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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Breiter als Tom Holland hat noch kein moderner Autor das Leichenbegängnis der Poppaea Sabina ausgemalt, der zweiten Ehefrau Neros: "Fünfundsechzig Jahre nach Christi Geburt wurde die berühmteste Frau Roms eine Göttin. Ihr Leichnam, gefüllt mit den teuersten Gewürzen, die für Geld zu bekommen waren, wurde in einer feierlichen Prozession den Palatin hinuntergetragen . . . Voran schritten Chöre, die Begräbnislieder sangen, und Amtsträger, die als Vorfahren der toten Frau markiert und kostümiert waren . . . Schwer und atemberaubend hing die Weihrauchwolke über den Reihen der Trauernden."
Die Beschreibung, deren Details aus einer Elegie des Dichters Statius stammen, wirkt selbst für ein populäres Geschichtsbuch unnötig üppig, aber in Hollands "Pax" hat sie eine erzählerische Funktion. Sie setzt einen motivischen Rahmen, den Holland am Ende seines Buches schließt, indem er die Trauerfeierlichkeiten des Kaisers Hadrian für seinen griechischen Geliebten Antinoos schildert, der fünfundsechzig Jahre nach Poppaeas Tod in einem Seitarm des Nils ertrank. Nero, schreibt Holland, habe nur das römische Forum als Bühne für seine Trauer hergerichtet - "Hadrian hingegen benutzte die Welt". Er gründete an dem Ort, an dem sein Liebling gestorben war, eine nach Antinoos benannte Stadt und stiftete für den Toten einen Kult, der sich im gesamten Imperium verbreitete. Fünf Jahre zuvor hatte Hadrian auf dem Marsfeld in Rom zudem einen Tempel gestiftet, der allen Gottheiten der Menschheit gewidmet war: das Pantheon. Der Götterhimmel der Römer war zum Himmel der Welt geworden. "Fast fühlte es sich an wie das Ende der Geschichte."
Der Wandel von der expandierenden Hegemonialmacht zum saturierten Weltreich, der sich unter Neros Nachfolgern vollzieht, stellt, wenn man so will, die These dieses Buches dar. Aber Tom Holland ist alles andere als ein Thesenautor. Sein Metier ist die drastische und farbenprächtige historische Erzählung, Realgeschichte als Monumentalroman. Dabei stehen ihm für die Ereignisse, die er in "Pax" schildert, die besten Geschichtsschreiber der römischen Antike zur Verfügung, Tacitus, Sueton, Plutarch, Cassius Dio, Arrian und nicht zuletzt der romanisierte Jude Flavius Josephus.
Holland nutzt ihre Schriften allerdings nicht, wie akademische Historiker, mit kritischer Distanz, sondern als Motivsammlung für sein Großgemälde. Dabei vertraut er ihnen fast blind. Die Ausnahme bildet die Regierungszeit Domitians, den Holland längst nicht so negativ sieht, wie Tacitus ihn gezeichnet hat. Die Propagierung altrömischer Sitte und Moral, die der letzte Flavierkaiser mit brutaler Gewalt durchzusetzen versuchte, kam der Sehnsucht vieler Römer nach augusteisch geordneten Verhältnissen entgegen: "Tyrannei war besser als Anarchie." Als Domitian einer Palastintrige zum Opfer fiel, kam kein Oppositioneller, sondern sein Verbündeter Nerva zum Zuge; den Mörder zerfetzten die Prätorianer. Auch Tacitus hatte unter dem Flavier, den er in seinen "Annalen" zum Inbild des Despoten machte, seine Karriere fortgesetzt.
"Pax" ist der letzte Teil einer Trilogie, die Holland vor zwanzig Jahren mit "Rubikon" begonnen hat. Während das 2016 erschienene Mittelstück "Dynastie" vor allem von den Familientragödien und Verbrecherphysiognomien des julisch-claudischen Kaiserhauses handelte, gibt ihm das nachneronische Zeitalter nun wieder Gelegenheit, sein Talent zur Beschreibung von Schlachten und Schlächtereien auszuleben. Allein das Vierkaiserjahr von 68/69 nach Christus ist ein Spektakel von shakespeareschen Dimensionen. Zuerst lässt sich Nero auf der Flucht von einem Diener durchbohren, dann wird der moralisch aufrechte, aber politisch instinktlose Galba auf dem Forum zu Tode geprügelt. Sein Nachfolger Otho sticht sich nach einer militärischen Niederlage ein Messer ins Herz, während Vitellius, der Sieger, seinen Triumph keine acht Monate überlebt: In einem Pförtnerzimmer auf dem Palatin versteckt, wird er von Anhängern seines Gegners Vespasian entdeckt und zerstückelt, nur einen Tag nachdem er Vespasians Bruder Sabinus ans Messer geliefert hat. Und über all dem Gemetzel lodern die Flammen des Kapitoltempels, den die kämpfenden Parteien angezündet haben. Es ist, wie die Überschrift eines Buchkapitels lautet, "die größte Show der Welt".
Diese Show wird bei Tom Holland von den großen Männern gemacht. Ihre Motive, ihre Politik, ihre Schicksale sind sein Thema; die Strukturen, in denen sie agieren, bleiben ein Hintergrundrauschen. Darin liegt der Reiz, aber auch die Grenze dieser Art Geschichtserzählung. Denn die inneren Widersprüche jener pax romana, die den Flaviern ebenso teuer war wie den auf sie folgenden Adoptivkaisern - etwa das krasse zahlenmäßige Missverhältnis zwischen der grundbesitzenden Ober- und den Unterklassen oder die permanente Überdehnung der Finanzkraft des Staates durch die Ausgaben, die zu seiner Verteidigung nötig waren -, werden auf diese Weise ausgeblendet. Auch für die Zwangslage eines Imperiums, das auf Zuwachs angewiesen war, um seine Sklavenmärkte zu füllen und die Legionäre mit Land zu versorgen, und zugleich die Barbaren aus seinen Grenzen aussperrte, hat Holland wenig Sinn. Hadrians Erben bekamen deren Folgen bald zu spüren: Die Donaugrenze hielt nicht lange dicht, und die Legionäre, die von der Macht im Stich gelassen wurden, nahmen sich diese lieber gleich selbst.
Diese Entwicklung liegt jenseits des Zeithorizonts von "Pax", aber in den Dakerkriegen Domitians und im Scheitern der Perserfeldzüge Trajans deutet sie sich zumindest an. Wie man derartige Zusammenhänge darstellt, ohne die Leser zu langweilen, hätte sich Holland bei Karl Christ oder Alexander Demandt abschauen können, deren Werk er aber, wie fast die ganze deutschsprachige Forschungsliteratur, nicht zur Kenntnis genommen hat. So bleibt sein Buch ein Mittelding zwischen Wissenschaft und Kolportage: An die psychologischen Einsichten des Tacitus reicht es nicht heran, und ins soziale Gefüge des Römerreichs gewährt es kaum einen Blick. Dafür macht es den polyglotten und reisesüchtigen Hadrian zum ersten Selbstverwirklicher auf dem Kaiserthron: "Er lebte den Traum." Warum seine Nachfolger auf solche Egotrips verzichten mussten und warum sich über Hadrians Grabmal heute die Engelsburg der Päpste erhebt: Das alles erfährt man an anderem Ort. ANDREAS KILB
Tom Holland:
"Pax". Krieg und Frieden im Goldenen Zeitalter Roms.
Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024. 448 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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