»Hör mir zu, Paula, ich erzähle dir eine Geschichte, damit du nicht so verloren bist, wenn du wieder aufwachst.« Das Unfassbare geschah im Dezember 1991, als lsabel Allendes Tochter Paula plötzlich schwer erkrankte und kurz darauf ins Koma fiel. Eine heimtückische Stoffwechselkrankheit hatte die lebensfrohe junge Frau jäh niedergeworfen, im Herbst 1992 starb sie.
Das Schicksal ihrer Tochter wurde für lsabel Allende zur schwersten Prüfung ihres Lebens. Um die Hoffnung nicht zu verlieren, schrieb sie, der Tochter zur Erinnerung und sich selbst zur Tröstung, ihr persönlichstes und intimstes Buch.
Das Schicksal ihrer Tochter wurde für lsabel Allende zur schwersten Prüfung ihres Lebens. Um die Hoffnung nicht zu verlieren, schrieb sie, der Tochter zur Erinnerung und sich selbst zur Tröstung, ihr persönlichstes und intimstes Buch.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.1995So trage der Bach sie fort
Isabel Allende ist die epische Sachwalterin des Putzigen
Mit der Porphyrie ist es folgendermaßen bestellt: Der Körper vergiftet sich, da die Biosynthese von Hämoglobin gestört ist, mit Uroporphyrin, Koproporphyrinogen und Koproporphyrin von innen. Die Patientin wird von akuten Abdominalkoliken geschüttelt, sie beginnt zu delirieren und fällt schließlich ins Koma. Die Prognose ist schlecht: Die Porphyrie führt zu einer konstanten Erhöhung des arteriellen diastolischen Blutdrucks, in der Fachsprache auch als maligne Hypertonie bekannt. In der Folge kann es zu Hirnschäden kommen. Sollten nun Fehler gemacht werden bei der Behandlung der Patientin, gibt es keine Rettung mehr - nein, es ist klar, dann wird sie sterben.
So erging es Isabel Allendes Tochter Paula, die der Porphyrie im Alter von neunundzwanzig Jahren erlag; und noch während sie im Sterben lag, begann die chilenische Erfolgsautorin, einen neuen Bestseller zu schreiben. Laut eigenem Bekunden verfaßte sie ihn "auf den Fluren eines Madrider Krankenhauses" sowie "in dem Hotelzimmer, in dem ich mehrere Monate wohnte", und sie beendete den Roman "neben ihrem" - Paulas - "Bett in unserem Haus in Kalifornien". Das Resultat, ein Werk von 488 Seiten, wird im Klappentext als Isabel Allendes "persönlichstes und intimstes Buch" angepriesen. Und in der Tat: Dieses Buch handelt fast ausschließlich von der Autorin. Daß es so heißt wie ihre Tochter, ist eher ein Irrtum.
Mit Isabel Allende ist es folgendermaßen bestellt: Sie ist gleich in mehrerlei Hinsicht großartig. Erstens wegen ihres Blutes - rollt in ihren Adern doch der Lebenssaft verwegener spanisch-baskischer Seeleute, "dazu ein Viertel französisches und eine gewisse Dosis araukanisches oder Mapucheblut". Zweitens ist Isabel Allende großartig, weil sie Chilenin ist. Die Chilenen aber haben eine ganz eigene Mentalität. Mal sind sie zart, mal sind sie wild, und immer sind sie poetisch. Das hat mit der chilenischen Landschaft zu tun. Der Autorin ist darum die Erinnerung an die Wälder ihrer Heimat nichs weniger als heilig. Die chilenischen Wälder, schreibt sie, erregten in ihr eine Gemütsbewegung, die stärker sei "als der perfekteste Orgasmus". Glücklich, wer Chile sein Vaterland nennen darf!
Drittens ist Isabel Allende großartig, weil sie Kontakte mit der Sphäre des Übersinnlichen unterhält. Alle ihre Kinder sind ihr, bevor sie geboren wurden, im Traum erschienen ("auch du, Paula"). Die übersinnliche Veranlagung hat Isabel Allende vermutlich von einer telekinetischen Großmutter geerbt; somit hat auch hier das Blut seine segensreiche Wirkung entfaltet.
Viertens endlich ist Isabel Allende prima, weil sie eine geborene Ezählerin ist. Die Autorin wird nicht müde, uns alle paar Seiten zu versichern, daß sie schon immer von einer unbezwingbaren Fabulierlust getrieben worden sei, daß sie über eine überbordende Phantasie verfüge, daß "eine gut erzählte Geschichte eine mächtige aphrodisische Wirkung zu haben pflegt", und daß alle ihre Romane sich gleichsam von selbst geschrieben hätten.
Nun erzählt Isabel Allende in "Paula" aber gar nicht; sie referiert. Sie betet ihr Leben in einem Tonfall falscher Munterkeit herunter, der - da er so beharrlich durchgehalten wird - auf Dauer den Eindruck der Putzigkeit hervorruft. Im Grunde und bei rechtem Lichte betrachtet, ist alles in diesem Buch putzig und allerliebst. Seien es die Mißhandlungen, die Isabel Allende als Kind erdulden mußte, sei es der Ausbruch des Bürgerkrieges im Libanon - nichts erscheint in diesem Lebensroman wirklich schlimm. Die Autorin blickt von oben herab auf die Welt: wie eine höhere Tochter, die selbstverständlich weiß, daß zum Schöpfungsplan auch die Grausamkeit gehört.
Dieser humorvoll verniedlichende Tonfall wird nur an zwei Stellen durchbrochen. Zum einen bei der Schilderung des Militärputsches von 1973; zum anderen beim Tod von Isabel Allendes erwachsenem Kind. Gewonnen ist damit freilich gar nichts. Der niedliche Kitsch wird lediglich durch pathetischen Kitsch ersetzt, durch Schwulst dieser Art: "Als ich mich auflöste, wurde mir die Offenbarung zuteil, daß diese Leere voll ist von allem, was das Universum enthält. Es ist nichts und ist gleichzeitig alles. Feierliches Licht und undurchdringliches Dunkel. Ich bin die Leere, ich bin alles, was existiert, ich bin in jedem Blatt des Waldes, in jedem Tautropfen, in jedem Aschestäubchen, das der Bach fortträgt, ich bin Paula . . ."
Mit der Porphyrie ist es folgendermaßen bestellt: Sie entschuldigt gar nichts. Eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat, verdient unser Mitgefühl; dieses Buch nicht. HANNES STEIN
Isabel Allende: "Paula". Aus dem Spanischen übersetzt von Lieselotte Kolanoske. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 448 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Isabel Allende ist die epische Sachwalterin des Putzigen
Mit der Porphyrie ist es folgendermaßen bestellt: Der Körper vergiftet sich, da die Biosynthese von Hämoglobin gestört ist, mit Uroporphyrin, Koproporphyrinogen und Koproporphyrin von innen. Die Patientin wird von akuten Abdominalkoliken geschüttelt, sie beginnt zu delirieren und fällt schließlich ins Koma. Die Prognose ist schlecht: Die Porphyrie führt zu einer konstanten Erhöhung des arteriellen diastolischen Blutdrucks, in der Fachsprache auch als maligne Hypertonie bekannt. In der Folge kann es zu Hirnschäden kommen. Sollten nun Fehler gemacht werden bei der Behandlung der Patientin, gibt es keine Rettung mehr - nein, es ist klar, dann wird sie sterben.
So erging es Isabel Allendes Tochter Paula, die der Porphyrie im Alter von neunundzwanzig Jahren erlag; und noch während sie im Sterben lag, begann die chilenische Erfolgsautorin, einen neuen Bestseller zu schreiben. Laut eigenem Bekunden verfaßte sie ihn "auf den Fluren eines Madrider Krankenhauses" sowie "in dem Hotelzimmer, in dem ich mehrere Monate wohnte", und sie beendete den Roman "neben ihrem" - Paulas - "Bett in unserem Haus in Kalifornien". Das Resultat, ein Werk von 488 Seiten, wird im Klappentext als Isabel Allendes "persönlichstes und intimstes Buch" angepriesen. Und in der Tat: Dieses Buch handelt fast ausschließlich von der Autorin. Daß es so heißt wie ihre Tochter, ist eher ein Irrtum.
Mit Isabel Allende ist es folgendermaßen bestellt: Sie ist gleich in mehrerlei Hinsicht großartig. Erstens wegen ihres Blutes - rollt in ihren Adern doch der Lebenssaft verwegener spanisch-baskischer Seeleute, "dazu ein Viertel französisches und eine gewisse Dosis araukanisches oder Mapucheblut". Zweitens ist Isabel Allende großartig, weil sie Chilenin ist. Die Chilenen aber haben eine ganz eigene Mentalität. Mal sind sie zart, mal sind sie wild, und immer sind sie poetisch. Das hat mit der chilenischen Landschaft zu tun. Der Autorin ist darum die Erinnerung an die Wälder ihrer Heimat nichs weniger als heilig. Die chilenischen Wälder, schreibt sie, erregten in ihr eine Gemütsbewegung, die stärker sei "als der perfekteste Orgasmus". Glücklich, wer Chile sein Vaterland nennen darf!
Drittens ist Isabel Allende großartig, weil sie Kontakte mit der Sphäre des Übersinnlichen unterhält. Alle ihre Kinder sind ihr, bevor sie geboren wurden, im Traum erschienen ("auch du, Paula"). Die übersinnliche Veranlagung hat Isabel Allende vermutlich von einer telekinetischen Großmutter geerbt; somit hat auch hier das Blut seine segensreiche Wirkung entfaltet.
Viertens endlich ist Isabel Allende prima, weil sie eine geborene Ezählerin ist. Die Autorin wird nicht müde, uns alle paar Seiten zu versichern, daß sie schon immer von einer unbezwingbaren Fabulierlust getrieben worden sei, daß sie über eine überbordende Phantasie verfüge, daß "eine gut erzählte Geschichte eine mächtige aphrodisische Wirkung zu haben pflegt", und daß alle ihre Romane sich gleichsam von selbst geschrieben hätten.
Nun erzählt Isabel Allende in "Paula" aber gar nicht; sie referiert. Sie betet ihr Leben in einem Tonfall falscher Munterkeit herunter, der - da er so beharrlich durchgehalten wird - auf Dauer den Eindruck der Putzigkeit hervorruft. Im Grunde und bei rechtem Lichte betrachtet, ist alles in diesem Buch putzig und allerliebst. Seien es die Mißhandlungen, die Isabel Allende als Kind erdulden mußte, sei es der Ausbruch des Bürgerkrieges im Libanon - nichts erscheint in diesem Lebensroman wirklich schlimm. Die Autorin blickt von oben herab auf die Welt: wie eine höhere Tochter, die selbstverständlich weiß, daß zum Schöpfungsplan auch die Grausamkeit gehört.
Dieser humorvoll verniedlichende Tonfall wird nur an zwei Stellen durchbrochen. Zum einen bei der Schilderung des Militärputsches von 1973; zum anderen beim Tod von Isabel Allendes erwachsenem Kind. Gewonnen ist damit freilich gar nichts. Der niedliche Kitsch wird lediglich durch pathetischen Kitsch ersetzt, durch Schwulst dieser Art: "Als ich mich auflöste, wurde mir die Offenbarung zuteil, daß diese Leere voll ist von allem, was das Universum enthält. Es ist nichts und ist gleichzeitig alles. Feierliches Licht und undurchdringliches Dunkel. Ich bin die Leere, ich bin alles, was existiert, ich bin in jedem Blatt des Waldes, in jedem Tautropfen, in jedem Aschestäubchen, das der Bach fortträgt, ich bin Paula . . ."
Mit der Porphyrie ist es folgendermaßen bestellt: Sie entschuldigt gar nichts. Eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat, verdient unser Mitgefühl; dieses Buch nicht. HANNES STEIN
Isabel Allende: "Paula". Aus dem Spanischen übersetzt von Lieselotte Kolanoske. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 448 S., geb., 49,80 DM.
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»Das Buch ihres Lebens - in doppelter Hinsicht.« Bayerischer Rundfunk 20230717
»Ein Buch wie das Leben selbst - sinnlich, transzendent, schön, tragisch, unerbittlich, schmerzhaft. … Paula ist ein Buch, das man tief bewegt aus den Händen legt, keine leichte Buchlektüre, aber es ist ein Buch, das wie ein Lebensdestillat wirkt und das Leben ist ja auch nicht immer leicht.«