Facetten eines verbreiteten Phänomens moderner Gesellschaften
Viele psychische Krankheiten stehen in Zusammenhang mit dem Hang zum Perfekten. „Das Bessere ist der Feind des Guten“, sagt der Volksmund, dennoch besteht keine Einigkeit darüber, was genau Perfektionismus bedeutet. Der Perfektionist
ist ein Kind der Leistungsgesellschaft und ein Merkmal des Perfektionismus ist ein krankhaft…mehrFacetten eines verbreiteten Phänomens moderner Gesellschaften
Viele psychische Krankheiten stehen in Zusammenhang mit dem Hang zum Perfekten. „Das Bessere ist der Feind des Guten“, sagt der Volksmund, dennoch besteht keine Einigkeit darüber, was genau Perfektionismus bedeutet. Der Perfektionist ist ein Kind der Leistungsgesellschaft und ein Merkmal des Perfektionismus ist ein krankhaft überzogenes Leistungsdenken.
Raphael M. Bonelli macht deutlich, dass Perfektionismus mit Angst verknüpft ist, und zwar mit der Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit bzw. Unzulänglichkeit. Der Perfektionist erträgt es nicht, seine Ziele (das SOLL) nicht zu erreichen. Psychisch gesunde Menschen sind bereits zufrieden, wenn sie sich in Richtung SOLL bewegen. Den Perfektionisten zerreißt die SOLL-IST-Spannung.
Das Buch gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil beschreibt Bonelli das „Uhrwerk“ des Perfektionisten. Perfektionismus ist „die Pervertierung der Gewissenhaftigkeit“. (67) Bonelli erläutert die psychischen Zusammenhänge anhand eines einfachen Modells von "Kopf, Bauch und Herz". Dabei steht der Kopf für Vernunft, ist aber nicht die oberste Entscheidungsinstanz.
Bis heute gibt es keine einheitliche wissenschaftliche Definition für Perfektionismus, sondern stattdessen nur Konzepte, die Facetten des Phänomens herausstellen, die sogar scheinbar widersprüchlich sein können. (135) Auffallend ist ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken. In diesem Sinne führt ein kleiner Fehler zum totalen Versagen.
Im zweiten Teil zeigt Bonelli auf, wie sich der Hang zum Perfektionismus im modernen Umfeld auswirkt. Als Beispiele dienen Erwerbstätigkeit, Schlankheits-, Gesundheits- und Schönheitswahn, sowie Erziehung und Partnerschaft. Durch diese Bandbreite wird deutlich, dass Perfektionismus ein Massenphänomen ist und als Erklärungsmodell für viele Fehlentwicklungen herhalten kann.
Bonelli erläutert im dritten Teil die Rahmenbedingungen der Therapeuten und die Möglichkeiten Veränderungen herbeizuführen. „Die Angst muss in der Perfektionismus-Therapie erfassbar werden, … , intellektuell bearbeitbar sein.“ (281) „Der Patient muss lernen, die eigene Unvollkommenheit auszuhalten.“ (299) Imperfektionstoleranz nennt sich das therapeutische Prinzip.
Das Buch enthält zahlreiche Fallbeispiele aus beruflichem und privatem Umfeld, die den Lesern veranschaulichen, worum es geht. Das Phänomen Perfektionismus ist weit verbreitet. In manchen Fällen hätte mich interessiert, welche alternativen Erklärungen existieren. Das Buch ist verständlich, angenehm zu lesen und zu empfehlen.