Zwei Schwestern - und ein Vater, der mehr als genug ist für eine Familie. Für sein Umfeld war Otto, der pensionierte Ingenieur, der wahnsinnige Familienpatriarch, der jüdische Siebenbürger mit seltsamer Grammatik, der Erfinder, der Sparfuchs und Verschwender schon immer eine Heimsuchung. Aber als er aus dem Krankenhaus zurückkehrt, ist alles noch viel schlimmer. Nach wie vor ist er aufbrausend, manipulativ, distanzlos und von wahnwitzigen Einfällen beseelt - aber jetzt ist er auch noch pflegebedürftig. Seinen erwachsenen Töchtern macht er unmissverständlich klar: Ich verlange, dass ihr für mich da seid. Und zwar immer! Für Timna und Babi beginnt ein Jahr voller unerwarteter Herausforderungen, aber auch der Begegnung mit der eigenen Vergangenheit und Familiengeschichte, die so schräg ist, dass Außenstehende nur den Kopf schütteln können. Klug, liebevoll und mit sehr viel schwarzem Humor erzählt Dana von Suffrin, wie Timna versucht, ihre dysfunktionale Familie zusammenzuhalten, ohne selbst vor die Hunde zu gehen. »Otto« ist Hommage und zugleich eine Abrechnung mit einem Mann, in dessen jüdischer Biografie sämtliche Abgründe des 20. Jahrhunderts aufscheinen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Felix Stephan traf Dana von Suffrin für seinen Artikel zum Gespräch und entlockte ihr Aussagen über die Einflüsse auf ihre Prosa: Bashevis Singer und die Sweatshop-Poeten. Den Roman über einen Siebenbürger Juden und seine Töchter versteht er so schon viel besser. Überzeugend findet er nicht nur die an die jiddische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts erinnernde Sprache, die bei Suffrin nur viel weiblicher klingt, wie er meint (was immer das genau bedeutet), sondern auch den Ansatz, historisch bedingte Lücken (die Autorin ist Historikerin) literarisch zu schließen. Dass Suffrins Roman weder Plot noch Entwicklung aufweist, findet Stephan nicht weiter schlimm. Eintauchend, sich treiben lassend, wie die Erinnerungen der Ich-Erzählerin, empfindet der Rezensent nicht nur Lust am Text, er spürt auch die "intelligente Indiskretion" der Autorin beim lust- und humorvollen Umgang mit der jüdischen Geschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2019Antisemitische Ampeln
Endstation Reihenhaus: Dana von Suffrins "Otto"
Tausende Uhren ticken um Otto herum. Billige Armbanduhren muss er sich ständig anschaffen. Ein Komplex, der den Kampf mit der Zeit, ja mit dem Tod aushandelt. Darum geht es in diesem ersten Roman der Münchner Autorin Dana von Suffrin.
Ihre Protagonistin, die Lieblingstochter des von Uhren besessenen Vaters, sieht ihn immer wieder im Krankenhaus, vertraut sich einem anderen Besucher an und durchlebt ein vertracktes, gebeuteltes, aber auch erfolgreiches Leben in der Vergangenheit, der sie selbst entstammt. Rückblicke, Vorblicke, Gespräche mit der Schwester, die der unerträgliche Vater beschimpfte und heruntermachte, der Versuch, eine Familiengeschichte zu schreiben, die durch die Augen eines Mannes, durch seine Odyssee gebrochen wird. Ein Roman, der nicht einfach zeigen will, dass alles fließt, das wäre zu einfach. Sondern: "Alles zerfließt", was Otto mit seiner mathematischen Ausbildung als "Deborah-Zahl" bezeichnet, denn diese Prophetin sang, wie vor Gott sogar die Berge zerfließen - es kommt nur auf die Dauer der Beobachtung an.
Mit dem sterbenden Mann und seinem Körper gehen Erfahrungen dahin, Einsichten, Schweinereien und Beleidigungen, Wohnorte, Krankenhäuser, Zionismus, Deutschland, die Nazi-Autos und das Reihenhaus in Trudering im Münchner Südosten. Bayern wird von vielen Siebenbürger Sachsen bewohnt. So ist es kein Zufall, dass er hierhin verschlagen wurde. Otto, ein Siebenbürger Jude, wurde 1938 im rumänischen Kronstadt geboren, wurde Ingenieur, wanderte nach Israel aus, um schließlich ins Land der Täter zu ziehen, wo ihm andere Siebenbürger Sachsen eine gewisse Heimat andeuten. Viermal hat er für Israel gekämpft, zwanzig Jahre dort gelebt, war ein echter Israeli geworden, der "den Hummus mit Pitabrot vom Teller wischte", doch ging er, auch wegen einer Scheidungsgeschichte, ins Ruhrgebiet, ins Land der Nazis, wie seine Mutter meinte. Später dann München, Reihenhaus, alles billig, er ist ein Geizhals, das wird bald klar. Überhaupt soll er nicht sympathisch erscheinen, die Leser müssen sich an den schnoddrigen Umgang mit ihm, dem Judentum, mit den Lebensgeschichten eines Schwierigen gewöhnen. Hier wird Normalität beschrieben, keine romantisierende Version Israels oder des jüdischen Lebens überhaupt. Härte des Lebens drückt sich in einer oft harten Sprache aus, es wimmelt von "Blöden" und "Arschlöchern", Otto hat sie alle drauf. Und diese deutschen Ampeln sind "Scheißantisemiten, die auf Rot schalten, wenn ein Jude in einem billigen Auto kommt".
Otto lässt sich nicht festlegen, er flucht, liebt, lässt sich scheiden, ist stolz auf seinen Panzerführerschein und redet doch nie von seiner Soldatenzeit. Dann die Vorfahren, die vernichtet wurden oder flohen. Dann wiederum seine Obsessionen - das Billige, Moderne, Aldi, Lidl. Kinderfragen an die Mutter: Was ist denn ein Heim, und die Mutter antwortet, das sei ein Haus für alte Nazis ohne Zähne. Für Otto ist Deutschland dagegen heimlich ein Land, in dem man als Jude nicht mehr ermordet wird, auch wenn er es immer wieder mit Worten niedermacht. Seine Siebenbürger Freunde, das "Altherrenbataillon", liebt er, sie seien meist frei von Antisemitismus. So kommt es auch zu einer Reise in die alte Heimat, die Familie schaut sich Transsilvanien an, das von der EU aufpolierte Kronstadt, ja, und natürlich das Schloss Bran, in dem der furchtbare Dracula angeblich wohnte. Otto macht Vorschriften, ist beleidigt, klagt über die Preise und sagt: Ihr könnt ganz alte Kühe werden, für mich seid ihr Kinder. Die Tochter erkennt daraus: Wir werden immer Kinder von Kindern bleiben, auch unsere Kinder sind Kinder von Kindern. Es gibt kein Entkommen aus der Unreife - sie ist festes Erbgut der Menschheit.
Und darin liegt der Reiz dieses Buches, in diesem hemmungslosen Aufgreifen der menschlichen Unreife, diesem Hin- und Hergerede und vor allem -geschimpfe. Eine Familiengeschichte soll entstehen, aber die besteht nur aus einem "Klumpen Geschichten", dem man nicht entkommen kann. Man wird formlos darin, verknetet und verknotet, und es erscheint geradezu als ein Wunder, dass daraus noch ein romanhaftes Buch entsteht.
Otto verliert die Fährte, die Töchter versuchen, ihn wieder in die Gleise zu bringen, doch dann ruft gleich eine wieder: Otto, erzähl! Und denkt dabei an "Proust und seine bescheuerten Madeleines". Adipöse Ratten und junge Welpen durchstöbern den Haushalt wie alte aufgescheuchte Träume im sterilen Reihenhaus - ja, er wollte ein Haus ohne Geschichte - in der Spießersiedlung. Haare liegen herum, die Haut ist voller Erinnerung, und am Unterarm ticken sieben Uhren. Ein Leben im 21. Jahrhundert, mit den Narben und Albträumen des vorherigen versehen. Zwischen politischen und geographischen Spannungen springt der vielgequälte Mensch im Dreieck.
ELMAR SCHENKEL
Dana von Suffrin: "Otto". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Endstation Reihenhaus: Dana von Suffrins "Otto"
Tausende Uhren ticken um Otto herum. Billige Armbanduhren muss er sich ständig anschaffen. Ein Komplex, der den Kampf mit der Zeit, ja mit dem Tod aushandelt. Darum geht es in diesem ersten Roman der Münchner Autorin Dana von Suffrin.
Ihre Protagonistin, die Lieblingstochter des von Uhren besessenen Vaters, sieht ihn immer wieder im Krankenhaus, vertraut sich einem anderen Besucher an und durchlebt ein vertracktes, gebeuteltes, aber auch erfolgreiches Leben in der Vergangenheit, der sie selbst entstammt. Rückblicke, Vorblicke, Gespräche mit der Schwester, die der unerträgliche Vater beschimpfte und heruntermachte, der Versuch, eine Familiengeschichte zu schreiben, die durch die Augen eines Mannes, durch seine Odyssee gebrochen wird. Ein Roman, der nicht einfach zeigen will, dass alles fließt, das wäre zu einfach. Sondern: "Alles zerfließt", was Otto mit seiner mathematischen Ausbildung als "Deborah-Zahl" bezeichnet, denn diese Prophetin sang, wie vor Gott sogar die Berge zerfließen - es kommt nur auf die Dauer der Beobachtung an.
Mit dem sterbenden Mann und seinem Körper gehen Erfahrungen dahin, Einsichten, Schweinereien und Beleidigungen, Wohnorte, Krankenhäuser, Zionismus, Deutschland, die Nazi-Autos und das Reihenhaus in Trudering im Münchner Südosten. Bayern wird von vielen Siebenbürger Sachsen bewohnt. So ist es kein Zufall, dass er hierhin verschlagen wurde. Otto, ein Siebenbürger Jude, wurde 1938 im rumänischen Kronstadt geboren, wurde Ingenieur, wanderte nach Israel aus, um schließlich ins Land der Täter zu ziehen, wo ihm andere Siebenbürger Sachsen eine gewisse Heimat andeuten. Viermal hat er für Israel gekämpft, zwanzig Jahre dort gelebt, war ein echter Israeli geworden, der "den Hummus mit Pitabrot vom Teller wischte", doch ging er, auch wegen einer Scheidungsgeschichte, ins Ruhrgebiet, ins Land der Nazis, wie seine Mutter meinte. Später dann München, Reihenhaus, alles billig, er ist ein Geizhals, das wird bald klar. Überhaupt soll er nicht sympathisch erscheinen, die Leser müssen sich an den schnoddrigen Umgang mit ihm, dem Judentum, mit den Lebensgeschichten eines Schwierigen gewöhnen. Hier wird Normalität beschrieben, keine romantisierende Version Israels oder des jüdischen Lebens überhaupt. Härte des Lebens drückt sich in einer oft harten Sprache aus, es wimmelt von "Blöden" und "Arschlöchern", Otto hat sie alle drauf. Und diese deutschen Ampeln sind "Scheißantisemiten, die auf Rot schalten, wenn ein Jude in einem billigen Auto kommt".
Otto lässt sich nicht festlegen, er flucht, liebt, lässt sich scheiden, ist stolz auf seinen Panzerführerschein und redet doch nie von seiner Soldatenzeit. Dann die Vorfahren, die vernichtet wurden oder flohen. Dann wiederum seine Obsessionen - das Billige, Moderne, Aldi, Lidl. Kinderfragen an die Mutter: Was ist denn ein Heim, und die Mutter antwortet, das sei ein Haus für alte Nazis ohne Zähne. Für Otto ist Deutschland dagegen heimlich ein Land, in dem man als Jude nicht mehr ermordet wird, auch wenn er es immer wieder mit Worten niedermacht. Seine Siebenbürger Freunde, das "Altherrenbataillon", liebt er, sie seien meist frei von Antisemitismus. So kommt es auch zu einer Reise in die alte Heimat, die Familie schaut sich Transsilvanien an, das von der EU aufpolierte Kronstadt, ja, und natürlich das Schloss Bran, in dem der furchtbare Dracula angeblich wohnte. Otto macht Vorschriften, ist beleidigt, klagt über die Preise und sagt: Ihr könnt ganz alte Kühe werden, für mich seid ihr Kinder. Die Tochter erkennt daraus: Wir werden immer Kinder von Kindern bleiben, auch unsere Kinder sind Kinder von Kindern. Es gibt kein Entkommen aus der Unreife - sie ist festes Erbgut der Menschheit.
Und darin liegt der Reiz dieses Buches, in diesem hemmungslosen Aufgreifen der menschlichen Unreife, diesem Hin- und Hergerede und vor allem -geschimpfe. Eine Familiengeschichte soll entstehen, aber die besteht nur aus einem "Klumpen Geschichten", dem man nicht entkommen kann. Man wird formlos darin, verknetet und verknotet, und es erscheint geradezu als ein Wunder, dass daraus noch ein romanhaftes Buch entsteht.
Otto verliert die Fährte, die Töchter versuchen, ihn wieder in die Gleise zu bringen, doch dann ruft gleich eine wieder: Otto, erzähl! Und denkt dabei an "Proust und seine bescheuerten Madeleines". Adipöse Ratten und junge Welpen durchstöbern den Haushalt wie alte aufgescheuchte Träume im sterilen Reihenhaus - ja, er wollte ein Haus ohne Geschichte - in der Spießersiedlung. Haare liegen herum, die Haut ist voller Erinnerung, und am Unterarm ticken sieben Uhren. Ein Leben im 21. Jahrhundert, mit den Narben und Albträumen des vorherigen versehen. Zwischen politischen und geographischen Spannungen springt der vielgequälte Mensch im Dreieck.
ELMAR SCHENKEL
Dana von Suffrin: "Otto". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 240 S., geb., 20,- [Euro].
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»Ein Mosaik der Erinnerungskultur. Eine Monument der Liebe.« Florian Leclerc Frankfurter Rundschau 20190912