geführt, dass die Belange der Rüstungswirtschaft nunmehr in den Mittelpunkt gerückt seien. Man habe deshalb KZ-Häftlinge massiv für die Waffenproduktion eingesetzt. Dem widerspricht Hördler mit dem Befund, dass die Massentötung von Häftlingen trotz eines umfangreichen Mangels an Arbeitskräften gerade seit Herbst 1944 deutlich zugenommen habe.
  Ebenso kritisiert Hördler die „Räumungsthese“, wonach sich die SS-Kommandanten seit Anfang 1945 auf die absehbare Auflösung ihrer Lager dahingehend vorbereitet hätten, dass alle nicht marschfähigen Häftlinge gleichsam präventiv ermordet wurden. Auf diese Weise sei eine permanente Marschbereitschaft der Lagerinsassen gegeben gewesen. Hördler hingegen weist nach, dass die Massentötungen bereits Ende 1944 begannen, während die eigentlichen „Todesmärsche“ 1945 überhastet und unvorbereitet in Gang gesetzt worden seien.
  Wie aber veränderte sich in den letzten Kriegsmonaten das KZ-System? Der Vormarsch der Alliierten seit Sommer 1944 erforderte eine Umstrukturierung der Lager. So wurden die Häftlinge von aufgelösten KZs in andere Konzentrationslager verbracht. Die dortigen SS-Kommandanten mussten nun mit der Überfüllung ihrer Lager umgehen. Anfangs wurden arbeitsunfähige und kranke Insassen nach Auschwitz-Birkenau deportiert und sogleich ermordet. Als jedoch im November 1944 die Massentötungen dort beendet wurden, konnten die lokalen Kommandeure die Anzahl ihrer Häftlinge nicht mehr durch Abschiebungen nach Auschwitz kontrollierbar halten. Damit begann eine Phase der Neuformierung des KZ-Systems. Vor allem die Hauptlager wie Stutthof oder Ravensbrück wurden nun zu Kranken- und Sterbelagern, in denen die Insassen gezielt unterversorgt wurden. Krankheiten und Seuchen breiteten sich aus und töteten innerhalb kürzester Zeit Tausende Häftlinge. Zugleich intensivierte man die Massenmorde – etwa mit Genickschussanlagen oder Giftspritzen.
  Zudem kam es zu einer Funktionsanpassung der Lager. Den Forderungen der Rüstungswirtschaft nach Arbeitskräften kam die SS nach, indem eine große Anzahl an Außenlagern in direkter Nachbarschaft zu Rüstungsbetrieben gegründet wurde. Dabei zeigte sich, dass die Auswahl der Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie nicht nach rassischen oder anderen Kriterien vorgenommen wurde, wie dies noch kurz zuvor der Fall gewesen war. Vielmehr wurden arbeitsfähige jüdische wie nichtjüdische Häftlinge in die Außenlager verlegt (wo sie zumeist rasch aufgrund der Arbeitsbedingungen den Tod fanden), während kranke Häftlinge in den Sterbelagern verblieben. Der SS ging es dabei allein um eine Stabilisierung des Lagersystems und damit ihrer Machtposition durch die brutale Ermordung scheinbar überflüssiger Häftlinge und die ökonomische Ausbeutung der Arbeitsfähigen. Damit zeigt sich ein Interaktionszusammenhang zwischen der Reorganisation der überfüllten Lager einerseits sowie Zwangsarbeit und Massenmord andererseits, was Hördler mit dem Begriff „Rationalisierung“ beschreibt.
  Hördler ist es mit seiner quellengesättigten, sehr dichten Darstellung gelungen, das System der Konzentrationslager im letzten Kriegsjahr minutiös zu beschreiben und eine überzeugende Interpretation des KZ-Kosmos vorzulegen. Eine zugleich vorgenommene, sorgfältige Netzwerkanalyse des SS-Lagerpersonals führt jedoch leider zu wenig überraschenden Ergebnissen. Bestätigt wird damit die bereits bekannte Kontinuität der Vernichtungsspezialisten, die auf ein ausgedehntes Patronagesystem aufbauen konnten. Zugleich aber erweitert Hördler den bisherigen Forschungsstand: der Ursprung dieser SS-Netzwerke lag nicht allein in Dachau („Dachauer Schule“), sondern auch in anderen frühen KZs.   
  Hördlers Studie lässt sich in jüngste Entwicklungen der Holocaust-Forschung einordnen, die durch eine „Rückkehr der Lager“ gekennzeichnet ist. Nachdem Auschwitz bis Ende der 1980er-Jahre beinahe allein als Chiffre für die Judenvernichtung diente, änderte sich dies nach Öffnung der osteuropäischen Archive. Nun wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Opfer der deutschen Vernichtungspolitik im Osten bereits vor Ort ermordet wurde und nie ein Lager erreichte. Hördler macht mit seiner Studie aber deutlich, dass das KZ-System auch weiterhin beachtet werden sollte.
  Zudem steht seine Studie in einem zweiten Trend der Holocaust-Forschung. Nachdem die jüdischen NS-Opfer jahrzehntelang kaum beachtet wurden, rückten diese berechtigterweise seit den 1980er-Jahren in den Mittelpunkt der Forschung. Seit etwa zehn Jahren zeigt sich aber, dass der Holocaust-Begriff wieder erweitert wird und nichtjüdische Opfergruppen, etwa sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma oder Zwangsarbeiter, stärkere Beachtung neben der auch weiterhin wichtigsten Gruppe, den Juden, finden. Hördler leistet damit einen wichtigen Beitrag, eine Opferkonkurrenz zu vermeiden und das Leiden der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ohne damit apologetischen Tendenzen Vorschub zu leisten.
Michael Mayer leitet den Arbeitsbereich Zeitgeschichte an der Politischen Akademie Tutzing. In seinem Buch „Staaten als Täter“ (München: Oldenbourg 2012) verglich er die „Judenpolitik“ in NS-Deutschland und Vichy-Frankreich.
Neue Lager entstanden neben
Rüstungsbetrieben. Im Inferno
waren Arbeitskräfte rar geworden
Ordnung vor der Hölle: Mitglieder der SS-Totenkopfverbände an der Rampe von Auschwitz-Birkenau bei der sogenannten Selektion der angekommenen Häftlinge.
Foto: SZ Photo/Scherl
    
  
  
  
Stefan Hördler,
Ordnung und Inferno.
Das KZ-System im letzten Kriegsjahr, Wallstein-Verlag 2015, 531 Seiten, 46 Euro.
Als E-Book: 36,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2016

Die Opfer bleiben fast unsichtbar
Massenmord im KZ-System als Rationalisierungsprozess

Alfons Stachel hatte kein schönes Leben. Er wurde 1899 in Danzig geboren, lernte das Maurerhandwerk, war ein Fall für die Fürsorge und Soldat im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg saß er immer wieder im Gefängnis. Für die Nationalsozialisten war er ein notorischer Verbrecher, der ins Konzentrationslager gehörte. 1935 kam Stachel in das KZ Esterwegen, wo er sterilisiert wurde. Von Esterwegen ging es in die KZ Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau. Ab 1944 wurde er zwischen unterschiedlichen Lagern hin- und hergeschoben. Im Januar 1945 befand er sich im Außenlager Ohrdruf, wo sich seine Spur verliert. Stachel hat im letzten Kriegsjahr genau das als Häftling erleben müssen, was Stefan Hördler jetzt kenntnisreich schildert. Der Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora zeigt in seiner Studie, dass das Lagersystem der SS bis in das Jahr 1945 grausam funktionierte. Die oft verbreitete Meinung, gegen Ende des Krieges habe Chaos in einem kollabierenden KZ-System geherrscht, kann der Autor faktenreich widerlegen.

Er geht sogar einen Schritt weiter und betont die ununterbrochene Kontrolle der SS, der es gelang, das KZ-System noch einmal grundlegend neu zu ordnen und zu dezentralisieren. Die Hauptlager nahmen an Bedeutung ab, wogegen die zahlreich eingerichteten Außenlager, vornehmlich zur Waffenherstellung durch Sklavenarbeit, an Bedeutung gewannen. Die SS reagierte mit hoher Flexibilität auf neue innere und äußere Anforderungen und gewährleistete fast bis zum Kriegsende die Zwangsarbeit der Häftlinge. Eine signifikante Steigerung der Rüstungsproduktion blieb aber aus.

Diese als "Ökonomisierung" der Lager begriffene Neuausrichtung schloss auch den tausendfachen Mord an kranken und arbeitsunfähigen Häftlingen ein. Neuordnung und Massenmord, Ordnung und Inferno kennzeichnet Hördler mit dem Begriff "Rationalisierung". Er abstrahiert damit teilweise Mechanismen und Modelle aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften auf das System der KZ. Es geht um Rationalisierung, Reduktion, Stabilisierung, Expansion, Kapazitäten und Ressourcen. Ideologische oder politische Faktoren spielten demnach kaum eine Rolle. Die Praxis in den Lagern sei im letzten Kriegsjahr bestimmt worden durch das "pragmatische Ordnungsbedürfnis der SS".

Der Gebrauch einer nüchternen Wirtschaftssprache läuft Gefahr, den Eindruck zu erwecken, es gehe eher um einen in Schieflage geratenen Konzern und den Versuch von Managern, diesen wieder auf Kurs zu bringen. Dann muss man sich vergegenwärtigen: Es sind Manager eines millionenfachen Mordes. Wenn der Autor schreibt, der Mord an arbeitsunfähigen Häftlingen sei "aus der Bedrängnis heraus eine gleichsam systemimmanent-pragmatische Lösung der Lager-SS" gewesen, um auf die Erhöhung der Häftlingszahlen und das gleichzeitige Sinken der Lagerkapazitäten zu reagieren, ist das inhaltlich nachvollziehbar. Aber für manche Leser wird es nicht einfach sein, das massenhafte Sterben derart kühl bilanziert zu bekommen. Morde aus der "Bedrängnis" heraus.

Die SS setzte einen irrationalen Vernichtungswillen in den Lagern rational um. Dazwischen sollte man immer wieder unterscheiden. Die Neuordnung des Lagersystems 1944/45 kann Hördler mit intensiven Recherchen zu den verantwortlichen SS-Männern weiter differenzieren. Aufgrund umfangreicher Quellenbelege gelingt es ihm, diese SS-Netzwerke im KZ-System von 1933 bis 1945 sichtbar zu machen. Solche gewachsenen "Vernichtungsnetzwerke" waren laut Hördler wesentlich mitbestimmend für die Abläufe in den KZ. Für den Aufbau personaler Netzwerke sei nicht nur das KZ Dachau entscheidend gewesen, welches seit langer Zeit in der Forschung als dominierende SS-Kaderschmiede angesehen wird, sondern vor allem auch das bisher wenig beachtete KZ Lichtenburg.

Nun basierte die Machtkontrolle der Nationalsozialisten zu großen Teilen und auf fast allen Gebieten auf personalen Netzwerken und einem System von Patronage und Protektion. Die SS machte da erwartungsgemäß keinen Unterschied. Hördler zeichnet dies in einer bisher nicht gekannten Weise detailliert und äußerst sachkundig für den Bereich der Lager-SS nach. Dabei untersucht er vor allem die internen Befehlsabläufe der SS-Organisation und die Netzwerke der Täter. Dieser Ansatz ist nachvollziehbar, denn nur die Auseinandersetzung mit den Tätern kann Antworten geben auf die Fragen nach Ursachen und Entwicklungen. Die Opfer bleiben dagegen fast unsichtbar. Menschen wie Alfons Stachel kommen so gut wie nicht vor. Manche Leserkreise werden das als zu einseitig empfinden. Ob ein breites Publikum der Herangehensweise Hördlers folgt, wird sich zeigen; für die KZ-Forschung ist sie ein wichtiger Impuls.

SEBASTIAN WEITKAMP

Stefan Hördler: Ordnung und Inferno. Das KZ-System im letzten Kriegsjahr. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 531 S., 46,- [Euro].

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ein »wichtiger Impuls für die KZ-Forschung« (Sebastian Weitkamp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.01.2016) »glänzend recherchiert und durchweg gut lesbar« (Jens-Christian Wagner, Einsicht - Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Herbst 2016) »essential reading for scholars of the Nazi concentration camps« (Nikolaus Wachsmann, www.hsozkult.de, 29.11.2016) »eine eindrucksvolle und insbesondere durch ihre Gründlichkeit, Genauigkeit und Detailliertheit und die Fülle des ausgewerteten personenbezogenen Archivmaterials bestechende Studie« (Johannes Schwartz, »Euthanasie«-Verbrechen - »Beiträge«, Heft 17, 2016) »Wer annimmt, die Geschichte der nationalsozialistischen Arbeitslager sei ausgeforscht, wird mit diesem Buch eines Besseren belehrt.« (Andrea Rudorff, Neue Politische Literatur, Jg. 61 (2016))