Paul Reynaud was one of the few French statesmen whose activities were controversial even while he was still alive. His unfortunate term as Prime Minister and the circumstances of his abduction 1940 will forever link him to the issue of the German occupation of France, a situation which has left a deep impact in the French collective consciousness. Grüner works to show the unknown facets of Reynauds biography and personality and proves that he was one of the most innovative politicians of his time.
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In freundlicherem Licht: Paul Reynaud und die Dritte Republik
Stefan Grüner: Paul Reynaud (1878-1966). Biographische Studien zum Liberalismus in Frankreich. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 48. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 436 Seiten, 128,- Mark.
Politische Biographien haben Konjunktur im Forschungsfeld der deutsch-französischen Beziehungen. Dies belegen die jüngst erschienenen Studien von Roland Ray über Otto Abetz und von Corinna Franz über Fernand de Brinon. Mit de Brinon hatte Paul Reynaud schon zu Lebzeiten die Anfeindungen als "germanophiler Totengräber der Dritten Republik" gemein. Nun zeichnet Stefan Grüner die wichtigsten Stationen dieses umstrittenen Staatsmannes nach.
Seit Anfang der zwanziger Jahre gestaltete der in der republikanisch-liberalen Tradition Frankreichs verwurzelte Anwalt Reynaud als Mitglied der Abgeordnetenkammer, als Finanz-, Kolonial- und Justizminister sowie als vorletzter Ministerpräsident der Dritten Republik (1940) das politische Leben Frankreichs mit. Gekennzeichnet war die liberale Reformpolitik Reynauds durch die Ambivalenz von Modernisierungswillen und Traditionsbewahrung. Dies zeigte sich vor allem auf dem Gebiet der Finanz- und Deutschlandpolitik, wo er wiederholt für einen Interessenausgleich in der Reparationsfrage mit der deutschen Rechten, insbesondere auch mit großindustriellen Kreisen, und für den Verzicht auf eine fortdauernde Besetzung des Rheinlandes plädierte. So machte sich der Jurist zwischen 1921 und 1923 für ein deutsch-französisches Sachlieferungsabkommen zur Beseitigung der Kriegsschäden in den zerstörten Industriegebieten Nordostfrankreichs und für französische Aktienbeteiligungen an der deutschen Industrie stark.
Die Einbettung der deutsch-französischen Frage in den größeren Kontext des europäischen Nachkriegsaufschwungs und die Einsicht in die friedensstabilisierende Wirkung enger wirtschaftlicher Beziehungen kann als durchaus modern bezeichnet werden. Reynauds Entwürfe scheiterten jedoch an seinem begrenzten parlamentarischen Einfluß sowie an der Gesprächsunwilligkeit beider Regierungen. Erneute Vorschläge im Jahre 1929 beinhalteten die Zusammenarbeit deutsch-französischer Truppen unter dem Dach des Völkerbundes und eine Verminderung der deutschen Schulden. Dahinter stand nicht zuletzt die Idee, mit dem deutschen Reparationsschuldner gemeinsame Sache zu machen, damit das in der Wiederaufbauphase befindliche Frankreich seine Zahlungen gegenüber dem unnachgiebigen Gläubiger Vereinigte Staaten suspendieren könne. Die öffentliche Meinung in Frankreich lehnte solche Pläne jedoch als "unrealistische Einlassungen" ab. Darüber hinaus resultierte Reynauds Beharren auf der Notwendigkeit einer deutsch-französischen Annäherungspolitik aus der machtpolitischen Unfähigkeit Frankreichs, die zunehmend erkennbare Störung der europäischen Ordnung durch den deutschen Nachbarn aus eigener Kraft und ohne Beistand aus der angloamerikanischen Welt zu parieren.
Die deutschland- und sicherheitspolitischen Vorstellungen, die Reynaud nach 1933 in Zusammenarbeit mit Charles de Gaulle als Reaktion auf die autoritäre und expansionistische deutsche Politik und als Ergänzung zum ohnmächtigen Völkerbund entwickelt hatte, fanden kaum Resonanz. Die Bildung einer gepanzerten mobilen Eingreiftruppe wurde abgelehnt.
Als Grundelemente des liberalen politischen Denkens Reynauds arbeitet Grüner das Bekenntnis zur laizistischen demokratischen Republik und den klassisch liberalen Fortschrittsgedanken des intelligenten und rhetorisch brillierenden Politikers heraus. In der abschließenden Bewertung kommt der Autor zu dem richtigen Ergebnis, daß Reynauds Reformansätze "wohl mehr Mißerfolge als politisch dauerhafte Resultate zu verbuchen" hatten. Die "insgesamt negative Bilanz" gilt auch für die Ministerpräsidentschaft, als sich Reynaud vor allem um eine engere militärische Zusammenarbeit mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten bemühte. Diese blieb ihm aber - auch nach dem deutschen Angriff auf Frankreich vom 10. Mai 1940 - weitgehend versagt.
Am 16. Juni 1940 trat Reynaud nach nur dreimonatiger Amtszeit zurück, da die Mehrheit seiner Minister einen Waffenstillstand mit Deutschland befürwortete. Den fehlenden Rückhalt in der politischen Landschaft Frankreichs macht Grüner neben der Aussichtslosigkeit der Kriegslage besonders geltend - um einen Politiker zu entlasten, dessen glückloses Agieren nach dieser kenntnisreichen und quellensatten Studie in einem etwas freundlicheren Licht gesehen werden dürfte.
RALPH ERBAR
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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