Was kann die interkulturelle Philosophie von Otto Friedrich Bollnow (1903-1991) lernen? Auf diese Frage will die vorliegende Studie eine Antwort geben. Zunächst werden die Grundzüge der Hermeneutik Bollnows unter besonderer Berücksichtigung ihrer philosophischen und religionswissenschaftlichen Implikationen behandelt. Sodann wird auf die verschiedenen Stationen seines wissenschaftlichen Weges eingegangen. Das für die interkulturelle Philosophie wichtige Problem des Verhältnisses von Begriff und Leben durchzieht Bollnows Lebenswerk. In Bollnows ausgesprochen kompliziertem, vor allem von der Lebensphilosophie geprägtem Ansatz durchdringen und ergänzen sich hermeneutische, phänomenologische, anthropologische, existenzphilosophische, pragmatische, pädagogische und ethische Betrachtungsweisen in idealer Weise. Die interkulturelle Relevanz Bollnows zeigt sich u. a. darin, daß er durch seine starke Berücksichtigung der wirklichkeitserschließenden Kraft von Stimmungen und existentiellen Einstellungen dazu beigetragen hat, ein einseitig rationalistisches Welt-, Menschen- und Religionsverständnis, das sich nicht problemlos auf fremde Kulturen übertragen läßt, zu überwinden. In seiner lebenshermeneutischen Erkenntnisphilosophie hat Bollnow die Unmöglichkeit eines wert- und kulturneutralen "archimedischen Punktes" in der Erkenntnis, mithin einer Zentralperspektive, aufgezeigt und auf diese Weise die Verabsolutierung jeder kulturzentrischen Betrachtungsweise zurückgewiesen. Die Hermeneutik Bollnows zeichnet sich weiterhin durch ihre Offenheit für neue und fremde Erfahrungen aus und erlaubt auch ein Ernstnehmen vorrationaler mythischer und magischer, aber auch transrationaler mystischer Betrachtungsweisen aus nichtabendländischen Kulturkreisen. In der Studie wird auch Bollnows Nähe zur asiatischen Geistigkeit und insbesondere zu den neo- buddhistischen Philosophen der Kyoto- Schule thematisiert. Als ein entscheidendes Resultat der Untersuchung kann festgehalten werden, dass Bollnow gleichsam "diesseits der Theologie", auf lebensphilosophischer Grundlage einen transzendenzoffenen, auf "eine Kraft, die nicht die unsre ist" vertrauenden (Seinsvertrauen) Ansatz entwickelt hat, der dem Vernunftinteresse an interkultureller Verallgemeinerbarkeit weit eher entspricht als ein szientistischer Säkularismus, der heute im interkulturellen Kontext an Grenzen stößt.
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