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Heinrich von Kleists 1808 erschienenes Trauerspiel "Penthesilea" bearbeitet einen Stoff aus der griechischen Mythologie: das tödliche Zusammentreffen zwischen dem Griechenhelden Achilles und der Amazonenkönigin Penthesilea auf dem Schlachtfeld vor Troja. Kleists grausames Drama bildet ein Gegengewicht zu den idealisierenden Antikevorstellungen seiner Zeit und wurde nach seinem Erscheinen heftig kritisiert und abgelehnt. Mit seinen 24 Auftritten von unterschiedlicher Länge und ohne Akteinteilung folgt Kleists Trauerspiel weder antiken noch zeitgenössischen Vorbildern; zudem nimmt die "verdeckte…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich von Kleists 1808 erschienenes Trauerspiel "Penthesilea" bearbeitet einen Stoff aus der griechischen Mythologie: das tödliche Zusammentreffen zwischen dem Griechenhelden Achilles und der Amazonenkönigin Penthesilea auf dem Schlachtfeld vor Troja. Kleists grausames Drama bildet ein Gegengewicht zu den idealisierenden Antikevorstellungen seiner Zeit und wurde nach seinem Erscheinen heftig kritisiert und abgelehnt. Mit seinen 24 Auftritten von unterschiedlicher Länge und ohne Akteinteilung folgt Kleists Trauerspiel weder antiken noch zeitgenössischen Vorbildern; zudem nimmt die "verdeckte Handlung"? die über Boten oder Beobachter mitgeteilt wird, einen wesentlich größeren Raum ein als die direkte Handlung. Bis heute bezieht Kleists "Penthesilea" seine Wirkung aus der Anlage als psychologisches Seelendrama, in der Liebe und Hass, Erotik und Aggression aufs Engste verflochten sind. Text in neuer Rechtschreibung.
Autorenporträt
Heinrich von Kleist (18. 10. 1777 Frankfurt a. d. O. – 21. 11. 1811 zwischen Potsdam und Berlin am heutigen Kleinen Wannsee) bewegte sich in romantischen Dichterkreisen, seine bis heute modern wirkenden Dramen und Erzählungen entziehen sich allerdings schematischen Stil- und Epochenzuordnungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Mir aus den Ohren, Erhabene!
Es geht nicht mehr: "Penthesilea", 1955 im Funk geballt und gebellt / Von Gerhard Stadelmaier

Man stelle sich vor: Der Jacobs-Bohnenkaffee, leicht gestreckt mit Kathreiner-Malzextrakt, ist getrunken; vorher gab's Schweinebraten mit breiten Birkle-Nudeln nebst Kartoffelsalat; es ist Sonntag nachmittag; nun ist, damit die Seele in die Höhe komme, die Verdauungszeit fürs Zeitlose, das den Geist anspannend entspannt; dieses kommt - wir schreiben das Jahr 1955 - aus dem Rundfunk; der WDR sendet Klassik als Hörspiel; heute mit Will Quadflieg und Maria Becker, dem Königspaar, das souverän über bundesdeutsche Nachkriegskulturohren herrscht.

Sie spricht in Wilhelm Semmelroths Funkinszenierung und -einrichtung die Penthesilea, er den Achill. Kleists Stück, in dem eine Frau und ein Mann, die Amazone und der Grieche, auf dem Schlachtfeld vor Troja aufeinander zurasen wie zwei Planeten, die taumelnd aus ihren jeweiligen Ordnungssternenhaufen sich herausgesprengt haben, wird hier serviert auf blankgeputztem Kehlkopfsilbertablett. Jedes Wort eine keuchende Ballung, jede Silbe erhaben gebellt, die Jamben jagend und hetzend, daß man vor lauter Kling! und Klang! und Ha! und Ho! und Ach! und Pa! und Thos! eigentlich nur lauter steil hergesetzte Ausrufezeichen hört - aber keine Sprache. Obwohl alles nichts als "aufs Wort gestellt" sein will. Aber der im schnarrenden Rezitierbefehlston die Verse vor sich hertreibende und immer die Phrasenendungen wie edle Hacken zusammenschlagende Sonoritätsfahnenjunker Quadflieg und die sich hier auf wohlgestalteten Hysteritätshöhen aufplusternde Konsonantenkampfhenne Becker ergeben zusammen kein Kleist-Paar.

Kleist-Paare nämlich (die tragischen zumal) stürzen durch ihr Sprechen, durch das dauernde, in Stockungen und Verhebungen verwirbelnde, durch das sehrende, vergeblich fragende, unmögliche, schmerzende sich Vergewissern des Wer?, Ich?, Wie? Was? in sich zusammen auseinander. Dazu müßten sie auch leise, tastend, zart, traumverloren sein - sozusagen in unheimlicher Stille rasend. Sie dürften nichts auf ein Tablett knallen, sondern alles in Himmeln oder Höllen suchen. Und wenn man sie nun schon nicht mit allen Sinnen im Schauspiel sieht, wenn man sie nur mit Ohren in einem einsinnigen "Sprechtheater" eingesperrt wahrnimmt, das hier wirklich einmal diesen unsäglichen Namen zu Recht trägt, dann müßte jedes Wort um so anschaulicher, um so skrupulöser, suchender, irrender, träumerischer klingen.

Hier aber klingen die Becker und der Quadflieg von damals selbst in der großen Liebesszene, wo die Amazone und der Grieche sich ihre wunderbaren Gefühle erzählen, wie zwei klirrende Lieferanten, die sich gegenseitig die Rezitationsreizwäsche vorführen. Alles auf Spitze geklöppelt, aber halt durchlöchert. Alles dröhnt, nichts spricht. Alles so wohl wie hohl. Dieses "Sprechtheater" hat keinen Grund in einer Phantasie eines Liebens und Lebens, eines Wirklich- oder Unwirklichseins, einer Zu- oder einer Abneigung zu den Figuren, eines Erschreckens oder Entzückens. Es hat nur einen Grund im exekutierenden, meist wohltönend gebrüllten Rezitieren. Wenn am Ende Penthesilea, die nicht durchschaut, daß Achill sich ihr nur zum Schein zum Kampfe stellt, in dem er ihr aus Liebe dann gerne unterliegen würde, den Geliebten totbeißt, dann klingt das bei Maria Becker, als spucke sie hochbrillant tragödisch ein Reclamheft aus. Und wenn die Griechen die Schlacht bedenken und von allerlei berichten, dann klingt das wie das Gebrumm von fleißigen, aber besinnungslosen Bienen.

Das alles war damals, 1955, vielleicht ein Sonntagnachmittagswunder. Heute beleidigt das unsere Ohren, die im Theater ja fürwahr viel leiden müssen. Dort sind das Sprechen und die Sprache oft sehr auf den Hund gekommen: Man ertränkt sie in Bildern und Einfällen, so daß sie auf der Bühne vielfach nur noch plappernd und gurgelnd verröcheln, ohne daß sie noch Sinn und Verstand haben dürfen. Hier aber, in der Aufnahme von 1955, verröcheln sie in Geplapper, das um so mehr Geplapper ist, als es dezidiert und so betont kultiviert und stilisiert ein Anti-Geplapper sein will. Eben nur hehres Geplapper.

Erschienen ist diese "Penthesilea" wie auch Semmelroths Funk-"Lear" von 1958 oder dessen Funk-"Nibelungen" von 1954 oder aber auch "Totentanz - Kabarett im KZ" in der "HörBühne" der "Edition Mnemosyne". Mnemosyne ist der Name der Göttin des Gedächtnisses und der Erinnerung, Mutter der Musen, gezeugt von Zeus. Dem Gedächtnis des Programms des Vergangenen geweiht wird der Verlag von Matthias Schwiedrzik, der als Dramaturg und Regisseur und Mitstreiter der Berliner Schaubühne im Theater der Achtundsechziger Jahre viel dafür getan hat, daß das damals Alte durch das damals Linke vom Theater vertrieben wurde, daß ganze Traditionen und Techniken und Sprachen verschwanden - und daß mit dem Falschen, Hohlen und Verlogenen, das darin war, auch das Aufrichtige, Substantielle und Humane gleich mit verworfen ward. Jetzt will der alte reuige Revoluzzer sozusagen dafür Buße tun. Und wendet sich prompt wieder dem alten Hohlen zu. Mnemosyne, gute Göttin, schütze uns vor Renegaten!

Heinrich von Kleist: "Penthesilea". Ein Trauerspiel. Mit Maria Becker und Will Quadflieg. Edition Mnemosyne, Neckargemünd 2002. 2 CDs, 120 Min., 25,- [Euro].

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