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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Nordböhmen
Tilman Spreckelsens
Biografie über den großen
Kinderbuchautor Otfried Preußler
Bei Streamingdiensten gibt es noch die Hörbücher, die Otfried Preußler selber aufgenommen hat. Er liest den „Krabat“ vor, erzählt vom „Hörbe mit dem großen Hut“, und in seiner Sprachfärbung, dem kullernden R und den weich geschliffenen Konsonanten, hört man die Gegend, aus der er kommt. Dass Nordböhmen, genauer Liberec in Tschechien, das in seiner Kindheit Reichenberg hieß, alles grundiert und bestimmt, was wir heute noch von Preußler kennen und Kindern vorlesen, bringt der FAZ-Feuilletonist Tilman Spreckelsen in seiner Biografie profund zutage.
Einmal schreibt er auch über die Stimme Preußlers, der man noch den Ton des Grundschullehrers anhöre, dem überfüllte Klassen kleiner Schüler gebannt zuhörten. Preußler ist 1923 geboren, gehörte zu den Jahrgängen, die in der Nazizeit sehr jung, aber alt genug waren, um sich mitschuldig zu machen, zumindest zu Mitläufern zu werden und in den Krieg zu ziehen.
Aus dem ist Preußler erst 1949 zurückgekommen, nach fünf Jahren in russischer Gefangenschaft. Vor einem Jahr hat der Germanist Carsten Gansel, nachdem er zufällig in einem Moskauer Archiv auf die Kriegsgefangenenakte von Preußler gestoßen war, sein Buch „Kind einer schwierigen Zeit. Otfried Preußlers frühe Jahre“ (Galiani-Verlag) veröffentlicht, über Texte des Autors aus Jugend und Gefangenschaft. Sie klingen heimattümelnd und sind in vieler Hinsicht auf der Linie der NS-Ideologie, etwa was die Expansion des „deutschen Reichs“ angeht. Gansel diskutiert Schuld und Verantwortung heftiger als Spreckelsen, vergleicht Preußlers Laufbahn etwa mit der des Autors Franz Fühmann und scheint sich Grundlagen für eine Bewertung schaffen zu wollen. Dagegen ist die neue Biografie nüchterner, stellt aber alles zur Verfügung, was in jüngerer Zeit an Erkenntnissen dazugekommen ist, auch aus dem Nachlass des 2013 gestorbenen Autors. Etwa über die Mitgliedsanträge des noch nicht volljährigen Preußler bei Reichsschrifttumskammer und NSDAP.
Man erfährt zuerst von der Familie, beide Eltern waren Lehrer, der Vater Josef Syrowatka zudem eine Art Heimatpfleger, Volkskundler. Erst 1941 ließ er den Familiennamen eindeutschen zu „Preußler“. Die Welt der böhmischen Sagen, Naturgeister und Weihnachtskrippen ist später auch die, aus der sich Preußlers Kinderliteratur speist. Aber doch immer in zeitgemäßen Bearbeitungen, wobei er Erfahrungen des Kriegs und Überlebens, ihre Mahnung zur individuellen Verantwortung in die alten Stoffe webt, wie Spreckelsen betont.
An der Skizze von Preußlers Herkunftsmilieu kann man aber, so wenig Spreckelsen das kommentiert, doch erkennen, wie das Kultivieren einer regional-deutschen Identität Vater und Sohn Syrowatka anfällig machte für den Triumphalismus des Deutschtums in der Nazizeit – in einer Gegend, die von Bevölkerungsteilen verschiedener Sprachen und nationaler Zugehörigkeiten bewohnt war. Jahrzehnte später hat Preußler über das Scheitern des Zusammenlebens der Völker in Böhmen offenbar viel nachgedacht. Zu den Konsequenzen, die er daraus zog, gehörte es, Kontakte zu tschechischen Autoren zu pflegen. Josef Ladas Kinderbuch „Kater Mikesch“ etwa verdankt seine Bekanntheit im deutschsprachigen Raum Preußlers Übersetzung.
Eindrucksvoll sind die letzten Kapitel der Biografie, die zeigen, wie Otfried Preußler am Versuch, seine Erlebnisse als Soldat und in der Gefangenschaft aufzuschreiben, gescheitert ist. Spreckelsen weist durch Zitate darauf hin, wie sich die Sprache von Krieg und Rohheit in das Schreiben des alternden Autors zurückschleicht und seinen sonst so souveränen Erzählton beschädigt. Und wie ihn in den späten Achtzigern die Frage einholte, „warum gerade er den Krieg überlebt hat, und so viele andere nicht“. Preußler selbst beschrieb sich als „unverdient in die Jahre gekommen“.
Spreckelsen vollzieht die Lebensstationen nach, nutzt dabei elegant, dass sich die Kritik an den Verhältnissen der Zeit eigentlich aus diesen selbst ergibt. Dazu stellt er die detailgenaue Würdigung der Bücher Otfried Preußlers. Vor allem auch seiner kleinen und großen Helden: Krabat, Hexe, Wassermann und Gespenst, seiner Version des Rübezahl und des Lehrers Klingsor. Den liebevollen, womöglich lebenslangen Preußler-Leser erkennt man an der sorgsamen Erwähnung auch der Nebenfiguren: die Kantorka, der Nörgelseff, der Uhu Schuhu, der Karpfen Cyprinus und so viele andere. Spreckelsen hat sie bei seiner Wiederbelebung von Preußlers Welt glücklicherweise nicht gering geschätzt.
MARIE SCHMIDT
Noch nicht mal volljährig wollte
Preußler schon in die NSDAP
Tilman Spreckelsen:
Otfried Preußler.
Ein Leben in Geschichten. Thienemann,
Stuttgart 2023.
304 Seiten, 29 Euro.
Ab 14 Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nordböhmen
Tilman Spreckelsens
Biografie über den großen
Kinderbuchautor Otfried Preußler
Bei Streamingdiensten gibt es noch die Hörbücher, die Otfried Preußler selber aufgenommen hat. Er liest den „Krabat“ vor, erzählt vom „Hörbe mit dem großen Hut“, und in seiner Sprachfärbung, dem kullernden R und den weich geschliffenen Konsonanten, hört man die Gegend, aus der er kommt. Dass Nordböhmen, genauer Liberec in Tschechien, das in seiner Kindheit Reichenberg hieß, alles grundiert und bestimmt, was wir heute noch von Preußler kennen und Kindern vorlesen, bringt der FAZ-Feuilletonist Tilman Spreckelsen in seiner Biografie profund zutage.
Einmal schreibt er auch über die Stimme Preußlers, der man noch den Ton des Grundschullehrers anhöre, dem überfüllte Klassen kleiner Schüler gebannt zuhörten. Preußler ist 1923 geboren, gehörte zu den Jahrgängen, die in der Nazizeit sehr jung, aber alt genug waren, um sich mitschuldig zu machen, zumindest zu Mitläufern zu werden und in den Krieg zu ziehen.
Aus dem ist Preußler erst 1949 zurückgekommen, nach fünf Jahren in russischer Gefangenschaft. Vor einem Jahr hat der Germanist Carsten Gansel, nachdem er zufällig in einem Moskauer Archiv auf die Kriegsgefangenenakte von Preußler gestoßen war, sein Buch „Kind einer schwierigen Zeit. Otfried Preußlers frühe Jahre“ (Galiani-Verlag) veröffentlicht, über Texte des Autors aus Jugend und Gefangenschaft. Sie klingen heimattümelnd und sind in vieler Hinsicht auf der Linie der NS-Ideologie, etwa was die Expansion des „deutschen Reichs“ angeht. Gansel diskutiert Schuld und Verantwortung heftiger als Spreckelsen, vergleicht Preußlers Laufbahn etwa mit der des Autors Franz Fühmann und scheint sich Grundlagen für eine Bewertung schaffen zu wollen. Dagegen ist die neue Biografie nüchterner, stellt aber alles zur Verfügung, was in jüngerer Zeit an Erkenntnissen dazugekommen ist, auch aus dem Nachlass des 2013 gestorbenen Autors. Etwa über die Mitgliedsanträge des noch nicht volljährigen Preußler bei Reichsschrifttumskammer und NSDAP.
Man erfährt zuerst von der Familie, beide Eltern waren Lehrer, der Vater Josef Syrowatka zudem eine Art Heimatpfleger, Volkskundler. Erst 1941 ließ er den Familiennamen eindeutschen zu „Preußler“. Die Welt der böhmischen Sagen, Naturgeister und Weihnachtskrippen ist später auch die, aus der sich Preußlers Kinderliteratur speist. Aber doch immer in zeitgemäßen Bearbeitungen, wobei er Erfahrungen des Kriegs und Überlebens, ihre Mahnung zur individuellen Verantwortung in die alten Stoffe webt, wie Spreckelsen betont.
An der Skizze von Preußlers Herkunftsmilieu kann man aber, so wenig Spreckelsen das kommentiert, doch erkennen, wie das Kultivieren einer regional-deutschen Identität Vater und Sohn Syrowatka anfällig machte für den Triumphalismus des Deutschtums in der Nazizeit – in einer Gegend, die von Bevölkerungsteilen verschiedener Sprachen und nationaler Zugehörigkeiten bewohnt war. Jahrzehnte später hat Preußler über das Scheitern des Zusammenlebens der Völker in Böhmen offenbar viel nachgedacht. Zu den Konsequenzen, die er daraus zog, gehörte es, Kontakte zu tschechischen Autoren zu pflegen. Josef Ladas Kinderbuch „Kater Mikesch“ etwa verdankt seine Bekanntheit im deutschsprachigen Raum Preußlers Übersetzung.
Eindrucksvoll sind die letzten Kapitel der Biografie, die zeigen, wie Otfried Preußler am Versuch, seine Erlebnisse als Soldat und in der Gefangenschaft aufzuschreiben, gescheitert ist. Spreckelsen weist durch Zitate darauf hin, wie sich die Sprache von Krieg und Rohheit in das Schreiben des alternden Autors zurückschleicht und seinen sonst so souveränen Erzählton beschädigt. Und wie ihn in den späten Achtzigern die Frage einholte, „warum gerade er den Krieg überlebt hat, und so viele andere nicht“. Preußler selbst beschrieb sich als „unverdient in die Jahre gekommen“.
Spreckelsen vollzieht die Lebensstationen nach, nutzt dabei elegant, dass sich die Kritik an den Verhältnissen der Zeit eigentlich aus diesen selbst ergibt. Dazu stellt er die detailgenaue Würdigung der Bücher Otfried Preußlers. Vor allem auch seiner kleinen und großen Helden: Krabat, Hexe, Wassermann und Gespenst, seiner Version des Rübezahl und des Lehrers Klingsor. Den liebevollen, womöglich lebenslangen Preußler-Leser erkennt man an der sorgsamen Erwähnung auch der Nebenfiguren: die Kantorka, der Nörgelseff, der Uhu Schuhu, der Karpfen Cyprinus und so viele andere. Spreckelsen hat sie bei seiner Wiederbelebung von Preußlers Welt glücklicherweise nicht gering geschätzt.
MARIE SCHMIDT
Noch nicht mal volljährig wollte
Preußler schon in die NSDAP
Tilman Spreckelsen:
Otfried Preußler.
Ein Leben in Geschichten. Thienemann,
Stuttgart 2023.
304 Seiten, 29 Euro.
Ab 14 Jahren.
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