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Klein Zaches und Oskar Matzerath lassen grüßen: Norbert Scheuers neuer Roman "Peehs Liebe" verlässt die angestammte Region der Eifel, verdammt aber zugleich die Ferne.
Norbert Scheuer ist ein literarischer Chronist der Eifel, wie diese von Schicksal wie Künstlern oft benachteiligte Region keinen Zweiten gefunden hat. Also muss es Aufsehen erregen - und das über die Eifel hinaus, denn auch Scheuers Rang ist längst über den eines Lokalautors hinaus -, wenn in seinem neuen Roman "Peehs Liebe" die aus den früheren Büchern vertraute Gegend verlassen wird. Wobei dieser Versuch die Träume der Protagonisten befeuert, aber dann doch im Fiasko endet.
Auf drei ständig abwechselnden Ebenen wird hier erzählt (auch das ist neu): Zunächst gibt es einen Ich-Erzähler, Rosarius Delamot. Der französisch klingende Nachname weist ihn als Mann des Wortes aus, doch das ist ein Hohn, denn Rosarius, 1938 geboren, kommt erst als Erwachsener zur Sprache, als ihm im Gefängnis nach der Lektüre von 941 Büchern der Kopf zu schwirren beginnt. Zuvor war er einer jener durchs Leiden an der Wirklichkeit wachstumsgestörten deutschen Knaben, wie man sie seit der "Blechtrommel" von Günter Grass kennt. Mit der Sprache setzt bei Rosarius dann aber auch das Wachstum ein. Das ist ein etwas gesuchtes Loblied des wortmächtigen Autors Norbert Scheuer auf die eigene Profession.
Die zweite Ebene berichtet aus der Sicht eines auktorialen Erzählers von Annie, einer jungen Altenpflegerin, die sich von 2002 an um den als gestört ins Heim eingelieferten Rosarius während dessen letzten Lebensjahren kümmert. Die Kraft der Worte nutzt der früh Vergreiste nun zur Rekapitulation seiner Erlebnisse - "vielleicht hat das Leben nur den Sinn, dass man am Ende jemandem eine Geschichte erzählt", sinniert Rosarius zu Beginn des Buchs. Annie nimmt alsbald in seinen Tagträumen die Rolle der ehedem geliebten Petra ein, genannt Peeh, die aus dem Heimatort in der Eifel weggegangen ist. Ihretwegen trieb es auch Rosarius in die Ferne.
Doch nicht nur deshalb. Denn da ist noch die dritte Ebene, die aus den Notaten eines in der nahöstlichen Wüste verschollenen Archäologen besteht, der dort eine alte unter dem Sand verborgene Römerstraße suchte. Dieser Mann soll der Vater von Rosarius gewesen sein, und sein ganzes Interesse galt der Erschließung der antiken Welt durch ein Straßensystem, dessen Ausgangspunkt in Rom lag. So konnte man gefahrlos in die Ferne schweifen, denn das gute Nahe blieb erreichbar. Als zweitausend Jahre später diese Wege der Alten verloren sind, findet auch der Archäologe nicht mehr zurück in die Heimat. Dessen rastloses Erbteil gibt dem Sohn den Rest des Antriebs, seinerseits über die Eifel hinauszusehen.
Und es gibt noch eine vierte Ebene, die sich durch alle anderen drei zieht wie ein Bruch im Raum-Zeit-Kontinuum: Hölderlins "Hyperion". Als Rosarius in der Nachkriegszeit mit dem von seinen eigenen Untaten im Krieg traumatisierten Vincentini, der den Bewohnern der Eifel ein technisches Wunderheilgerät namens "Perseus" andrehen will, durch die Umgebung fährt, rezitiert dieser pausenlos aus dem "Hyperion", den er als Soldat im Tornister trug. So entsteht auch beim Spätentwickler eine Faszination für das Großgedicht, das von der kräftigenden Liebe zu Diotima erzählt und vom Rückzug des Helden nach deren Tod in die Einsamkeit der bergigen Peleponnes. Ein Schelm, der Ähnlichkeiten zum Geschick von Rosarius entdeckt.
"Peehs Liebe" ist vielfach durchgeformt und überformt, ein Schachtelkunststück, das erst nach und nach den Blick aufs ganze Geschehen erlaubt und zentrale Ereignisse der Handlung wie die Sterilisierung von Rosarius' Mutter im Zuge des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms oder deren späteren Suizid nur andeutet, aus der poetisch verzauberten Sicht des Sohnes erzählt. So wird sein Leben erträglich, und die neue Liebe für Annie setzt die späten Jahre in ein noch milderes Licht. Ganz am Schluss löst Rosarius so sein kindliches Grundverlangen ein: "Ich suchte ständig nach Krümeln, Steinchen, Knöchelchen von Mäusen und Maulwürfen, legte sie zusammen, betrachtete alles, sortierte wieder neu, weil ich etwas suchte, bei dem alles zusammenpasste." Der hier sichtbare Liebhaber alles Kleinen, der selbst so lange kleinwüchsig blieb, wird schließlich mit der Erschaffung eines neuen Kleinen sein Leben abrunden und seine Bestimmung erfüllen.
Das aber ist nah am biologischen wie emotionalen Kitsch gebaut, obwohl man Scheuers Figuren die Liebe ihres Autors jederzeit ablesen kann. Rundweg enttäuschend aber ist die für ihn neue Komponente der Ferne. Schon die Zahl der Tagebuchaufzeichnungen des Archäologen ist auffallend gering - als hätte sich Scheuer nicht getraut, den Reiz des Exotischen wirken zu lassen. Und was dann auch den anderen Akteuren widerfährt, wenn sie sich jemals über den Bannkreis des Eifelstädtchens hinauswagen, das setzt den Stoff, aus dem "Peehs Liebe" ist, in erstaunliche Nähe zu einer bodenverliebten Heimatliteratur, an die man nicht gern erinnert wird, auch wenn deren Wurzeln in der Romantik zu suchen sind (Klein Zaches von E. T. A. Hoffmann lässt auch grüßen).
Die "Muster und Symmetrien" - um eine Kategorie aus dem Roman selbst zu entnehmen - fordern den Vergleich mit solchen Vorläufern heraus: der Blutzoll, den die Heimat kostet, die latente Bosheit der Fremde, der Eskapismus in die eigene Traumwelt. Ausgerechnet Rosarius, der Sonderling, wird provoziert durch Disharmonie: "Wenn ich keine Ähnlichkeiten mehr zwischen den Dingen sah, schrie und kreischte ich wie ein Irrer." Das ist ein emphatisches Plädoyer für die Wiederholung auch der schlimmen Dinge - ein fatalistisches Konzept, das sich hinter dem Anschein erzählerischer Vielfalt verbirgt. Wer wie Scheuer derart viele Wege nach Rom absteckt, der muss auch sehen, dass sie alle zugleich von Rom wegführen.
ANDREAS PLATTHAUS
Norbert Scheuer: "Peehs Liebe". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2012. 223 S., geb., 17,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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